Schüsse, die die Republik erbeben ließen
Tod von Benno Ohnesorg: - "Es ist ein Vorurteil, dass in München nichts los war", sagt Heinz Koderer. Der 67-jährige Münchner war vor 40 Jahren Kopf der hiesigen Studentenbewegung. Und er erinnert sich, als wäre es gestern gewesen, an den 2. Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg in Berlin durch Polizeikugeln starb. Ein Rückblick auf das Drama vor 40 Jahren, das in die "68er"-Bewegung mündete.
München - 1. Juni 1967, der Tag vor dem Tod von Benno Ohnesorg. Das am Vortag mit einem Sonderzug in München eingetroffene persische Kaiserpaar Schah Reza Pahlevi und Farah Diba besucht die Alte Pinakothek. Schwer bewacht und abgeschirmt ist das Gebäude, erinnert sich Koderer. Der Schah stolziert im Eiltempo durch die Bildergalerie - mit dunkler Sonnenbrille. 45 Minuten dauert der Besuch. Der Schah trägt eine kugelsichere Weste.
Draußen toben die Studenten. "Mörder, Nieder mit dem Schah", ruft die hinter dem Absperrgitter wartende Menge. Schon hier ist ein Phänomen zu beobachten, das einen Tag später in Berlin für Aufsehen sorgt: Sogenannte "Jubelperser", mutmaßlich Angehörige des persischen Geheimdienstes Savak, stehen vor den Absperrungen, schwenken Fähnchen und versuchen, den Protest zu übertönen. Einen Tag später in Berlin ziehen die "Jubelperser" plötzlich weiße Stöcke und prügeln auf die Studenten ein.
In München war das nicht so, sagt Koderer, der in vorderster Reihe protestierte. Auch in München aber verhöhnen die Studenten den persischen Kaiser mit Masken mit dem Schah-Antlitz. Zum Teil sind es aus Persien geflohene Studenten, die von dem Geheimdienst Savak verfolgt wurden - offenbar sogar in München. "Ich war dabei, als ein persischer Student in einen VW reingezogen wurde, wir konnten ihn aber wieder befreien", sagt Koderer. Abends besucht der Schah die Münchner Oper - wieder das gleiche Schauspiel. Die Studenten demonstrieren, die "Jubelperser" bilden eine Art lebenden Schutzschirm um das Kaiserpaar. Die Situation eskaliert nicht, was Koderer auf die Strategie von Polizeipräsident Manfred Schreiber zurückführt. "In München haben die Polizisten nicht gleich geprügelt, sondern fotografiert." Es ging ihnen darum, "Rädelsführer" zu identifizieren.
Am Morgen des 2. Juni 1967 fliegt das Kaiserpaar nach Berlin. Was sich dort zutrug, ist bis heute nicht vollends geklärt. Am Abend besuchen Reza Pahlewi und seine Frau die Alte Oper in Berlin. Draußen Proteste mehrerer tausend Studenten. Die Polizei greift hart durch, es gibt Schlägereien. Der Zivilbeamte Karl-Heinz Kurras schießt dem 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf. Eine dreiviertel Stunde lang wird Ohnesorg offenbar dilettantisch versorgt und mit einem Krankenwagen hin und her gefahren. Er stirbt noch am selben Abend. Bis heute ist ein entscheidender Punkt unklar: Hat Kurras den Studenten gezielt erschossen, war es Notwehr, war es ein unglücklicher Querschläger? Der Publizist Sebastian Haffner bringt die allgemeine Stimmung auf den Punkt, als er im "Stern" urteilt: "Es war ein systematischer, kaltblütig geplanter Pogrom, begangen von der Berliner Polizei an Berliner Studenten."
Kurras indes wird in einem ersten Prozess freigesprochen, 1970 dann doch zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er kommt aber schon nach vier Monaten wieder frei, tritt 1975 erneut in den Polizeidienst ein und wird 1987 pensioniert.
Die Nachricht vom Tod Ohnesorgs verbreitet sich in diesen Junitagen nur langsam. Nicht überall bestimmt er zunächst die Schlagzeilen - just Anfang Juni beginnt der Sechs-Tage-Krieg gegen Israel, der die Welt in Atem hält. Der FC Bayern gewinnt den Europapokal der Landesmeister gegen Glasgow, China testet eine Wasserstoff-Bombe. In München aber brütet der damals 27-jährige Heinz Koderer - er hat gerade sein Studium an der Münchner Kunstakademie beendet - mit Kommilitonen über einem Flugblatt. "Mord" prangt in großen Buchstaben auf dem vergilbten Blatt, das Koderer heute fein säuberlich in einer Klarsichthülle verwahrt. Es gibt zwei Versionen - in der ersten Fassung hatten die Studenten noch geschrieben, Ohnesorg sei "erschlagen" worden. Erst Tage später sickert durch, dass es Schüsse waren. Koderer ist sich heute noch sicher: Ohnesorg sei "gezielt" erschossen worden. "Die Polizei hat damals gelogen, das war unglaublich", empört er sich noch heute, 40 Jahre später. Mit Fug und Recht, sagt Koderer, lässt sich der Tod Ohnesorg als Beginn der 1968er-Bewegung deuten.
