Montag, 5. September 2011

Die EM und die Medien

Nächstes Jahr findet bekanntlich die EM in Polen und der Ukraine statt - wiedereinmal ohne österreichische Beteiligung - und die Medien stürzen sich schon auf das Thema. Natürlich sind die gefürchteten polnischen Hooligans ein gefundenes Fressen. Der Spiegel hat ihnen eine lange, lange Geschichte gewidmet. Heiliger Krieg in Krakau. Bitte selber lesen:

05.09.2011
 

Hooligans in Krakau

Mit Messern und Macheten

Von Rafael Buschmann, Krakau


Sie sind gewaltbereit, brutal und bewaffnet: Ein Jahr vor der Fußball-EM hat Gastgeberland Polen riesige Probleme mit Hooligans. Besonders hart trifft es die Kulturmetropole Krakau. Zwei verfeindete Gruppen versetzen die Stadt in Angst und Schrecken.

Der kahle Raum hat nur ein kleines Fenster, durch das kaum Licht dringt. Es riecht nach Metall und Schweiß. An einem Regal hängen Dutzende schwerer Äxte, auf einem der Bretter stapeln sich Macheten, sie sind auf Hochglanz poliert. Rechts davon: vier Langschwerter und eine Armbrust. Was wie ein mittelalterliches Waffenarsenal wirkt, ist der Trainingsraum der "Sharks". "Haie", so nennt sich die Hooligan-Bande aus Krakau. Sie sind Anhänger des Erstligisten Wisla Krakau. Hier, in dieser Dunkelkammer, üben sie, wie man kämpft. Einer ihrer Anführer ist Jacek, ein bulliger Mann Ende 20 in Springerstiefeln. Er hat eine Skimaske über sein Gesicht gezogen. Wer sich in dieser Umgebung am Stadtrand Krakaus mit ihm treffen will, muss eine fast einstündige Irrfahrt mit verbundenen Augen über sich ergehen lassen.

Feinde verletzen, ohne sie zu töten
Jacek stapft hinüber zu einem mannshohen Holzblock, der auf Spiralen befestigt und in eine auf dem Boden liegende Betonplatte verschraubt ist. Er verpasst dem Klotz einen Tritt, so dass dieser ins Wippen gerät. Dann greift sich der Hooligan eine Machete und schlägt auf das Holz ein. Feinde zu verletzen, ohne sie zu töten, das würden sie hier trainieren, sagt Jacek, als er die Waffe wieder zur Seite legt. Seine Feinde, das sind die Hooligans von Cracovia Krakau, dem anderen großen Club der Stadt, die Bande trägt den Namen "Jude Gang". In Polen, dem Land, das zusammen mit der Ukraine im kommenden Jahr die Europameisterschaft ausrichten wird, gehören Ausschreitungen im Profifußball zum Alltag: Immer wieder stürmen gewaltbereite Fans den Rasen, sorgen für Spielabbrüche, verwüsten Tribünen und prügeln sogar auf Profis ein. Sicherheitsexperten geben sich zuversichtlich, dass es während der EM in den polnischen Stadien friedlich bleibt. Wer ein Ticket kauft, muss sich ausweisen können. Moderne Überwachungsanlagen in den Arenen von Warschau, Posen, Danzig und Breslau schrecken Straftäter ab. In den Wochen der EM soll es, wie auch beim Freundschaftsspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft am Dienstag (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) in Danzig, so aussehen, als sei Fußball in Polen ein großes, unbeschwertes Fest - auch in der Kultur- und Universitätsmetropole Krakau, die während des Turniers Hunderttausende zusätzlicher Touristen anziehen wird.

