Donnerstag, 10. April 2014

Ein lustiger Bericht aus Russland oder so


Zur Winterpause drohte auch dem Zweitligisten Spartak Nalchik das Aus. Zum Glück konnte der Präsident der Republik Kabardino-Balkarien doch davon überzeugt werden, den 79jährigen Verein finanziell zu unterstützen. Allerdings sollte jeder Spieler nur noch die Hälfte seines Lohns bekommen. Die Krise sorgte für eine Abwanderung. Von den Stars blieb nur der georgische Nationalspieler David Siradze. Das muss man ihm hoch anrechnen.  Der Rest des Kaders setzt sich überwiegend aus dem Nachwuchs und geliehenen Kickern zusammen. Trotz dieser Situation gewann Spartak Nalchik im neuen Jahr des erste Pflichtspiel gegen den Ostsibirier CKA Energija Khabarovsk daheim mit 2-1.
Bei der nächsten Begegnung – und fast vor der Tür – auswärts in Königsberg wollten wir natürlich dabei sein. Zu zweit fuhren wir traditionell mit dem Auto Richtung Ostpreußen. Da der Fahrer vorher ein Bundesligaspiel im Ruhrpott sehen wollte und der Oblast Kaliningrad im Winter eine Zeitverschiebung von 2 Stunden nach vorne aufweist, hatten wir genau 21 Stunden Zeit für 1400 Kilometer einschließlich dem Grenzübergang. Zum Glück blieben uns Staus erspart, und so erreichten wir um 0.30 Uhr unser Hotel in Thorn, Pommern.
Als wir auf dem Parkplatz vor der Absteige nur ein einziges Auto erblickten, freuten wir uns auf einen ruhigen Schlaf für die wenigen Stunden, die uns blieben. Doch weit gefehlt! Die Insassen dieses Wagens hausten im Zimmer direkt neben uns, was uns der auf voller Lautstärke laufende Fernseher und das dazu stimmfreudige Geklinsche verrieten. Da an Schlaf nun nicht zu denken war, genehmigte ich mir erstmal eine Dusche. Als ich es dann wagte, durch das Anföhnen meiner Haare den Lärm zu stören, hämmerte das Pärchen mehrfach emphört gegen die Wand und drehte anschließend eine trashige Musik auf 180. Unsereins sägte trotz Wändebeben weg. Schließlich mussten wir um 4.30 Uhr unsere Reise fortsetzen, was wir nicht taten, bevor wir auf unserem Zimmer lauthals „Yawa, yawa di Spartak“ gegröhlt sowie unter dem Fenster unsere Autoalarmanlage getestet hatten – und als nachhaltigen Extra-Bonus vor dem Auschecken den Ton unseres Fernsehers aufdrehten und laufen ließen. Um 8 Uhr standen wir dann zwischen Regen und Schnee an der polnisch-russischen Grenze zu Bagrationovsk, und die Autoschlange schien endlos lang. In größeren Abständen ging die Schranke hoch, und ein paar Autos konnten passieren. Allerdings hatte es der polnische Schrotthändler vor uns weniger eilig als wir, und anstatt bei jedem grünen Zeichen anzufahren, begann er immer wieder aufs Neue, seine Rostlaube zu schieben! Nachdem wir auf der polnischen Seite zwei Stunden verbracht hatten, ging es an der russischen Grenze überraschenderweise zügiger voran. Als wir dann glaubten, dass wir endlich durch seien, wollte die fleißige Rotarmistin mit ihrem Drogenspürpudel (Ja, es war ein Pudel! =)) nochmal unseren Wagen untersuchen. Das gute Hundchen erfreute sich an meinen Lactase-Tabletten, konnte sonst aber keine weiteren „Drogen“ ausfindig machen.
Nach insgesamt drei Stunden durften wir weiterfahren und erreichten das Baltika-Stadion noch rechtzeitig.  Der Gästeblock befindet sich auf der linken Ecke der Haupttribüne und ist von einem Bauzaun umgeben. Diesen darf man während des Spiels und in der Pause sogar für Besuche beim Getränkestand oder zum Schaschlik-Grill verlassen. Überhaupt kann man sich im ganzen Rund bewegen. Auf dem Weg zu diesem Käfig begegneten uns zwei Ultra-Girls von „Red White Djigits“, die mit dem Flugzeug aus Moskau bzw. Nalchik angereist waren. Im Gästeblock standen noch ein Anzhi-Fan mit „Wild Division“-Klamotten und zwei weitere Exil-Kaukasier. So waren wir zum Kick Off sieben Personen – immerhin drei mehr als bei der letzten Begegnung von Spartak Nalchik in Königsberg im Oktober 2012. Laut Angabe waren 4000 Personen im Stadion. Es sah aber nach weniger Zuschauern aus – was mit Sicherheit nicht nur an der mittelmäßigen Tabellenplatzierung sondern auch an dem kühlen und besonders stürmischen Wetter lag. Der Fanblock hinter dem Tor wies geschätzte 50 Ultras vor. Außer einem „1997“-Banner (Gründungsjahr der „König Legion“) und einem Weiteren mit der Aufschrift „Baltijzi“ hing dort eine Trauerfahne für ein kürzlich verstorbenes Szenemitglied mit dem sympathischen Namen Timur.  Wie in all den vergangenen Jahren auch, wurden zahlreiche blau-weiß-gestreifte Schwenkfahnen und einzelne Doppelhalter im Block verteilt, die auf Kommando zum Einsatz kamen oder genauso plötzlich wieder zur Seite gelegt wurden. Die Aktion sieht zwar grundsätzlich nicht schlecht aus, wird aber auf Dauer langweilig. Selbst der Typ, der mehrfach hinter dem Gästeblock zu uns herüber pöbelte und dabei mit seinen beiden schwarz-gelb-weißen Schals herum fuchtelte, konnte nicht für Unterhaltung sorgen.  „Du langweilst uns mit deiner Politik!“ rief ihm der Dagestaner zu. Da war die schrille Alte im letzten Jahr, die mit ihrem pinken, hakenkreuzförmigen Hundeboomerang um Aufmerksamkeit buhlte, schon einfallsreicher.  Die sportliche Darbietung auf dem Rasen konnte auch niemanden vom Hocker reißen. Selbst als Nalchik mit der Windrichtung spielte, wollte kein Treffer gelingen. Fußballgott David hatte eine Grippe und konnte daher – wie sonst so oft - auch nichts retten.
