Bei dem Papier handelt es sich um eine spezielle Papiersorte für das Thermodruckverfahren, die leicht an der besonderen Oberfläche erkennbar ist. Auf der zu bedruckenden Seite ist das Papier mit einer temperaturempfindlichen Schicht überzogen, die unter Einwirkung von Wärme einen Farbstoff ausbildet. Es enthält keine Tinte, stattdessen werden Chemikalien für die Schwärzung eingesetzt. Seit Jahren gilt das Verfahren im Handel als nahezu alternativlos, es kommt bei fast jeder Registrierkasse zum Einsatz.
„Deutlicher Trend weg von BPA“
Vor allem für jene, die tagtäglich mit dem Papier hantieren, birgt es allerdings gesundheitliche Risiken. Denn viele Thermopapiere enthalten den Stoff Bisphenol A (BPA), was zur Empfehlung führte, das Papier als Restmüll zu entsorgen. BPA ist nicht fest gebunden und kann daher leicht herausgelöst und über die Haut aufgenommen werden. Die Chemikalie steht seit Jahren in der Kritik. Es besteht der Verdacht, dass sie das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinflusst, die Gehirnentwicklung bei Ungeborenen und Kleinkindern schädigt und für Herzkreislaufprobleme und Krebs mitverantwortlich ist.
Bekannt ist das schon lange, etliche Hersteller bieten daher seit 2010 BPA-freie Papierprodukte an. „BPA befindet sich stark im Rücklauf, Alternativen sind verfügbar“, sagt Thomas Jakl, Leiter für Chemiepolitik und Risikobewertung im Umweltministerium, auf ORF.at-Anfrage. Er verweist auf ein laufendes Verfahren in der EU und erwartet ein EU-weites BPA-Verbot in den nächsten Monaten. „Es gibt einen deutlichen Trend weg von BPA“, bestätigt auch Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster.
Gängige Ersatzsubstanz „unwesentlich harmloser“
Das betreffe vor allem die großen Handelsketten. Die vielen kleinen Einzelhändler allerdings, die derzeit aufgrund der neuen Bestimmungen oft gerade erst auf Registrierkassen umgerüstet haben, beschäftigten sich nicht mit der Problematik, befürchtet der Umweltschützer. Es fehle an Bewusstsein für die Giftproblematik. Und selbst wer sich für das teurere BPA-freie Thermopapier entscheidet, wählt damit meist nur das geringere Übel.
Zwar gebe es verschiedenste Systeme und Chemikalien, die auf Lichteinfluss reagieren, erklärt Schuster im ORF.at-Interview. Leider werde häufig die Chemikalie Bisphenol S (BPS) als BPA-Alternative vermarktet und eingesetzt. BPS sei aber „unwesentlich harmloser“ als BPA. Auch Jakl zeigt sich mit dem gängigsten BPA-Ersatz, dem chemisch nahen Verwandten BPS, nicht glücklich. BPS habe ein „günstigeres Profil“, es handle sich aber um eine „Brückentechnologie, nicht mehr“. Die Wirkung von BPS sei außerdem „nicht so gut belegt“.
Eine Studie der Universität Calgary aus dem Vorjahr lässt in der Tat die Alarmglocken schrillen: BPA wie BPS gleichermaßen führen laut der Studie zu einem gesteigerten Wachstum von Nervenzellen in einer für Aufmerksamkeit und Aggressivität zuständigen Gehirnregion. Der Effekt war mit dem Ersatzstoff sogar noch deutlicher - mehr dazu in science.ORF.at.
Große Ketten ziehen Reißleine
Zumindest die großen Handelsketten in Österreich, wo Angestellte an der Kasse meist pausenlos mit dem kontaminierten Papier in Berührung kommen, tragen dem bereits Rechnung: REWE, Spar und Hofer stellten nach 2010 zunächst auf BPA-freies Thermopapier um. „Seit November 2013 sind die Kassenrollen von Hofer komplett frei von Phenol“, heißt es auf ORF.at-Nachfrage. „Aus wettbewerbstechnischen Gründen“ wollte man aber „keine weiteren Informationen zur Zusammensetzung der Bonrollen“ geben.
Auch bei Spar seien bereits BPS-freie Rollen in der Auslieferung, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann gegenüber ORF.at. Ab Anfang Februar sollen vollkommen bisphenolfreie Kassenbons im Einsatz seien. Als Alternativwirkstoff enthalte das Thermopapier die Substanz D-8. Bei REWE konnte man auf Anfrage „zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen“, dass das verwendete Thermopapier Bisphenol enthalte.
