Sonntag, 5. August 2012

Terrorjahr 1977



Offensive 77


Dieser Begriff wurde von der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) für die Operationen zur Befreiung der sogenannten „Ersten Generation“, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Karl Raspe verwendet (Ulrike Meinhoff nahm sich am 8./9. Mai 1976 das Leben). Unter anderem verstand man darunter die beiden Anschläge auf Generalbundesanwalt Buback und Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer. Damit wollte man die Genossen aus dem Gefängnis freipressen. Peter-Jürgen Boock formulierte es so:

Die für 1977 vorgesehenen Aktionen hatten ihren Schwerpunkt in der Befreiung der Gefangenen. Die Gruppe war der Auffassung, daß die Entführung einer einzelnen Person nicht ausreichen würde, um das angestrebte Ziel durchsetzen zu können. Es sollte deshalb eine zweite Person in einem zeitlich kurzen Abstand entführt werden, insbesondere um auch Gegenmaßnahmen durch die Fahndung zu vermeiden. Die beiden Aktionen sollten Schlag auf Schlag erfolgen und sich gegenseitig ergänzen. (Protokoll der Vernehmung von Peter-Jürgen Boock am 1. April 1992)

Peter-Jürgen Boock gehörte auch zur „Zweiten Generation“ der RAF, obgleich er bereits 1969 erstmals Kontakt zu Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Thorwald Proll hatte. Boock gab den Kontakt damals aber auf, er wurde lange Jahre hindurch heroinabhängig. Umstrittenen Berichten zufolge war er es auch während der Offensive 77. Als sogenannter Techniker der RAF baute er Bomben, Raketenwerfer und andere schwere Waffen, mit denen die Entführungen und Ermordung angesehener deutscher Politiker und Wirtschaftsfachleute begangen werden sollten. Boock saß bis 1988 seine Strafe ab, nachdem er 1981 verhaftet und verurteilt wurde. Er sagte sich noch in der Haft von der RAF los.

Die Offensive 77 begann mit der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977. Buback hatte das Amt seit 1974 inne und war mit der Prozessführung gegen die Mitglieder der „Ersten Generation“ der RAF betraut worden. Seine Ermordung übernahm das „Kommando Ulrike Meinhoff“. Dieses bestand – nach heutigen Erkenntnissen aus Ulrike Mohnhaupt, Christian Klar und Knut Folkerts. Es konnte aber nicht geklärt werden, wer der Todesschütze war. Ebenfalls verhaftet wurde Verena Becker, ein RAF Mitglied, dass über die Bewegung 2. Juni dazugestossen ist. Sie wurde 2012 wegen Beihilfe zu vier Jahren Haft verurteilt, ging aber in Revision. Ein endgültiges Urteil steht noch aus. Becker gab in den 1980er Jahren an, dass ein gewisser Stefan Wisniewski der Todesschütze gewesen sei. Wisniewski war schon an der Geiselnahme der Stockholmer Botschaft 1975 beteiligt gewesen, aber nicht festgenommen worden. 1978 wurde er verhaftet und saß bis 1999 im Gefängnis. Seine Tatbeteiligung wurde auch von Peter-Jürgen Broock 2007 bestätigt.

Als Reaktion wurden Baader, Ensslin und Raspe am 18. April 1977 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Mitglieder der Offensive 77 überfielen daraufhin am 1. Juli 1977 ein Waffengeschäft, um die Ermordung von Jürgen Ponto vorzubereiten. Dieser war Vorstandssprecher der Dresdner Bank. Damit gehörte er zu den führenden Finanzexperten des Landes. Ponto wurde von seinem Patenkind Susanne Albrecht in die Falle gelockt und vom Kommando „ Aktion Roter Morgen“ am 30. Juli 1977 beim Versuch, ihn zu entführen erschossen.  Neben Ulrike Mohnhaupt und Jan-Karl Raspe waren Susanne Albrecht, Sieglinde Hofmann und Christian Klar daran beteiligt.

Am 25. August versuchte die RAF einen Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft, der allerdings misslang.

Seinen Höhepunkt erreichte der Terror im sogenannten „Deutschen Herbst“, dessen Kernstück die Entführung (und spätere Ermordung) des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer bildete. Schleyer wurde am 5. September 1977 mit dem Ziel der Freipressung der Ersten Generation der RAF entführt. Hauptverantwortlich war ein „Kommando Siegfried Hausner“ (benannt nach dem 1975 in Stammheim gestorbenen RAF-Terroristen) welche mittels einer Telefonkette die Voraussetzung für die gelungene Entführung schaffte. Bei der Schiesserei wurden alle vier Begleiter Schleyers tödlich getroffen. Bis heute konnten Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Stefan Wisniewski und Willi-Peter Stoll identifiziert werden, obwohl noch die Anwesenheit einer fünften Person als sicher festgestellt werden konnte. Mit seiner Entführung sollten alle inhaftierten RAF Terroristen freigepresst werden. Schleyer war 44 Tage in der Gewalt seiner Entführer und wurde am 19. Oktober – einen Tag nach der Todesnacht in Stammheim – ermordet.



Fast zeitgleich wurde eine Lufthansa Maschine, nämlich die Landshut von FEDAJIN entführt, die damit unter anderem auch die RAF-Terroristen freipressen wollte. Sie wurde am 13. Oktober 1977 auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt entführt und sechs Tage später auf dem Flughafen in Mogadishu von Einheiten der neugegründeten GSG 9 gestürmt. Verantwortlich für die Entführung war ein Kommando der PLFP. Die vier Entführer nannten sich „Kommando Martyr Halimeh“ – diesen Decknahmen verwendete die in Entebbe erschossene Flugzeugentführerin Brigitte Kuhlmann. Sie war eine Terroristin der Revolutionären Zellen. Nach der Erstürmung der „Landshut“ kam es in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober zur „Todesnacht in Stammheim“ – alle drei Mitglieder der Ersten Generation begingen unter zum Teil mysteriösen Umständen Selbstmord (zwei hatten sich erschossen), woraufhin die RAF am 19. Oktober Schleyer exekutierte.

Nach dem Tod der drei Anführer Ensslin, Baader und Raspe stellte die „Offensive 77“ ihre Tätigkeit ein, da der Anlass nicht mehr gegeben war. Heute leben noch einige Protagonisten der Organisation – teilweise sogar in Freiheit.