Erbitterter Hooligan-Krieg
Tatsächlich gibt es keine andere Fußballhochburg in Europa, in der ein derart gewalttätiger Bandenkrieg zweier Hooligan-Gruppierungen tobt. Krakau ist eine geteilte Stadt. "Jedes Haus, jedes Restaurant, jede Straße gehört entweder zu den 'Sharks', den Hooligans von Wisla, oder zur 'Jude Gang', den Hooligans von Cracovia", sagt die 30-jährige Katarzyna Janiszewska. Die Journalistin der Tageszeitung "Gazeta Krakowska" berichtet seit Jahren über die zunehmende Gewalt und den gegenseitigen Hass in der Szene. Und sie berichtet über die Angst der Einwohner Krakaus. Denn wer in der Stadt wohnt, lernt schnell, in welchem Viertel welcher Mob regiert. Wer es nicht gelernt hat, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Vor acht Jahren wurde ein 17-Jähriger in einem Wisla-Vorort totgetreten, ein 23-Jähriger mit einem Messerstich in die Lunge ermordet. Beide hatten kein offenkundiges Interesse an Fußball, sie trafen nur im falschen Stadtteil auf die falschen Leute. 2006 ritzten vermeintliche Hooligans von Wisla Krakau einem 17-Jährigen mit einem Tapeziermesser ein Hakenkreuz auf den Rücken. Auf einem kleinen Tisch faltet Jacek, der Mann mit der Machete, einen handgemalten Stadtplan auf. Krakaus 18 Stadtbezirke sind noch einmal in 40 Planquadrate unterteilt, 21 davon versieht er mit einem dicken Einstich. Das seien Wisla-Gebiete, sagt er. In die 19 restlichen Planquadrate ritzt der Mann Hakenkreuze: die Stadtteile, die seine Feinde beherrschen, die "Jude Gang" von Cracovia, einem Club, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg offen war für jüdische Spieler. Auf Seite der "Sharks" zählt die Polizei mehr als 600 Mitglieder, der "Jude Gang" gehören mehr als 300 Männer an. Sie führen einen sinnlosen, brutalen Krieg um die Vorherrschaft in Krakau. Das letzte Opfer gab es im Januar. Der Kickboxlehrer Tomasz C., nach Überzeugung der Polizei einer der Anführer der "Jude Gang", fuhr durch den Stadtteil Kurdwanów, eines der am heftigsten umkämpften Viertel, in dem sowohl Cracovia- als auch Wisla-Hooligans leben. Als ein Jeep den 30-Jährigen von der Straße drängte, sprang er aus seinem Wagen und flüchtete. 20 maskierte Männer verfolgten ihn, nur wenige Meter vor seiner Haustür wurde er mit Macheten- und Messerhieben hingerichtet.Die Ermittlungen der Polizei verliefen bislang mühsam. Zwar wurden  Verdächtige verhaftet, aber kaum ein Beschuldigter will sich zu den Vorfällen äußern oder umfangreich aussagen. Das sei der Normalfall bei Ermittlungen, sagt der Krakauer Polizeisprecher Dariusz Nowak. Selbst wenn sie mit Opfern sprechen wollten, würden die Beamten entweder auf eine Mauer des Schweigens stoßen oder müssten sich absurde Erklärungen anhören. Ein Schwerverletzter erklärte den Beamten eine Stichwunde einmal so: "Ich bin auf mein eigenes Messer gefallen." Der Polizeihauptmeister mit den kurz geschorenen Haaren ist mittlerweile im ganzen Land bekannt, weil sein Gesicht immer dann im Fernsehen auftaucht, wenn die Krakauer Hooligans in die Schlagzeilen geraten. "Für mich hat das gar nichts mit Fußball zu tun. Das sind zwei Mafiagruppen, die organisiert und kriminell sind. Und höchst gefährlich." Beide Lager, berichtet Nowak, würden auch den Drogenhandel Krakaus mit Marihuana, LSD, Kokain und Amphetaminen kontrollieren. Nowak sitzt in seinem großen Büro in der Komenda Wojewódzka, der Hauptdienststelle der Krakauer Polizei, und wippt in seinem Stuhl. Dann lehnt er sich plötzlich über seinen Schreibtisch und fragt: "Was soll man gegen solche Leute machen?" Er greift sich ein Blatt Papier und beginnt zu zeichnen. "Sechs Dienststellen beschäftigen sich mit den Hooligans", sagt Nowak, "dazu noch eine Gruppe der Anti-Terror-Organisation, die uns bei der Bekämpfung dieser Überfälle unterstützt." Alles in allem über 60 Beamte, die nichts anderes tun, als den Mob der "Sharks" und der "Jude Gang" in Schach zu halten. Zu jedem Mitglied der Banden gibt es dicke Akten. Beide Lager wachsen schnell, bereits Zwölfjährige werden rekrutiert. Um zu beweisen, dass sie auf der richtigen Seite stehen, müssen die Jugendlichen bei Heimspielen zunächst einmal ihren Mut demonstrieren: Sie sollen Schals und Fahnen der gegnerischen Fans klauen. Dann wird ihnen eingetrichtert, dass sie sich in der Schule für ihren Club prügeln sollen. Wer sich traut, in verfeindete Stadtteile zu fahren und dort Parolen und Symbole an die Häuser zu sprayen, wird schließlich aufgenommen in den Kreis der Soldaten - der untersten Hierarchiestufe der Hooligans

