Neonazis bei 1860 München
"So schlimm wie jetzt war es
noch nie"
Von Tobias Lill, München
Bei wohl keinem anderen
süddeutschen Fußballverein stehen so viele aktive Neonazis in der Kurve wie
beim TSV 1860 München. Und es werden offenbar immer mehr. Der Verein gibt sich
machtlos gegen die Umtriebe von NPD-Kadern und rechten Kameradschaften. Manchmal hört man sie "Uh, uh, uh"
rufen, wenn ein schwarzer Spieler am Ball ist. Auch "Drecks-Türke"
schallte es schon aus ihrem Block. Meist aber halten sie sich aus Angst vor
einem Stadionverbot mit ihren Gesängen zurück: rechtsextreme Fans des TSV 1860
München. Sie stehen immer am gleichen Platz: Block 132, mitten in der
Nordkurve, dem Herz der Löwenfans, gleich rechts vom Tor. Ein riesiger Pulk junger
Männer, die keinen Hehl aus ihrer politischen Einstellung machen: Viele tragen
Kleidung von "Thor Steinar" oder andere Nazi-Erkennungsmarken.
T-Shirts, auf denen mit der Aufschrift "Scheiß §86a" gegen das Verbot
verfassungswidriger Symbole gehetzt wird, gehören ebenfalls zu ihrem
Repertoire. "30 bis 50 Personen, die ganz klar dem rechten Spektrum
zuzuordnen sind, stehen regelmäßig im Block 132", sagt Thomas Emmes vom
Fanprojekt München. Und das ist offenbar nur der harte Kern. Denn Herbert
Schröger von den "Löwenfans gegen Rechts" geht von bis zu 100 Nazis
im Block 132 aus. Eine kleine Minderheit unter den mehreren tausend
hartgesottenen Fans in der gesamten Nordkurve, aber eine besonders radikale.
Aufkleber mit dem Slogan "Nationale Sozialisten - Bundesweite Aktion"
prangten schon im Block. Rechtsradikale
Gestalten in der Nordkurve sind beim TSV kein neues Phänomen. Doch: "Sie
werden immer mehr und sie organisieren sich immer besser", schreibt ein
Fan des Vereins auf der Internetseite "Loewenfreun.de". Schröger,
dessen Initiative 2009 vom DFB ausgezeichnet wurde, sagt: "So schlimm wie
jetzt war es noch nie." Die Braunen würden sich in der Allianz-Arena immer
öfter "als Hausherren aufspielen".
Der Nazi-Block ist eine
Minderheit, aber eine besonders radikale
Noch geben bei den Auftritten der
Sechziger die größtenteils unpolitischen Ultra-Gruppierungen den Ton an. Der
Nazi-Block ist nur eine kleine Minderheit, dafür aber eine besonders radikale.
In der U-Bahn nach den Spielen oder bei Auswärtsfahrten lassen die
Rechtsradikalen ihre Masken fallen: Dann grölen sie völlig ungehemmt Lieder wie
"Ajax ist ein Judenclub" oder "Augsburger Zigeuner" und
fordern eine "U-Bahn von St. Pauli bis nach Auschwitz". "Mancher
von denen ist Stammgast", sagt Schröger. "Die NPD versucht mehr
Einfluss im Block zu bekommen", so Schröger. Selbst stadtbekannte Neonazis
aus dem Umkreis des verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese sind schon in
der Kurve gesichtet worden. Wiese hatte 2003 einen Bombenanschlag auf das Jüdische
Zentrum in München geplant. Offenbar rekrutieren die Rechtsextremen bei den
Löwen auch Nachwuchs: Mehrfach verteilten Neonazis einschlägige Flugblätter,
auf denen etwa für den "Heldengedenkmarsch" geworben wurde. Der
"Stern" berichtete 2010 zudem, dass auch Mitglieder der Neonazi-Band
"Feldherren" oder der Skinhead-Schlägergruppe "Kraken"
regelmäßig Spiele des Zweitligisten besuchen würden. Wer sich bei 1860 gegen
braune Umtriebe engagiert, wird schon einmal als "Judenbraut"
tituliert. Das zumindest berichtet eine Löwen-Anhängerin. Manchmal werde
Nazigegnern auch mit Schlägen gedroht, sagt Schröger. Im April, beim Spiel
gegen Energie Cottbus (4:0), prügelten sich Rechtsradikale mit Ultras. Der
Verein kündigte damals an, verstärkt gegen die Nazis vorgehen zu wollen.
Passiert ist nach Ansicht von Schröger jedoch wenig.
Kritik am Verein
Er fühlt sich von der Clubführung
im Stich gelassen. "Es ist Sache des Vereins, gegen die Umtriebe
vorzugehen", klagt er. Löwen-Vizepräsident Franz Maget weist den Vorwurf
zurück: "Wir wollen keine Neonazis im Stadion." Das Problem sei aber,
dass sich Rechtsradikale beim Kauf eines Tickets nicht als solche zu erkennen
geben würden. Der TSV habe in seiner Satzung fest verankert, dass Rassismus zum
Vereinsausschluss führe. Maget geht davon aus, "dass es in anderen Stadien
im Freistaat genau so viele Nazis gibt wie bei 1860" Doch wer bei den
Fanbeauftragten der süddeutschen Erst- und Zweitligaclubs anfragt, erhält eine
abweichende Auskunft: Eine feste rechte Szene wie bei den Löwen gebe es in
anderen bayerischen Stadien nicht, heißt es unisono. Im Gegenteil: Beim FC
Bayern beispielsweise bekennt sich eine der großen Ultra-Gruppen sogar zu ihrer
politisch linken Einstellung. Auch Schröger widerspricht Maget. Er fordert, der
Verein müsse härter gegen Nazis vorgehen, etwa durch verstärkte Kontrollen der
Rechten. Da die braunen Schlachtenbummler im Stadion meist nicht straffällig
werden, sind der Polizei oft die Hände gebunden. Laut bayerischem
Innenministerium gab es in der vergangenen Bundesliga-Saison in München 14
Strafanzeigen wegen rechter Straftaten im Zusammenhang mit Fußballspielen.
Dabei sind zwar auch Vergehen bei Begegnungen des FC Bayerns eingerechnet. Beim
großen Rivalen der Löwen gibt es Thomas Emmes vom Fanprojekt München zufolge
jedoch "keine aktive rechte Szene im Stadion". Zu 1860 pilgern dagegen Nazis aus ganz Süddeutschland.
Ein Grund: die Geschichte der Löwen. Der Verein galt im "Dritten
Reich" als einer der Lieblingsclubs der NS-Oberen. Schon vor 1933 gab es
bei den Sechzigern anders als bei den Bayern viele überzeugte Hitler-Anhänger.
Wer sich auf der offiziellen Homepage über die Geschichte des Vereins
informieren will, erfährt von all dem jedoch nichts: Nur der Verweis auf den
Pokalsiegsieg von 1942 erinnert dort an die braune Vergangenheit der Löwen.