Dienstag, 29. Januar 2013

Verfassungsgericht stützt Rapid-Fans vor Gericht

Neues gibt es für jene Rapid-Fans, die nach einer Massenschlägerei in Wien vor Gericht standen: Der Verfassungsgerichtshof gab ihrer Beschwerde recht - und der Paragraf gegen Landfriedensbruch wird infrage gestellt

Wien - Der Prozess um eine Massenschlägerei zwischen Rapid- und Austria-Fans im Mai 2009 am Wiener Westbahnhof geht in die Verlängerung. Der Verfassungsgerichtshof hat einer Beschwerde mehrerer Beschuldigter Folge geleistet, laut der ihre Verteidiger jene Videoaufzeichnungen nicht ausgefolgt bekamen, die von der Anklage als Beleg ihrer Schuld herangezogen wurden.
 
Statt dessen waren den Anwälten nur Standfotos aus den Videos zur Verfügung gestellt worden - und sie hatten die Aufzeichnungen bloß einsehen dürfen. Laut Höchstgericht zu Unrecht: Mit Fristsetzung bis Ende 2013 strich es den diesbezüglichen Passus aus der Strafprozessordnung.
Doch nicht nur vor Gericht, sondern auch politisch sorgt der Rapid-Fan-Prozess weiter für Aufsehen. Am Mittwoch will Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser im Nationalrat einen Antrag auf Streichung jenes Strafrechtsparagrafen - Paragraf 274 StGB, Landfriedensbruch - einbringen, laut dem 16 Rapid-Anhänger (nicht rechtskräftig) für schuldig erkannt wurden.

Fans gegen Fans

Zu den Ausschreitungen war es gekommen, nachdem 165 Mitglieder des Fanclubs Ultras Rapid nach einem Heimspiel gegen Mattersburg zum Westbahnhof marschiert waren. Dort trafen sie auf Austria-Fans, die von einer Auswärtspartie heimkehrten. Polizisten schirmten die Gruppen voneinander ab. Zwei Beamten erlitten Verletzungen, am Bahnhof kam es zu Sachbeschädigungen: laut Staatsanwaltschaft Wien Landfriedensbruch in 85 Fällen.
Das stößt bei Steinhauser auf Kritik. Hier sei ein "missbrauchsanfälliger und brandgefährlicher" Paragraf pauschal gegen eine unliebsame Gruppe verwendet worden. Denn wie auch der gegen kriminelle Organisationen gewandte sogenannte Antimafiaparaf 278a, der im Verfahren gegen Tierschützer eingesetzt wurde und reformiert werden soll, lasse Paragraf 274 "über jedem zivilgesellschaftlichen und subkulturellen Engagement das Damoklesschwert des Strafgesetzbuches schweben", schreibt er in seinem Antrag.

Ministerium: Bestimmung nicht antiquiert

Andreas Stranzinger, Verteidiger im Rapid-Prozess, sieht das ähnlich. Des Landfriedensbruchs könne man sich auch schuldig machen, ohne selbst eine strafbare Handlung gesetzt zu haben, sagte er bei einem Hintergrundgespräch. Es reiche, dass man - so der Gesetzestext - " wissentlich an einer Zusammenrottung" teilgenommen habe, die auf schwere Straftaten "abziele".
"Was kann ein Fan, der sich mitten oder am Ende des Pulks befindet, darüber wissen, was vorne geschieht?", fragt Stranzinger. Und wie könne man sicher sein, dass der Teilnehmer eines Marsches im Vorfeld erkenne, worauf dieser abziele?, fragt sich Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. In Paragraf 274, dessen Vorläuferbestimmungen gegen politische Aufstände eingesetzt worden seien, schwinge das Motiv "mitgefangen, mitgehangen" mit - für modernes Strafrecht ein Problem.
Laut Justizministerium besteht kein Änderungsbedarf bei Paragraf 274. Auch habe es seit 1980 insgesamt 48 rechtskräftige Verurteilungen gegeben, die Bestimmung sei keineswegs antiquiert. (Irene Brickner, DER STANDARD, 29.1.2013)