„In Verdun kämpften Männer ohne Plan“
Die 240 Kilometer von Paris entfernte Stadt im Nordosten Frankreichs wurde zum Symbol für das sinnlose Massensterben in einem festgefahrenen Krieg, bei dem die in Gang gesetzte Maschinerie die Befehlshaber von Anfang an überforderte. Nicht zum ersten Mal setzten diese auch in Verdun auf fatale Planspiele, bei denen Menschenleben keine Rolle mehr spielten.
Bundesarchiv, Bild 183-R29963 unter cc by-sa 3.0
So entpuppte sich bereits die nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo von Kaiser Franz Joseph angedachte kurze „Strafaktion“ gegen Serbien als absehbare Illusion: Nur zwei Tage nach der Kriegserklärung der Habsburgermonarchie am 28. Juli 1914 machte Serbiens Bündnispartner Russland mobil, am 1. August erklärte das mit Österreich-Ungarn verbündete Deutsche Kaiserreich Russland und am 3. August schließlich Frankreich den Krieg. Auf den deutschen Einmarsch in Belgien folgte am 4. August die Kriegserklärung Großbritanniens.
Aus Angriffs- wird Stellungskrieg
Einen Monat später beendete die erste Schlacht an der Marne auch die deutschen Hoffnungen auf einen kurzen Krieg. Entgegen den auf das Jahr 1891 zurückgehenden Vorstellungen des früheren Generalstabschefs Alfred von Schlieffen brachte die über Belgien geführte Großoffensive keine schnelle Entscheidung. Ganz im Gegenteil kam es zu einer folgenschweren Niederlage - der aus der Schublade geholte Schlieffen-Plan war gescheitert.
Als Grund gilt auch die von schweren Geschützen und Maschinengewehren geprägte neue Dimension eines „industrialisierten Krieges“ - und dieser bestimmte auch weiterhin das Geschehen. Es folgte ein verlustreicher Stellungskrieg, und die zwischen Ärmelkanal und Schweizer Grenze erstarrte Westfront passte erneut nicht in die Pläne der Generäle.
Angriff an „prestigeträchtigem“ Ort
Die Serie eklatanter Fehleinschätzungen, die den Ersten Weltkrieg begleiteten, fand in Verdun einen Höhepunkt. Um den Stellungskrieg zu beenden, setzte der Generalstabschef des deutschen Heeres, Erich von Falkenhayn, auf einen massiven deutschen Angriff an einem „prestigeträchtigen“ Ort. Frankreich sollte damit gezwungen werden, sämtliche Personal- und Materialreserven aufzubieten.
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Falkenhayn hoffte, die französische Armee dann mit relativ geringen deutschen Mitteln und Verlusten „ausbluten und zur Kapitulation zwingen oder zumindest so weit schwächen zu können, dass der deutschen Seite wieder eine bewegliche Kriegsführung möglich werden würde“, so die Autoren von „Der Erste Weltkrieg 1914-1918: Der deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert“.
Stillstand nach Douaumont
Schauplatz des Vorhabens wurden die geschichtsträchtigen Befestigungsanlagen um Verdun, wo die „Operation Gericht“ am 21. Februar 1916 mit einem neunstündigen Trommelfeuer begann. Nach fünf Tagen war mit Fort Douamont eine zentrale Befestigungsanlage eingenommen - mit dem deutschen Vorstoß war spätestens hier aber schon wieder Schluss. Was folgte, war eine aufreibende Schlacht um jeden Meter. Entgegen den deutschen Plänen waren auch die eigenen Verluste keineswegs geringer als jene der Franzosen.
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In Verdun wurde „selten so gekämpft, wie man es sich bei einem Krieg vorstellte“, wie es Geert Buelens in seinem Buch „Europas Dichter und der Erste Weltkrieg“ formulierte. Zehntausende Geschütze feuerten Deutsche und Franzosen nahezu täglich aufeinander ab. In endlos erscheinenden Kolonnen, etwa über die in Frankreich mystifizierte „voie sacree“ (heiliger Weg) wurde Nachschub an die Front geschafft - darunter auch die „mehr oder weniger als Kanonenfutter“ dienenden Soldaten.
