MÜNCHEN
Verübte eine rechte Terrorgruppe das Attentat auf das
Oktoberfest?
Akten des BND und Spurenakten der Polizei zum Anschlag auf
das Oktoberfest 1980 zeigen neue brisante Details. Wird das Verfahren wieder
aufgenommen? VON TILL RÜGER
Was geschah wirklich am 26. September 1980 am Haupteingang
des Oktoberfestes in München? Auch nach 33 Jahren ist noch unklar, was genau
sich hinter dem größten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik
verbirgt. Um 22:19 Uhr explodierte damals in einem metallenen Papierkorb eine
zur Bombe umgebaute Mörsergranate. Eine Stichflamme schoss in den Himmel,
Metallsplitter prasselten auf die Festbesucher nieder. 13 Menschen starben, 213
wurden verletzt.
War dieser Anschlag das Werk eines Einzeltäters, wie es der
Abschlussvermerk der damals ermittelnden Sonderkommission der bayerischen
Polizei und des Generalbundesanwaltes nahelegt? Oder stand doch eine
rechtsextremistische Terrorgruppe dahinter, wie Journalisten vermuten, die sich
über Jahre mit dem Geschehen beschäftigten? Wurde in alle Richtungen ermittelt?
Bis heute wirft der Fall zahlreiche Fragen auf.
Doch jetzt könnten sich einige Antworten finden. Der
Opferanwalt Werner Dietrich und Journalisten des Bayerischen Rundfunks haben
Einsicht in Akten genommen, die der Öffentlichkeit 30 Jahre lang verschlossen
geblieben waren, die sogenannten Spurenakten. Erste Hinweise daraus könnten
dazu beitragen, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Das hatte der
bayerische Landtag schon 2011 in einem überparteilichen Beschluss gefordert.
Doch die Generalbundesanwaltschaft sah bislang keine neuen Beweise oder
Tatsachen, die eine Wiederaufnahme gerechtfertigt hätten.
887 Spuren auf mehr als 8.000 Seiten
Solche Beweise hofft Dietrich nun zu finden. Jahrelang hatte
er in zähen Verhandlungen mit dem Landeskriminalamt und dem bayerischen Innenministerium darum gekämpft, volle
Einsicht in die verschlossenen Spurenakten nehmen zu dürfen. Nun konnte er die
29 Aktenordner mit mehr als 8.000 Seiten sichten, begleitet von Journalisten
des BR-Politikmagazins Kontrovers. Darin steht detailliert, was die Ermittler
damals am Tatort fanden, welche Zeugen sie vernahmen, von wem sie welche
Hinweise bekamen und wo gegebenenfalls Asservate und Spuren lagern, die nicht weiter verfolgt wurden. "Was
da in den einzelnen Spuren schlummert, darüber muss ich mir noch einen Überblick
verschaffen", sagt Dietrich. "Die Frage ist, ob unter diesen
insgesamt 887 Spuren weitere Hinweise enthalten sind, die damals aussortiert
wurden und sich deshalb nicht in den Hauptakten wiederfinden, die bei der
Generalbundesanwaltschaft liegen."
Dietrich ist überzeugt, dass relevante Spuren auf
politischen Druck hin von den Ermittlern ausgeblendet wurden. Denn die Lage war
1980 gespannt, eine gute Woche nach dem Anschlag war die Bundestagswahl
angesetzt. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß befand sich
mitten im Wahlkampf, er kandidierte als Spitzenmann der Union gegen
Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Politischer Druck auf die Ermittler?
Vorschnell legte sich Strauß darauf fest, der Anschlag sei
die Tat linker Terroristen gewesen. Als wenig später herauskam, dass es sich
bei dem identifizierten Täter Gundolf Köhler um das Mitglied einer
rechtsextremen Wehrsportgruppe handelte, stand die Glaubwürdigkeit des
Kandidaten auf dem Spiel. Denn noch kurz zuvor hatte Strauß diese Gruppen verharmlost
als Leute, die eben Vergnügen daran fänden, am Sonntag mit einem mit Koppel
geschlossenen battle dress auf dem Land spazieren zu gehen. Da hatte der
liberale Bundesinnenminister die Wehrsportgruppe Hoffmann schon verboten.
Kam die Theorie vom isolierten Einzeltäter dem Kandidaten
also zupass? Wurde auf die Ermittler Einfluss genommen? Klaus Pflieger
widerspricht diesen Vorwürfen. Er war 1980 als leitender Staatsanwalt beim
Generalbundesanwalt für das Attentat auf das Oktoberfest zuständig. "Was
das Oktoberfest betrifft, habe ich auch nicht ansatzweise irgendwelche
Hinweise, Andeutungen, Bitten oder sogar Weisungen bekommen", sagte er nun
Kontrovers. Allerdings waren vertrauliche Ermittlungsdetails von einem Beamten
des damaligen Staatsschutzes an die Presse weitergeben worden, noch bevor die
Polizei diesen Spuren nachgehen konnte.
