Donnerstag, 16. Januar 2014

"Interessant"

MÜNCHEN
Verübte eine rechte Terrorgruppe das Attentat auf das Oktoberfest?
Akten des BND und Spurenakten der Polizei zum Anschlag auf das Oktoberfest 1980 zeigen neue brisante Details. Wird das Verfahren wieder aufgenommen? VON TILL RÜGER
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Was geschah wirklich am 26. September 1980 am Haupteingang des Oktoberfestes in München? Auch nach 33 Jahren ist noch unklar, was genau sich hinter dem größten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik verbirgt. Um 22:19 Uhr explodierte damals in einem metallenen Papierkorb eine zur Bombe umgebaute Mörsergranate. Eine Stichflamme schoss in den Himmel, Metallsplitter prasselten auf die Festbesucher nieder. 13 Menschen starben, 213 wurden verletzt.

War dieser Anschlag das Werk eines Einzeltäters, wie es der Abschlussvermerk der damals ermittelnden Sonderkommission der bayerischen Polizei und des Generalbundesanwaltes nahelegt? Oder stand doch eine rechtsextremistische Terrorgruppe dahinter, wie Journalisten vermuten, die sich über Jahre mit dem Geschehen beschäftigten? Wurde in alle Richtungen ermittelt? Bis heute wirft der Fall zahlreiche Fragen auf.
Doch jetzt könnten sich einige Antworten finden. Der Opferanwalt Werner Dietrich und Journalisten des Bayerischen Rundfunks haben Einsicht in Akten genommen, die der Öffentlichkeit 30 Jahre lang verschlossen geblieben waren, die sogenannten Spurenakten. Erste Hinweise daraus könnten dazu beitragen, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Das hatte der bayerische Landtag schon 2011 in einem überparteilichen Beschluss gefordert. Doch die Generalbundesanwaltschaft sah bislang keine neuen Beweise oder Tatsachen, die eine Wiederaufnahme gerechtfertigt hätten.

887 Spuren auf mehr als 8.000 Seiten
Solche Beweise hofft Dietrich nun zu finden. Jahrelang hatte er in zähen Verhandlungen mit dem Landeskriminalamt und dem bayerischen  Innenministerium darum gekämpft, volle Einsicht in die verschlossenen Spurenakten nehmen zu dürfen. Nun konnte er die 29 Aktenordner mit mehr als 8.000 Seiten sichten, begleitet von Journalisten des BR-Politikmagazins Kontrovers. Darin steht detailliert, was die Ermittler damals am Tatort fanden, welche Zeugen sie vernahmen, von wem sie welche Hinweise bekamen und wo gegebenenfalls Asservate und Spuren lagern,  die nicht weiter verfolgt wurden. "Was da in den einzelnen Spuren schlummert, darüber muss ich mir noch einen Überblick verschaffen", sagt Dietrich. "Die Frage ist, ob unter diesen insgesamt 887 Spuren weitere Hinweise enthalten sind, die damals aussortiert wurden und sich deshalb nicht in den Hauptakten wiederfinden, die bei der Generalbundesanwaltschaft liegen."

Dietrich ist überzeugt, dass relevante Spuren auf politischen Druck hin von den Ermittlern ausgeblendet wurden. Denn die Lage war 1980 gespannt, eine gute Woche nach dem Anschlag war die Bundestagswahl angesetzt. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß befand sich mitten im Wahlkampf, er kandidierte als Spitzenmann der Union gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt. 
Politischer Druck auf die Ermittler?

Vorschnell legte sich Strauß darauf fest, der Anschlag sei die Tat linker Terroristen gewesen. Als wenig später herauskam, dass es sich bei dem identifizierten Täter Gundolf Köhler um das Mitglied einer rechtsextremen Wehrsportgruppe handelte, stand die Glaubwürdigkeit des Kandidaten auf dem Spiel. Denn noch kurz zuvor hatte Strauß diese Gruppen verharmlost als Leute, die eben Vergnügen daran fänden, am Sonntag mit einem mit Koppel geschlossenen battle dress auf dem Land spazieren zu gehen. Da hatte der liberale Bundesinnenminister die Wehrsportgruppe Hoffmann schon verboten.

