Mit Beginn des Ersten Weltkrieges
waren die drei Regimenter
der Landesschützen an die russische Front verlegt
worden, obwohl sie, nach dem Buchstaben des Gesetzes, nur zur Verteidigung Tirols hätten eingesetzt
werden dürfen. In Tirol standen somit an ausgebildeten Truppen lediglich ganze
zwei vollwertige Bataillone (X. Marschbataillon
des Infanterie-Regiments
59 und das Tiroler Landsturm-Bataillon I) zum Schutz der
Grenze gegen Italien zur Verfügung. Weitere 19 Bataillone waren nur vermindert
einsatzfähig. Das Landesverteidigungskommando von Tirol begann schon bald, dem
neutralen Italien zu misstrauen. Da die reservepflichtigen Standschützen
bereits einberufen waren und somit nicht mehr zur Verfügung standen, wurden die
übriggebliebenen, nicht militärpflichtigen Standschützen beschleunigt
militärisch geschult.
Dazu wurden z. B. invalide oder sonstige
ausgediente Kaiserjäger oder Landesschützen verwendet. Die
Ausbildung erfolgte in der Nationaltracht oder im Schützenrock, dazu hatten die
Männer ihre eigenen Stutzen mitzubringen. Erste Einsätze bestanden
im Wachdienst an militärischen Objekten und an Brücken oder ähnlichem. Da noch
keine Uniformen zur Verfügung standen, wurden schwarzgelbe Armbinden angelegt.
Besonders die jüngeren, noch nicht regulär militärisch ausgebildeten Leute,
aber auch die Älteren, deren Militärdienstzeit schon Jahrzehnte zurücklag,
bereitete der Führung im Bezug auf das militärische Auftreten Kopfzerbrechen.
Der jüngste dieser Standschützen war 14 Jahre alt, der älteste schon über 80
Jahre. Wegen dieser Mängel wurden die Standschützen von vielen aktiven
Offizieren lange Zeit nicht ernst genommen, nicht selten von oben herab
behandelt oder gar beschimpft. Das war nicht verwunderlich, da es plötzlich
sozusagen im Handumdrehen Majore gab, wohingegen ein normaler Offizier diesen
Rang erst nach einer Dienstzeit von etwa 15 Jahren erreichte. Ein Hauptmann mit
zehn oder mehr Dienstjahren sah sich plötzlich einem Standschützenmajor
gegenüber, der in seiner aktiven Zeit womöglich nur Zugsführer
oder Korporal
gewesen oder gar völlig ungedient war. Hier konnten Spannungen nicht
ausbleiben. Der Oberkommandierende in Tirol, Feldmarschalleutnant Dankl, erließ im November
1915 einen Befehl, dass Beschimpfungen und ungebührliche Behandlungen der
Standschützenoffiziere streng bestraft würden.
Im April wurden die Standschützeneinheiten
erstmals inspiziert. Im Zuge dieser Inspektion wurden die Standschützen in
frontdiensttauglich (zählten zu den Feldformationen) und mindertauglich
(Einsatz in Wach- und Ersatzabteilungen) unterteilt. Man erwartete die
Kriegserklärung Italiens
an Österreich-Ungarn. Aus diesem Grunde wurden die
Standschützen am 18. Mai 1915 mobilisiert.
Bereits einen Tag später rückten die ersten Formationen Südtirols an die
Südfront aus. Weitere drei Tage später trafen Züge,
die über den Brennerpass kamen, mit Nordtiroler Standschützen an der neuen
Front ein. Italien erklärte Österreich-Ungarn schließlich am 23. Mai den Krieg.
Die Angehörigen der Standschützenformationen im Trentino
waren der k.u.k. Armeeführung nicht ganz geheuer. Obwohl die Schießstände schon
sehr lange bestanden, war man gegenüber den italienischsprachigen Tirolern
misstrauisch und versuchte, diese nach ihrer Zuverlässigkeit einzustufen. Die
Klassifizierung reichte von vollkommen zuverlässig bis ganz
unzuverlässig. Die Ausgabe von Waffen und Monturen an die Welschtiroler
Standschützen erfolgte nur an absolut zuverlässige Verbände, wobei diese nur in
wenigen Fällen zu Kampfhandlungen eingesetzt wurden. Meistens versahen sie
Wachdienst oder Trägerdienste oder waren als Arbeiterformationen eingeteilt.
