»AACHEN ULTRAS«: EIN JAHR OHNE ALEMANNIA
Vor ziemlich genau einem Jahr besuchten die »Aachen Ultras« zum vorerst letzten Mal ein Spiel von Alemannia Aachen. Beim Auswärtsspiel bei Viktoria Köln wiesen sie auf etlichen Spruchbändern darauf hin, dass sie sich bei den zahlreichen Anfeindungen und Angriffen von rechten Ultras und Hooligans vom Verein und dem Fanprojekt im Stich gelassen fühlten. Ein Jahr nach ihrem Rückzug blicken sie im Interview auf dieses Spiel und ihre aktive Zeit im Stadion zurück, schauen aber auch auf die Entwicklungen außerhalb des Tivoli.
Am 12. Januar 2013 hat eure Gruppe zum letzten Mal ein Spiel von Alemannia Aachen besucht. Wie seht ihr heute, fast genau ein Jahr später, den Rückzug aus den Stadien und das letzte von euch besuchte Spiel?
Es hat eine ganze Weile gedauert, sich der Konsequenz dieses Rückzugs für die Gruppe, aber auch für sich selbst, bewusst zu werden. Und vielleicht hat auch noch nicht jeder diesen Prozess abgeschlossen. Für viele von uns endete mit diesem Tag ein Lebensabschnitt und für die Zukunft bedeutete die Entscheidung auch, dass ein Inhalt, der jeden einzelnen täglich beschäftigt hat, nun nicht mehr vorhanden war. Vor allem die banalen organisatorischen Dinge fielen weg. Auf der anderen Seite ist sicher auch eine Belastung entfallen, die man Monate lang mit sich herumtrug und die sich auf die Bewältigung alltäglicher Aufgaben ausgewirkt hatte. Der Entschluss war gewissermaßen Fluch und Segen zugleich.
Es besteht dennoch Konsens darüber, dass der Schritt notwendig und richtig war. Bei Alemannia Aachen waren wir an einem Punkt, an dem wir nicht mehr weiterkamen. Durch das letzte Spiel mit dem inhaltlichen Fokus auf die vorangegangenen zwei Jahre, kommuniziert durch Spruchbänder und unser Infozine »Mullejan«, haben wir eine Flut von Beiträgen in verschiedenen, auch überregionalen, Medien ausgelöst. Wir konnten so nicht nur Verständnis für unsere Situation schaffen, sondern haben auch einen Beitrag zum Anstoß einer Diskussion geleistet.
In der Diskussion sind derzeit deutschlandweit gleich mehrere Konflikte mit rechten Fans, Ultras und/ oder Hooligans zu beobachten. Gibt es Parallelen zu den Konflikten in Aachen?
Natürlich gibt es klare Parallelen zur Situation in Aachen. Hooligans scheinen in der Kurve eine kleine Renaissance zu erleben. Dabei kommt der Situation innerhalb der jeweiligen Fan- und Ultraszene eine besondere Bedeutung zu. Eine vereinte »Szene« ist vielen Gruppen wichtiger als eine inhaltliche Entwicklung und vereinsübergreifende Vernetzung, um Themen zu analysieren, zu diskutieren und zu bearbeiten. Diese Entwicklung begann in Aachen vor dreieinhalb Jahren, als die »Karlsbande« nach der Abspaltung von unserer Gruppe eine Entwicklung zu einer vereinten Kurve anstrebte und sich unpolitisch darstellte. Indem Nazis wieder in der »Ultraszene« geduldet wurden, sicherte sie sich auch die Schlagkraft der Hooligans. Wir glauben, dass den derzeitigen öffentlichen Beispielen um Braunschweig und Duisburg weitere folgen werden, da die Entwicklung sich in manchen Stadien ähnlich gestaltet.
Beobachtet ihr weiterhin die Fanszene von Alemannia Aachen? Wie nehmt ihr die Alemannia-Fanszene heute wahr?
Natürlich beobachten wir weiterhin alles rund um Alemannia Aachen mit größtem Interesse und versuchen weiterhin, in der Stadt auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen.
Die Situation innerhalb der Fanszene gestaltet sich von außen betrachtet als sehr kompliziert.
Auf der einen Seite können wir eine Veränderung der Hooliganszene in Aachen beobachten und eine Vernetzung mit Hooligans anderer Vereine feststellen, was uns durchaus nachdenklich stimmt. Auf der anderen Seite erkennen wir bei der »Karlsbande« eine gewisse Inaktivität und längst nicht mehr den Zuspruch, den die Gruppe noch zur Gründungszeit bekam. Außerdem fällt auf, dass bei Neonazis aus anderen Teilen Deutschlands Interesse an Alemannia Aachen geweckt wurde. So ist es auch zu erklären, dass führende Mitglieder des »Freien Netz Süd« am 2. November 2013 das Spiel von Alemannia Aachen gegen Rot-Weiß Oberhausen nachweislich besuchten und es sich nachher nicht nehmen ließen, eine Demonstration für die Geflüchteten von Lampedusa in der Aachener Innenstadt anzugreifen. Anbei sei bemerkt, dass die Neonazis des »Freien Netz Süd« nicht irgendwo saßen oder standen, sondern in unmittelbarer Nähe zur »Karlsbande«.
