Die Marine-Brigade Ehrhardt, oder auch Brigade
Erhardt genannte Formation, war ein Freikorps
der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, das am 17. Februar 1919 als 2.
Marine-Brigade in Wilhelmshaven aus Angehörigen der ehemaligen Kaiserlichen Marine – überwiegend Offizieren und
Deckoffizieren
– unter der Führung von Korvettenkapitän Hermann
Ehrhardt aufgestellt wurde. Die Marinebrigade wurde vor allem bei der
Niederschlagung der Münchner Räterepublik sowie beim
„Grenzschutz“ in Oberschlesien eingesetzt. Im März 1920 gehörte die
Marinebrigade zu den wesentlichen Stützen des Kapp-Putsches
und besetzte Berlin.
Nach der im April 1920 erfolgten Auflösung der Brigade bildeten Angehörige der
Brigade unter der Führung Hermann Ehrhardts die Geheimorganisation Organisation Consul, die zahlreiche Attentate
und Morde verübte, um die Weimarer
Republik zu stürzen, etwa die Attentate auf Walther
Rathenau und Matthias Erzberger. In Wilhelmshaven hatte sich
während der Novemberrevolution am 11. November 1918 ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der
die vollziehende Gewalt übernahm. Am 7. November wurde als Exekutivgremium ein
21-er Rat gegründet, als dessen Vorsitzender Bernhard
Kuhnt fungierte. Er war am 11. November an der Ausrufung des Freistaates Oldenburg beteiligt und wurde sogar
der erste Präsident dieses Landes, das nach Wahlen am 19. Januar von der Mehrheitssozialdemokratischen
Partei Deutschlands und bürgerlichen Parteien regiert wurde. Trotzdem trat
Kuhnt der USPD bei und hatte zusammen mit dem von der USPD beherrschten 21-er
Rat in Wilhelmshaven offensichtlich Sympathien für einen drohenden
kommunistischen Umsturz. Diesen führten am 27. Januar Bremer Kommunisten mit
Wilhelmshavener Genossen aus. Die Putschisten eroberten wichtige Gebäude der
Stadt Wilhelmshaven und raubten aus der Reichsbankfiliale 40.000 Reichsmark.
Sie erklärten Wilhelmshaven zur sozialistischen Räterepublik.
Als die Putschisten vereinzelt auf Widerstand stießen, verschanzten sie sich in
der 1000-Mann Kaserne. Mittlerweile hatten sich viele Bürger vor dem Tagungsort
des 21-Rates versammelt und die Beendigung des Putsches gefordert. Der 21-Rat
versprach zwar, Maßnahmen gegen die Verschanzten zu ergreifen, verhielt sich
allerdings zurückhaltend, um eine unblutige Kapitulation zu erreichen.
Inzwischen hatten sich etwa 300 Offiziere und Berufssoldaten der früheren Kaiserlichen Marine unter Beteiligung von
Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt zusammengefunden, die sich gewaltsam
bewaffneten und zum Sturm auf die Kaserne ansetzten. Sie beschossen die Kaserne
mit Geschützen und Maschinengewehren. Morgens am 28. Januar ergaben sich die
400 Putschisten. Bei der Erstürmung gab es 8 Tote und viele Verletzte. Der
21-Rat war durch seine Tatenlosigkeit und die Duldung der Putsches
kompromittiert. Sein Vorsitzender Kuhnt flüchtete und wurde noch am gleichen
Tag verhaftet. Der „Sturm auf die 1000-Mann Kaserne“ galt der Brigade später
als ihre Geburtsstunde.
Die Reichsregierung, beunruhigt durch gleichzeitige
Putsche in Bremen und anderen Städten, schickte am 20. Februar einen Teil der
Division Gerstenberg nach Wilhelmshaven, die Anfang Februar schon die Bremer Räterepublik beseitigt hatte. Das
Landesschützenkorps Röder übernahm zusammen mit dem
sozialdemokratischen Reichskommissar Paul Hug die
Macht und löste den Arbeiter- und Soldatenrat auf und entwaffnete das
Arbeiterbataillon. Schon vorher hatte die Reichsregierung beschlossen, zur
Bekämpfung von Räterepubliken freiwillige Truppen in Wilhelmshaven
aufzustellen. Der Grund dafür war, dass Wilhelmshaven als Reichskriegshafen
voller Soldaten war und dass viele Soldaten dort gegen linksradikale
Bestrebungen eingestellt waren.