Für die Standschützen war bis Ende März 1915
noch kein Kleidungsstück und noch kein Gewehr eingeplant, geschweige denn
vorrätig oder gar zugewiesen. Nachdem sich immer mehr abzeichnenden
Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Entente, begann man jedoch, die im
Januar begonnene Aufstellung von Standschützen-Formationen zu beschleunigen. An
Uniformen wurde zunächst ausgegeben, was immer gefunden wurde. (Die beiden
Kompanien des Standschützen-Bataillons Schwaz
z. B. rückten am 23. Mai 1915 in hechtgrauen Paradeuniformen der Jägertruppe aus.) Auch Mannlicher-Repetiergewehre standen zunächst
nicht oder nur in geringer Stückzahl zur Verfügung, die Standschützen bekamen
vorerst alte, einschüssige Werndl-Gewehre oder nutzen ihre eigenen Waffen. Im
Mai 1915 erhielten die Nordtiroler und Vorarlberger Standschützen aus deutschen
Lieferungen 16.000 Gewehre des Modells 98, die südtiroler Formationen wurden
dann doch noch mit den Mannlicher-Gewehren ausgerüstet. Die Welschtroler
Verbände behielten die Werndlgewehre, lediglich die wenigen zu Kampfeinsätzen
verwendeten Formationen erhielten das Gewehr 98 zugewiesen. Maschinengewehre wurden den einzelnen
Einheiten im Bedarfsfall zugeteilt, wer gute Beziehungen hatte, wie das
Bataillon Bozen, verfügte jedoch über eine eigene Maschinengewehr-Abteilung. Geschütze
führten die Standschützen nicht, lediglich das Bataillon
Schlanders verfügte über eine uralte 6 cm Gebirgskanone unbekannter Herkunft.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wurden den Standschützen die Montur
der k.k. Gebirgstruppe zugeteilt. (die hier
plötzlich erfolgten Anstrengungen lagen darin, dass man befürchtet, die nicht
uniformierten Kombattanten würden womöglich als Freischärler
behandelt.) Allerdings bestanden hinsichtlich der Qualität der Ausrüstung
erhebliche Mängel. So wurde statt des Riemenzeugs bereits Webgurtmaterial
ausgegeben, es fehlte an Brotbeuteln und Spaten
(beides wurde improvisatorisch zunächst aus allem Möglichen selbst
hergestellt). Als Abzeichen wurde von den Tiroler Einheiten auf den grasgrünen Parolis
der Tiroler Adler, von den Vorarlbergern das Vorarlberger Wappen getragen. Auf der linken
Kappenseite durfte das Edelweiß der Gebirgsinfanterie angebracht werden, vorne an der
Kappe befand sich das dafür extra entworfenen Abzeichen mit dem Motto „Hände
weg von Tirol“. Als Distinktionsabzeichen für die Unteroffiziere und
Mannschaften wurden anstelle der vorgesehenen silbergestickten Rosetten, deren
Beschaffung in dieser Menge Schwierigkeiten bereitete, (nur die Offiziere
erhielten diese) die Zelluloidsterne der regulären Armee verwendet.
Für die Sanitätsausstattung mussten die
Rettungsdepots der Schutzhütten herhalten, die ausgeräumt und auf Gebirgskraxen
verpackt, den Bataillonen zugeteilt wurden. Jedes Bataillon erhielt zwei Medikamenten-
und zwei Verbandstornister.
Die Ausstattung mit Fahnen war zwar
vorgesehen, eine Aushändigung erfolgte jedoch nur bei den Bataillonen Bozen,
Kaltern, Passeier und Meran II. Viele der anderen Formationen führten bei der Vereidigung
und beim Ausmarsch ihre Schützenfahne mit sich.
Nach dem Mobilmachungsbefehl durch Kaiser
Franz-Joseph I. vom Dienstag, dem 18. Mai 1915, formierten sich 39
Deutschtiroler Schützenbataillone und zwei selbstständige Schützenkompanien,
sechs Vorarlberger Bataillone, vier Welschtiroler Bataillone und 41
Welschtiroler Schützenkompanien.
Bereits am 22. Mai 1915, also einen Tag vor
der Kriegserklärung Italiens, verlegten die Standschützen an die Reichsgrenze
im Süden und Südwesten. Ausgenommen waren lediglich die Bataillone Zillertal
und Nauders-Ried, die zum Schutz des Alpenhauptkammes
zurückblieben, sowie das Bataillon Lienz, das zunächst zum Schutz der
Osttiroler Grenze südlich des Drautals in Stellung gelegt wurde und dort bis zum September
1915 verblieb.
Das Einsatzgebiet der Standschützen
erstreckte sich über alle fünf Verteidigungsrayons der Südtiroler Front. Es
reichte von der Dreisprachenspitze an der Schweizer Grenze bis hin zu den
östlichen Ausläufern der Karnischen Alpen am Kreuzbergsattel.
