Dienstag, 3. Juni 2014

Willkommen in Liga 3, Fortuna Köln !

Die Südstadt lebt

Für Fortuna Köln ging es gegen Bayern II mal wieder um alles. Hinterher heulen Präsident und Fans vor Freude Rotz und Wasser – und die Spieler feiern den Aufstieg in die Dritte Liga.
TEXT:
PHILIP SAGIOGLOU
BILD:
IMAGO

Die Hoffnung der Männer aus Köln ist längst der Trauer gewichen, als im Grünwalder Stadion die vierte Minute der Nachspielzeit läuft. Im Relegations-Rückspiel um den Aufstieg in die Dritte Liga liegt der SC Fortuna bei der zweiten Mannschaft des FC Bayern mit 0:2 hinten, in der 87. Minute haben die Gäste den zweiten Gegentreffer kassiert. Der 1:0-Heimsieg aus dem Hinspiel scheint wertlos, zumal die Kölner seit der 80. Minute in Unterzahl spielen und Glück haben, nicht noch höher zurückzuliegen. 7700 Zuschauer, 21 Spieler und zwei Trainer sind sich sicher: Die Reserve der Münchner wird aufsteigen – die Fortuna hingegen in der Regionalliga verharren.

Seine Mitspieler schreien ihm zu, Laux dreht sich, sucht nach dem Ball

Die 94. Minute also, die Sonne scheint in die enttäuschten Gesichter der Kölner Spieler. Ein letzter Flugball in den gegnerischen Strafraum. Wieder nichts? Es scheint so. Bayern-Torwart Lukas Raeder stürmt heraus, eine sichere Sache für den Keeper, nach der Aktion wird der Schiedsrichter das Spiel beenden. Dann geschieht es.

Der Ball flutscht durch Raeders Hände. Hinter ihm steht Kölns Oliver Laux, der die Situation abgehakt hat und nicht ahnt, dass er in wenigen Sekunden als größter Held der jüngeren Vereinshistorie in die Ruhmeshalle der Fortuna aufsteigen wird. Seine Mitspieler schreien ihm zu, Laux dreht sich, sucht nach dem Ball, erblickt ihn in der Luft – und köpft ihn zum 1:2 über die Linie. Grenzenloser Jubel. Fortuna Köln ist aufgestiegen. 
»Man denkt sich, der Verein ist kaputt, steht vor dem Aus. Und dann kommt so eine Szene, die die ganze Fußballwelt eigentlich nie sieht«, sagt Verteidiger Markus Pazurek dem »Kölner Stadt-Anzeiger« nach der großartigsten aller Niederlagen in Fortunas Geschichte. Sein Kollege Hamdi Dahmani fasst kurz und knapp zusammen: »Unfassbar, aber wahr. Ein Traum. Überragend!«

Nostalgie als Lebenselexier

Es passt zu diesem seit Jahren zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt pendelnden Klub, dass die Rückkehr in den Profifußball unter größtmöglicher Dramatik gelungen ist. Vor 14 Jahren hat sich die Fortuna aus der Zweiten Bundesliga verabschiedet. Seitdem beginnen die Gespräche in der Kölner Südstadt hauptsächlich mit Einleitungen wie »Weißt Du noch, damals…« – über die Gegenwart wird selten gesprochen, geschweige denn über die Zukunft. Die Nostalgie diente während der vergangenen Dekade als Lebenselixier.

Es sind Geschichten, die immer und immer wieder erzählt werden. Über den Unternehmer Jean Löring, den Patriarchen und Mäzen der Fortuna, der den Klub mit seinem Geld nach oben gebracht hat. Über das DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Köln am 11. Juni 1983, das die Fortuna mit 0:1 verlor. Über 1973/74, die bislang einzige Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte. Über Spieler wie Dirk Lottner, Hans Sarpei und Charles Akonnor, die am Südstadion groß wurden. Und darüber, wie Löring im Dezember 1999 den damaligen Fortuna-Trainer und heutigen FC-Vizepräsidenten Toni Schumacher in der Halbzeit mit den Worten entließ: »Hau ab in die Eifel, du machst meinen Verein kaputt!« Doch da war der Verein längst kaputt.

