Debatte über Fußballfan-Gewalt
Mit
Sicherheit am Ziel vorbei
Stadionverbote,
Nacktscanner, Haftstrafen: Polizei und Fußballverbände verlangen härtere
Maßnahmen gegen Fangewalt - ist das sinnvoll oder Stimmungsmache? Einige
kritische Beobachtungen am Rande des Revierderbys Schalke gegen Dortmund.
Es sind die typischen
Reflexe, die immer kommen, wenn etwas vermeintlich schief läuft. Nach dem
Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 am vergangenen
Wochenende konnte man die gesamte Spannbreite erkennen: Politiker, die weit vom
tatsächlichen Geschehen entfernt sind, fordern zum "Handeln" auf.
Vertreter der Polizei meinen eine neue Dimension der Eskalation zu erkennen und
drohen mit Derbys in leeren Stadien. Die Fußballverbände sinnieren über noch
schärfere Strafenkataloge. Fans und Ultras dagegen wehren sich. Ihre Parole:
"Fußballfans sind keine Verbrecher."
Was ist passiert?
Am
Samstag fand ein Fußballspiel statt. Es war das brisante Derby zwischen
Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04. Zwei Stadtnachbarn, die sich
gegenseitig nur wenig Gutes wünschen. Doch schaut man sich die
Berichterstattung der vergangenen Tage an, entsteht der Eindruck, dass die
Antipathie der beiden Fanlager zu chaotischen Zuständen rund um das ehemalige
Westfalenstadion geführt haben muss. Das Internetportal Der Westen berichtet
von "Krawallen", WDR2 erkennt "eine neue Dimension der Gewalt",
und die "Bild"-Zeitung schreibt über "Straßenschlachten". Hält
man die Verletztenstatistik dagegen, entsteht aber bereits das erste
Missverhältnis: Acht Personen sind im
Zuge des Spiels zu Schaden gekommen. Das ist schlimm, keine Frage.
Aber es ist eine Zahl, die schon bei vielen Stadtfesten überboten wird. Erleben
wir derzeit also tatsächlich eine neue Form von Gewalt, wie es in der Debatte
um das Thema Stadionsicherheit suggeriert wird? Kann der Fußball - überspitzt
formuliert - überhaupt noch vor Randalierern und Chaoten geschützt werden? Und
wer ist eigentlich für die Gewalt und die Ausschreitungen verantwortlich?
Ich habe versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden,
indem ich das Geschehen vor Ort in Augenschein genommen habe. Gemeinsam mit den
Ultras Gelsenkirchen (UGE) bin ich in der S-Bahn zum Auswärtsspiel nach
Dortmund gefahren. Das Derby war ein Hochsichersicherheitsspiel, das von knapp
1200 Polizisten beschützt wurde - und damit von deutlich mehr Beamten als es
bei einer gewöhnlichen Bundesligapartie üblich ist. Bei einem Spiel zwischen
diesen beiden Rivalen herrscht in der Tat Ausnahmezustand: Emotion, Rivalität,
Leidenschaft - alles konzentriert auf wenige, aber entscheidende Stunden. Eine
Belastungsprobe für die Sicherheitskräfte. Gemeinsam mit etwa 600 bis
700 Schalker Fans, viele davon Ultras, stieg ich an der Dortmunder S-Bahn
Station "Universität" aus. Wir liefen etwa eine halbe Stunde bis zum
Stadion. Es sah aus wie ein Protestmarsch aus Schlumpfhausen, da alle Schalker
Anhänger extra für dieses Spiel weiße Mützen zu ihren blauen Trikots angezogen
hatten. Nicht wenige Beobachter dieses Marsches hatten wohl erwartet, dass die
Fans anfangen zu randalieren. Denn das Bild von Ultras in der Öffentlichkeit
ist regelrecht martialisch. Doch es passierte: wenig. Die "Schlümpfe"
zogen friedlich durch die Siedlungen, Dortmunder Fans filmten und fotografierten
den Zug.
Das Polizeirezept lautete: Pfefferspray gegen alle
Doch
als wir am Stadion ankamen, eskalierte die Situation - und zwar herbeigeführt
von der Polizei, die mit berittenen Einheiten mitten in die Fangruppe
hineingaloppierte und diese gewaltsam sprengte. Die Ultras liefen teilweise in
Panik quer über den Platz. Dabei kamen zwangsläufig Schalke-Fans mit
Dortmund-Fans in Körperkontakt, was an verschiedenen Stellen zu kleineren
Schlägereien führte. Das Polizeirezept in der nun wirklich unübersichtlichen Situation:
Pfefferspray gegen alle. Mitten hinein in die Menge, teilweise aus 20, 30
Zentimetern direkt ins Gesicht. Viele Menschen rieben sich die Augen, husteten.
Aus einer harmlosen Situation war ein Ausnahmezustand geworden.
"Dortmunder und Schalker Gewalttäter haben unser Sicherheitskonzept
bewusst unterlaufen und sind entgegen der Ankündigung konspirativ
angereist", erklärte der Einsatzleiter der Dortmunder Polizei, Dieter
Keil, das Vorgehen. Aber wo waren hier die Deeskalationsstrategien der Polizei?