Kam die Theorie vom isolierten Einzeltäter dem Kandidaten also zupass? Wurde auf die Ermittler Einfluss genommen? Klaus Pflieger widerspricht diesen Vorwürfen. Er war 1980 als leitender Staatsanwalt beim Generalbundesanwalt für das Attentat auf das Oktoberfest zuständig. "Was das Oktoberfest betrifft, habe ich auch nicht ansatzweise irgendwelche Hinweise, Andeutungen, Bitten oder sogar Weisungen bekommen", sagte er nun Kontrovers. Allerdings waren vertrauliche Ermittlungsdetails von einem Beamten des damaligen Staatsschutzes an die Presse weitergeben worden, noch bevor die Polizei diesen Spuren nachgehen konnte.
© Bayerischer Rundfunk

Weitere Recherchen von Kontrovers förderten nun neue Indizien zutage, die belegen könnten, dass die Einzeltäter-Theorie nicht haltbar ist. Die Journalisten konnten erstmals die Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zum Oktoberfestattentat sichten. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der Münchener Anschlag in einer Reihe mit weiteren Attentaten rechtsextremistischer Gruppen in Europa steht. Zu diesem Ergebnis waren auch Rechercheure des Spiegels gekommen, die 2011 Stasi-Dossiers zu diesem Fall ausgewertet hatten.Vor allem ein Zusammenhang zwischen München und dem Bombenschlag auf den Hauptbahnhof im italienischen Bologna lässt sich herstellen. Am 2. August 1980 legte eine Explosion den Bahnhof in Schutt und Asche. 85 Menschen starben, 200 wurden verletzt. Auch in Italien ereignete sich die Explosion nur wenige Tage vor einer entscheidenden Wahl. Der Anschlag wurde zunächst linksextremen Terroristen zugeschrieben, erst viel später kamen die tatsächlichen Hintergründe heraus: Rechtsextreme führten damals Anschläge aus, die durch gefälschte Spuren den Linken angelastet wurden.
Woher kam der Sprengstoff?

Zugeschrieben wurden die Anschläge später einer paramilitärischen Geheimorganisation von Nato und CIA namens Gladio, die offiziell "stay-behind", also "hinter dem Feind" hieß. Mitglieder dieser Gruppe sollten im Falle einer sowjetischen Invasion Guerillaaktionen und Sabotageakte hinter den feindlichen Linien ausführen.
Die Ermittler in München wussten von dieser Organisation nichts. "Das ging der ganzen Welt so, dass Gladio damals noch kein Begriff war", sagt Pflieger heute. Deshalb sei auch niemals in diese Richtung ermittelt worden. Erst 1990 gab der italienische Ministerpräsident Andreotti die Existenz von Gladio öffentlich zu. Auch das Kanzleramt räumte Ende 1990 die Existenz einer deutschen Gladio-Einheit ein.

Wichtig ist diese Verbindung, weil der Täter Gundolf Köhler Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war, die von Karl-Heinz Hoffmann gegründet worden war. Bis heute steht der Verdacht im Raum, die Gruppe sei mit Geld, Waffen und Sprengstoff aus dem Umfeld von Gladio versorgt worden. Aufgeklärt werden konnte das bislang nicht. Hoffmann selbst bestreitet solche Verbindungen vehement.
Was der BND wusste

In den Akten des Bundesnachrichtendienstes ist jedoch belegt:  Hoffmann und seine Wehrsportgruppe hatten vor dem Anschlag Kontakt zu italienischen Rechtsextremisten, die vermutlich für den Anschlag in Bologna verantwortlich waren. In einem Trainingslager im Libanon wurden sie mit Mitgliedern aus Hoffmanns Wehrsportgruppe  ausgebildet. Zitat aus den BND-Akten: "Zum gleichen Zeitpunkt waren im gleichen Lager italienische Rechtsextremisten. Es sei über mögliche Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland und Italien gesprochen worden." Man kannte sich also. Hoffmann sieht darin eine Intrige des BND: "Ich weiß nichts über Italiener im Libanon."

Bis heute ist umstritten, ob der von Köhler verwendete Sprengstoff aus einem Gladio-Depot stammt. Den einzigen möglichen Beweis dafür vermutet man in den Spurenakten - viele weitere bei der Generalbundesanwaltschaft lagernde Asservate sind in der Zwischenzeit vernichtet worden, weil der Fall als abgeschlossen galt. Auch deshalb will Opferanwalt Dietrich sich Zeit nehmen, die Originalakten detailliert auszuwerten. Nur so sieht er eine Chance für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Der Beitrag wird heute Abend um 21 Uhr im Polit-Magazin Kontrovers des Bayerischen Rundfunks ausgestrahlt.

VON Till Rüger
DATUM 15.01.2014 - 11:24 Uhr

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