Am 13. Februar 1919 erschien in der
mehrheitssozialistisch eingestellten Tageszeitung Wilhelmshaven Die Republik
ein Anzeige mit dem auszugsweisen Text:
„Aufruf zur Bildung
einer Regierungstruppe in Wilhelmshaven. Die Reichsregierung hat mir den Befehl
erteilt, in Wilhelmshaven eine Regierungstruppe zu bilden, die der Regierung
direkt unterstehend, dieser für den Grenzschutz Ost zur Verfügung steht. […]
unterzeichnet vom Leiter der Marinestation Nordsee Michelsen.“
Diese Anzeige erschien häufiger. In
späteren Anzeigen wurde als Aufgabe auch die Verhütung innerer Unruhen
genannt. Für diese Truppe fanden sich vor allem ehemalige Marineangehörige. Am
17. Februar 1919 erhielt Erhardt den Auftrag, diese Truppe unter der
Bezeichnung 2. Marinebrigade Wilhelmshaven zusammenzustellen. Damit
konnte er bestimmen, welche politische Ausrichtung die Mitglieder seiner
Brigade hatten. Die Brigade sollte eine mobile Einheit sein und reichsweit bei
Aufständen eingesetzt werden. Ab dem 24. März unterstand die Marinebrigade
Wilhelmshaven dem Garde-Kavallerie-Schützen-Korps unter
Generalleutnant von Hofmann und bildete so einen Teil der Division von Lettow.
Die Brigade bestand
zunächst nur aus vier infanteristischen Kompanien mit insgesamt 367 Mann. Im
Zuge des weiteren Aufwuchses und der Aufstellung neuer Einheiten gliederte sich
die Brigade
seit ihrer Verlegung nach Jüterbog am 30. März 1919 in das 3. und 4. Marine-Regiment
sowie einen Brigade-Stab (Ia war Hauptmann i.G. Kempt). Das 3.
Marine-Regiment (Korvettenkapitän Werber) verfügte über sechs
Infanterie-Kompanien, wobei die 1. Kompanie mit Deckoffizieren, die 2. Kompanie
mit Ingenieursaspiranten und die 3. Kompanie mit Unteroffizieren aufgefüllt
wurden. Die anderen Kompanien wurden mit Mannschaftsdienstgraden aufgestellt.
Außerdem war dem Regiment die so genannte Sturm-Kompanie, die mit Offizieren,
Fähnrichen und Kadetten aufgestellt wurde, unterstellt. Das 4. Marine-Regiment
(Major v.Puttkammer) verfügte neben sechs Infanterie-Kompanien über eine
Maschinengewehr-Kompanie, eine Pionier-Kompanie sowie eine Batterie mit
Feldkanonen 7,7 cm.
Nach ihrer Verlegung
nach München am 29. April 1919 hatte die 2. Marine-Brigade Wilhelmshaven
folgende Gliederung eingenommen: Brigade-Stab, Marine-Regiment 3 mit I. und II.
Bataillon, Marine-Regiment 4 mit I. und II. Bataillon, Kompanie Wilhelmshaven,
Sturm-Kompanie, Minenwerfer-Kompanie mit zwei mittleren und sechs leichten
Minenwerfern, Pionier-Kompanie, Flammenwerfer-Zug, 1. Batterie mit vier 7,7 cm
Feldkanonen und 2. Batterie mit vier leichten Feldhaubitzen und 12 schweren
Maschinengewehren. Die Stärke der Brigade betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 1500
Mann.
Die Angehörigen der Marine-Brigade trugen die feldgraue
Uniform der Alten Armee, wobei die
Sturm-Kompanie einheitlich Mannschaftsuniform ohne Dienstgradabzeichen hatte.
Am Kragen der Feldbluse war der Gardestern mit Anker angebracht.
Seit etwa Februar 1919 trugen die Angehörigen der
Marine-Brigade als besonderes Abzeichen auf dem linken Oberarm das
Sonderabzeichen der 2. Marine-Brigade Wilhelmshaven. Das Abzeichen
bestand aus silberfarbenem Weißblech und zeigt innerhalb eines eiförmig
gelegten Taues ein auf Wellen segelndes Wikingerschiff mit einem einzelnen Mann
am Steuer. Das Wasser ist nach unten durch eine ornamentierte Schrifttafel mit
der Aufschrift "Wilhelmshaven" in Frakturschrift abgeschlossen.
