Dienstag, 21. Januar 2014

Mit dem Fes auf dem Kopf für Österreich-Ungarn

Ab 1881 wurden Bosnier für die k. u. k. Armee rekrutiert - Die Verwaltung war bedacht, Muslime mit Respekt zu behandeln

Sie standen mit dem Koran in der Hand, der Imam verlas den Eid: "Ich schwöre dem allmächtigen Gott, dass ich seiner Höhe, dem Kaiser und König Franz Joseph dem Ersten treu sein werde, und dass ich alle Befehle meiner Übergeordneten und Höheren befolgen werde, sogar wenn dies lebensgefährlich ist". Die Soldaten der k. und k. Armee antworteten mit "Valahi bilahi" – "Ich schwöre bei Gott."
Die Geschichte der bosnisch-herzegowinischen Soldaten innerhalb der k. und k. Armee ist aus mehrerlei Gründen besonders. Erstens wurden muslimische Soldaten in die Armee integriert, die auch eine besondere Beziehung zur Hohen Pforte hatten. Es galt also diese beiden Welten zu verbinden. Zweitens aber, zeigten gerade die bosnischen Soldaten besondere Loyalität und Kampfbereitschaft für die Monarchie, obwohl sie erst wenige Jahre zuvor Teil davon geworden waren und obwohl viele gegen die Okkupation 1878 – insbesondere die Muslime- heftigen Widerstand mit Waffen geleistet hatten. Drittens spiegelten die bosnisch-herzegowinischen Truppen im Ersten Weltkrieg den Identitäts-Konflikt des Landes wider. Denn die Mehrheit der bosnischen k. und k. Truppen waren bosnische Serben, die teilweise gegen ihre Nachbarn aus Serbien kämpfen mussten.
Zu Kriegsbeginn wurden die damals etwa 1000 rekrutierten bosnischen auch Serben gefragt, ob sie jenseits der Balkanfront eingesetzt werden wollen, um nicht in einen Loyalitätskonflikt zu geraten. Doch nur 20 von ihnen äußerten auch diesen Wunsch. Allerdings nahm die Loyalität der bosnischen Serben mit den Kriegsjahren ständig ab. Tausende bosnische Serben wurden zudem von der k. und k. Verwaltung in Lagern, etwa in Arad im heutigen Rumänien als "politisch Verdächtige" interniert.
Die Rekrutierung der Bosnier begann 1881, drei Jahre nach der Okkupation mittels eines Militärgesetzes. Laut den ersten Musterungsergebnissen von 1882 wurden 253 Muslime, 614 Orthodoxe, 461 Katholiken und 6 Juden rekrutiert. Allerdings nannte die k. und k. Verwaltung alle diese Bosnier einfach "Bosniaken".
Wien wollte damit auch ein Zeichen gegenüber den Muslimen setzen und gleichzeitig nationalistische Bestrebungen seitens Kroatiens und Serbiens unterlaufen. "Leutnant Gustav Thoemel, ein guter Kenner der Lage auf dem Balkan, setzte sich dafür ein, dass die Moslems der Halt sein sollen, weil er der Meinung war, dass sie eine bessere Komponente seien und ein höheres kulturelles Niveau hätten. Außerdem fand er, dass ihre Distanziertheit überwiegen werde, solange man ihnen die bestehenden Privilegien und die Gleichberechtigung der Religionen und des Kults sichert, genauso wie die Gleichberechtigung, die durch das Gesetz geregelt wird", schreibt der bosnische Historiker Zijad Šehić in seinem Buch "In den Tod für den Kaiser und das Vaterland".
Tatsächlich meinte der osmanische Gesandte in Wien, Edhem-Pascha 1881 gegenüber Außenminister Gustav Sigmund Graf Kálnoky von Kőröspatak, dass es dem Sultan "unbehaglich" sei, wenn die bosnisch-herzegowinischen Rekruten dem Kaiser einen Eid leisten sollten. Der Eid wurde also angepasst, die Muslime leisteten ihn getrennt von den anderen bosnischen Soldaten. Das Versprechen gegenüber Gott wurde zudem an die Pflichten gegenüber dem Kaiser gekoppelt, um die Loyalität zur Monarchie zu stärken. "Die Religion war wichtig für die Moral", erklärt Šehić die besondere "Kaisertreue" der bosnischen Soldaten, von denen viele etwa in Lemberg im September 1914 oder an der italienischen Front am Monte Meletta 1916 verstarben. Die bosnischen Regimenter erhielten auch außergewöhnlich viele Auszeichnungen und galten deshalb auch als Eliteeinheiten.