Nicht ganz so oft erzählt werden die Geschichten über die anschließende Zeit. Über Lörings Pleite, den Absturz der Fortuna bis in die Verbandsliga, eine Saison ohne Spielbetrieb, die bedrohte Existenz des Klubs.

Neuaufbau mit Ulonska

Der Weg zurück begann 2005 in Klaus Ulonskas Wohnzimmer. Der Präsident erzählt im kleinen Kreis gern, wie er sich von einer Gruppe Fortuna-Fans nach stundenlangen Debatten hat überreden lassen, einige Wochen lang beim Neuaufbau zu helfen. Wie es im verstaubten Geschäftsraum weder Aktenordner noch Telefone gegeben hat. Dank Ulonskas Engagement, vieler Spenden, der Akquise etlicher Sponsoren und der Einnahmen durch das (schließlich gescheiterte) Internet-Demokratie-Projekt deinfussballclub.de kehrte Fortuna im Sommer 2011 in die Regionalliga zurück. Jetzt, drei Jahre später, ist der nächste Schritt gemacht. Ein verdammt großer Schritt.

Dabei war bis zuletzt einmal mehr nicht klar, wie es weitergehen wird. Alles hing an den Spielen gegen München. Wäre der Aufstieg nicht gelungen, hätte Hauptinvestor Michael W. Schwetje sein Engagement beendet. Seit Jahren pumpt der Internetunternehmer aus Leidenschaft Geld in den Verein, rentabel wird das aber frühestens in der Zweiten Bundesliga. In diesem Sommer wäre die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sportlicher Perspektive zu groß geworden, wenn ein weiteres Jahr in der vierten Liga angestanden hätte. Zumal das Reglement des DFB vorsieht, dass selbst die Regionalliga-Meister noch in zwei Entscheidungsspielen gegen einen der anderen Ersten antreten müssen. Die Chance auf den Aufstieg ist verschwindend gering, und wäre es nach dem zweiten Tabellenplatz in der Vorsaison auch diesmal nichts geworden – vom Physiotherapeuten bis zum Trainer hätte allen die Arbeitslosigkeit gedroht.

Auch der Trainer stand kurz vor der Arbeitslosigkeit

Kein Wunder also, dass die Anspannung wuchs. Klubchef Ulonska konnte zuletzt nach eigener Aussage kaum mehr schlafen, die Spieler hatten bereits mit anderen Vereinen verhandelt, die Fans sahen den nächsten Totalabsturz kommen – und Trainer Koschinat war vor Nervosität kaum noch ansprechbar. Er hatte seinen Vertrag bereits im März verlängert, der neue Kontrakt ist bloß für die Dritte Liga gültig. Es sollte ein Signal an die Mannschaft sein, Koschinat glaubte an den Aufstieg. Erst in den zurückliegenden Wochen dämmerte dem 42-Jährigen, dass ihm im schlimmsten Fall Anfang Juni die Jobsuche drohen würde. Zu einem Zeitpunkt also, an dem die meisten Vereine ihre personellen Planungen für die neue Saison beinahe abgeschlossen haben.
Am Mittwoch hatten die Kölner das Hinspiel im erstmals seit Jahrzehnten ausverkauften Südstadion mit 1:0 für sich entschieden, Thomas Kraus gelang kurz vor Schluss der Siegtreffer. Spätestens seitdem herrscht in der Stadt Euphorie, die Sympathie für die Fortuna ist groß wie lange nicht mehr. Es hätte also wunderbar in den zuverlässig tragischen Werdegang des Klubs gepasst, den Aufstieg im Rückspiel zu vergeigen. Zumal mit Albert Streit, Kapitän Daniel Flottmann und Tobias Fink drei der wichtigsten Spieler verletzt fehlten. Die Bühne war bereitet für das nächste Drama, die Fans hatten die Taschentücher bereitgelegt.

