Zur Winterpause drohte auch dem Zweitligisten Spartak
Nalchik das Aus. Zum Glück konnte der Präsident der Republik
Kabardino-Balkarien doch davon überzeugt werden, den 79jährigen Verein
finanziell zu unterstützen. Allerdings sollte jeder Spieler nur noch die Hälfte
seines Lohns bekommen. Die Krise sorgte für eine Abwanderung. Von den Stars
blieb nur der georgische Nationalspieler David Siradze. Das muss man ihm hoch
anrechnen. Der Rest des Kaders setzt
sich überwiegend aus dem Nachwuchs und geliehenen Kickern zusammen. Trotz
dieser Situation gewann Spartak Nalchik im neuen Jahr des erste Pflichtspiel
gegen den Ostsibirier CKA Energija Khabarovsk daheim mit 2-1.
Bei der nächsten Begegnung – und fast vor der Tür – auswärts
in Königsberg wollten wir natürlich dabei sein. Zu zweit fuhren wir
traditionell mit dem Auto Richtung Ostpreußen. Da der Fahrer vorher ein
Bundesligaspiel im Ruhrpott sehen wollte und der Oblast Kaliningrad im Winter
eine Zeitverschiebung von 2 Stunden nach vorne aufweist, hatten wir genau 21
Stunden Zeit für 1400 Kilometer einschließlich dem Grenzübergang. Zum Glück
blieben uns Staus erspart, und so erreichten wir um 0.30 Uhr unser Hotel in
Thorn, Pommern.
Als wir auf dem Parkplatz vor der Absteige nur ein einziges
Auto erblickten, freuten wir uns auf einen ruhigen Schlaf für die wenigen
Stunden, die uns blieben. Doch weit gefehlt! Die Insassen dieses Wagens hausten
im Zimmer direkt neben uns, was uns der auf voller Lautstärke laufende
Fernseher und das dazu stimmfreudige Geklinsche verrieten. Da an Schlaf nun
nicht zu denken war, genehmigte ich mir erstmal eine Dusche. Als ich es dann
wagte, durch das Anföhnen meiner Haare den Lärm zu stören, hämmerte das Pärchen
mehrfach emphört gegen die Wand und drehte anschließend eine trashige Musik auf
180. Unsereins sägte trotz Wändebeben weg. Schließlich mussten wir um 4.30 Uhr
unsere Reise fortsetzen, was wir nicht taten, bevor wir auf unserem Zimmer
lauthals „Yawa, yawa di Spartak“ gegröhlt sowie unter dem Fenster unsere
Autoalarmanlage getestet hatten – und als nachhaltigen Extra-Bonus vor dem
Auschecken den Ton unseres Fernsehers aufdrehten und laufen ließen. Um 8 Uhr
standen wir dann zwischen Regen und Schnee an der polnisch-russischen Grenze zu
Bagrationovsk, und die Autoschlange schien endlos lang. In größeren Abständen
ging die Schranke hoch, und ein paar Autos konnten passieren. Allerdings hatte
es der polnische Schrotthändler vor uns weniger eilig als wir, und anstatt bei
jedem grünen Zeichen anzufahren, begann er immer wieder aufs Neue, seine
Rostlaube zu schieben! Nachdem wir auf der polnischen Seite zwei Stunden
verbracht hatten, ging es an der russischen Grenze überraschenderweise zügiger
voran. Als wir dann glaubten, dass wir endlich durch seien, wollte die fleißige
Rotarmistin mit ihrem Drogenspürpudel (Ja, es war ein Pudel! =)) nochmal
unseren Wagen untersuchen. Das gute Hundchen erfreute sich an meinen
Lactase-Tabletten, konnte sonst aber keine weiteren „Drogen“ ausfindig machen.