Die k. und k. Verwaltung war bedacht, dem Islam respektvoll zu begegnen. Der Freitag wurde für die Muslime für Erholung freigehalten, genauso wie drei Tage des Ramadan-Bairam und vier Tage des Kurban-Bairam. Muslimischen Soldaten wurde zudem erlaubt, ihr Essen getrennt zubereiten und die Lebensmittel selbst kaufen, ihnen wurde neues Geschirr mit Erkennungszeichen zur Verfügung gestellt. Außerdem wurde geregelt, dass sie kein Schweinefleisch, kein Schmalz und keinen Wein bekommen sollten.
Anfangs trugen nur die Muslime den dunkelroten Fes mit der Quaste, später alle Mitglieder der bosnischen Regimenter, auch die österreichischen Staatsbürger. Die Quaste war schwarz, aus Schafwolle und 18,5 Zentimeter lang. Sie sollte "nach hinten gedreht" werden, wie Šehić schreibt. "Auch wenn man ein deutschsprachiger oder ein ungarischer Offizier war, hat man das Fes stolz getragen", sagt auch die Wiener Historikerin Tamara Scheer. Ansonsten waren die bosnischen Soldaten mit einer hellblauen "türkischen" Hose und Gamaschen bekleidet.
Selbst alte Loyalitäten zum Osmanischen Reich wurden respektiert. Vom Militärdienst waren etwa all jene befreit, die zuvor bei osmanischen Truppen gedient hatten, sowie muslimische Seelsorger, Lehrer, Ärzte, Tierärzte und Apotheker. Auch Söhne, Schwiegersöhne und Enkeln von Personen über 70, die versorgt werden mussten, wurden nicht eingezogen. Für die Seelsorge im Ersten Weltkrieg wurden dann neben katholischen und orthodoxen Priestern, auch 120 Hodschas eingesetzt. Auch die Usance, sich vom Militärdienst "freikaufen" zu können – heute würde man dies wohl Korruption nennen – übernahmen die Österreicher von den Osmanen. Mittels der "Bedeja" konnte man einen Ersatzsoldaten nennen, der die Pflicht übernahm.
Die Form der Rekrutierung war originell – eine dritte Variante neben Berufsheer und der Wehrpflicht sozusagen: Die Soldaten wurden nämlich ausgelost. Šehić: "Bei der Rekrutierung wurden Kärtchen mit Zahlen gezogen und dann traten die Rekruten, die man gezogen hatte, eine ärztliche Untersuchung an, bei der über ihre Wehrdienstfähigkeit entschieden wurde. Als man genügend Rekruten hatte, betrachtete man die Rekrutierung als beendet."
Die Voraussetzung war: Man musste mindestens 155,4 Zentimeter groß sein. Die Ausbildung bei der Armee dauerte drei Jahre. "Einige Jahre war die Rekrutierung schwierig", sagt Šehić zum Standard. Denn 90 Prozent der Soldaten waren Bauern und die brauchte man gerade im Sommer auf dem Feld. Zunächst mussten die Bosnier "auf die Pferde aufpassen", die dem Staat gehörten, erst nach Jahren der Ausbildung wurden sie in die k. und k. Armee integriert.
Im August 1890 hatte das Infanteriebataillon Nummer Eins, das mit dem Dampfer nach Triest und weiter mit der Eisenbahn nach Wien gekommen war, erstmals an der Geburtstagsparade des Kaisers auf der Schmelz teilgenommen. Als "Belohnung" wurden die bosnischen Soldaten "als Hauptwache vor der Hofburg" aufgestellt. Ab 1891 wurden die bosnischen Soldaten dann ins innere der Monarchie entsandt, vier Regimenter leisteten in Graz, in Wien und in Budapest ihren Dienst. Ihr Gehalt war laut Šehić sehr gering. Allerdings hatten die Soldaten Aufstiegschancen, wenn sie etwa die Offiziersschule besuchten. In Sarajevo selbst gab es bis 1914 ein Militärknabenpensionat.