Leider ist diese Duldung von Neonazis kein Einzelfall, aber sicherlich ein Paradebeispiel, wie die »Karlsbande« mit Neonazis umgeht. Eine klare Distanzierung von Personen mit faschistischem und diskriminierendem Gedankengut ist nicht zu erkennen. Es bleibt zu hoffen, dass bei jungen Menschen in ihrem Umfeld ein Umdenken, eine Reflektion des eigenen Handelns und eventuell eine Neuorientierung stattfindet. Vielleicht lernen andere aus unseren Fehlern und können das Ruder rumreißen.
Die Situation innerhalb der Fanszene gestaltet sich von außen betrachtet als sehr kompliziert.
Auf der einen Seite können wir eine Veränderung der Hooliganszene in Aachen beobachten und eine Vernetzung mit Hooligans anderer Vereine feststellen, was uns durchaus nachdenklich stimmt. Auf der anderen Seite erkennen wir bei der »Karlsbande« eine gewisse Inaktivität und längst nicht mehr den Zuspruch, den die Gruppe noch zur Gründungszeit bekam. Außerdem fällt auf, dass bei Neonazis aus anderen Teilen Deutschlands Interesse an Alemannia Aachen geweckt wurde. So ist es auch zu erklären, dass führende Mitglieder des »Freien Netz Süd« am 2. November 2013 das Spiel von Alemannia Aachen gegen Rot-Weiß Oberhausen nachweislich besuchten und es sich nachher nicht nehmen ließen, eine Demonstration für die Geflüchteten von Lampedusa in der Aachener Innenstadt anzugreifen. Anbei sei bemerkt, dass die Neonazis des »Freien Netz Süd« nicht irgendwo saßen oder standen, sondern in unmittelbarer Nähe zur »Karlsbande«.
Leider ist diese Duldung von Neonazis kein Einzelfall, aber sicherlich ein Paradebeispiel, wie die »Karlsbande« mit Neonazis umgeht. Eine klare Distanzierung von Personen mit faschistischem und diskriminierendem Gedankengut ist nicht zu erkennen. Es bleibt zu hoffen, dass bei jungen Menschen in ihrem Umfeld ein Umdenken, eine Reflektion des eigenen Handelns und eventuell eine Neuorientierung stattfindet. Vielleicht lernen andere aus unseren Fehlern und können das Ruder rumreißen.
Damals habt ihr, genau wie viele externe Beobachter auch, der Vereinsführung vorgeworfen, nicht genug gegen rechte Fans getan zu haben. Hat sich eurer Meinung nach im Verein etwas bewegt?
Sofern man unter »dem Verein« die Verantwortlichen und das Fanprojekt versteht, muss konstatiert werden, dass man hier immer noch nach demselben Schema wie vor unserem letzten Spiel handelt. Es wird versucht, mit oberflächlichen Aktionen das Image des Vereins reinzuwaschen und so eine Positionierung zu erreichen, die aus unserer Sicht jedoch völlig unzureichend ist. Eine Fahrt zur KZ-Gedenkstätte Dachau wurde öffentlich als »Erlebnistour« beworben und mit einer Rafting-Tour kombiniert. Jugendspieler der Alemannia belegen im Rahmen der Aktion »Sport macht stark für Toleranz und Vielfalt« einen Tanzkurs unter dem Motto »Dem Radikalismus keine Chance«, wie neulich der Presse zu entnehmen war. Durch die wissenschaftlich fragwürdige Radikalismus-Doktrin und somit einer Nichtbenennung der Tätergruppe kann fadenscheinig das eigene Image in der Öffentlichkeit verbessert werden. Durch eine Erlebnistour mit Rafting erhält der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau den Charakter einer Klassenfahrt. Man schafft es scheinbar elegant, die tatsächlich vorhanden Probleme nicht zu berühren, somit keinen nötigen Konflikt einzugehen und sich gleichzeitig in einem guten Licht zu präsentieren. Von einem ernstgemeinten und fundierten Versuch, die Verhältnisse am Tivoli zu ändern, ist die Vereinsführung und das Fanprojekt leider genauso weit entfernt, wie schon vor einem Jahr. Man scheint nichts dazugelernt zu haben.
Hat sich denn im Vereinsumfeld etwas getan?
Im Umfeld des Vereins ernteten antisemitische Äußerungen im »Karlsbande«-Fanzine »Banderole« tatsächlich scharfe Kritik. Leider bleibt es hier meistens bei den Worten. Stattdessen scheint die Aufgabe, ehrenamtlich Bier- und Würstchenbuden zu besetzen, in den Vordergrund gerückt zu sein, nachdem bisheriges Personal wegen der angespannten Finanzsituation entlassen wurde.