Die beiden RWD-Mädels stimmten mehrfach den Support im Gästeblock an. Wenn man in Betracht zieht, dass wir eben nur sieben Leute waren, kann man den Support als recht gut bewerten. Anders hätte man die Kälte wohl auch schlecht ausgehalten. Regelmäßig musste man jedoch darauf achten, nicht vom Wind umgepustet zu werden. Selbst das alte Dach der Haupttribüne wackelte ordentlich. In der Halbzeitpause spazierten wir zum Getränkestand. Ich war ja noch skeptisch, die Fahne alleine im Sektor zu lassen, aber die interessierte niemanden, und auch mit den Baltika-Fans gab es keine Probleme. In der zweiten Halbzeit spielte dann Baltika in Windrichtung ... und traf in der 56. Minute! Von den Tribünen hörte man „Baltika, Baltika“-Rufe, und einzelne Leute hielten ihre Schals hoch während die Ultras ihre Fahnen schwenkten. Wir feuerten Nalchik weiterhin mit den üblichen Rufen an, und da es nicht selten recht still im Stadion war, konnte man uns sogar hören. Leider stachelten unsere Bemühungen unsere Mannschaft nicht wirklich an, und die drei Punkte gingen nach Königsberg. Als die Spieler abrückten, verabschiedeten wir uns von den anderen Nalchik-Anhängern. Da der Abend noch jung war und das Baltika-Stadion recht zentral in der Stadt liegt, bot sich ein Gang in die Ausgeh- und Einkaufsstraßen an. Beim Betreten eines Einkaufszentrums fiel uns zwar die herumlungernde Nonworkingclass-Jugend am Eingang auf, aber wir schenkten ihr wenig Beachtung – scheinbar zu wenig Beachtung.
Als wir dann auf der ersten Etage vor einem Schaufenster standen, platzierte sich ein blöd grinsender Ivan neben uns und fragte nach unseren Schals. Ich schüttelte genervt den Kopf, und wir ließen ihn stehen. Als wir den nebenan befindlichen Supermarkt ansteuerten, bemerkten wir, dass wieder ein Ivan neben uns her dackelte – dieses Mal eine schmächtigere Ausgabe. Er deutete schüchtern auf meine Tasche, woraufhin ich ihm eine klare Ansage machte und er abzischte. Im Supermarkt selbst wurde es dann ungemütlich, da nun noch mehr von der Sorte auftauchten und nicht auf die guten Biersorten im Kühlregal sondern ... auf uns zeigten. Besser, man testete mal die Lage auf der zweiten Etage an, denn schließlich hatte dieses Einkaufscenter nur einen einzigen offiziellen Ausgang, und der war bereits „besetzt“. Also verließen wir den Lebensmittelladen und begaben uns auf die Rolltreppe, von wo aus wir bereits eine Horde von etwa zehn durchgestylten Ivans anrücken sahen. Die ließen sich selbstverständlich auch nach oben befördern. Wer jetzt denkt, dass die Luft dort noch rein war, irrt sich: Dort stand bereits das nächste Grüppchen. Wir kamen uns vor, wie in einem schlechten Videospiel. Aber es gab auf dem Stockwerk ein Café. Also entschlossen wir uns zu einer „Kaffeepause“. Derweil konnten wir beobachten, wie sich vor der Gastronomie über zwanzig Ivans breit machten. Warum die für uns beide soviel Volk benötigten, war uns zwar ein Rätsel, aber Fakt war, dass es reichlich eng für uns wurde. Unser Gedanke, dass der Ivan es bereits in der Geschichte verstand, andere Völker zu belagern, ließ uns schnell alle Möglichkeiten durchgehen. Zum Beispiel, auf der Toilette alles Wichtige unter dem Parka zu verstauen und die Tasche mit Klopapier und -bürste auszustopfen. Schließlich will man sich irgendwann nochmal in Nalchik blicken lassen und nicht durch die heldenhafte Eroberung unserer „Red White Djigits“-Schals zur Selbstauflösung gezwungen werden! Bevor wir aber diese unappetitliche Maßnahme ergreifen mussten, versuchten wir es erstmal auf die simple Art und wiesen die Bedienung dezent darauf hin, dass die uldrigen Herrschaften hinter der Türe gegebenfalls ungemütlich werden könnten und gaben ihr den Tip, uns den Fluchtweg zu verraten. Fröhliche zehn Minuten diskutierten wir mit dem Geschäftspersonal herum, bis sie den einzigen (!) Security-Mann der ganzen Anlage hinzuzogen. Die Belagerung hielt derweil an. Irgendwann teilte uns der Security-Mann mit, dass ein Taxi gekommen sei und hinter dem Fluchttreppenhaus stünde. Er schloß uns alle Sicherheitstüren auf, und wir hatten mehr Glück als die Baltika Ultras Verstand, dass hinter dem Notausgang die Luft rein war und wir ungesehen entwischen konnten.

... Und wenn die „König Legion“ nicht gestorben ist, dann wartet sie noch heute auf uns am Haupteingang.

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