Rechtlich betrachtet waren die bosnischen Truppen aber zunächst nicht Teil der Armee – Bosnien-Herzegowina wurde ja erst 1908 offiziell annektiert. Laut der ungarischen Gesetzgebung wurden sie wie ausländische Militärkräfte angesehen. Deshalb bedurfte es eines besonderen Gesetzes 1891, das ihre Dislozierung ermöglichte. Erst 1912 wurde das Militärgesetz an den Rest der Monarchie angeglichen.
Um sich zu verständigen, wurde in den bosnischen Regimentern als Kommandosprache Deutsch verwendet. Doch dieses "Deutsch" umfasste bloß achtzig Worte. Die Bosnier selbst verwendeten untereinander die "Landessprache", wie die Sprache offiziell hieß, um Nationalismen vorzubeugen. Erst 1907 wurde sie "Serbokroatisch" genannt. Als dritte Sprache wurde "eine ungewöhnliche Mischung aus verdrehten Versionen der Landessprache, der deutschen und der ungarischen Sprache gesprochen, abhängig von der Struktur des Offizierskörpers", erzählt Šehić dem Standard.
Insgesamt wurden 291.498 bosnisch-herzegowinische während des Ersten Weltkriegs eingezogen - das entsprach 16,2 Prozent der Bevölkerung. Während des Kriegs wurde das Alter der Rekrutierung bis zum 55. Lebensjahr angehoben. Zugelassen waren allerdings nur jene, die beweisen konnten, dass sie in Bosnien-Herzegowina geboren waren – und einige wenige Albaner. Der Grund: Es meldeten sich auch Männer aus anderen Teilen Osmanischen Reich, die beim "Heiligen Krieg" dabei sein wollten.
Zunächst mussten viele Bosnier in Galizien an der Ostfront kämpfen, ab Mitte 1915 an der italienischen Front. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Soldaten desertierten – allen voran bosnische Serben -  die natürlich auch Loyalitäten zu Serbien und Montenegro hatten. Man flüchtete aber vor allem aus schierer Verzweiflung. Manche spritzten sich Gift, um dem Tod an der Front zu entkommen. Manche versuchten sich um 30 bis 80 Kronen gefälschte Dokumente zu kaufen. Zu Ende des Kriegs setzte die Monarchie vermehrt Detektive ein, um die Deserteure zu finden. Ab Mai 1918 wurden alle verfolgt, die Kriegsdienstverweigerern Unterschlupf gewähren.
Wer desertierte und aufgegriffen wurde, musste jenem eine "Belohung" zahlen, der ihn gefunden hatte. Auch ein Strafdienst musste absolviert werden. Bei dreimaligem Verstoß wurde "Tod durch Erschießen" angeordnet. Insbesondere der Hunger und die Erkrankungen der Soldaten unterminierten die Bindung zu Wien. Šehić schreibt über die tausenden schwer kranken Soldaten, die durchschnittlich noch 50 Kilo wogen, manche von ihnen hatten Malaria. Die Fiebernden stellten sich in den Wind, um ihre Kleider zu trocknen. Offiziell starben 10.000 bosnische Soldaten im Ersten Weltkrieg, doppelt so viele blieben vermisst, über 18.000 wurden gefangen genommen und etwa 50.000 verletzt. Anderen Quellen zufolge kamen mindestens 38.000 bosnisch-herzegowinische Soldaten ums Leben, viele von ihnen waren aus Banja Luka, aus Srebrenica und aus Mostar.
An der Eisenbahnstation im nordbosnischen Lukavac sangen die Soldaten am 1. Juli 1918: "Kaiser Karl und Kaiserin Zita, kämpft nicht, wenn ihr kein Getreide habt, haltet euch von Wilhelms Herrschaft fern." (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 20.1.2014)
Eine zeitgenössische Postkarte zeigt Kämpfe bosnischer Soldaten in den Reihen der k. u. k. Armee gegen serbische Truppen im Ersten Weltkrieg.
Der Soldatenfriedhof für Gefallene des Ersten Weltkriegs in Lebring südlich von Graz. Die oberen Teile der Grabsteine für die Muslime sind dem Fes nachempfunden.
Gedenkstein ebendort.