© Bayerischer Rundfunk
Weitere Recherchen von Kontrovers förderten nun neue
Indizien zutage, die belegen könnten, dass die Einzeltäter-Theorie nicht
haltbar ist. Die Journalisten konnten erstmals die Akten des
Bundesnachrichtendienstes (BND) zum Oktoberfestattentat sichten. Daraus lässt
sich der Schluss ziehen, dass der Münchener Anschlag in einer Reihe mit weiteren
Attentaten rechtsextremistischer Gruppen in Europa steht. Zu diesem Ergebnis
waren auch Rechercheure des Spiegels gekommen, die 2011 Stasi-Dossiers zu
diesem Fall ausgewertet hatten. Vor allem ein Zusammenhang zwischen München und dem
Bombenschlag auf den Hauptbahnhof im italienischen Bologna lässt sich
herstellen. Am 2. August 1980 legte eine Explosion den Bahnhof in Schutt und
Asche. 85 Menschen starben, 200 wurden verletzt. Auch in Italien ereignete sich
die Explosion nur wenige Tage vor einer entscheidenden Wahl. Der Anschlag wurde
zunächst linksextremen Terroristen zugeschrieben, erst viel später kamen die
tatsächlichen Hintergründe heraus: Rechtsextreme führten damals Anschläge aus,
die durch gefälschte Spuren den Linken angelastet wurden.
Woher kam der Sprengstoff?
Zugeschrieben wurden die Anschläge später einer
paramilitärischen Geheimorganisation von Nato und CIA namens Gladio, die
offiziell "stay-behind", also "hinter dem Feind" hieß.
Mitglieder dieser Gruppe sollten im Falle einer sowjetischen Invasion
Guerillaaktionen und Sabotageakte hinter den feindlichen Linien ausführen.
Die Ermittler in München wussten von dieser Organisation
nichts. "Das ging der ganzen Welt so, dass Gladio damals noch kein Begriff
war", sagt Pflieger heute. Deshalb sei auch niemals in diese Richtung
ermittelt worden. Erst 1990 gab der italienische Ministerpräsident Andreotti
die Existenz von Gladio öffentlich zu. Auch das Kanzleramt räumte Ende 1990 die
Existenz einer deutschen Gladio-Einheit ein.
Wichtig ist diese Verbindung, weil der Täter Gundolf Köhler
Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war, die von Karl-Heinz Hoffmann
gegründet worden war. Bis heute steht der Verdacht im Raum, die Gruppe sei mit
Geld, Waffen und Sprengstoff aus dem Umfeld von Gladio versorgt worden.
Aufgeklärt werden konnte das bislang nicht. Hoffmann selbst bestreitet solche
Verbindungen vehement.
Was der BND wusste
In den Akten des Bundesnachrichtendienstes ist jedoch
belegt: Hoffmann und seine
Wehrsportgruppe hatten vor dem Anschlag Kontakt zu italienischen
Rechtsextremisten, die vermutlich für den Anschlag in Bologna verantwortlich
waren. In einem Trainingslager im Libanon wurden sie mit Mitgliedern aus
Hoffmanns Wehrsportgruppe ausgebildet.
Zitat aus den BND-Akten: "Zum gleichen Zeitpunkt waren im gleichen Lager
italienische Rechtsextremisten. Es sei über mögliche Anschläge in der
Bundesrepublik Deutschland und Italien gesprochen worden." Man kannte sich
also. Hoffmann sieht darin eine Intrige des BND: "Ich weiß nichts über
Italiener im Libanon."
Bis heute ist umstritten, ob der von Köhler verwendete
Sprengstoff aus einem Gladio-Depot stammt. Den einzigen möglichen Beweis dafür
vermutet man in den Spurenakten - viele weitere bei der
Generalbundesanwaltschaft lagernde Asservate sind in der Zwischenzeit
vernichtet worden, weil der Fall als abgeschlossen galt. Auch deshalb will
Opferanwalt Dietrich sich Zeit nehmen, die Originalakten detailliert
auszuwerten. Nur so sieht er eine Chance für eine Wiederaufnahme des
Verfahrens.
Der Beitrag wird heute Abend um 21 Uhr im Polit-Magazin
Kontrovers des Bayerischen Rundfunks ausgestrahlt.
VON Till Rüger
DATUM 15.01.2014 - 11:24 Uhr
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