„Das ist keine Armee mehr, das sind Leichen“
„Das ist keine Armee mehr, das sind Leichen“, wird ein Augenzeuge der französischen Truppentransporte zitiert. Buelens zufolge waren für die Ablösung „jedes Mal nur halb so viele Lkw nötig wie für den Transport an die Front“. Die Schlacht wurde zum später vielzitierten „Vernichtungskrieg“, zu einer „Blutpumpe“, „Knochenmühle“ oder schlichtweg zur „Hölle von Verdun“.
Einblick in diese geben Briefe von der Front. „Auf den Landkarten der Generäle ist das Schlachtfeld sauber und übersichtlich“, zitierte etwa die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) einen Soldaten: „In Wahrheit ist das Schlachtfeld eine schmierige, von Leichen und Unrat übersäte Lehmwüste, die von den Granaten ständig umgeformt wird (...) die Offiziere wissen oft nicht, ob ihre Soldaten noch leben und wo genau die Front verläuft.“
„Ort von zweifelhafter Bedeutung“
In Verdun kämpften „französische und deutsche Männer und ihre Maschinen ohne finsteren Plan“, sagt dazu der Historiker Paul Jankowski, der in dem Werk „Verdun: Die Jahrhundertschlacht“ auch die über Jahrzehnte von der Geschichtsschreibung geprägte „Legende der ‚Ausblutung‘“ infrage stellt.
Verdun war „in Falkenhayns Vorstellung“ nur ein „zweitrangiges Unternehmen, ein Werkzeug für die größeren Entwicklungen, die nach seinen so hübsch ausgedachten Plänen eigentlich den Krieg hätten beenden sollen“. Da Befestigungsanlagen im Stile Verduns im Ersten Weltkrieg kaum noch eine Rolle spielten, spricht Jankowski aber auch von einem „Ort von zweifelhafter strategischer, ja nicht einmal symbolischer Bedeutung“.
„Schwer verständlich“ seien auch die Gründe Frankreichs für die kompromisslos geführte Verteidigung Verduns. So wie Falkenhayn habe auch sein französischer Gegenspieler Joseph Joffre von einem immer wieder im Raum stehenden Rückzug nichts wissen wollen.
„Kollektive Eitelkeit“
Jankowski sieht darin weder einen großen Plan noch die Hoffnung auf eine doch kriegsentscheidende Wende: „Die Weigerung beider Seiten, sich zurückzuziehen, entsprang auf einer tieferen Ebene einer Fixierung, die sich verschiedenartig äußerte und doch kaum erklärt werden muss, weil sie so verbreitet ist: nämlich einer Art kollektiver Eitelkeit“ - kurz: Verdun war nicht zuletzt eine Schlacht ums Prestige.
„Reklamefahrten zur Hölle“
Ungeachtet fortwährender Kämpfe galt die Schlacht von Verdun nach einer letzten französischen Großoffensive am 20. Dezember als beendet. Geschätzte 300.000 Soldaten starben in den Schützengräben. Allein im Beinhaus von Douaumont finden sich die sterblichen Überreste von 130.000 nicht identifizierten französischen und deutschen Soldaten. Ein ganzer Landstrich wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Bis heute sind die Spuren zu sehen, „die die Härte der Kämpfe auf perfekte Weise veranschaulichen“, heißt es dazu im Tourismusbüro des Departements Meuse. Sprach Karl Kraus noch von „Reklamefahrten zur Hölle“, wird nun mit einem „weltweit einzigartigem historischen Erbe“ um Besucher geworben.
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Verdun sei aber nicht nur „Symbol und Sinnbild des totalen Krieges“, sondern auch „Welthauptstadt des Friedens“. Ganz in diesem Sinne wählten Frankreichs damaliger Präsident Francois Mitterrand und Deutschlands seinerzeitiger Kanzler Helmut Kohl Verdun für eine späte Geste der Versöhnung - den „Handschlag von Verdun“ am 22. September 1984 in Douamont.
Peter Prantner, ORF.at