Peter K. ist treuer Anhänger von Rot-Weiß Oberhausen. Der 25-Jährige zählt sich zur überschaubaren Ultra-Szene des Traditionsvereins aus dem Ruhrgebiet. Seinen Namen haben wir geändert, denn er steckt gerade in einem einmaligen Rechtsstreit im deutschen Fußball. Ihm und 14 weiteren RWO-Ultras droht nämlich der Führerscheinentzug. Mitte Januar schrieb die Stadt die Fans an, und forderte sie auf, eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung durchzuführen. Umgangssprachlich auch als "Idiotentest" bekannt. Sonst drohe der Verlust der Fahrerlaubnis. Für Peter K. und seine Fußballkumpels aus der Fanszene Oberhausen ein regelrechter Schlag ins Gesicht, als sie das Schreiben in ihrem Briefkasten fanden:
"Da war man schon gut geschockt, weil man ja auch auf den Führerschein angewiesen ist. Weil wenn man keinen Führerschein hat, kann man seinem Beruf nicht mehr nachgehen. Und dann hat man sich das mal genau durchgelesen, geschaut, warum das überhaupt so ist? Ja, und da kam einem ein bisschen die Kotze hoch, weil man auch ein bisschen verzweifelt erst einmal. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll, weil so was war vorher auch noch nicht bekannt, oder so. War schon relativ kacke!"
In dem Schreiben der Stadt Oberhausen werden Peter K. und den anderen Ultras ein extrem hohes Aggressionspotential attestiert. Angeblich seien sie Mitglied in einer Hooligan-Gruppierung, und deshalb sei davon auszugehen, dass sie auch im Straßenverkehr emotional impulsiv handeln. So heißt es wörtlich:
"Diverse polizeiliche Ermittlungen gegen Sie sind anhängig und aufgrund der Gruppierung auch in Zukunft zu erwarten. Hier derzeit bekannte Verfahren: Landesfriedensbruch und Versuchter Totschlag/Gefährliche Körperverletzung."
Ein Fall von Vorverurteilung?
Die Stadt spricht richtigerweise von eingeleiteten Verfahren, und nicht von rechtskräftigen Verurteilungen. Denn laut Aussage der Ultras sind 13 der 15 Betroffenen noch nie rechtskräftig verurteilt worden. Zudem sei keiner vorbestraft. Zum Beweis legen sie dem Deutschlandfunk die entsprechenden erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse vor. Darin werden alle rechtskräftigen Verurteilungen aufgeführt. Doch nur bei zwei Ultras finden sich Einträge, bei einem davon auch wegen gefährlicher Körperverletzung. Auch deshalb versuchten die Betroffenen wie Peter K. zu ergründen, warum sie alle diese Aufforderung der Stadt erhielten:
"Als wir das Schreiben bekommen haben, haben wir uns ans Fanprojekt gewandt. Die arbeiten auch mit dem Jugendamt zusammen, mit denen haben wir uns dann auch zusammengesetzt. Die haben uns dann einen Termin beim Straßenverkehrsamt gegeben, bei dem, der das Schreiben unterschrieben hat. Und als die dann ein bisschen von mir die Informationen bekommen haben, dass wir überhaupt weder vorbestraft sind oder sonstiges, da war die Stimmung von denen auch wieder so ein bisschen geknickt, und die waren so ein bisschen erstaunt. "
Darüber wollten wir auch mit der Stadt Oberhausen ins Gespräch kommen. Doch auf unsere Anfrage bekommen wir mit Hinweis auf die laufenden Verfahren kein Interview und auch keine schriftliche Stellungnahme. Allerdings scheint dieses Vorgehen der Stadt eine rechtliche Grundlage zu besitzen. Denn der hessische Verwaltungsgerichtshof hat schon einmal entschieden, dass auch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten Anlass für eine MPU sein können. Zwar handelte es sich dabei nicht um Vorfälle aus der Fußballszene, aber um durchaus vergleichbare Vergehen wie der Vorwurf der Körperverletzung.
Der Verein übt Kritik
Also viel Wind um nichts seitens der Ultras, denen ähnliche Delikte vorgeworfen werden? Mitnichten findet Rot-Weiß Oberhausen. Der Verein verweist darauf, dass jeder Betroffene in diesem Fall für ein Strafdelikt dann eine Dreifachbestrafung erhält. Analog zum Fußball, wo ein Foul des letzten Mannes im Strafraum zur Roten Karte, zum Elfmeter und zu einer Sperre für weitere Spiele führt, wie Vorstandsmitglied Thorsten Binder erklärt:
"Ich habe das, was ich als Verfehlung begangen habe, juristisch entsprechend durchzustehen. Ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt wird der Richter am Ende rausfinden. Ich habe dann mit einem Stadionverbot zu rechnen, was ja dann auch in der Regel ausgesprochen wird und ausgesprochen werden muss unsererseits. Und das Dritte ist eben halt, und da sind wir beim Thema der Dreifachbestrafung: Eine MPU, und damit der eventuelle Verlust des Führerscheines. So. Wow. Also wenn ich jetzt mal meine persönliche Meinung sag: Das ist ein bisschen viel. Weil da geht es an den Arbeitsplatz dran, da geht es eventuell an andere Maßnahmen dran, die ins Innere des Lebens gehen."
Vorgehen ohne Vorbild
Jedenfalls sorgt diese Maßnahme bundesweit in den Fanszenen für Aufsehen, da so etwas in dieser Form noch nirgendwo durchgeführt worden ist. Vor allem steht das Vorgehen in der Kritik, weil das Verhältnis zwischen Ultras und der Polizei schon lange als zerstört gilt. Nicht nur in Oberhausen, sondern deutschlandweit in fast allen Ultra-Szenen. Mit einer solchen Vorgehensweise gelänge es jedenfalls nicht, Brücken zu bauen, meint Philip Krüger. Er ist der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte:
"Ich muss schon sagen, dass mich das einigermaßen erstaunt hat, was ich da aus Oberhausen gehört habe. Das ist auch das erste Mal, dass ich von so einem Fall etwas mitbekomme. Auf mich macht das Ganze so ein bisschen den Anschein, als wenn man versuchen würde, dieser Gruppe zu Leibe zu rücken auf diese Art und Weise mit der MPU. Nachdem man es nicht geschafft hat, sie durch Stadionverbote vom Fußball fern zu halten."
Immerhin konnten die betroffenen RWO-Ultras bei der Stadt jetzt erreichen, dass jeder Fall noch einmal einzeln geprüft wird. Der Ausgang des Verfahrens ist demnach noch völlig offen. Dennoch befürchten viele Fanorganisationen, dass bei einer erfolgreichen Durchsetzung der MPU viele andere Fußballstandorte dem Beispiel Oberhausen folgen werden.