Darunter in quer schraffiertem Grunde zwei mit Bändchen gebundene Eichenbrüche,
die aus drei Blättern mit einer Eichel bestehen. Nach Auflösung der Brigade
führten Nachfolgeorganisationen das Abzeichen in abgewandelter Form weiter; der
Schriftzug "Wilhelmshaven" wurde durch die Inschrift
"Ehrhardt" ersetzt.
Als Feldzeichen führte die Sturm-Kompanie und jedes
Bataillon der Marine-Brigade die kaiserliche Reichskriegsflagge. Ab etwa Oktober 1919
schmückten sich die Mitglieder der Brigade mit antisemitischen Kennzeichen. So führten sie bei
der Rückkehr von den Einsätzen gegen die Aufständischen in Oberschlesien das Hakenkreuz
an ihrem Helm.
Der erste Einsatz führte die Brigade am 17. April 1919
nach Braunschweig,
wo sie zusammen mit anderen Einheiten des Freikorps Maercker den Versuch der Errichtung einer
Räterepublik vereitelte. Von dort wurde die Brigade nach Ohrdruf in Thüringen
verlegt, wo sie für den Kampf gegen die Münchner Räterepublik bereitgehalten wurde.
Der eigenmächtige und voreilige Vorstoß der Brigade nach München
führte zu erbitterten Straßenkämpfen, in denen der Arbeiteraufstand schließlich
niedergeschlagen wurde. In diesen Kämpfen ließen mehr als 1.000 Kämpfer ihr
Leben; außerdem wurden rund 800 Männer und Frauen arrestiert und hingerichtet.
Das brutale Vorgehen des Freikorps in den Straßenkämpfen, einschließlich der
Misshandlung und Erschießung von Verhafteten sowie von Plünderungen,
verdeutlicht die zunehmende Verselbständigung der Freikorps-Bewegung im Kampf
gegen die Revolutionäre. Seit Sommer 1919 dachte man daher in der Marineführung
über die Auflösung der Brigade nach.
Im August 1919 wurde die Brigade in Oberschlesien
stationiert, bevor sie im November 1919 in das Lager Döberitz in der Nähe Berlins verlegt
wurde. Im März 1920 erging der Befehl, die Brigade Ehrhardt aufzulösen. Ihre
Führer – entschlossen, sich der Auflösung zu widersetzen – appellierten an Reichswehr-General
Walther von Lüttwitz in Berlin. Lüttwitz,
einer der Organisatoren der Freikorps in den Jahren 1918 und 1919 und ein
glühender Monarchist,
wandte sich an Reichspräsident Friedrich
Ebert und Reichswehrminister Gustav
Noske, um die Auflösung zu stoppen. Als Ebert dies ablehnte, befahl
Lüttwitz der Brigade, nach Berlin zu marschieren. In der Nacht vom 12. März auf
den 13. März 1920 marschierte die Brigade nach Berlin und besetzte während des Kapp-Putsches
1920 das Regierungsviertel.
Nach dem Zusammenbruch des Putsches wurden Lüttwitz,
Ehrhardt sowie Kapp durch Vizekanzler Schiffer "Goldene Brücken"
gebaut, um diese zu einer friedlichen Aufgabe zu bringen. Der neue
Reichswehrchef Seeckt sprach in einem Tagesbefehl vom 18. März
lobend über die Disziplin der Brigade und sicherte Eberhardt am nächsten Tag
schriftlich Schutz vor Verhaftung zu. Erst daraufhin marschierte die Brigade
aus Berlin ab, mit Gesang und fliegenden Fahnen, wie sie einmarschiert war. Als
am Brandenburger Tor aus einer unfreundlichen Menschenansammlung Buhrufe laut
wurden, feuerten sie kurzentschlossen mit Maschinengewehren in die Menge
hinein. Zwölf Tote und dreißig Schwerverletzte blieben zurück auf dem Pflaster
des Pariser Platzes.
