Dienstag, 28. August 2012

Stadtguerilla

Saloniki und seine Krieger

Ich habe mich jetzt lange mit dem Thema beschäftigt, verschiedene Meinungen, Glossare und Berichte gelesen, dazu noch einige Videos gesehen – nun möchte ich meine durchaus unprofessionelle, aber ganz persönliche Meinung dazu abgeben. Die Vorgeschichte mit ihrerer ziemlich irren Konstellation (einerseits Rapid und Panathinaikos, andererseits PAOK und Partizan) habe ich ja schon ausgeführt, ebenso das „Ballyhoo“ in den diversen Foren (nicht unbedingt nur von Rapid gemacht sondern auch von den Freunden beider Vereine), ebenso wie eine Gruppe mit ihrer Fanfreundschaft die gesamte Szene in Geiselhaft nimmt. Ja auch die Sitzer auf Süd und Nord, die normalen Fans in den beiden Fantribünen – sie alle machen die Szene (oder wie Andi Marek und Peter Linden immer sagen: die Rapidfamilie) aus.
Okay gehen wir zum Spiel. Mittwoch Abend – Andi Marek hat es in seinem Brief ja geschrieben – waren schon rund 20 Rapidfans des Harten Kerns in Saloniki, wo sie abends etwas essen wollten. Andi Marek war offenbar mit dabei (soll jetzt aber ursächlich egal sein). Sie wurden von einer doppelt so grossen Anzahl von Griechen jüngerer Generation angegriffen und haben sich verteidigt.  Einen Tag später am Weissen Turm dasselbe: 500 dort versammelte Rapidfans wurden von etwa 40 – 50 Griechen der mittleren Generation angegriffen und konnten sich – wie schon am Abend davor, erfolgreich verteidigen. Dabei kam es auf griechischer Seite zum Einsatz von Messern (manche sprechen auch von Macheten, ich lasse es mal so stehen). Als die Busse dann vor dem Stadion waren, flogen Molotowcocktails (ohne zu treffen) durch die Luft und erzeugten ein Klima der Angst. Was dann im Stadion passierte ist Geschichte. Zumindest für meine Ausführungen hier, die sich um die Ereignisse vor dem Spiel drehen.

Ein Erklärungsversuch

Bei allen – durchaus glaubwürdig klingenden – Berichten stieß mir immer wieder auf, dass PAOK, obwohl in der eigenen Stadt – keinen ernsthaften Angriff mit der vollen Mannstärke (die sie dann erst im Stadion entwickelten) starteten. Das ist unüblich. Ausser, man verfolgt damit eine gewisse Strategie. Die könnte folgendermassen aussehen: Am Vorabend testet man aus, wie gut die mitgereisten Hools des Gegners sind und schickt die Jüngsten vor. Schaffen die den Angriff, müssen die älteren C-Fans nicht mehr eingreifen, scheitern sie dann weiss man dass der Gegner gut aufgestellt ist und kann sich am Donnerstag entsprechend selber aufstellen.
Am Weissen Turm ist es ähnlich abgelaufen, wenn auch mit einer weiteren Komponente. Zunächst testete man aus, wie viele gegnerische Fans mitgereist sind und wie viele von diesen einfach „nur“ Fans sind (die mit der Freundschaft UR & G 13 nichts am Hut haben bzw. kein Interesse daran, ihre Farben zu verteidigen) – ein Klima der Angst bei den Auswärtsfans wird geschaffen, oder es zumindest versucht. Dasselbe Spiel vor dem Stadion. Ich bin immer darüber gestolpert, dass man zwar sagte, es sollen viele Molotowcocktails geflogen sein (Andi Marek erzählte in seiner Panik sogar von in den Asphalt gesprengten Löchern, was natürlich ein Blödsinn ist und in den Videos sowie durch Augenzeugenberichte widerlegt wurde), dass aber keiner getroffen hat. 14 Busse transportierten die Rapidfans zum Toumba-Stadion und keiner von diesen 14 Bussen wurde getroffen ? Ich meine, ein Bus ist doch ein sehr grosses Ziel, zum Verfehlen gehört schon eine gehörige Portion Unvermögen. Und erst 14 Busse ? Wie wahrscheinlich ist dies ? Meine Theorie: man versuchte bewusst, Panik zu erzeugen um die Hools von den Fans zu trennen und anzugreifen. Nicht die normalen Familien waren das ursprüngliche Ziel sondern UR, G 13 und Co. Nur – wie trennt man sie von den anderen rund 600 Auswärtsfahrern ? Indem man diese in Panik versetzt und zum Weglaufen animiert. Der Rest der stehenbleibt sind dann diejenigen, die man haben will. Dazu würde auch passen, dass die Polizei die Rapidfans dazu anhielt zum Sektor zu laufen und dass dort, wo man zum WC musste, ein gemeinsamer Zugang mit den im Nachbarsektor anwesenden Hools war. Erzeugen von Panik. Gleichzeitig eine Herausforderung an die grünen Hools, ihre Leute zu verteidigen.