Obwohl die Standschützen nahezu
ausschließlich für die Abwehr der häufigen italienischen Angriffe verwendet
wurden, nahmen sie auch an den Offensiven (wenn auch nur
in der zweiten Welle) teil. Neben den Stellungskämpfen führten sie auch
Patrullen (Patrouillen) und Aufklärungsunternehmen durch. Ihre weitere
Hauptaufgabe bestand im Arbeitseinsatz, sie bauten Stellungen, Unterkünfte,
Kavernen, Stacheldrahthindernisse und halfen bei der Reparatur der beschädigten
Festungswerke. Des Weiteren wurden die Standschützen zu
Trägerdiensten für den Nachschub, als Blessiertenträger (Krankenträger, heute
Sanitätssoldaten) und im Wachdienst eingesetzt.
In den ersten Wochen waren die Standschützen
bei der Verteidigung der Tiroler Front auf sich allein gestellt. Diese
schwachen Truppen vermochten es trotz allem, die italienischen Angriffe
aufzuhalten, da die italienische Führung nicht glauben konnte, dass die Grenze
so gut wie ungeschützt dastand. Erst später trafen reguläre Truppen und
Soldaten des deutschen Alpenkorps sowie Kaiserschützen und Kaiserjäger ein. Diese erkannten die
Standschützen, im Gegensatz zu manch anderen Offizieren, als vollwertige
Soldaten an. Die österreichischen Kriegsstrategen bezeichneten die
Standschützen anfangs als ungeordneter Haufen ohne Kriegserfahrung. Doch
durch ihren Mut, ihre hohe Treffsicherheit und ihr bergsteigerisches Können
erlangten sich die Standschützen Respekt und Achtung.
Es kann nicht angezweifelt werden, dass der Einsatz der
Standschützen im Mai 1915 Österreich-Ungarn zu diesem Zeitpunkt gerettet hat.
An aktiven Truppen standen insgesamt nur 12.000 Gewehre zur Verfügung, womit
theoretisch nur alle etwa 30 Meter ein Mann mit einem Gewehr gestellt werden
konnte. Somit bildeten die 23.000 unter Waffen stehenden Standschützen mit 2/3
der verfügbaren Gesamtstärke das Rückgrat der Abwehrkräfte. Das Deutsche Alpenkorps
konnte zunächst nur beschränkt eingreifen, da sich Deutschland zu diesem
Zeitpunkt mit Italien noch nicht im Kriegszustand befand und die deutschen
Truppen italienischen Boden nicht betreten durften.
Bedingt durch vielfach vorhandene,
ausgezeichnete Ortskenntnis der Standschützen waren diese oftmals in der Lage,
italienischen Patrouillen und Aufklärungsunternehmungen zuvorzukommen und diese
zurückzuschlagen. Insbesondere, da die korrekte Uniformierung inzwischen
erfolgt war, wurde der Eindruck erweckt, dass es sich um reguläre Kräfte
handele, was das Zögern der italienischen Führung beeinflusst haben mag. Der
moralische Wert des Standschützen lag auch darin, dass sich oftmals nicht weit
hinter der Front sein Besitztum und seine Familie befanden, die es zu schützen
galt. Der rein militärische Wert der Standschützenformationen war sehr
unterschiedlich. Die sprichwörtliche Sturheit und Dickköpfigkeit besonders der
Bergbauern führte oftmals zu Disziplinlosigkeiten und Eigenmächtigkeiten. So
meldete Feldmarschalleutnant Goiginger am 12. Juni 1915 nach Innsbruck, dass am
Monte Piano Standschützen „eigenmächtig aus dem Gefecht gegangen seien“. Solche
Vorkommnisse waren jedoch bei weitem nicht die Regel und blieben Einzelfälle.
Um die militärische Disziplin zu stärken, begann man nun auch aktive
Herresoffiziere als Kommandanten den Standschützen zuzuteilen. Des Weiteren
begann man, nachdem sich die personelle Situation durch das Eintreffen der
Truppen von der Ostfront etwas entspannt hatte, die Standschützen verstärkt
militärisch auszubilden. Mannschaften und Offiziere wurden zu den
verschiedensten Ausbildungskursen abkommandiert, um dort die neuesten Taktiken und Techniken zu erlernen. Auf
Anregung des Deutschen Alpenkorps wurden in die bisher von den Standschützen
allein gehaltenen Frontabschnitten aktive Truppenteile eingeschoben. So wurde
eine Art Korsett gebildet und die Kampfkraft weiter verstärkt.