Am 20. April 1920 wurde die Brigade Ehrhardt auf dem Truppenübungsplatz Munster offiziell
aufgelöst. Ein Großteil wurde als „zuverlässige Kader“ in die Reichsmarine
übernommen, der Rest ging in den Untergrund und lebte unter verschiedenen
Deckmänteln weiter, darunter dem „Bund ehemaliger Ehrhardt-Offiziere“, der „Organisation Consul“, dem Bund
Wiking und dem „Sportverein Olympia“, bis sie endgültig von der Bildfläche
verschwand.
Als die
Truppe 1920 wegen der Beteiligung bei dem Kapp-Putsch in Munsterlager
demobilisiert wurde, dichtete ein Brigadeangehöriger ein Lied, das als
Ehrhardt-Lied bekannt wurde. Es wurde überall dort gesungen, wo man eine
republikfeindliche Haltung vom nationalen Standpunkt demonstrieren wollte.
Bekannte Mitglieder der Brigade und ihre späteren
Dienstgrade bzw. Positionen waren u. a.:
- Friedrich Bonte, Kommodore
- Günther Brandt, Korvettenkapitän der Reserve
- Franz Breithaupt, SS-Obergruppenführer und
General der Waffen-SS
- Joachim Breithaupt, Generalmajor (Luftwaffe)
- Karl-Friedrich Brill,
Fregattenkapitän der Reserve
- Hans Bütow,
Konteradmiral
- Hans-Armin Czech, Generalleutnant (Luftwaffe)
- Johann-Wilhelm (Johannes) Doering-Manteuffel,
Generalmajor (Luftwaffe)
- Werner von Fichte, SA-Obergruppenführer
- Hermann Fischer, Rathenaumörder
- Thomas Girgensohn, SA-Gruppenführer
- Eberhard
Godt, Konteradmiral
- Curt von Gottberg, SS-Obergruppenführer und
General der Waffen-SS und Polizei
- Erik Hansen, General der Kavallerie
- Julius Heimberg,
Konteradmiral (Ing.)
- Friedrich Wilhelm Heinz, Journalist
und Nachrichtendienstler, später Widerständler gegen das NS-Regime
- Ludolf von Hohnhorst,
Konteradmiral
- Günther Horstmann,
Konteradmiral
- Dietrich von Jagow, SA-Obergruppenführer
- Helmuth Johnsen, Bischof
- Karl Kaufmann,
Reichstagsabgeordneter, Gauleiter von Hamburg
- Werner Kempf, General der Panzertruppe
- Erwin Kern, Rathenaumörder
- Manfred von Killinger,
SA-Obergruppenführer
- Gustav Kleikamp, Vizeadmiral
- Otto Klüber, Konteradmiral
- Ernst-Felix Krüder, Kapitän zur See
- Friedrich-Wilhelm Krüger,
SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS
- Franz-Maria Liedig, Adjutant von Hermann Ehrhardt, später Widerständler gegen
das NS-Regime
- Eugen
Lindau, Admiral z.V.
- Ernst Lucht, Konteradmiral
- Wilhelm Petersen, NS-Kunstmaler
- Hans-Otto Philipp, Fregattenkapitän der
Reserve
- Hartmut
Plaas, Publizist
- Karl-Jesko von Puttkamer,
Konteradmiral
- Wilhelm Rhein,
Konteradmiral z.V.
- Ernst von Salomon, Schriftsteller
- Bruno
Sattler, SS-Sturmbannführer, Referatsleiter im RSHA und
Gestapo-Chef von Belgrad
- Otto Schniewind, Generaladmiral
- Julius
Schreck, SS-Ehrenführer
- Heinrich Schulz, Attentäter auf
Erzberger
- Otto Schulz, Generalleutnant
- Martin
Seidel, Reichstagsabgeordneter
- Hermann Souchon, Leutnant zur See, Mörder Rosa
Luxemburgs
- Theodor Spieß, Generalleutnant (Luftwaffe)
- Hans-Hubertus von
Stosch, Vizeadmiral
- Joachim Szyskowitz, Kapitän zur See
- Ernst Werner Techow, Rathenaumörder
- Hans Gerd Techow
- Heinrich Tillessen, Erzbergermörder
- Karl
Tillessen, Stellvertreter von Hermann Ehrhardt in der Organisation Consul
- Wolf von Trotha,
Vizeadmiral z.V.
- Ernst
Wegner, Mediziner und Politiker der NSDAP
- Karl Weniger, Kapitän zur See
- Wolfgang von Wild, Generalmajor (Luftwaffe)
- Hans-Heinrich Wurmbach, Admiral