Friederike Krabbe
Friederike Krabbe ist ein Mitglied der Rote Armee Fraktion in zweiter Generation und jene
Person, die bis heute nicht wieder aus dem Untergrund aufgetaucht ist. Sie
begann ihre Karriere im Untergrund im Sozialistischen
Patientenkollektiv, ging von dort zur RAF und landete danach bei der
Gruppe 15. Mai, welche von
palästinensischen Fedajin um Abu Ibrahim gebildet hatte und war während der
Schleyer Entführung offenbar für die Anmietung von Wohnungen, in denen der
Arbeitgeberpräsident gefangengehalten wurde, zuständig. Sie soll bis 2003 in
Bagdad gelebt haben, wohin sie nach der gescheiterten Befreiungsaktion der
Stammheim-Häftlinge geflogen sein soll. Sie steht nach wie vor auf den
Fahndungslisten des Bundeskriminalamtes.
15.02.07
RAF
Die verschwundenen Terroristen
In der Debatte um die vorzeitige
Haftentlassung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt ging eines völlig
unter: Bis heute werden noch mindestens sieben mutmaßliche RAF-Mitglieder
gesucht. Sie sind untergetaucht, sofern sie noch leben.
Das letzte
Steckbrieffoto von ihr stammt aus dem Februar 1970: Es zeigt eine schlanke Frau
mit langen braunen Haaren und dunkelbraunen Augen. Noch keine 20 und kurz vor
dem Abitur. Heute ist Friederike Krabbe 56 Jahre alt - vorausgesetzt, sie lebt
noch. Die Terroristenfahnder des Bundeskriminalamts würden viel dafür geben,
wenn sie wüssten, wie sie jetzt aussieht. Und noch mehr, wenn sie eine Ahnung
hätten, wo sie steckt. Seit 30 Jahren suchen sie die Frau wegen Mordes am
damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Weltweit. Ohne Erfolg.
Nur eine von sieben
untergetauchten Terroristen
Friederike Krabbe ist
nur eine von mindestens sieben mutmaßlichen Terroristen der Roten Armee
Fraktion (RAF), die noch immer als verschwunden gelten. Weil sie untergetaucht
sind, sich versteckt halten, auf der Flucht sind. Irgendwo. Während hierzulande
gerade über die vorzeitige Haftentlassung der ehemaligen RAF-Mitglieder
Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar debattiert wird, gehen die sieben
Verschwundenen, von denen Krabbe eine Schlüsselrolle zufällt, in der Diskussion
ziemlich unter. Geboren wurde Friederike Charlotte Wilhelmine Krabbe am 31. Mai
1950 im niedersächsischen Bad Bentheim. Der Vater: Fabrikant und
Textilkaufmann. Nach dem Abitur 1970 geht sie nach Heidelberg, studiert
Pädagogik, Soziologie und Psychologie. Wie ihre fünf Jahre ältere Schwester
Hanna schließt sie sich dort dem "Sozialistischen Patientenkollektiv"
(SPK) des wirren Arztes Wolfgang Huber an. Seine Devise: "Das System hat
uns "krank gemacht". Geben wir dem kranken System den
Todesstoß." Für ihn gilt: "Wer sich krank fühlt, wird
behandelt", durch "Einzel- oder Gruppenagitation". Auf einem
Plattenspieler läuft "Macht kaputt, was euch kaputt macht" von Ton
Steine Scherben. Und alle grölen mit. Das "Kollektiv" ist ein
"Rekrutierungsbecken" für die RAF. Ein Dutzend Mitglieder schließt
sich ihr an. Friederikes Schwester Hanna ist dabei, als 1975 die deutsche
Botschaft in Stockholm überfallen wird. Das RAF-"Kommando Holger Meins"
nimmt 12 Geiseln, fordert die Freilassung von Andreas Baader und 25 weiteren
inhaftierten RAF-Mitgliedern. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen,
erschießen die Botschaftsstürmer zwei deutsche Attachés. Kurz vor Mitternacht
explodieren die Sprengladungen der Besetzer. Warum, ist bis heute ungeklärt.
Zwei RAF-Mitglieder sterben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilt Hanna
Krabbe am 20. Juli 1977 wegen "gemeinschaftlichen Mordes in zwei
Fällen" zu "lebenslanger Freiheitsstrafe". Nach 21 Jahren Haft
wird sie 1996 entlassen.