Lob von der Münchener Polizei

Statt vor Trauer weinten sie am Sonntag vor Freude – nicht zuletzt, weil Schwetje der Fortuna mindestens zwei Jahre als Gönner erhalten bleibt. »Ich habe geheult wie seit meiner Kindheit nicht mehr«, sagt auch Ulonska, der nach eigenen Angaben etwa 600 Glückwunsch-SMS erhalten hat. »Unsere Fans waren so großartig, sogar von der Münchner Polizei gab es ein Lob.« 1000 Anhänger waren aus Köln in den Süden der Republik gereist, einige von ihnen hatten einen Sonderzug gebucht. Mit dem Risiko, auf einem Teil der Kosten von 28.000 Euro sitzen zu bleiben. Die Fan-Kultur der Fortuna lebt, das war nie anders, wenngleich der harte Kern bloß noch aus 300 bis 400 Leuten besteht, die ihrer Mannschaft in schlimmen Zeiten auf jeden Ascheplatz in der Provinz gefolgt sind. Auch beim Rudelgucken im Vereinsheim lagen sich die Leute flennend in den Armen.

Vor wenigen Jahren noch hätten sie nicht davon zu träumen gewagt, dass der von ihnen so geliebte Verein im Sommer 2014 schuldenfrei sein wird, dass ihr Team künftig wieder in der »Sportschau« zu sehen ist. Dass Edelfans wie Ex-Oberbürgermeister Fritz Schramma und NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans zu einem Auswärtsspiel nach München reisen und dort im Fortuna-Trikot vor Freude durch die Gegend hüpfen. Dass Duelle gegen Mannschaften wie Duisburg, Bielefeld, Rostock, Cottbus oder Osnabrück anstehen, die im Gegensatz zu den vielen Profi-Reserven und Kleinstadt-Klubs in der Regionalliga ja sogar Fans mitbringen.

Ruhepuls von 180

»Dieser Aufstieg ist seit 1962 das größte Highlight in meiner sportlichen Laufbahn«, sagt Ulonska, der damals in Belgrad Europameister im Staffellauf wurde und am Sonntag hinter der Bande mit einem Ruhepuls von 180 kaum weniger geschwitzt hat als die Spieler. »Das war kein Fußballwunder, das war ein echtes Wunder!«

Bei aller Freude herrscht allerdings auch Demut vor. Das Stadion muss an ein paar Ecken renoviert werden, der ein oder andere Sponsor wird die Taschen ein wenig weiter öffnen, vielleicht wechseln auch ein paar bekannte Spieler nach Köln. Doch am Kern der Sache wird sich wenig ändern: Die Fans werden immer noch vor den Spielen gemeinsam am Klubheim grillen. Klaus Ulonska wird nach wie vor jedem Mitglied telefonisch zum Geburtstag gratulieren, er wird sich weiterhin mit seinem Spendenball durch die engen Reihen des Südstadions quetschen und dabei die meisten Zuschauer lautstark und per Handschlag begrüßen. Und natürlich werden die Tribünen auch künftig selten voll sein. Dafür ist die Herrschaft des 1. FC Köln zu groß.

Das allerdings spielt in diesen Tagen keine Rolle. Für die Fortuna ist es an der Zeit, sich neun Jahre nach dessen Tod endgültig von Jean Löring zu emanzipieren. Die Nostalgie einmal Nostalgie sein zu lassen und an die Zukunft zu denken. Neue Geschichten müssen her. Wie passend also, dass die Spieler sicher schon jetzt einiges zu erzählen haben, schließlich dauerte ihre Busfahrt von München nach Köln einige Stunden länger als erwartet. Auf Nachfrage von 11FREUNDE, ob ein Verkehrsstau der Grund gewesen sei, erklärte Präsident Ulonska: »Nein. Die Jungs haben einfach jede Tankstelle leergesoffen!«