Nach insgesamt drei Stunden durften wir weiterfahren und
erreichten das Baltika-Stadion noch rechtzeitig. Der Gästeblock befindet sich auf der linken
Ecke der Haupttribüne und ist von einem Bauzaun umgeben. Diesen darf man
während des Spiels und in der Pause sogar für Besuche beim Getränkestand oder
zum Schaschlik-Grill verlassen. Überhaupt kann man sich im ganzen Rund bewegen.
Auf dem Weg zu diesem Käfig begegneten uns zwei Ultra-Girls von „Red White
Djigits“, die mit dem Flugzeug aus Moskau bzw. Nalchik angereist waren. Im
Gästeblock standen noch ein Anzhi-Fan mit „Wild Division“-Klamotten und zwei
weitere Exil-Kaukasier. So waren wir zum Kick Off sieben Personen – immerhin
drei mehr als bei der letzten Begegnung von Spartak Nalchik in Königsberg im Oktober
2012. Laut Angabe waren 4000 Personen im Stadion. Es sah aber nach weniger
Zuschauern aus – was mit Sicherheit nicht nur an der mittelmäßigen
Tabellenplatzierung sondern auch an dem kühlen und besonders stürmischen Wetter
lag. Der Fanblock hinter dem Tor wies geschätzte 50 Ultras vor. Außer einem
„1997“-Banner (Gründungsjahr der „König Legion“) und einem Weiteren mit der
Aufschrift „Baltijzi“ hing dort eine Trauerfahne für ein kürzlich verstorbenes
Szenemitglied mit dem sympathischen Namen Timur. Wie in all den vergangenen Jahren auch,
wurden zahlreiche blau-weiß-gestreifte Schwenkfahnen und einzelne Doppelhalter
im Block verteilt, die auf Kommando zum Einsatz kamen oder genauso plötzlich wieder
zur Seite gelegt wurden. Die Aktion sieht zwar grundsätzlich nicht schlecht
aus, wird aber auf Dauer langweilig. Selbst der Typ, der mehrfach hinter dem
Gästeblock zu uns herüber pöbelte und dabei mit seinen beiden
schwarz-gelb-weißen Schals herum fuchtelte, konnte nicht für Unterhaltung
sorgen. „Du langweilst uns mit deiner
Politik!“ rief ihm der Dagestaner zu. Da war die schrille Alte im letzten Jahr,
die mit ihrem pinken, hakenkreuzförmigen Hundeboomerang um Aufmerksamkeit buhlte,
schon einfallsreicher. Die sportliche
Darbietung auf dem Rasen konnte auch niemanden vom Hocker reißen. Selbst als
Nalchik mit der Windrichtung spielte, wollte kein Treffer gelingen. Fußballgott
David hatte eine Grippe und konnte daher – wie sonst so oft - auch nichts
retten.
Die beiden RWD-Mädels stimmten mehrfach den Support im
Gästeblock an. Wenn man in Betracht zieht, dass wir eben nur sieben Leute
waren, kann man den Support als recht gut bewerten. Anders hätte man die Kälte
wohl auch schlecht ausgehalten. Regelmäßig musste man jedoch darauf achten,
nicht vom Wind umgepustet zu werden. Selbst das alte Dach der Haupttribüne wackelte
ordentlich. In der Halbzeitpause spazierten wir zum Getränkestand. Ich war ja
noch skeptisch, die Fahne alleine im Sektor zu lassen, aber die interessierte
niemanden, und auch mit den Baltika-Fans gab es keine Probleme. In der zweiten
Halbzeit spielte dann Baltika in Windrichtung ... und traf in der 56. Minute! Von
den Tribünen hörte man „Baltika, Baltika“-Rufe, und einzelne Leute hielten ihre
Schals hoch während die Ultras ihre Fahnen schwenkten. Wir feuerten Nalchik weiterhin
mit den üblichen Rufen an, und da es nicht selten recht still im Stadion war,
konnte man uns sogar hören. Leider stachelten unsere Bemühungen unsere
Mannschaft nicht wirklich an, und die drei Punkte gingen nach Königsberg. Als
die Spieler abrückten, verabschiedeten wir uns von den anderen
Nalchik-Anhängern. Da der Abend noch jung war und das Baltika-Stadion recht
zentral in der Stadt liegt, bot sich ein Gang in die Ausgeh- und
Einkaufsstraßen an. Beim Betreten eines Einkaufszentrums fiel uns zwar die
herumlungernde Nonworkingclass-Jugend am Eingang auf, aber wir schenkten ihr
wenig Beachtung – scheinbar zu wenig Beachtung.
