AEK Athen Sanierung auf griechische Art
12.10.2013 · Zweifelhafte Kontakte, staatliche Protektion und Einschüchterung: Ein Ölmilliardär will den in die dritte Liga abgerutschten und verschuldeten Traditionsklub AEK Athen wieder zu einer großen Nummer machen. In Griechenland scheint alles beim Alten zu bleiben - auch im Fußball.
Von Ferry Batzoglou, Athen
Kali mera, Leonidas. Hast du noch eine ,Ora gia Sport?“ Der freundliche Zeitungshändler um die Ecke muss sich erst einmal bücken. „Hier, das ist das letzte Exemplar.“ Elf Sporttageszeitungen gab es allein in der Vier-Millionen-Metropole Athen - vor der verheerenden Wirtschaftskrise in Griechenland. Immerhin: Aktuell erscheinen in der griechischen Hauptstadt täglich noch neun Sportblätter. Unverblümt steht das Gros den drei populärsten Fußball-Klubs - ob Olympiakos Piräus, Panathinaikos oder AEK Athen - nahe. Erkennen kann dies der Leser an den knalligen Farben der Titelseiten. Das ist auch bei „Ora gia Sport“ so. Gelb und Schwarz, die Vereinsfarben von AEK Athen, dominieren die Gazette. Ein bestimmtes Foto darf auch diesmal auf keinen Fall fehlen. Viele Male prangte es in den vorigen Wochen an gleicher Stelle: das Porträt von Dimitris Melissanidis, seit Juni finanzkräftiger AEK-Klubchef. Wieder einmal.
Sportlich schlage nun „die Stunde null“, lässt der Klub in diesen Tagen verlauten. AEK Athen, elf Mal Meister, 14 Mal Pokalsieger, oft vertreten im Europapokal, landesweit 1,5 Millionen Anhänger, trat zur Saisonpremiere bei Mandraikos an. Mandraikos? Auch im fußballverrückten Hellas kennt den Verein aus dem Athener Westen kaum einer. Kein Wunder. Die Mandraikos-Kicker gehen in der dritten Liga auf Torejagd, seit dieser Saison eine aus sechs Gruppen mit insgesamt 92 Vereinen bestehende Amateurliga.
Nachdem zum Ausklang der vorigen Spielzeit der erstmalige AEK-Abstieg in die zweite Liga „das schwärzeste Kapitel der Klubgeschichte“ markierte, fassten die Klubverantwortlichen einen radikalen Entschluss: die sofortige Insolvenz und der schmerzliche Gang in die dritte Liga. Nur so könne sich AEK, so die Begründung, kurzerhand fast der Hälfte seiner Schulden von knapp vierzig Millionen Euro entledigen. Nun werde auch die sportliche „Wiedergeburt“ von AEK ihren Anfang nehmen. Melissanidis und seine Getreuen sind zuversichtlich.
AEK habe ein Gesetz ausgenutzt
Schon 2004, als Griechenland unter Trainer-Denkmal Otto Rehhagel sensationell Europameister wurde, stand AEK vor dem Ruin. Sagenhafte 165 Millionen Euro Schulden plagten AEK, Griechenlands unangefochtenen „Schuldenkönig“. Was folgte, war eine Sanierung auf Griechisch. Laut einem damals verkündeten Gerichtsurteil wurden der Fußball-Kapitalgesellschaft AEK Athen 95 Prozent ihrer Schulden gestrichen - dank des Artikels 44 des Gesetzes zur sogenannten Modernisierung von Aktiengesellschaften. „Über allem steht die Modernisierung der Firma zugunsten der Gläubiger, der Arbeitnehmer, der Gesellschaft und der nationalen Ökonomie“, hieß es in der Urteilsbegründung.
AEK habe ein Gesetz ausgenutzt, das für etwas anderes gedacht war, monierten zwar die Kritiker. Dennoch: Die Investorengruppe um den früheren Europameister Demis Nikolaidis feierten die AEK-Fans als Retter des hellenischen Traditionsklubs. AEK hatte sich 147,5 Millionen Euro Schulden einschließlich Zinsen und Strafgebühren entledigt - auf einen Schlag. Kaum dem Bankrott entkommen, träumte AEK-Boss Nikolaidis von einem neuen Stadion und beantragte gar die Aufnahme in die G-14-Gruppe von Europas Elite-Klubs. AEK Athen wollte zu den ganz Großen gehören.
Krise stört Melissanidis kaum
Daraus wurde nichts. Auch auf ein eigenes Stadion warten die AEK-Fans immer noch vergeblich. In der vorigen Saison erfolgte dann das, was für AEK völlig undenkbar schien: der totale Absturz. Das Ruder übernahm der „Tiger“, wie die AEK-Anhänger ihn liebevoll nennen: Dimitris Melissanidis. Er ist 61 Jahre alt, bullig, breites Lachen, laut Forbes-Liste 2011 auf Rang 211 der reichsten Menschen der Welt, ein Selfmademann. Im armen westlichen Athener Westen geboren, begann er, als Fahrlehrer seine Brötchen zu verdienen. Mit einem geliehenen Mini Cooper gründete der umtriebige Grieche eine eigene Fahrschule. Heute steht Melissanidis an der Spitze eines global agierenden Treibstoff- und Öllieferanten für Handels- und Kreuzfahrtschiffe, betreibt ein Netz von 500 Tankstellen in Griechenland und entfaltet ferner im Baugewerbe Aktivitäten.
