Die offizielle Türkei ist empört.
Östereichs Nationalrat, unsere gewählte Volksvertretung hat in einem klaren
Statement die Vertreibung und Ermordung von 1,5 Millionen Armeniern im Ersten
Weltkrieg als das benannt, was es in den Augen der Welt ist: einen Genozid.
Damals, das war im Jahre 1915 begann dieser Völkermord und der 24. April wird als der Tag benannt,
wo die armenische Elite aus Konstantinopel vertrieben wurde - die Menschen mussten
ihre gesamte Habe in den Häusern lassen und wurden von türkischen Soldaten
verschleppt - befahl die Regierung die Bestrafung der Armenier.
Massaker an de Armeniern waren in
der Türkei nicht unbekannt. Bereits in den Jahren 1894 bis 1896 kam es zu
Ausschreitungen gegen die zweitgrösste christliche Minderheit (nach den Griechen) im Osmanischen Reich. Damals waren
es vor allem (von der Hohen Pforte dazu ermutigte) Kurden, die von den reichen
Mitbürgern immer höhere Steuern eintreiben wollten und von den Armeniern
erfolgreich vertrieben wurden. Daraufhin kam es zu zwei Jahre andauernden
blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Armeniern auf der einen und den
Türken auf der anderen Seite, dutzende armenische Siedlungen wurden zerstört,
einige tausend Armenier getötet.
Mit dem Machtantritt der
sogenannten Jungtürken versprachen sich die Armenier zunächst eine Besserung
ihrer Situation, doch ausgerechnet diese ordneten im Jahre 1915 den Genozid an.
Als offizielle Lesart gilt in der Türkei heute immer noch, dass dies eine
Reaktion auf die Unterstützung der russisch-zaristischen Armee im Krieg, das
Osmanische Reich hatte ja im Oktober/November 1914 auf Seiten der Mittelmächte
der Entente (Russland, Frankreich und Grossbritannien) den Krieg erklärt und
wollte damit seinen Traum von der Erweiterung des Osmanischen Reiches in
Richtung Turkmenistan erfüllen, durch die Armenier. Freiwilligenbataillone
kämpften auf Seiten der siegreichen russischen Armee die die Türken rasch bis
tief in osmanisches Gebiet zurückschlug. Grosse Teile Ostanatoliens gingen nach
verheerenden türkischen Niederlagen verloren. Die türkische Regierung machte
die Armenier kollektiv für die Niederlagen der schlecht gerüsteten und
ausgebildeten türkischen Verbände verantwortlich - in Wirklichkeit waren ein
Grossteil loyal zur Hohen Pforte - und ordnete den Genozid an.
Heute kann man diese
Willenserklärung der Hohen Pforte nicht mehr schriftlich nachweisen, da
entsprechende Dokumente vernichtet wurden oder noch immer unter Verschluss
sind, viele Befehle wurden auch mündlich weitergegeben bzw. agierten örtliche
Militärkommandanten auf eigene Initiative hin. Lediglich einige, erhaltene
Zeitdokumente lassen diesen Schluss zu.
Als erster Schritt wurden die
armenischen Soldaten in der türkischen Armee entwaffnet und grossteils getötet.
Die Spezialeinheit der osmanischen Armee, Teşkilât-ı Mahsusa zeichnete dafür grossteils
verantwortlich. Es folgte die schon beschriebene Vertreibung der Armenier aus
Konstantinopel, danach weitete sich die "Säuberungsaktion" auf ganz
Anatolien aus. Am 27. Mai 1915 wurde das sogenannte Deportationsgesetz erlassen
- ein Freibrief für die osmanische Armee. Was danach folgte wird heute als der
"erste Genozid im 20. Jahrhundert" beschrieben und prägte sich
unauslöschlich ins das kollektive Gewissen der armenischen Bevölkerung ein.
Dazu muss auch gesagt werden, dass sich die Armenier
keineswegs wehrlos in ihr Schicksal ergaben,
Freiwilligeneinheiten und wilde Banden schlugen sehr wohl zurück und verübten
während des Vormarsches der zaristischen Armee ihrerseits Massaker an Türken.
Die sogenannten armenischen FEDAJIN verbreiteten Angst und Schrecken unter der
türkischen Landbevölkerung, ehe die osmanische Armee eingriff und hart
einschritt. Überliefert ist die Botschaft von Hilmi Bey, den Gouverneur von
Erzurum an die Regierung in Konstantinopel: „Es gibt
Individuen innerhalb des Landes, die beseitigt werden müssen. Wir verfolgen
diese Perspektive." Dies gilt heute
als markantestes Zeichen, dass die osmanische Regierung diesen Genozid bewusst
durchgeführt hat. Am 29. August 1915 schrieb Talât Pascha in einem
chiffrierten Telegramm: „Die Armenierfrage wurde gelöst.
Es gibt keine Veranlassung, Volk oder Regierung wegen der überflüssigen
Grausamkeiten zu beschmutzen.“
Dieser Talat Pascha gab schon im Juli desselben Jahres zu, dass es in Diabakir
zu Massaker an Christen gekommen sei.
Internationale
Hilfsangebote wurden von der Hohen Pforte nicht angenommen, der es nicht
ungangenehm war, die Armenier losgeworden zu sein. Finanzielle Aspekte lagen da
ebenso zugrunde wie auch politische. Speziell in Konstantinopel hatten die
Armenier viele Besitzungen, wer heute in der Metropole ist erkennt die vielen
alten Bürgerhäuser die grossteils von Armeniern errichtet wurden, deren
Baukünste die Sultane des Osmanischen Reiches stets schätzten. Darin lag aber
auch ein gewisser Neid der Türken auf ihre christlichen Mitbürger - ein
Vierteljahrhundert später sollte sich dies mitten in Europa mit einer anderen
Gruppe wiederholen: den Juden !
Was
übrig bleibt ist ein kollektives Leugnen – nicht nur der offiziellen – Türkei,
dass es diesen Genozid gegeben hat. Man sieht sich gerade unter der Regierung
Erdogan wieder in der Tradition des alten Osmanischen Reiches und wehrt sich
deswegen so sehr gegen die Anerkennung, da man damit die eigene Geschichte
radikal umschreiben müsste. Die „Erben des Osmanischen Reiches“
wollen das klarerweise nicht. Ein anderer – wunder – Punkt ist die Frage nach
Rückgabe geraubten armenischen Besitzes. Eine Resitution dieser Vermögenswerte
würde wohl auch innerhalb der türkischen Gesellschaft tiefgreifende Einschnitte
verursachen, sind doch heute viele ehemals armenische Besitztümer türkisch.
Es ist daher ein wichtiger
erster Schritt unserer gewählten Vertreter, den Umstand dass es einen nicht
aufgearbeiteten Punkt in der jüngeren türkischen Geschichte gibt, aufzuzeigen.
Was überhaupt nicht geht ist die Reaktion der Türkei, die Österreich quasi
einen „Maulkorberlass“ zu diesem Thema verpassen will und mit Sanktionen droht.
Noch weniger geht es, wenn private türkische Vereine Druck ausüben. Es ist ja
klar, dass kein heute lebender Türke noch aktiv Schuld auf sich geladen hat –
der Genozid fand vor genau hundert Jahren statt – aber es wäre ein starkes
demokratiepolitisches Zeichen der Reife, das die Türkei an den Tag legen kann –
und ein wichtiger Schritt in Richtung EU-Beitritt.