Fußball /
International
30.12.2011
36 Punkte Abzug für Sion Der
Schweizer Fußball-Verband (SFV) hat dem Druck des Weltverbandes FIFA
nachgegeben und den Erstligisten FC Sion nach monatelangem Streit mit einer
drakonischen Strafe belegt. Sion werden wegen des Einsatzes von nicht
spielberechtigten Spielern 36 Punkte abgezogen. Mit diesem Urteil ist die
angedrohte Suspendierung des SFV durch die FIFA vom Tisch. Hätte der Verband
bis zum 13. Januar den Fall nicht gelöst, hätte die Nationalmannschaft keine
Partien mehr bestreiten und auch der FC Basel nicht zum
Champions-League-Achtelfinale gegen Bayern München antreten dürfen. Sion stürzt
mit nun minus fünf Punkten von Platz drei ans Tabellenende. Die Resultate der
entsprechenden Partien bleiben jedoch unangetastet. Das bedeutet, dass der
Titelverteidiger weiter am Schweizer Pokalwettbewerb teilnehmen darf.
Hintergrund der teilweise bizarren Auseinandersetzung war die Suspendierung
Sions durch die Europäische Fußball-Union (UEFA) aus der Europa League. Dort hatten sich die Schweizer gegen Celtic
Glasgow sportlich durchgesetzt, waren nach einem Einspruch der Schotten aber
ausgeschlossen worden. Vor zwei Wochen war der Klub vor dem Internationalen
Sportgerichtshof CAS in Lausanne mit seiner Klage gescheitert.
Luzerner Fans: «Wir sind die Seele des Vereins»
Autor Manuel Feer *
Vor dem Hintergrund des
aufgeheizten medialen Klimas verhängt der FC Luzern seinen Anhängern Fahnen-,
Transparente- und Doppelhalterverbot. Der Club versteht die Fankultur nicht,
sagt ein FCL-Anhänger – und wagt einen Erklärungsversuch.
Radikaler Entscheid des FCL
Der FC Luzern hat vor einiger
Zeit in einer Mitteilung bekannt gegeben, dass er seinen Fans ein Fahnen- und
Doppelhalterverbot auferlegen wird, sollten diese noch einmal Pyromaterial
abbrennen. Damit beginnt der Vorstand unter der Führung von Walter Stierli den
wohl schweizweit radikalsten Kreuzzug gegen die eigenen Anhänger und die Seele
des Vereins. Beim Auswärtsspiel gegen Basel am 3. Dezember zündeten einige
Luzerner Fans trotz angedrohten Sanktionen in ihrem Fansektor Pyromaterial. Nun
zieht der FCL die Konsequenzen und verhängt ab dem Heimspiel vom kommenden
Sonntag gegen Servette in den Sektoren B und C6 (Gästesektor) des swissporarena
ein Fahnen-, Transparente- und Doppelhalterverbot. Wer dieses Verbot
missachtet, werde mit einem Stadionverbot sanktioniert, teilt der Fussballclub
am Donnerstag mit. Der Entscheid wurde in einem aufgeregten medialen Umfeld
getroffen, das durch das offensichtliche Fehlverhalten von Einzelpersonen auf
nationaler Ebene angeheizt war. Mitgetragen wurde die unsachliche und
emotionalisierte Kampagne auch vom Luzerner Medienmonopolisten, der Neuen Luzerner
Zeitung (NLZ), die sich gänzlich unbesorgt in der Wörterkiste des aktuellen
Fussballfan-Diskurses bediente: «Pyro- Hooligans», «Fussball-Chaoten» und
«sogenannte Fussballfans» dienen dabei als Projektionsfläche für alles
Schlimme, was sich da so jedes Wochenende in einem Fussballstadion abspielen
muss. Erschrocken über die Entwicklung der medialen Hysterie, bleibt eine
grosse Fangemeinschaft zurück, die sich in vielen Belangen zutiefst
missverstanden fühlt
Eingriff in die Fankultur
Die offizielle Androhung eines
Fahnen- und Doppehalterverbots in Luzern ist ein krasser Eingriff in die freie
Fankultur, der von immenser Tragweite ist. Er kommt einem kompletten
Vertrauensbruch zwischen Fans und Vorstand gleich. Das Geschirr ist zerbrochen,
übrig bleibt der Scherbenhaufen. Damit hat der FCL hat den Weg der Eskalation
gewählt, was zu bedauern ist. Aus Fansicht ist der Entscheid nur ein weiterer