Etwas anders stellte sich die Situation bei
den Welschtiroler Standschützen dar. Es mag sein, dass es mit dem unverhohlenen
Misstrauen und der Aversion der Führung zusammenhing, oder dass andere Umstände
dafür verantwortlich waren, es kam hier zu Desertionen, auch wenn sie nicht an
der Tagesordnung waren. Das lag oftmals daran begründet, dass man bei
Kriegsbeginn die Front aus strategischen Gründen an manchen Stellen
zurückgenommen und Gelände aufgegeben hatte (z. B. den Kessel von Cortina). Dadurch befanden sich manche
Heimatdörfer der Standschützen plötzlich hinter der Front in feindlichem
Gebiet, was auch einen Kontakt mit den Familienangehörigen per Post so gut wie
unmöglich machte, da zwischen Österreich-Ungarn und Italien
seit Kriegsbeginn keine Postverbindung mehr bestand. Am 25. Oktober 1916
desertierten zwei Mann der Standschützenkompanie Tione (heute Tione di Trento),
die in Judikarien
lag, da sich ihre Heimatorte jenseits der Front im italienisch besetzten Gebiet
befanden. Der verantwortliche Unteroffizier,
der die Flucht nicht verhindert hatte, wurde vor ein Militärgericht gestellt und standrechtlich
erschossen.
Die 52. Halbbrigade im Valsugana meldete am
1. Juni 1915, dass man unzuverlässige italienischsprachige Standschützen
entwaffnet und als Arbeiter eingesetzt habe. Unabhängig davon kämpften
zumindest bei Kriegsbeginn einige Welschtiroler Standschützenformationen
verbissen gegen die Eindringlinge, so die Kompanien Ala und Borgo, die dafür
extra eine Belobung (Belobigung) erhielten. Nichtsdestoweniger wurden die
Welschtiroler Verbände nach und nach alle entwaffnet und bestanden bei
Kriegsende nur noch aus Arbeiterformationen. Dies galt allerdings auch für die ladinischen
Einheiten, (z. B. aus Cavalese), die nicht als Italiener betrachtet werden
wollten und ob dieser Maßnahme sehr verbittert waren.
Da einerseits Personalersatz bei den
Standschützenformationen nicht, oder nur in äußerst geringem Umfang zugewiesen
werden konnte, andererseits aber sehr viele Abgänge der älteren Jahrgänge durch
Strapazen und Krankheiten zu verzeichnen waren, spitzte sich die
Personalsituation bereits nach kurzer Zeit zu. Das führte so weit, dass ganze
Kompanien aufgelöst oder zusammengelegt werden mussten, Bataillone wurden zu
Kompanien herabgestuft, oder wie bei Meran, die drei vorhanden gewesenen
Bataillone wurden zu einem zusammengelegt. Auch sank die Stimmung immer mehr je
länger der Krieg andauerte, was auch auf die immer noch andauernden und nicht
zu unterbindenden Beschimpfungen und Herabwürdigungen durch aktive Offiziere,
Benachteiligungen bei der Zuteilung von Verpflegung und Ersatzausrüstung, sowie
schikanösen Verwendungseinteilungen zurückzuführen war. 1918 betrug die
Brotration aus minderwertigem Maismehl theoretisch 500 Gramm pro Mann und Tag,
was aber oft genug auf 125 Gramm pro Mann und Tag reduziert wurde. Fleisch gab
es oftmals nur für den Mann an der Front in Höhe von 160 Gramm, für die anderen
dagegen nichts. Die Fettration betrug etwa 8 Gramm pro Tag und Mann.
Nichtsdestoweniger standen die, seit Mitte
1918 zu Standschützen-Gruppen (Bataillonen) zusammengefassten Verbände
unerschütterlich auf ihren Posten, auch als die ungarischen und tschechischen Regimenter
bereits begannen sich aufzulösen. Lediglich bei den Bataillonen Dornbirn und
Pustertal kam es in den allerletzten Tagen des Krieges zu Aufmüpfigkeiten, als
der Befehl zu einem erneuten Instellunggehen einlangte. Aber auch diese
Situation konnte von den Offizieren noch einmal bereinigt werden.
Die meisten, der in den westlichen und
südlichen Abschnitten kämpfenden Standschützen gerieten bei Kriegsende in
italienische Gefangenschaft. Die italienisch sprechenden Standschützen sahen
sich nach der „Befreiung vom österreichischen Joch“ (Gabriele d'Annunzio) jahrelang Schikanen und
Repressalien ausgesetzt, die bis zur Zwangsdeportierung in entfernte Teile
Italiens reichten. (Als Beispiel sei hier die Standschützenkompanie Strigno genannt,
deren Mitglieder nach Kriegsende nicht gefangen- sondern festgenommen und in
die Abruzzen deportiert wurden.)