Konspirative Wohnung
in Köln
Eine Woche nach dem
Urteil gegen ihre Schwester mietet Friederike Krabbe ein Appartement in
Köln-Junkersdorf, Wiener Weg 1 b. Eine konspirative Wohnung für die
Schleyer-Entführung. 380 Mark Monatsmiete sowie 55 Mark für einen
Tiefgaragenplatz. Die 27-Jährige nennt sich Lisa Ries und gibt als Beruf
"Reiseleiterin" an. Das Hochhaus liegt nur wenige Autominuten vom
Tatort des Schleyer-Überfalls entfernt. In der Tiefgarage stehen bald zwei
Autos: ein gelber Mercedes 300 D. Gestohlen. Das sogenannte Sperrfahrzeug, mit
dem am 5. September 1977 Schleyers Mercedes an der Weiterfahrt gehindert wird.
Nebenan parkt ein VW-Bus. Mit ihm jagt Peter-Jürgen Boock später mit dem
gekidnappten Schleyer durch den abendlichen Berufsverkehr, um den
Arbeitgeberpräsidenten in das erste RAF-"Volksgefängnis" zu bringen.
Die RAF fordert von der Bundesregierung, dass sie Baader und neun weitere
RAF-Häftlinge - unter ihnen Hanna Krabbe - in ein Land ihrer Wahl ausfliegt.
Während der
Schleyer-Entführung ist Friederike Krabbe in der
RAF-"Entführungszentrale" in Amsterdam, einer Zwei-Stock-Maisonette
im Baden-Powell-Weg 217. Für die RAF rückt der Mord an Schleyer näher, und weil
sie mit einer "Riesenfahndung" rechnet, setzen sich alle, die nicht
mehr benötigt werden, nach Bagdad ab. Krabbe fliegt mit gefälschten Papieren.
In Bagdad wohnt sie in einem geräumigen Haus zusammen mit Elisabeth von Dyck
(die 1979 in Notwehr von einem Polizisten erschossen wurde) und Monika Helbing
(die 1990 in der DDR verhaftet wurde). Im Radio hört sie vom Mord an Hanns
Martin Schleyer und vom Tod der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin
und Jan-Carl Raspe im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Die RAF versucht die
Deutung zu streuen, die Stammheim-Häftlinge seien ermordet worden. Brigitte
Mohnhaupt interpretierte die Geschehnisse als "suicide action" - als
Selbstmord-Aktion. Sie erklärt, so berichtet das damalige RAF-Mitglied Monika
Helbing später, "dass die Gefangenen in Stammheim keinen anderen Weg sahen,
als sich selbst umzubringen, und zwar nicht aus Verzweifelung, sondern um die
Politik der RAF voranzutreiben". Krabbe kapiert, dass die von der RAF nach
außen proklamierten "Stammheim-Morde" eine Mär sind. Sie beschließt,
aus der RAF auszusteigen und im Irak zu bleiben. "Rima", so ihr
RAF-Name, "ist bei uns weggegangen, weil Guerilla nicht ihre Sache
war", erklärt RAF-Chefin Brigitte Mohnhaupt später. Nach deutschen
Staatsschutz-Informationen lebt Krabbe danach mit dem Bombenspezialisten Abu
Ihrahim einer irakischen Terrorgruppe zusammen, im Beiruter Villenvorort
al-Mansur. Nach dem US-Irak-Feldzug 2003 wittern die Fahnder Morgenluft. Die
Amerikaner suchen sie, finden aber keine Spur. Friederike Krabbe scheint wie
vom Erdboden verschluckt. Es gibt weitere mutmaßliche RAF-Mitglieder, von denen
bis heute jede Spur fehlt: Ingeborg Barz (Jahrgang 1948) verdächtigten die Ermittler, bei der
ersten RAF-"Generation" beteiligt gewesen zu sein, unter anderem an
einem Banküberfall 1971 in Kaiserslautern. Die RAF-Geldbeschaffer erschossen
den Polizisten Herbert Schoner und erbeuteten 135 000 Mark. Gerhard Müller -
der letzte Begleiter Ulrike Meinhofs, der zusammen mit ihr 1972 verhaftet wurde
- berichtete der Polizei, das frühere RAF-Mitglied Holger Meins habe ihm gesagt,
Andreas Baader habe Barz "Ende Februar/Anfang März 1972 erschossen"
und an einer "Stelle am Rhein begraben". Daraufhin durchpflügten
Polizeibeamte die Hänge bei Germersheim. Eine Leiche fanden sie nicht. Ebenso
wenig gibt es eine Spur von Angela Luther (Jahrgang 1940). Sie soll an dem Sprengstoffanschlag auf
das Quartier der US-Landstreitkräfte im Mai 1972 beteiligt gewesen sein. Dabei
gab es drei Tote. Ingrid Siepmann (Jahrgang 1944) gehörte zu den fünf 1975 freigepressten
Häftlingen. Anschließend soll sie sich der RAF angeschlossen haben. Nach einer
- unbestätigten - Information starb sie 1982. Die Haftbefehle gegen sie und
Barz wurden mittlerweile aufgehoben.