Hinweis, wie wenig die Entscheidungsträger in Vereinen, Verband, Medien und
Politik über Inhalt und Dynamik der Fussballfankultur in der Schweiz Bescheid
wissen. Sie sind sich der Bedeutung dieser Bewegung für Fussball und
Gesellschaft nicht bewusst. Das Unwissen ist riesig, die Bereitschaft daran
etwas zu ändern allerdings minim. Alternative Stimmen versiegen im Sturm der
medialen Entrüstung. Doch der Wunsch und der Drang sich zu erkären bleiben
bestehen. In den Fankurven der Schweizer Stadien treffen sich heutzutage die
unterschiedlichsten Menschen, um an einem gemeinsamen Projekt teilzuhaben. Alle
sind willkommen. Herkunft, Aussehen, Geschlecht oder Alter sind genauso
unwichtig wie politische Haltung oder Beruf. Niemals zuvor in der Geschichte
gab es eine offenere, zwangsfreiere Subkultur. Viele widmen ihre ganze Freizeit
und viel Geld ihrer Leidenschaft. Choreos, Fahnen, Doppelhalter und Bänder sind
Ausdruck ihrer Identität. Für viele sind bengalische Fackeln ein Bestandteil
ihrer Leidenschaft. Pyros werden nicht als Akt der Aggression, sondern als
feierliches Zeremoniell betrachtet, wie das an anderen Anlässen auch üblich
ist. Die Schweizer Kurvenkultur ist lebendig, und sie hat eine unglaubliche
Anziehungskraft. Sie ist heute eine der grössten urbanen Jugendkulturen,
lautstark und ausserordentlich kreativ, und sie hat die Schweizer
Fussballstadien an vielen Orten von stimmungsarmer Tristesse erlöst.
Der mediale Diskurs verselbständigt sich
Nun wird fleissig an der
Demontage dieser Bewegung gearbeitet. Der mediale Diskurs hat sich
verselbstständigt und wird im Tagesrhythmus repetiert, so dass selbst die
absurdesten Meinungen nicht mehr unmöglich sind. Als beispielsweise vor ein
paar Wochen die Fans des FC Basel in Anbetracht des riesigen Polizeiaufgebots
das Spiel gegen den FCZ boykottierten und die Heimreise antraten, sassen nur
wenige privat angereiste Fans, meist Väter mit ihren Kindern, im Gästesektor.
Als einige von ihnen aus Solidarität den Gästesektor nach rund 15 Minuten
ebenfalls verliessen, was gut von den Fernsehkameras festgehalten wurde,
äusserte der unbeholfene SF-Reporter doch tatsächlich die Befürchtung, dass
sich diese Leute vielleicht mit den Zürcher Fans prügeln werden. Die
Gehirnwäsche wirkt, und dies offensichtlich stärker als jeglicher Drang nach
Bildung. Seit einigen Jahren liegt der Fokus nun auf der Dämonisierung von
Pyrotechnik. Während beispielsweise auf den Zuschauerrängen des vom
Weltfussballverband lizenzierten Videospiels FIFA 2003 noch massenhaft Fackeln
gezündet wurden, oder während Sportreporter Dani Wyler anlässlich eines Spiels
zwischen Basel und Zürich in den 90er Jahren noch von toller Stimmung sprach,
als das Stadion fast ringsum von Fackeln eingedeckt wurde, so werden Pyros
heute immer von Chaoten, Hooligans und Trotteln abgefeuert.
Repression statt Dialog
Genau diese Kriminalisierung von
Pyrotechnik ist heute einer der Gründe, weshalb sie häufig unkontrolliert und
im dichten Gedränge gezündet werden. Ausserdem sind die Fackeln die Ursache,
weshalb es an Stadioneingängen immer wieder zu Handgemengen und
Auseinandersetzungen kommt. Fangruppen sind nicht bereit, sich das Abbrennen
von Fackeln verbieten zu lassen. Dafür gehen sie hohe Risiken ein. Anstelle
eines konstruktiven Dialoges, setzen Vereine und Polizei aber weiter auf
Repression und perpetuieren das Problem. In der Tat haben die jüngsten Vorfälle
in der Kurve des FCZ den Pyro-Befürwortern einen Bärendienst erwiesen. Der
Fackelwurf im Derby wurde entsprechend rundum verurteilt, auch von den Ultras.