Als wir dann auf der ersten Etage vor einem Schaufenster
standen, platzierte sich ein blöd grinsender Ivan neben uns und fragte nach
unseren Schals. Ich schüttelte genervt den Kopf, und wir ließen ihn stehen. Als
wir den nebenan befindlichen Supermarkt ansteuerten, bemerkten wir, dass wieder
ein Ivan neben uns her dackelte – dieses Mal eine schmächtigere Ausgabe. Er
deutete schüchtern auf meine Tasche, woraufhin ich ihm eine klare Ansage machte
und er abzischte. Im Supermarkt selbst wurde es dann ungemütlich, da nun noch
mehr von der Sorte auftauchten und nicht auf die guten Biersorten im Kühlregal
sondern ... auf uns zeigten. Besser, man testete mal die Lage auf der zweiten
Etage an, denn schließlich hatte dieses Einkaufscenter nur einen einzigen
offiziellen Ausgang, und der war bereits „besetzt“. Also verließen wir den
Lebensmittelladen und begaben uns auf die Rolltreppe, von wo aus wir bereits
eine Horde von etwa zehn durchgestylten Ivans anrücken sahen. Die ließen sich
selbstverständlich auch nach oben befördern. Wer jetzt denkt, dass die Luft
dort noch rein war, irrt sich: Dort stand bereits das nächste Grüppchen. Wir
kamen uns vor, wie in einem schlechten Videospiel. Aber es gab auf dem
Stockwerk ein Café. Also entschlossen wir uns zu einer „Kaffeepause“. Derweil
konnten wir beobachten, wie sich vor der Gastronomie über zwanzig Ivans breit
machten. Warum die für uns beide soviel Volk benötigten, war uns zwar ein
Rätsel, aber Fakt war, dass es reichlich eng für uns wurde. Unser Gedanke, dass
der Ivan es bereits in der Geschichte verstand, andere Völker zu belagern, ließ
uns schnell alle Möglichkeiten durchgehen. Zum Beispiel, auf der Toilette alles
Wichtige unter dem Parka zu verstauen und die Tasche mit Klopapier und -bürste
auszustopfen. Schließlich will man sich irgendwann nochmal in Nalchik blicken
lassen und nicht durch die heldenhafte Eroberung unserer „Red White Djigits“-Schals
zur Selbstauflösung gezwungen werden! Bevor wir aber diese unappetitliche
Maßnahme ergreifen mussten, versuchten wir es erstmal auf die simple Art und
wiesen die Bedienung dezent darauf hin, dass die uldrigen Herrschaften hinter
der Türe gegebenfalls ungemütlich werden könnten und gaben ihr den Tip, uns den
Fluchtweg zu verraten. Fröhliche zehn Minuten diskutierten wir mit dem
Geschäftspersonal herum, bis sie den einzigen (!) Security-Mann der ganzen
Anlage hinzuzogen. Die Belagerung hielt derweil an. Irgendwann teilte uns der
Security-Mann mit, dass ein Taxi gekommen sei und hinter dem Fluchttreppenhaus
stünde. Er schloß uns alle Sicherheitstüren auf, und wir hatten mehr Glück als
die Baltika Ultras Verstand, dass hinter dem Notausgang die Luft rein war und
wir ungesehen entwischen konnten.
... Und wenn die „König Legion“ nicht gestorben ist, dann
wartet sie noch heute auf uns am Haupteingang.