Folter als Aufnahmeritual
Was folgt, ist ein brutales Ritual: das sogenannte Verhör. Die Bosse der Gangs ziehen jedem Novizen eine Plastiktüte über den Kopf, traktieren ihn mit Tritten in den Unterleib und bedrängen ihn, den Lauf einer Pistole an den Schädel gepresst, mit ihren Fragen: Wer hat die Messer besorgt? Wer die Spraydosen? Wer sind die Hintermänner? Nur wer dieser Folter standhält und nichts und niemanden verrät, gehört fortan zum harten Kern. Mitte Mai wurde Wisla Krakau vorzeitig polnischer Fußballmeister, zum 13. Mal in der Geschichte des Vereins. Am gleichen Tag feierte Borussia Dortmund den Titel in der Bundesliga, dort tanzten und sangen fast eine halbe Million Menschen ausgelassen auf den Straßen. In Krakau bejubelt kaum ein Fan von Wisla öffentlich die Meisterschaft. Die meisten haben Hemden über ihre Trikots gezogen und ihre Mützen in Stofftüten gesteckt, nachdem sie das Stadion verlassen haben. Selbst der Marktplatz Rynek in der historischen Altstadt, an dem sonst Scharen von Touristen sitzen, liegt wie ausgestorben in der Nachmittagssonne.

Zweimal im Jahr wird Krakau zur Geisterstadt
Dafür sind 500 Polizisten in Minibussen in der Innenstadt unterwegs, in den Stadtteilen patrouillieren schwer bewaffnete Trupps der Anti-Terror-Einheit. Denn der Gegner beim 1:0-Heimsieg, der Wisla die Meisterschaft brachte, war die Mannschaft von Cracovia. "Für uns die höchste Sicherheitsstufe", sagt Polizeisprecher Nowak. Zweimal im Jahr, zu den Spielen zwischen Wisla und Cracovia, gleicht Krakau einer Geisterstadt. Die Menschen bringen ihre Autos in Sicherheit, verrammeln die Geschäfte und meiden die Straße. Die Hooligans der "Sharks" und der "Jude Gang" treffen sich an Derby-Tagen zu Schlägereien im Stadtzentrum. Diesmal haben die Sicherheitskräfte die Innenstadt komplett abgeriegelt. Jacek sitzt auf dem Gelände der Jagiellonen-Universität. Mit fünf Kumpels trinkt er Bier und Wodka, sie rauchen Joints. "Heute passiert hier gar nichts. Keine Randale, kein Ärger, zu viele Bullen", sagt einer. Auf dem Gelände der Uni sind sie sicher vor Kontrollen, hier patrouilliert die Polizei nicht.

Feinde verprügeln oder verscheuchen - darum geht es
Als es nach dem Spiel dunkel wird, brechen sie auf zu einer Jazda, wie sie es nennen - einer Menschenjagd. Mit einem alten VW-Bus fahren die Männer zur Straße Jana Zamoyskiego, sie liegt in einem Stadtteil, der von den Cracovia-Hooligans kontrolliert wird. Im Auto ziehen sie sich Skimasken und Handschuhe über. Wieder dieser Geruch: Metall und Schweiß. Einer muss ständig husten, ein anderer reicht ihm einen Beutel mit Kokain, sie ziehen sich den Stoff vom Zeigefinger in die Nase. Jacek holt einen braunen Sack unter der Sitzbank hervor. Jeder nimmt sich eine Machete heraus. An einer Eckstraße wartet ein zweiter Bulli, der ihnen langsam folgt. Dann geht es ganz schnell. Die insgesamt acht Männer reißen die Hintertüren auf, springen aus den VW-Bussen und rennen etwa 30 Meter auf eine Gruppe Jugendlicher zu, die auf einer Parkbank vor einem Plattenbau sitzt. Die Attackierten erblicken den Mob und sprinten davon. Die "Sharks" stoppen ihre Verfolgung nach wenigen Metern, das Martinshorn eines Polizeiwagens ist zu hören. Sie rennen zurück zu ihren VW-Bussen, schlagen die Türen zu und reißen sich die Skihauben von den verschwitzten Köpfen. Darum geht es: Feinde zu verprügeln oder zu verscheuchen, neues Territorium zu erobern. So lange, bis auf Jaceks Stadtplan alle Gebiete den "Sharks" gehören. Es geht nicht um Fußball, sondern um die Lust an der Gewalt. Die Männer im Bus klatschen sich ab. Blut ist heute nicht geflossen - aber eine neue Parkbank wurde erobert.