Notiz davon nehmen aber nur die, die wollen, und dazu gehört weder der Blick
noch die NLZ. Insgesamt ist die Entwicklung der Pyrodiskussion ein
wunderschönes Beispiel dafür, wie schnell sich öffentliche Wahrnehmung und
Einstellung gegenüber Themen verändern kann, wenn sich dominante Meinungsmacher
jeglicher Diskussion verwehren. Wo Journalisten früher noch von guter Stimmung
sprachen, sind heute Störenfriede und Deppen am Werk. Fussballfans geniessen
heute mehr denn je einen schlechten Ruf. Es ist wahr, es gab und gibt immer
wieder Gewalt im Umfeld von Fussball. Die Geschichte des Fussballs ist geprägt
davon. Das soll nichts gutheissen, aber Relationen aufzeigen. Wo Menschen
zusammenkommen entstehen Konflikte. Umso mehr in einem hochemotionalisierten
Umfeld wie es der Fussball ist. Hier treffen Gegner aufeinander, gekleidet in
verschiedenen Farben. Auf den Rängen Fans, die in ausgeprägter Weise ihre
Verbundenheit und Identität mit der einen Mannschaft präsentieren und
gegeneinander ansingen. Glaubt man der medialen Berichterstattung, muss man
heute Angst haben, in ein Fussballstadion zu gehen. 17 Jahre Kurvenerfahrung
zeigen jedoch, dass einem nie etwas geschieht, wenn man denn nicht unbedingt
will. Schlussendlich gilt halt, dass der Fussballfan nicht der bessere Mensch
ist, aber ganz bestimmt auch nicht der schlechtere.
Fans sind die Seele des Vereins
Es scheint, als ob sich die
Diskussion um die Schweizer Fankultur in einem entscheidenden Stadium befindet.
Die mediale und politische Dynamik ist an einem Höhepunkt angelangt. Die Geduld
in beiden Lagern ist arg strapaziert. Es ist gut möglich, dass ein noch
repressiveres Vorgehen die bestehende Fankultur aus den Stadien verdrängt. Es
ist unumstritten, dass das sowohl aus fussballkultureller, als auch aus
wirtschaftlicher Sicht ein grosser Fehler wäre. Die Konsequenz wären
schlechtere Atmosphäre, weniger Zuschauer, keine Gästefans, weniger Emotionen,
weniger Vermarktungspotenzial. Für den Schweizer Profifussball würde dies einen
klaren Einschnitt bedeuten. Die Gruppe, welche die Clubs in ihren Communiques
jeweils als kleine, unverbesserliche Minderheit beschimpfen, ist in der
Realität weit grösser und von vitalerer Bedeutung, als diese erahnen, denn sie
geniesst grosse Solidarität. Die Fussballfankultur selbst wird sich zu wehren
wissen, denn sie sitzt am längeren Hebel. Vielerorts haben sich Fanszenen in
Krisen als dynamisch und wandlungsfähig bewiesen. Helfen tut der feste Glaube,
dass die Seele eines Vereins in der lokalen Fankultur selbst verankert ist,
unabhängig von der äusseren Gestalt des Clubs. Denn weder Hakan Yakin noch
Walter Stierli allein sind der FC Luzern. Ein Fussballclub, das sind Geschichten
und Episoden, Erinnerungen und Erinnerungsorte, Legenden und Helden. Was den
Verein aber vor allem ausmacht, sind die Leute, die ihn seit Jahrzehnten als
Fans begleiten. Das sind die Väter, die ihre kleinen Jungen zum ersten mal mit
ins Stadion nehmen. Das sind alle, die die Farben des Vereins in sich, und
damit die Tradition weiter tragen. Deshalb gilt auch aktuell beim FC Luzern:
Wer die eigenen Fans bekämpft, der bekämpft die Seele des Vereins.
Passend zur aktuellen
Stimmungslage der Luzerner Fankultur der Song «Keini vo de gwöhnlich
schöne» » weiter
* Manuel Feer ist
Projektmitarbeiter der FCL-Fansite justcantbeatthat.com.
Letzte Aktualisierung ( Freitag,
09.12.2011, 21:09 )
Trotz Ermahnung des GC-Präsidenten zündeten Fans gefährliche Pyros.
(Tagesschau, 12.12.2011, 19.30 Uhr)
Der Zürcher Fussballclub GC
bestraft unbelehrbare Fans. Die GC-Fankurve bleibt beim nächsten Heimspiel im
Letzigrund geschlossen. Grund für die Massnahme: Am Sonntag hatten GC-Fans beim
Spiel in Lausanne Pyros gezündet. Die Stadt Zürich begrüsst die
Bestrafungsaktion.