Vorsichtige Entwarnung für den Konsumenten
Schuster nennt den „aus heutiger Sicht noch harmlosesten“ nicht phenolischen Farbentwickler Pergafast 201 (Markenname von BASF) als mögliche Alternative. Aus „heutiger Sicht“ deswegen, weil es für die Chemikalie noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten für eine abschließende Bewertung gebe. Es dürfte aber gesichert sein, dass die Chemikalie im Gegensatz zu BPA und BPS nicht hormonell wirksam ist. Gesundheitlich problematisch sei BPA oder BPS-haltiges Thermopapier vor allem für Supermarktkassierer und Händler, es handle sich vorrangig um ein Arbeitsplatzthema, so der Greenpeace-Experte.
Verbraucher hätten indes keine gesundheitlichen Folgen zu befürchten. Im Umweltministerium ist man derselben Ansicht. Iris Thalbauer von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) sieht im ORF.at-Interview indes Gefahrenpotenzial auch für Kunden. Sie nennt Beispiele, in denen vor allem Kinder mit dem Papier in Berührung kommen, am Schulbuffet oder am Eisstand im Schwimmbad. Man habe versucht, etwa auch in diesen Bereichen Ausnahmen von der Registrierkassenpflicht zu erwirken, sich damit aber nicht durchgesetzt, so Thalbauer.
„Mit Abstand problematischer“ als Papiermüll
Auch Schuster rät, bei Kindern Vorsicht walten zu lassen und Thermopapier außerdem grundsätzlich nicht ins Altpapier zu werfen - auch weil für den Verbraucher in der Regel ununterscheidbar bleibt, ob er BPA/BPS-freies Thermopapier in den Händen hält oder nicht. Denn wenn giftiges Thermopapier im Altpapier landet, gelangen die bedenklichen Stoffe in den Altpapierzyklus und später möglicherweise in Lebensmittelverpackungen.
Insgesamt hält Schuster giftiges Thermopapier „mit Abstand“ für problematischer als den vielfach kritisierten Papiermüll, der durch die Registrierkassenpflicht entsteht. Im Vergleich zur Werbepapierflut seien die durch Kassenbons entstehenden Papiermengen „de facto vernachlässigbar“, so Schuster.
Mehrheit der Händler kauft die billigsten Rollen
Zu welchem Thermopapier Händler am häufigsten greifen, ist schwer zu beziffern. Nachfragen bei zwei Registrierkassenherstellern, die vor allem Klein- und Mittelbetriebe beliefern, zeigen allerdings eine eindeutige Richtung an: „Thermopapier gibt es in unterschiedlichen Qualitäten“, sagt Markus Zoglauer, Geschäftsführer von Etron. Man könne es in drei Normen bestellen: mit BPA, mit BPS und „komplett bisphenolfrei“. 90 Prozent der Kunden, also der Händler und Gewerbetreibenden, entscheiden sich laut Zoglauer für das billigste, BPA-haltige Papier.
Dort, wo es „Risikogruppen“ gebe - Zoglauer nennt als Beispiel Spielwarengeschäfte -, bzw. häufig in Biobetrieben werde in der Regel das BPS-haltige Papier gewählt. Bisphenolfreie Produkte habe man auch lagernd. Sie seien um 20 Prozent teurer als das herkömmliche Standardthermopapier und „sehr langsam“ im Kommen. Viele seiner Kunden dächten aber einfach nicht daran und griffen zum billigsten Produkt, so Zoglauer.
Die speziellen Kassenbondrucker gibt es nicht nur als Thermodrucker, sondern auch als Tinten- und Normalpapierdrucker. Thermodrucker seien gegenüber den genannten Alternativen allerdings am billigsten und einfachsten. Zoglauer verweist auch darauf, dass Kunden mit relativ geringem Kundenaufkommen Rechnungen auch auf normalem A4-Papier drucken.
„Eine Kompromisslösung“
Walter Masten-Weber von Olivetti zeichnet ein ähnliches Bild: „Sensible Kunden bekommen, was sie wollen.“ Bei der Wahl sei meist entscheidend, wie groß das Druckaufkommen sei. 75 bis 80 Prozent seiner Kunden wählten demnach BPA-haltiges Standardpapier - auch weil viele es nicht besser wüssten. Der Preisunterschied zwischen BPA- und BPS-haltigen Papier betrage rund 25 Prozent. „Es gibt keine vernünftigen Alternativen“, klagt Masten-Weber. Aus seiner Sicht handle es sich bei Papier und Technologie um „eine Kompromisslösung betreffend Geschwindigkeit und Kosteneffizienz“.
Die EU will unterdessen den zulässigen Grenzwert für BPA weiter senken. Im Frühjahr will die Kommission nach Abschluss derzeit laufender Beratungen mit Mitgliedsländern, Industrie und Konsumentenschützern eine Neuregelung vorlegen.