Donnerstag, 8. Januar 2015

Schnitzljagd in Nordfrankreich

Anti-Terror-Einheit hält sich bereit

Einen Tag nach dem Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ in Paris am Mittwoch konzentriert sich die Suche auf die Brüder Cherif und Said K. Tausende Beamte sind im Einsatz. Den Ermittlern zufolge wurden sie am Donnerstag in Nordfrankreich im Departement Aisne gesichtet.
Sie sollen bewaffnet und mit einem grauen Clio unterwegs gewesen sein. Ein Tankstellenbesitzer nahe dem Ort Villers-Cotteret habe die maskierten Männer erkannt. Sie sollen mit Kalaschnikow-Sturmgewehren und Raketenwerfern ausgerüstet sein. Wie „Le Point“ berichtete, überfielen die Brüder eine Tankstelle, um Benzin und Nahrung zu stehlen. Sie sollen in Richtung Seine-et-Marne weitergefahren sein.
Das Nummernschild stimmt dem Bericht zufolge nicht mit dem Auto überein. Wie „Le Figaro“ berichtete, wurde der Clio am späten Vormittag bei einer Avia-Tankstelle gefunden. Hubschrauber beobachten die Region. Die Anti-Terror-Einheiten der französischen Gendarmerie (GIGN) hält sich bereit.

Verdächtige überwacht

Innenminister Bernard Cazeneuve zufolge wurden die beiden Hauptverdächtigen bereits seit längerem überwacht. Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt habe es aber nicht gegeben. Es sei auch kein juristisches Verfahren vorgelegen, so Cazeneuve im Interview mit dem Sender Europe 1: „Wir treffen hundertprozentig Vorsichtsmaßnahmen, ein Nullrisiko gibt es aber nicht.“
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve
APA/EPA/Christophe Ena
Innenminister Bernard Cazeneuve
Ähnlich äußerte sich zuvor auch schon Premierminister Manuel Valls gegenüber dem Radiosender RTL: Die Sicherheitsbehörden hätten in der Vergangenheit zahlreiche Gruppen ausgehoben und Attentatsversuche vereitelt. Aber nicht alle Gefahren könnten ausgeschlossen werden. Darin bestehe die Schwierigkeit für die Sicherheitskräfte.

In islamistischen Netzwerken aktiv

Den Behörden waren die beiden Hauptverdächtigen, die beide die französische Staatsbürgerschaft haben, jedenfalls nicht unbekannt. Beide sollen im islamistischen Umfeld aktiv sein. Der 32-jährige Cherif wurde 2005 das erste Mal verhaftet, als er nach Damaskus ausreisen wollte. Von dort wollte der ausgebildete Fitnesstrainer weiter in den Irak. Syrien half damals Dschihadisten bei der Einreise in den Irak. Er soll zudem Mitglied einer nach dem Pariser Park Buttes-Chaumon genannten Verbindung um den radikalen islamischen Prediger Farid Benyettou gewesen sein, die in Frankreich Dschihadisten für den Kampf im Irak angeheuert haben soll.
Kurz bevor er sich absetzen konnte, wurde er 2008 zu drei Jahren Haft verurteilt. Davon wurden 18 Monate zur Bewährung ausgesetzt. Aber auch 2010 wurde sein Name in Zusammenhang mit einem Befreiungsversuch eines inhaftierten Mitglieds einer islamistischen Gruppe genannt. Medienberichten zufolge sollen die Brüder in Heimen aufgewachsen sein, da ihre Eltern mit algerischer Abstammung früh starben. Bis Cherif in den Bann Benyettous geriet, galt er nach Informationen von France 3 als wenig religiöser Rap-Fan. Demnach bestand seine Vorbereitung auf die geplante Reise in den Irak aus Joggingrunden in einem Pariser Park und einer kurzen Einweisung in automatische Waffen.
Fahndungsfotos
APA/EPA/Französische Polizei
Die Fahndungsbilder der beiden Hauptverdächtigen wurden veröffentlicht
Nicht zuletzt ein in einem Fluchtauto vergessener Personalausweis brachte die Polizei auf die Spur der beiden Brüder. In der Folge wurden auch die Fahndungsfotos der beiden veröffentlicht - eine für Frankreich ungewöhnliche Maßnahme. „Oberstes Anliegen“ sei es, ein weiteres Attentat zu verhindern, argumentierte Valls, um diesen Schritt zu verteidigen.

Alibi für dritten Verdächtigen

Der 18-jährige Hamyd M., der sich in der Nacht der Polizei stellte, wird verdächtigt, bei den Vorbereitungen zu dem Attentat, bei dem zwölf Menschen getötet und elf verletzt wurden, geholfen zu haben. Doch für die Tatzeit hat er von seinen Mitschülern ein Alibi. Er soll zum Tatzeitpunkt Mittwochvormittag in der Schule in Charleville-Mezieres nahe der belgischen Grenze, 230 Kilometer von Paris entfernt, gewesen sein. Da sein Name in Sozialen Netzwerken im Internet auftauchte, stellte er sich am späten Mittwochabend der Polizei, betonte aber seine Unschuld.
Insgesamt befinden sich mittlerweile sieben den beiden Brüdern nahestehende Personen in U-Haft. Ermittlern zufolge sollen fünf der Verhaftungen in Reims stattgefunden haben, wo zumindest einer der Brüder gewohnt haben soll. Medienberichten zufolge sollen unter den Festgenommenen eine Schwester und deren Mann sowie die Frau von Said K. sein. In Reims wie auch in Paris, Charleville-Mezieres und Straßburg wurden bei einem Großeinsatz von Tausenden Beamten und Spezialkräften in der Nacht auf Donnerstag Razzien durchgeführt.

Fluchtauto gefunden?

Nach wie vor ist unklar, wo sich die beiden Hauptverdächtigen befinden. Einem Bericht von RTL zufolge soll das zweite Fluchtfahrzeug im Pariser Vorort Arcueil gefunden worden sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es bisher aber nicht. Die Täter flüchteten mit zwei Fluchtautos. Im Nordosten von Paris wechselten sie das Fahrzeug und fuhren nach dem Überfall auf einen Autofahrer mit dessen Fahrzeug weiter.
Karte von Frankreich
APA/ORF.at
Bei dem Attentat starben insgesamt zwölf Menschen, darunter acht Journalisten, ein Gast, der Leibwächter des Chefredakteurs Stephane Charbonnier und ein Mitarbeiter am Empfang. Laut Videoaufzeichnungen sollen die Täter „Allahu Akbar“ („Allah ist groß“) und „Wir haben den Propheten gerächt“ gerufen haben. Bei dem Sturm auf die Redaktion sollen sie ihre Opfer gezielt ausgewählt haben, wie der Arzt Gerald Kierzek, der Verletzte nach dem Attentat behandelte, gegenüber CNN sagte. Die Angreifer hätten die Anwesenden in der „Charlie Hebdo“-Redaktion zunächst nach ihren Namen gefragt und Männer von Frauen geschieden, bevor sie das Feuer eröffneten. Der Anschlag sei weniger ein wahlloses Um-sich-Schießen gewesen denn eine Exekution.