Montag, 8. Juni 2015

Widerlich

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Der seltsame Boom der Wasserflasche

In Flaschen gefülltes Trinkwasser boomt. Am reichen Ende der Welt gelten Wasserflaschen als mondänes Lifestyle-Accessoire, während sie am armen aus purem Mangel gekauft werden müssen. Für die großen Getränkemultis wurde es längst zum Kerngeschäft. Flaschenwasser avancierte zum meistgekauften Getränk der Welt - das ist aus ökologischer Sicht eine Katastrophe.
Vor allem in Asien, China und Indien - wo es die Regierungen nicht immer schaffen, die schnell wachsenden Städte permanent mit sauberem Trinkwasser zu versorgen - wächst der Markt enorm. Chinas Verbrauch von Flaschenwasser hat sich in fünf Jahren verdoppelt, von 17 Milliarden auf 33 Milliarden Liter pro Jahr.
Doch auch in der westlichen Welt wird Wasser zunehmend im Supermarkt gekauft. „Die Wachstumsraten sind hier ähnlich wie in den Schwellenländern“, sagte Marco Settembri, Geschäftsführer von „Nestle Wasser“ zuletzt gegenüber der „Financial Times“. Vor allem die Sorge um Gesundheit und Übergewicht steigere die Nachfrage von Wasser aus der Flasche. Der österreichischen Fachverbande der Nahrungs- und Genussmittelindustrie gab bekannt, dass der durchschnittliche Österreicher 2014 rund 90 Liter Flaschenwasser nach Hause trug - 1970 waren es noch sechs. Die heimischen Getränkeunternehmen haben im Vorjahr um die 750 Millionen Liter Wasser in Flaschen gefüllt.

Erstaunlicher Marketingtrick

In Europa und den USA wurde Wasser in den vergangenen Jahren zum angesagten Lifestyle-Produkt. Der Werbeindustrie ist erstaunliches gelungen. Sie vermarktet ein Produkt, das eigentlich schon jeder zu Hause hat, und fährt damit unglaubliche Gewinne ein. Auf den Etiketten der Flaschen locken reine Quellen, schneebedeckte Berggipfel und kristallklare Seen. Sie sollen Reinheit, Vitalität und einen gesunden Lebensstil suggerieren. Erfolgreiche Geschäftsfrauen schlürfen in der Fernsehwerbung Mineralwasser. Anstatt zum Hahn greifen die Menschen immer öfter zur Flasche.
Dabei ist die Qualität von handelsüblichem Mineral- oder Tafelwasser in vielen Ländern keineswegs besser als die von Leitungswasser. Ganz im Gegenteil - Leitungswasser untersteht einer Vielzahl von Tests, es ist das am besten überprüfte Lebensmittel der Welt. Viele Mineralwasser aus dem Supermarkt enthalten weniger Mineral­stoffe und haben ein Problem mit Keimen, wie die Stiftung Warentest in einer Studie bekanntgab.
Und auch in puncto Preis kann Wasser aus der Flasche nicht mit Leitungswasser mithalten. Ein Liter Mineralwasser kostet etwa in Österreich im Durchschnitt 50 Cent, für den man laut dem Wasserreport der Arbeiterkammer (AK) rund 400 Liter Leitungswasser bekommen könnte - ohne sie kistenweise nach Hause zu schleppen. Abgesehen von Qualität und Preis spielt die ökologische Komponente eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Hoher Energieaufwand und CO2-Ausstoß

Umweltschutzorganisationen betonen immer wieder, dass herkömmliche Plastikflaschen aus dem Supermarkt die Umwelt belasten. Laut einer Studie des amerikanischen Pacific Institue benötigt man für die Erzeugung, Verpackung und den Transport von einem Liter Flaschenwasser 1.100- bis 2.000-mal mehr Energie als für die Bereitstellung der gleichen Menge Leitungswasser.
In einer Studie der BOKU Wien aus dem Jahr 2014 wurden die Emissionen von Treibhausgasen bei der Bereitstellung von Wasser analysiert. Ein Liter Wasser, den der Konsument aus der Leitung trinkt, geht mit der Emission von 0,1 bis 0,3 Gramm CO2 einher. Bei Flaschenwasser kommen die Forscher auf ganz andere, wesentlich höhere Zahlen: 75 bis 140 Gramm CO2 werden pro Liter ausgestoßen. Der Wert ist von der Größe der Gebinde abhängig und davon, ob diese wieder befüllt werden oder nicht.

Einweg statt Mehrweg

Die meisten Plastikflaschen sind Einwegflaschen. Der Trend verstärkt sich durch den Absturz des Ölpreises. Für die Hersteller ist es mittlerweile günstiger, neue Flaschen zu produzieren, als alte zu recyceln, wie die „Financial Times“ berichtete. Plastikflaschen belasten unsere Umwelt stark. „Der Zerfall von Plastik dauert rund 500 Jahre, bei einer dickwandigeren Plastikflasche ist von einem noch längeren Zeitraum auszugehen. Allerdings wird sie niemals komplett weg sein, sie zerfällt im Kleinstpartikel, die ein immer größer werdendes Umweltproblem darstellen“, sagt Nunu Kaller, Konsumentensprecherin von Greenpeace Österreich.
Die Gewinnzuwächse der größten Getränkekonzerne durch den Verkauf von abgefülltem Wasser beruhen auf der mangelnden Versorgung von Trinkwasser in den Entwicklungsländern und einem Marketingphänomen in den westlichen Industriestaaten. Die Motivation der Konsumenten könnte nicht unterschiedlicher sein. Während in den armen Teilen der Welt die Flaschen als einzige sichere Alternative zu verseuchtem Trinkwasser gekauft werden, werden sie in anderen als gesunde Alternative zu gezuckerten Säften erfolgreich vermarktet.
Die Nachfrage scheint ungebremst zu steigen. Das amerikanische Marktforschungsinstitut Canadean geht im kommenden Jahr erneut von einem weltweiten Plus von sechs Prozent bei der Produktion von Wasserflaschen aus.