Neues gibt es für jene Rapid-Fans, die nach einer Massenschlägerei in Wien vor Gericht standen: Der Verfassungsgerichtshof gab ihrer Beschwerde recht - und der Paragraf gegen Landfriedensbruch wird infrage gestellt
Wien - Der Prozess um eine Massenschlägerei zwischen Rapid- und Austria-Fans
im Mai 2009 am Wiener Westbahnhof geht in die Verlängerung. Der
Verfassungsgerichtshof hat einer Beschwerde mehrerer Beschuldigter Folge
geleistet, laut der ihre Verteidiger jene Videoaufzeichnungen nicht ausgefolgt
bekamen, die von der Anklage als Beleg ihrer Schuld herangezogen wurden.
Statt dessen waren den Anwälten nur Standfotos aus den Videos zur Verfügung
gestellt worden - und sie hatten die Aufzeichnungen bloß einsehen dürfen. Laut
Höchstgericht zu Unrecht: Mit Fristsetzung bis Ende 2013 strich es den
diesbezüglichen Passus aus der Strafprozessordnung.
Doch nicht nur vor Gericht, sondern auch politisch sorgt der
Rapid-Fan-Prozess weiter für Aufsehen. Am Mittwoch will Grünen-Justizsprecher
Albert Steinhauser im Nationalrat einen Antrag auf Streichung jenes
Strafrechtsparagrafen - Paragraf 274 StGB, Landfriedensbruch - einbringen, laut
dem 16 Rapid-Anhänger (nicht rechtskräftig) für schuldig erkannt wurden.
Fans gegen Fans
Zu den Ausschreitungen war es gekommen, nachdem 165 Mitglieder des Fanclubs
Ultras Rapid nach einem Heimspiel gegen Mattersburg zum Westbahnhof marschiert
waren. Dort trafen sie auf Austria-Fans, die von einer Auswärtspartie
heimkehrten. Polizisten schirmten die Gruppen voneinander ab. Zwei Beamten
erlitten Verletzungen, am Bahnhof kam es zu Sachbeschädigungen: laut
Staatsanwaltschaft Wien Landfriedensbruch in 85 Fällen.
Das stößt bei Steinhauser auf Kritik. Hier sei ein "missbrauchsanfälliger und
brandgefährlicher" Paragraf pauschal gegen eine unliebsame Gruppe verwendet
worden. Denn wie auch der gegen kriminelle Organisationen gewandte sogenannte
Antimafiaparaf 278a, der im Verfahren gegen Tierschützer eingesetzt wurde und
reformiert werden soll, lasse Paragraf 274 "über jedem zivilgesellschaftlichen
und subkulturellen Engagement das Damoklesschwert des Strafgesetzbuches
schweben", schreibt er in seinem Antrag.
Ministerium: Bestimmung nicht antiquiert
Andreas Stranzinger, Verteidiger im Rapid-Prozess, sieht das ähnlich. Des
Landfriedensbruchs könne man sich auch schuldig machen, ohne selbst eine
strafbare Handlung gesetzt zu haben, sagte er bei einem Hintergrundgespräch. Es
reiche, dass man - so der Gesetzestext - " wissentlich an einer Zusammenrottung"
teilgenommen habe, die auf schwere Straftaten "abziele".
"Was kann ein Fan, der sich mitten oder am Ende des Pulks befindet, darüber
wissen, was vorne geschieht?", fragt Stranzinger. Und wie könne man sicher sein,
dass der Teilnehmer eines Marsches im Vorfeld erkenne, worauf dieser abziele?,
fragt sich Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. In Paragraf 274, dessen
Vorläuferbestimmungen gegen politische Aufstände eingesetzt worden seien,
schwinge das Motiv "mitgefangen, mitgehangen" mit - für modernes Strafrecht ein
Problem.
Laut Justizministerium besteht kein Änderungsbedarf bei Paragraf 274. Auch
habe es seit 1980 insgesamt 48 rechtskräftige Verurteilungen gegeben, die
Bestimmung sei keineswegs antiquiert. (Irene Brickner, DER STANDARD, 29.1.2013)