Dienstag, 7. Januar 2014

Die Sache mit dem Kleingedruckten

06.01.14

Meilen-Aktion

Endlos Freiflüge – mit einem simplen Trick erkauft

Er las das Kleingedruckte bei einer Supermarkt-Aktion und kaufte daraufhin für 3000 Dollar Schokopudding. Wie "The Pudding Guy" David Phillips einen Lebensmittelhersteller und eine Airline vorführte.Von Hannes Stein


Pudding (und Flugtickets) ohne Ende: David Phillips mit seiner Frau Cindy und den Töchtern Kate (l.) und Emma. Mit regelrechten Hamsterkäufen von Schokopuddingpackungen sammelte der Kalifornier Wertbons und löste sie für mehr als 1,2 Millionen Gratis-Meilen ein
Foto: Acey Harper//Time Life Pictures/Getty ImagesPudding (und Flugtickets) ohne Ende: David Phillips mit seiner Frau Cindy und den Töchtern Kate (l.) und Emma. Mit regelrechten Hamsterkäufen von Schokopuddingpackungen sammelte der Kalifornier Wertbons und löste sie für mehr als 1,2 Millionen Gratis-Meilen ein
Haben Sie jemals etwas ganz Tolles im Internet gekauft, sagen wir, ein Datenpaket, das ganz von allein Ihre Steuererklärung ausfüllt, Ihre Festplatte entschlackt und dann noch 1001 wunderbare Backrezepte weiß, und all das zum sagenhaften Preis von 14,99?
Und haben Sie sich hinterher gewundert, weil jeden Monat 2,51 von Ihrer Kreditkarte abgebucht wurden? Weil sie nämlich, als Sie mit einem Mausklick den Geschäftsbedingungen zugestimmt haben, Mitglied eines Klubs geworden sind, dessen Daseinszweck im Wesentlichen darin besteht, den Erfindern jenes Datenpakets monatlich 2,51 zu überweisen?
Haben Sie also – mit einem schreckenerregenden Wort – das Kleingedruckte nicht gelesen? Und haben Sie sich hinterher die Glatze gerauft, die Fäuste geballt und den Kapitalismus verflucht? Nicht so eilig. Ihnen (und uns allen) ist längst ein Rächer erstanden.
Das Kleingedruckte in Geschäftsverträgen ist gottlob ein zweischneidiges Schwert: Es richtet sich uns, wenn es von windigen Geschäftsimperien gehandhabt wird, die ihre Fantastilliarden auf den Cayman-Inseln verstecken – aber mitunter schneidet sich Großkonzerne auch selbst ins Fleisch: Man kann sie mit ihrer eigenen Waffe schlagen. Denn das einzige, was gegen den Kapitalismus hilft, ist, wenn man selbst zum Kapitalisten wird.
Auftritt David Phillips. Mr. Phillips ist ein Bauingenieur, der in Kalifornien an der Universität unterrichtet. Und er gehört zu jenen Leuten, die überhaupt keine Angst vor winzigen Buchstaben haben. Es ist jetzt schon eine Weile her – 1999 nämlich –, da lieferte David Phillips (Jahrgang 1964) sein Husarenstück.

500 Flugmeilen für zehn Strichcodes

Ihm fiel auf, dass Healthy Choice – eine Firma, die gefrorene und abgepackte Fertigmahlzeiten auf den Markt bringt – mit einem Sonderangebot warb. Wenn jemand zehn Strichcodes von einem ihrer Produkte einsandte, bekam er dafür 500 Flugmeilen gratis. Wer es allerdings schaffte, diese zehn Strichcodes innerhalb des ersten Monats nach dem Bekanntwerden der tollen Werbemaßnahme einzusenden, der bekam sogar das Doppelte, nämlich 1000 Flugmeilen.
David Phillips machte sich sofort zu den Supermärkten in seiner Umgebung auf, um zu erkunden, bei welchem Produkt er zwecks Flugmeilenhortung am wenigsten bezahlen musste, und kam auf Schokoladenpudding. Dieser wurde in einem Supermarkt in seiner Nähe für 25 Cent pro Plastikbecher mit Wabbelzeugs feilgeboten. Die Rechnung war nicht schwer: Für zweieinhalb Dollar bekam er also 1000 Flugmeilen.
David Phillips begann, den gesamten Schokoladenpudding aufzukaufen. Damit nur ja niemand auf denselben Trichter kam, erfand er eine Deckgeschichte: Zum Glück war dies just das Jahr, in dem tout le monde sich davor fürchtete, dass alle Computer der Welt Schlag Mitternacht ihre Geister aufgeben würden, weil eine Jahreszahl mit drei Nullen sie überfordern werde. Der Bauingenieur aus Kalifornien behauptete also, er decke sich mit Schokoladenpudding für die Eventualität eines Weltuntergangs ein.
Insgesamt kaufte er Schokoladenpudding im Wert von 3000 Dollar. Gegenwert: 1.200.000 Gratisflugmeilen. Allerdings musste er zunächst einmal die Haftetiketten von den Plastikpuddingbechern entfernen, damit er die Strichcodes an die Firma "Healthy Choice" schicken konnte. David Phillips sagte hinterher aus, er und seine Frau und seine Kinder hätten Blasen an den Fingern gehabt, während der Stichtag am Monatsende teuflisch näher rückte.

Die Idee mit der Heilsarmee

Da kam ihm die rettende Idee: Er spendierte den Schokoladenpudding der Heilsarmee – unter einer Bedingung: Die Heilsarmee musste die Etiketten entfernen. Dies galt als wohltätige Spende, so dass David Phillips am Ende des Jahres 800 Dollar vom Fiskus zurückfordern konnte.
Insgesamt konnte er am Ende 1.280.000 Gratisflugmeilen auf seinem Konto verbuchen. (Es waren ein paar mehr als jene, die er dem Schokoladenpudding verdankte, weil er am Anfang Dosensuppen für 90 Cent pro Stück erworben hatte, bis ihm auffiel, dass sich das für ihn nicht rechnete.)
Damit qualifizierte er sich zur Aufnahme in eine Vielflieger-Institution, den "American Airlines AAdvantage Club", das heißt, er und seine Familie werden künftig bei jedem Flug mit Vergünstigungen überschüttet. Aber das ist noch nicht alles. Es ist noch nicht einmal das Beste: David Phillips wird aller Voraussicht nach nie mehr im Leben für eine Flugreise bezahlen müssen. Er gewinnt nämlich bei jedem Flug neue Gratismeilen dazu – wenn er es geschickt anstellt, fünf Mal schneller, als er sie ausgibt.
Heute nennt er ungefähr vier Millionen Gratismeilen sein eigen. All dies für 3000 Dollar; oder 2200 Dollar, wenn man die 800 Dollar Steuerersparnis subtrahiert. Kein schlechter Schnitt.
Wir aber sollten David Phillips ein Denkmal aus purem Gold setzen. Erstens, weil er als Stellvertreter uns alle gerächt hat, die wir nicht auf das Kleingedruckte achten und dann böse auf die Nase fallen; und zweitens, weil er mit seiner Mischung aus Pfennigfuchserei, Fantasie und schierer Chuzpe ein leuchtendes Vorbild ist, dem nachzuahmen jeder Mensch strebend bemüht sein sollte.