Die dritte Generation
der RAF ist völlig unsichtbar
Bei der dritten
"Generation" der RAF wären die Ermittler froh, wenn sie wüssten, nach
wem sie alles suchen könnten: Das letzte Aufgebot der Terrororganisation
verkündete 1998 die Selbstauflösung. Zuvor hatte es zehn Menschen ermordet -
unter anderem Bankier Alfred Herrhausen und Treuhand-Chef Detlev Rohwedder.
Ermittler schätzen, dass der RAF in ihren letzten 14 Jahren über ein Dutzend
Mitglieder angehörten. Die Hälfte von ihnen ist unbekannt. Nur drei Terroristen
wurden gefasst. Nach drei weiteren fahndet das BKA noch heute: Ernst-Volker Staub
(Jahrgang 1954) war schon einmal bei der RAF, wurde 1984 gefasst. Nach vier
Jahren Haft unterhielt er - so die Ermittler - erneut "intensive Kontakte
zu Personen des RAF-Umfeldes in Hamburg". 1991 wurde wieder Haftbefehl
gegen ihn erlassen, weil der Verdacht bestand, er habe sich wieder der RAF
angeschlossen. Doch Staub blieb verschwunden. Nur 1993 entdeckten Ermittler
seine Fingerspuren in dem Rucksack, den das RAF-Mitglied Wolfgang Grams trug,
als er bei seiner Verhaftung in Bad Kleinen erschossen wurde. Von Staubs
Freundin Daniela
Klette (Jahrgang 1958) fanden Fahnder nur ein Haar. Es befand sich in dem
Fluchtwagen, den die RAF 1991 bei ihrem Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn
benutzt hatte. Auf die letzte Spur des Paares stießen die Fahnder im Juli 1999
- 15 Monate nach der "Auflösungserklärung" der RAF: In Duisburg
erbeuteten drei Täter bei einem Panzerfaust-Überfall über eine Million Mark aus
einem Geldtransporter. Anschließend warfen sie ihre Helme und ihre Sturmhauben
weg. An ihnen entdeckten Labortechniker DNA-Material von Staub und Klette. Die
Beute: wohl eine Altersversorgung für ehemalige Terroristen. Die Chancen, dass
die Ermittler auf die verschollenen RAF-Mitglieder stoßen, sind gering. Ein
Ermittler: "Unsere einzige Chance ist Kommissar Zufall."
Butz
Peters, Journalist und Rechtsanwalt, verfasste unter anderem die Bücher
"Tödlicher Irrtum - Die Geschichte der RAF" (2004) und "Der
letzte Mythos der RAF - Wer erschoss Wolfgang Grams?" (2006)
Das Geheimdepot der RAF
Gemeinhin versuchen Gruppen im Untergrund,
belastendes Material zu vernichten, um die Spuren, die zu einer etwaigen
Entdeckung führen, zu vernichten. Nicht so die Rote Armee Fraktion, die mehrere
umfangreiche Depots mit belastenden Unterlagen – wie Bekennerbriefe, interne
Papiere etc. – angelegt haben. Eines davon wurde in einem Wald in Hessen
bereits 1982 gefunden, ein weiteres jetzt erst kürzlich bei Utrecht.
„Gesammeltes Wissen zum Weitergeben“ nennen es die Spezialisten des BKA. Die
RAF wolle so Wissen an die nächsten Generationen weitergeben um die Ideen ihres
Kampfes aufrecht zu erhalten. So soll auch die Dritte Generation davon
profitiert haben, was in ihrer fast totalen Perfektion, was Aktionen angeht,
manifestiert wurde. Meinen zumindest die Ermittler des BKA. Dem widersprechen
zahlreiche Journalisten und Kenner der Szene, die meinen, die Dritte Generation
sei in Wirklichkeit ein Phantom um zu verschleiern, dass sich die beiden
deutschen Staaten in den 80er Jahren einen Agentenkrieg geliefert haben. Das
Fokussieren der Öffentlichkeit auf die RAF sei dabei Kalkül gewesen. Als
„Beweis“ für diese Theorie wird immer wieder ausgeführt, dass viele der
Terroristen der Zweiten Generation ja bereits in Ostdeutschland bzw. im Nahen
Osten (Bagdad) waren und so kaum in Deutschland die nächste Generation
rekrutiert und trainiert haben können. Es hätten einfach die Berührungspunkte
gefehlt. Vor allem in der Person Friederike Krabbe sei man da auf dem Holzweg,
weil sie offenbar gleich nach der gescheiterten Schleyer Aktion nach Bagdad
gereist sei und dort – so wird ausgeführt bzw. spekuliert – bis zum
amerikanischen Einmarsch 2003 gelebt haben soll. Krabbe selber kann dem nicht
zustimmen oder widersprechen, sie gilt immer noch als verschollen.