Was wünscht ihr euch von Alemannia Aachen, dem Fanprojekt und von den anderen Alemannia-Fans?
Was wir fordern, ist, dass endlich Diskriminierung im Stadion durch klare Positionierung thematisiert und nicht länger geduldet wird, und zwar weder von den Verantwortlichen des Vereins noch von der Fanszene und erst recht nicht dem Fanprojekt. Die Zusammenarbeit mit Gruppierungen, die klar Neonazis in ihren eigenen Reihen haben oder dulden, muss aufhören. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit inzwischen mehr als dreißig Jahre alten Neonazistrukturen am Tivoli und mit Folgen für die ganze Region Aachen müssen aufgearbeitet werden. Der Verein hat die Möglichkeit, sich hier mithilfe der Vorgaben des Fußballverbandes Mittelrhein, des DFB sowie der konsequenten Anwendung der Stadionordnung durchzusetzen und die Fanszene muss klar auf rechte Strukturen und Tendenzen hinweisen und Eigeninitiative ergreifen und es nicht bei Worten belassen. Das Fanprojekt muss seinem Auftrag nachkommen, sozialpädagogische Arbeit in der Kurve zu leisten und entsprechend zu reagieren und zu intervenieren, wenn rechte Tendenzen auftreten. Die von uns vorgeschlagene Antidiskriminierungs-AG kann hier ein wirksames Mittel sein, auch Fans einzubinden und eine öffentliche Plattform darzustellen. Der alleinige Kauf einer Playstation für das Fanprojekt und die einmalige Veranstaltung einer »Erlebnistour« sind hier definitiv zu wenig.
Würdet ihr nochmal ins Stadion zurückkehren, um die Alemannia zu unterstützen? Was wäre dafür notwenig?
Es gibt sicher einzelne, die sich das vorstellen könnten, auch wenn es derzeit utopisch erscheint. Andere haben sich jedoch während der letzten Jahre und vor allem nach unserem Rückzug vom Verein derart distanziert, dass damit nicht zu rechnen ist. Man soll ja bekanntlich niemals nie sagen, aber ein Jahr heilt längst nicht alle Wunden. Derzeit ist es mindestens zu früh, über einen Neustart im Stadion zu diskutieren. Die zuvor genannten Forderungen müssten dafür jedoch definitiv erfüllt sein.
Viele Medien berichteten nach dem Spiel bei Viktoria Köln fälschlicherweise über die Auflösung der »Aachen Ultras«. Inwiefern besteht die Gruppe heute noch? Wie kann ich mir eine Ultragruppe ohne Fußballverein vorstellen?
Die Entwicklung unserer Gruppe ist nach wie vor offen. Anfangs hatten wir die Vorstellung, ein vergleichbar verbindendes Element zu finden, wie es vorher der gemeinsame Stadionbesuch war. Denkbar war und ist auch »Aachen Ultras« als eine Art Dachverband über verschiedene Projekte zu gestalten. Einige konnten sich ein Gruppenleben ohne Fußball von Anfang an nicht vorstellen und haben ihre Schwerpunkte auf andere Lebensbereiche verlagert. Erfreulicherweise pflegt der größte Teil der Gruppe untereinander und auch mit unserem Umfeld nahezu unverändert Kontakt, was die zwingende Notwendigkeit einer Aktivität im Stadion zumindest in Frage stellt. Nicht mehr ins Stadion zu »müssen«, bedeutet die Freiheit vom Spieltag, bedeutet mehr Freiheit und trotzdem bedeutet es auch, dass man sich gegenseitig öfter einen Ruck geben muss. Derzeit betreibt ein Teil der Gruppe Vernetzungsarbeit in andere Städte und Kurven und versucht, an Projekten und Netzwerken zu partizpieren oder selber Projekte mit anderen Gruppen und Initiativen im Fußballkontext und außerhalb anzustoßen.
Das von einem kleinen Teil unserer Gruppe getragene Projekt »Triangles« gab es vorher schon und pflegt eine gewisse künstlerische Autonomie. Obgleich es bisweilen als Sprachrohr der Gruppe erscheinen mag, greift dieser Eindruck zu weit. Wir haben die ein oder andere Idee noch im Kopf, die darauf wartet, endlich angepackt zu werden.
Das von einem kleinen Teil unserer Gruppe getragene Projekt »Triangles« gab es vorher schon und pflegt eine gewisse künstlerische Autonomie. Obgleich es bisweilen als Sprachrohr der Gruppe erscheinen mag, greift dieser Eindruck zu weit. Wir haben die ein oder andere Idee noch im Kopf, die darauf wartet, endlich angepackt zu werden.
Wir bedanken uns herzlich für das Interview und wünschen »Aachen Ultras« alles Gute für die Zukunft!