Man muss ja dazu sagen, dass die Griechen seit 2008/2009 im Dauerbürgerkriegszustand mit ihrer Regierung und der Polizei sind und dementsprechend Erfahrung im Entwickeln von Taktiken haben, die uns Mitteleuropäern einfach fehlt. Dazu das „Scheissdrauf“ Prinzip von Leuten, die nicht mehr viel zu verlieren haben. Im Gefängnis haben sie wenigstens einen Schlafplatz, Essen und keine Alltagssorgen. Das würde auch den Einsatz von diversen Waffen erklären, wie wir sie aus den ebenfalls absolut glaubwürdigen Schilderungen der Mitgereisten kennen.
Zu diesem Szenario würde auch die lasche Einsatztaktik der Polizei passen, die genau wussten, worauf die PAOK-Hools aus waren und dementsprechend versucht haben, die normalen Fans im Sektor ganz nach oben zu verbringen. Dafür sprechen würde auch, dass die Rapidfans in der Stadt zunächst in Ruhe gelassen wurden, erst als sich alle – Tagesflieger, Mehrtagesflieger und Individualreisende – beim Weissen Turm getroffen haben, begann der Angriff. Und am Vortag wurden nur die Hools samt Andi Marek (der in Griechenland wohl auch nicht ganz unbekannt sein dürfte – die Freundschaft zu G 13 wird daran nicht unschuldig sein)  angegriffen, obwohl ich sicher bin, dass sich noch weitere Rapidfans in der Stadt befanden.
Was PAOK an diesem Tag gemacht hatte, war eine Angriffstaktik der Stadtguerilla, die ja vorschreibt, den Gegner zwar zu belästigen aber über die wahren Ziele im Unklaren zu lassen. Aus dem Hinterhalt (Untergrund) heraus wird zugeschlagen und sich zurückgezogen. Wie am Mittwochabend, wie am Weissen Turm. Der Gegner bekommt einen augenscheinlichen „Sieg geschenkt“, der in Wahrheit nur der Zwang zur Offenlegung der gegnerischen Stärke ist ohne die eigene preiszugeben. Man unterschätzt den anderen. Das war das Ziel der beiden Angriffe. Im Stadion kam dann der grosse Schock als hunderte Hools auf den Sektor der Grünen zuliefen und ihn zu stürmen versuchten. Stadtguerilla as its best.
Nach dem Spiel dürfte es – so die Berichte – zu keinen Auseinandersetzungen mehr gekommen sein, die „Verluste“ für Rapid waren sieben Festnahmen (ich hoffe die Jungs sind wieder zurück) und keine bei PAOK. Typisch Stadtguerilla. Eigentlich clever, würde es sich dabei nicht „nur“ um ein Fussballspiel auf europäischer Bühne handeln. Alles Gute den Geschockten, Verletzten und Verhafteten.