Die desaströse Griechenland-Krise berührt Melissanidis kaum. Denn das meiste Geld verdient er im Ausland. Sein Firmen-Imperium setzt mit weltweit 3000 Beschäftigten über zehn Milliarden Dollar um. Vorläufiger Höhepunkt seines rasanten Aufstiegs: Die Auflistung seines Unternehmens Aegean Marine Petroleum Network an der New Yorker Wall Street. Krösus Melissanidis ist seither auf die Weltbühne der Marktwirtschaft gesprungen. Seine Lieblingspose passt dazu: edle Zigarren rauchen.
Schon in den neunziger Jahren führte der Pontosgrieche, wegen seiner Herkunft selbst ein glühender AEK-Anhänger, an der Klubspitze die Gelb-Schwarzen zu Meistertiteln. Kurz nach seinem wiederholten Einstieg bei AEK landete er, von seinen Bewunderern als Geschäftsmann mit dämonischer Genialität beschrieben, einen neuen Coup: Melissanidis sicherte sich über seinen Sohn Georgios mit einem Konsortium die Drittelbeteiligung an dem halbstaatlichen griechischen Sportwettenanbieter Opap, einem der profitabelsten Unternehmen im Euro-Krisenland.
Große Pläne
Unmittelbar nach dem Deal nahm er den Chef der Privatisierungsbehörde in seinem Privatjet auf die Urlaubsinsel Kefalonia mit, umsonst versteht sich. Wegen der „Flugaffäre“ musste dieser zwar seinen Hut nehmen. Dem Tatendrang von Melissanidis, dem Vernehmen nach ein sehr guter Freund des griechischen Premierministers Antonis Samaras, tat dies indes keinen Abbruch. Kürzlich gab der Monopolist Opap bekannt, nun in Mitbesitz von Melissanidis, den AEK Athen mit knapp zwei Millionen Euro zu sponsern. Ein exorbitanter Betrag für einen Drittliga-Klub in Hellas. Doch damit nicht genug: Das Geld vom Sportwettenanbieter landete gar nicht bei AEK, sondern bei einer neugegründeten Baufirma, welche die Errichtung der neuen AEK-Arena realisieren soll. Der Eigentümer: Melissanidis’ Sohn Georgios.
Ohnehin hegt der „Tiger“ mit AEK große Pläne. Mit dem früheren Europameister Traianos Dellas als Trainer, dem ehemaligen Nationalspieler Nikos Lyberopoulos als Sportdirektor und seinem 34-köpfigen Kader sei AEK nicht nur in der dritten Liga ohne Konkurrenz, so die einhellige Einschätzung der Experten. Das weite Rund in der jetzigen Heimstätte des Athener Olympiastadions wird auch bei den Drittliga-Partien von AEK stets gut gefüllt sein. Immerhin 11.000 Dauerkarten hat AEK abgesetzt.
Alles beim Alten
Gleichwohl: Melissanidis kann ziemlich ungemütlich werden. In einer Titelstory des investigativen Magazins „Unfollow“ sah er sich massiven Vorwürfen ausgesetzt, wonach er Ölschmuggel im großen Stil betreibe. Der vergrätzte Ölmagnat konterte mit einer Klage über 500.000 Euro. Laut „Unfollow“ habe er den betreffenden Reporter zuvor auch angerufen - und ihn offenbar sogar bedroht: „Ich könnte jemanden schicken, um dich zu töten, ohne dich vorher zu warnen. Ich bin aber ein Mann. Ich werde dich, deine Frau, Kinder und alles, was du hast, in die Luft sprengen, während ihr alle friedlich schlaft“, zitiert das Magazin den Anrufer Melissanidis. Das Magazin „Unfollow“ legte nach. So weise eine frühere, schon 1995 in Insolvenz gegangene Firma von Melissanidis immer noch Schulden gegenüber dem klammen hellenischen Fiskus von aktuell mehr als zehn Millionen Euro auf. Milliardär Melissanidis ein dreister Steuerschuldner?
Für die AEK-Gazette „Ora gia Sport“ sind das aber alles keine Gründe, beim Lieblingsthema AEK Trübsal zu blasen. Im Gegenteil: „AEK Athen wird in der Saison 2015/16 wieder griechischer Meister! Verfrüht? Nein, das ist zu erwarten. Die Perspektiven von AEK unter Melissanidis sind einfach gigantisch. Denn Melissanidis ist allmächtig“, jubelte ein Klub-Reporter. Dazu passt ins Bild, dass der Klubvorstand zu Wochenbeginn eine Kapitalerhöhung um stattliche 30 Millionen Euro beschloss, für einen griechischen Drittliga-Klub wohlgemerkt. In Griechenland scheint alles beim Alten zu bleiben - auch im Fußball.