Untergang der Lusitania: Wie ein "Witz" zur Tragödie wurde
(SMS U 20)
Vor 100 Jahren versenkte ein deutsches U-Boot den britischen Passagierdampfer "Lusitania". 1198 Menschen starben. Die Katastrophe trug zum Kriegseintritt der USA bei.
DiePresse.com) (
"Das ist der beste Witz, den ich seit langem gehört habe." Kurz vor dem Auslaufen seines Schiffes aus New York in Richtung Liverpool spottet Kapitän William Turner über jeden Gedanken an Gefahr für die "Lusitania" durch deutsche Torpedos. Kein U-Boot könne dem schnellsten und größten Passagierdampfer seiner Zeit auch nur nahe kommen.
Die Frage nach der Sicherheit der geplanten Atlantiküberquerung hat eine Anzeige genährt, die an diesem Tag, dem 1. Mai 1915, in zahlreichen US-Zeitungen erschien: Direkt neben einem Inserat der britischen Reederei Cunard Line für die "Lusitania" steht da gedruckt:
"ACHTUNG! Reisende, die sich auf eine Atlantikfahrt einschiffen wollen, werden daran erinnert, das sich Deutschland und seine Verbündeten mit Großbritannien und seinen Verbündeten im Kriegszustand befinden; dass das Kriegsgebiet die Gewässer um die britischen Inseln einschließt; dass nach einer offiziellen Mitteilung der Kaiserlich-Deutschen Regierung Schiffe, die unter der Flagge Großbritanniens oder eines seiner Verbündeten fahren, in diesen Gewässern Gefahr laufen, zerstört zu werden; und dass Reisende auf Schiffen Großbritanniens oder seiner Verbündeten das Kriegsgebiet auf eigene Gefahr bereisen. KAISERLICHE DEUTSCHE BOTSCHAFT, WASHINGTON D. C., 22. April 1915."
Wie auch Kapitän Turner lässt sich kaum ein Reisender von der Warnung beeindrucken. Mit 1258 Passagieren und 701 Besatzungsmitgliedern läuft die "Lusitania" am Mittag des 1. Mai 1915 aus New York aus. Die ersten Tage verlaufen ohne besondere Vorkommnisse. "Es war so eine langweilige Reise", klagt die Passagierin Dorothy Conner. Hoffentlich werde man noch "irgendeine Art von Nervenkitzel" erleben. Am 6. Mai erreicht die "Lusitania" die Kriegszone. Turner erhält von der britischen Admiralität Warnungen vor deutschen U-Booten, die allerdings allgemein gehalten bleiben. Dass zwischen 1. und 7. Mai 23 Handelsschiffe an der irischen Südküste versenkt wurden, erfährt er nicht.
"Meine Damen und Herren, das Boot wurde getroffen"
Drei dieser Versenkungen gehen auf das Konto von U-20 unter ihrem Kapitän Walther Schwieger. Um 13:20 des 7. Mai sichtet er die Silhouette der "Lusitania". Sie ist allerdings zu weit weg, um das Feuer zu eröffnen. Doch dann lässt Turner den Kurs ändern und dreht damit unwissentlich auf Schuss-Linie. Um 14:10 feuert U-20 einen Torpedo ab. Er reißt ein 18 Quadratmeter großes Loch in die Steuerbordseite. Binnen kürzester Zeit bekommt die "Lusitania" Schlagseite. Die Passagiere, die gerade ihr Mittagessen beendet haben, strömen an Deck. Die Crew hält nach außen hin immer noch am Mythos des "unsinkbaren" Schiffs fest: "Meine Damen und Herren, das Boot wurde getroffen, aber es kann unmöglich sinken", versichert laut der Überlebenden Ethel Lines ein Offizier.
Nach dem Untergang der "Titanic" wurde die "Lusitania" nachträglich mit genügend Rettungsbooten ausgerüstet. Doch nur sechs davon können an diesem Tag sicher zu Wasser gelassen werden. Der Untergang der "Lusitania" dauert gerade einmal 18 Minuten. Lange sind noch die Schreie der Menschen im Wasser zu hören. Erst gegen 18 Uhr treffen die ersten Schiffe zur Rettung ein. 761 Menschen überleben die Katastrophe, 1198 sterben.
Munition an Bord
Die britische und amerikanische (128 der Opfer sind US-Bürger) Öffentlichkeit reagiert empört. Vom "größten" und "schrecklichsten" Verbrechen in der Geschichte schreiben Zeitungen. In London verwüsten aufgebrachte Bürger Wohnhäuser von Deutschen.
Deutschland rechtfertigt sich: Großbritannien habe es durch die Seeblockade zu solchem Verhalten gezwungen. Die "Lusitania" sei bewaffnet und mit Kriegsmaterial beladen gewesen. Tatsächlich hatte das britische Schiff laut Frachtpapieren Kriegsmunition an Bord, deklariert als Jagdmunition. Bewaffnet war es jedoch nicht, auch kanadische Truppen befanden sich entgegen deutscher Behauptungen nicht an Bord.
Unter dem massiven internationalen Protest stellt Deutschland nach der Katastrophe den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ein. Dass es ihn am 1. Februar 1917 wiederaufnimmt, ist einer der Gründe für den Kriegseintritt der USA. Schon unmittelbar nach dem Untergang der "Lusitania" wurden in den USA Stimmen laut, dass die Neutralität nun aufgegeben werden müsse. Der Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 wendet das Blatt schließlich zu Ungunsten der Mittelmächte.
Das nährt bis heute Verschwörungstheorien. Ließ Winston Churchill als Erster Lord der britischen Admiralität die "Lusitania" etwa absichtlich ihrem Untergang entgegenfahren, um die USA zum Kriegseintritt zu bewegen? Beweise für diese Behauptung wurden freilich nie gefunden. Im Dunklen bleibt nach wie vor auch die genaue Ladung der Lusitania sowie die Frage, was die zweite Explosion ausgelöst hat, von der Überlebende berichten. Der US-Geschäftsmann Gregg Bemis will diese Fragen klären: Er hat das Wrack der "Lusitania" gekauft und mehrere Tauchexpeditionen beauftragt. Die Lage des Wracks und Restriktionen durch die irische Regierung erschweren allerdings die Untersuchung der "Lusitania", die langsam auf dem Meeresgrund zerfällt.