Wo waren strategische Absicherungen? Die Sicherheitstaktik der Dortmunder
Polizei hat nicht gegriffen. Von einem über Monate ausgearbeiteten
Sicherheitskonzept hätte ich mehr erwartet. Dass es zwischen meiner
Erwartungshaltung und der Realität sogar noch tiefere Gräben gab, stellte ich
wenig später bei den Einlasskontrollen am Stadion fest. Im Vorfeld des Spiels
war es den Schalker Fans untersagt, jedwedes Support-Material wie Megafone oder
Fahnen ins Stadion zu bringen. Man sollte deshalb annehmen, dass der
BVB-Ordnungsdienst nun umso akribischer kontrollieren würde. Stattdessen
begrüßten manche Ordnungshüter die Schalker Fans mit Worten wie
"Jude", "Kanake" oder "Wichser".
Schalke-Anhängerinnen wurden mit sexistischen Sprüchen bedacht. In Hörweite der
Ordner stehende Polizisten quittierten die Verbalattacken mit Lachen.
Auch im Stadion greifen die Sicherheitskonzepte nicht
Im
Stadion angekommen, staunte ich: Trotz des vom BVB verhängten Materialverbots
schmuggelten Schalker Fans zwei Megafone, eine riesige, zur Trommel
umfunktionierte Mülltonne sowie Banner und Fahnen in den Block. Pünktlich zum
Anpfiff bauten mehrere Ultras in Sekundenschnelle aus kleinen Einzelteilen eine
riesige Fahne zusammen: als Sichtschutz, unter dem sie ihre Bengalos
herausholen und abfackeln konnten. Sie hielten die verbotene Pyrotechnik wie
Siegesfackeln in die Höhe. Unter der Fahne wurde es heiß und stickig, der
Bengalo-Geruch raubte einem die Luft zum Atmen. Später präsentierten sie ein
geklautes Banner der Dortmunder. Ich fragte mich, wie viel den Ultras ihre
eigene, hochgelobte "Fankultur" eigentlich wert ist, wenn sie sie mit
einer so dumpfen Provokation aufs Spiel setzen. Das Klauen oder Präsentieren
geklauter Insignien gegnerischer Fans, das Abbrennen von Pyrotechnik, die zahlreichen
gegenseitigen Provokationen - was hat das mit Fußball, mit einer Jugendkultur
zu tun? Wo in den Fankurven sind die gemäßigten Kräfte, die dem entgegenwirken?
Am Samstag gab es niemanden im Stadion, der den Pyromanen erklärte, dass sie
gerade den politischen Hardlinern wie Lorenz Caffier voll in die Karten
spielen. Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns fordert die Abschaffung von
Stehplätzen. Es gab auch niemanden, der der jungen, zierlichen, blonden Frau
gesagt hätte, dass es total albern wirkt, wenn sie lauthals "Tod und Hass
dem BVB" schreit. Dass dieses Spiel mitten in die Debatte um ein neues Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball Liga fiel, sollte als ein Geschenk
empfunden werden. Denn die Probleme rund um das Spiel zeigen eines deutlich:
Die Diskussion wird derzeit von einem falschen Standpunkt geführt. Man sollte
nicht darüber sinnieren, wie Ultras und Fans noch härter bestraft werden
können. Es bringt auch nichts, "Geisterspiele" vor leeren Stadien
oder Nacktscanner zu fordern. Der gesamten Debatte täte es gut, wenn sie auf
eine sachliche Ebene geführt würde - und wenn als Diskussionsgrundlage mehr
Fakten einbezogen würden als lediglich Fernsehbilder und Polizeiberichte.
Das Sicherheitspapier enthält schwere Fehler
Wir
müssen hinterfragen: Gibt es tatsächlich einen signifikanten Gewaltanstieg in
deutschen Stadien? Alle bisherigen empirischen Studien verneinen dies. Ist es
also nicht naheliegender, die gerade erst wieder begonnenen Gespräche zwischen
Vereinen, Verbänden und Ultras zu intensivieren? Das Sicherheitspapier - so die
Kritik zahlreicher Bundesligaklubs - torpediert dieses Vorhaben. Die
Fußballverbände haben die aktive Fanszene wieder mal nicht in ihre Überlegungen
eingebunden, stattdessen schieben sie Fans und Ultras die Schuld an den
vermeintlichen Problemen beim Fußball zu. Dabei
wird verkannt, dass es noch viele weitere Aggressoren im und um die Stadien
gibt: Angefangen bei der Polizei und den Ordnungsdiensten über Rechtsextreme bis hin zu den vielen
Hooligan-Gruppen, die seit einigen Monaten wieder verstärkt in Erscheinung
treten.Beim Revierderby waren etliche, teils bewaffnete und
vermummte Mitglieder der Dortmunder Hooligan-Vereinigungen Northside und
Borussenfront unterwegs. Auch einschlägig bekannte Schalker Gewalttäter,
darunter Anhänger der Gelsenszene, hielten sich im Umfeld des Stadion auf.
"Zudem
wurde beim Sicherheitspapier erneut der Fehler gemacht, die Expertise von
Fanbetreuern und Sozialarbeitern unberücksichtigt zu lassen. Diese predigen
seit Jahren, dass eine Fankurve nur durch Selbstregulation funktionieren kann. Dafür
muss man die gemäßigten Ultras und Fans aber ernst nehmen, stärken, ihnen mehr
Verantwortung übertragen. Ultras und Fans müssen im Gegenzug endlich aufhören,
sich wie pubertäre Kinder zu benehmen und die Gesetze achten