Am 5. Juni 1967 gehen die Studenten auch in München wieder auf die Straße. Die Situation eskaliert nicht - die Münchner Polizei "war schlauer als die Berliner", sagt Koderer. Seine Stimme bebt, wenn er den Namen des damaligen Berliner Polizeipräsidenten Duensing nennt - Duensing mit seiner "Leberwurst-Methode", mit der die Studentenmassen auseinandergejagt werden sollten: "In der Mitte" muss man "drücken, damit die Wurst an den Enden platzt", hatte der Polizist als Taktik ausgegeben. Nicht der Staat im Ganzen, sondern speziell die Polizisten als Gegner der Studenten in ihren fast alltäglichen Straßendemos rücken in den Mittelpunkt, ja werden geradezu zum Feindbild.
Auch in München ist das so: Im August etwa, erinnert sich Koderer, ketten sich Dutzende Studenten aneinander und marschieren von der Leopoldstraße bis ins Polizeipräsidium in der Ettstraße. Dort zeigen sie sich selbst an - weil sie den Schah beleidigt hätten. Es gibt "Teach Ins" gegen die Ausweisung oppositioneller iranischer Studenten, und die Studenten sind empört, als bei einer Versammlung in der Aula der Münchner Uni zwei Zivilbeamte der Polizei identifiziert werden. Darf die Polizei in der Universität spitzeln? Streng juristisch gesehen ja, aber in den Augen der Studenten feiert hier der Polizeistaat fröhliche Urständ.
Als Koderer Ende 1967 von einem Kostümverleih eine Polizeiuniform ausleiht und mit Kumpanen so tut, als müsse er eine Vorlesung eines Professors überwachen, ist es des Guten zu viel. Er wird angeklagt - Amtsanmaßung! Insgesamt 21 Anklagepunkte führt die Justiz gegen den Rebellen an. Es ist nur einer von hunderten Prozessen, die damals gegen Studenten geführt, von diesen aber auch bewusst provoziert wurden. Koderer sagt: "Ich wollte immer schon einmal ins Gefängnis", er sitzt eine Woche in München-Stadelheim ab.
Das unruhige Zeitabschnitt 1967/68 erfährt einen neuen Höhepunkt, als am 11. April 1968 der Studentenführer Rudi Dutschke in Berlin angeschossen wird. Wieder demonstrieren tausende Münchner Studenten, diesmal fliegen Pflastersteine. Im Straßenkampf mit der Münchner Polizei sterben am Ostermontag 1968 ein dpa-Fotograf und ein Student. Es ist die blutige Eskalation eines Protests, der nach Ohnesorgs Tod entflammt war.
In Berlin ist die radikalisierte Stimmung schon am späten Abend des 2. Juni 1967 spürbar: In einer Studentenversammlung fordert eine Studentin, als Antwort auf Ohnesorgs Tod eine Polizeikaserne zu überfallen. Die Studentin taucht später bei der RAF wieder auf: Gudrun Ensslin.
Ein umstrittenes Herrscher-Paar aus 1001er Nacht
Für die Klatschpresse waren sie wegen des extravaganten Lebensstils ein Traumpaar aus 1001er Nacht, bei den kritischen Studenten galten sie als Willkür-Herrscher: Mohammad Reza Pahlevi (1911-1980) und seine dritte Frau Farah Diba (geb. 1938) hatten 1959 geheiratet - einige Jahre, nachdem sich der Schah mit Hilfe der CIA gegen seinen mit der Sowjetunion angelehnten Vorgänger Mossadegh an die Macht geputscht und ein autokratisches Regime errichtet hatte. Sein dekadentes Leben inmitten massenhafter Armut im Iran (damals: Persien) machte ihn zur Zielscheibe linker Studenten. Furore machte speziell der Exil-Iraner Bahman Nirumand, der wenige Wochen vor dem Schah-Besuch in Deutschland sein Buch "Persien, Modell eines Entwicklungslandes" veröffentlichte - es wurde zusammen mit der Mao-Bibel zum Klassiker der Studentenliteratur. Großen Einfluss hatte auch der "Offene Brief an Farah Diba", den die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in "konkret" veröffentlichte.
Nirumand, ein Politologe, der heute in Berlin lebt, verteidigt seine Schrift noch heute. Erst der Schah habe Khomeini möglich gemacht, sagt er gegenüber der Zeitschrift "Cicero". Er selbst war nach dem Sturz des Schahs in den Iran zurückgekehrt, musste jedoch nach drei Jahren abermals ins Exil flüchten. Der Schah selbst lebte nach dem Sturz seines Regimes nur noch ein Jahr - er starb an Krebs. Seine Witwe lebt heute im Exil abwechselnd in Kairo, Frankreich und den USA.