Dienstag, 3. Februar 2015

Versammlungsfreiheit in Österreich

Versammlungsfreiheit: Ja, dürfen s' denn des?
KOMMENTAR DER ANDEREN | GEORG BÜRSTMAYR
2. Februar 2015, 17:46
In Österreich hält sich hartnäckig die Legende, dass Demonstrationen "genehmigt" werden müssten. Seit bald 100 Jahren ist das nicht mehr so, auch wenn viele das vor lauter Obrigkeitshörigkeit ignorieren.
Es ist wohl eine der legendärsten Anekdoten Österreichs. Kaiser Ferdinand I. blickt im März 1848 genervt aus der Hofburg auf eine lärmende Menge und erfährt von Metternich: "Die machen eine Revolution, Majestät." Er fragt fassungslos zurück: "Ja, dürfen s' denn des?"
Sie durften nicht. Demonstrationen, von Revolutionen einmal ganz abgesehen, waren in der k. u. k. Monarchie nicht vorgesehen. Die 1848er-Revolution, das erste Aufbegehren eines aufgeklärten Bürgertums in Österreich, wurde blutig über den Haufen geschossen. Wenige Jahre später herrschte der - neue - Kaiser wieder unangefochten und absolut. Zaghafte Versuche einer ersten Verfassung waren schubladisiert. Erst nach der 1866 verlorenen Schlacht von Königgrätz sah sich das Kaiserhaus gezwungen, den wieder aufflammenden Rufen nach Grundrechten und einer Verfassung nachzugeben. So war das in früheren Jahrhunderten generell: Das Bürgertum erhielt Rechte erst, wenn die Herrschenden wackelig im Sattel saßen. Voilà: Österreich hatte mit dem Staatsgrundgesetz 1867 seinen ersten Menschenrechtskatalog.
Darin auch enthalten: das Recht auf Versammlungsfreiheit. Freilich hieß es gleich im Anschluss: "Die Ausübung dieser Rechte wird durch besondere Gesetze geregelt." Und das entsprechende Gesetz sah vor, dass Versammlungen unter freiem Himmel genehmigt werden mussten. So ganz geheuer war dem Kaiser die Sache mit der neuen Freiheit wohl nicht, vielleicht wollte er aber einfach auch keinen Krach mehr vor seiner Hofburg. Noch war er stark genug, ihn zu verhindern.
Aufgehoben
51 Jahre und einen weiteren verlorenen Krieg später war dann Schluss mit der Monarchie, damit aber auch Schluss mit derartigen Beschränkungen. Schon am 30. Oktober 1918 beschloss die provisorische Nationalversammlung: "Die Ausnahmsverfügungen betreffs des Vereins- und Versammlungsrechts sind aufgehoben. Die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit ohne Unterschied des Geschlechts ist hergestellt."
Es brauchte freilich fast ein weiteres halbes Jahrhundert, bis der Verfassungsgerichtshof (VfGH) 1964 festhielt, dass mit diesem Beschluss - also schon 1918! - auch die Genehmigungspflicht für Versammlungen unter freiem Himmel gefallen war. Fast 50 Jahre hatte sich die typisch österreichische Vorstellung, die Ausübung eines fundamentalen Rechts müsse erst eigens erlaubt werden, quasi irrtümlich in den Gesetzbüchern gehalten. Nun wurde der (laut VfGH eigentlich längst ungültige) Genehmigungsparagraf endgültig gestrichen.
Seither ist es also eindeutige und unstrittige Rechtslage, dass Versammlungen nicht genehmigt werden müssen, ja gar nicht können. Sie sind per se zulässig und verfassungsrechtlich geschützt (zwar sollen sie im Vorfeld bei der Polizei angezeigt werden, und die Polizei kann beziehungsweise muss sie im Einzelfall untersagen, wenn sie die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden oder den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Die Voraussetzungen für so ein Verbot sind allerdings sehr streng. Im Einzelfall des "NoWKR-Bündnisses" dürften sie heuer dennoch vorgelegen haben - aber das ist eine andere Geschichte).
Zeitsprung um weitere 50 Jahre. Geschäftsleute und Wirtschaftskammer diskutieren ein Demonstrationsverbot wegen Geschäftsschädigung für die Ringstraße und/oder die großen Einkaufsstraßen, ohne dass sie verlacht werden (das verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsrecht ließe derartige Verbote wegen vermögensrechtlicher Nachteile nicht einmal im Ansatz zu). Eine Bezirksvorsteherin in Wien fordert allen Ernstes den Einsatz des Bundesheeres gegen Demonstranten, ohne dass ein Aufschrei durch Österreich geht. Und praktisch alle österreichischen Medien, ob TV, Print oder elektronisch, wiederholen stur und immer wieder in ihren Meldungen die Formulierung, die Polizei hätte - jüngst wieder rund um den Akademikerball - Demonstrationen und Kundgebungen erlaubt, zugelassen oder genehmigt. Niemandem fällt auf, dass sie damit über eine Schimäre berichten, die so irreal ist wie das Ungeheuer von Loch Ness.
Die Genehmigung, Erlaubnis oder Zulassung einer Demonstration gibt es in Österreich nicht. Seit 1918 ist das die Rechtslage, seit 1964 ist das endgültig klipp und klar. Seit 50 Jahren wurde in Österreich keine einzige Demonstration, keine Kundgebung, keine Versammlung mehr "genehmigt". Einfach, weil es das nicht braucht, weil das nicht geht, weil es gar nicht möglich ist.
Und trotzdem sieht ganz Österreich immer noch aus dem Fenster und fragt: "Ja, dürfen s' denn des?" Es hat schon einen Grund, dass sich die Anekdote vom Kaiser Ferdinand so hartnäckig hält. Der Obrigkeitsstaat der k. u. k. Monarchie ist aus unseren Köpfen einfach nicht rauszukriegen. (Georg Bürstmayr, DER STANDARD, 3.2.2015)

Georg Bürstmayr (Jahrgang 1963) ist Rechtsanwalt in Wien.

 VfSlg. 4885/1964: (Auszug des Leitsatzes):

Leitsatz
Bloß zufälliges Zusammentreffen mehrerer Menschen keine Versammlung Versammlungen (im engeren Sinn) unterliegen nicht der Bewilligungspflicht sondern der Anzeigepflicht; Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Aufstellen eines Informationstisches ohne Bewilligung; Zweck dieser Veranstaltung Information zufällig vorüberkommender Passanten; keine Versammlung mangels "gewisser Assoziation der Zusammengekommenen"; keine Verletzung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit; Möglichkeit der Berührung des Rechtes auf Meinungsäußerungsfreiheit entsprechen materiellem Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 MRK; keine Bedenken gegen Abwägung des Interesses an der Meinungsäußerungsfreiheit gegen jenes des Straßenverkehrs durch Organe der Vollziehung im Einzelfall; keine denkunmögliche Gesetzesanwendung.


Strafrechts-Prof. Helmut Fuchs bezweifelt im Ö1-"Mittagsjournal", dass die Blockade der PEGIDA-Route unter die §§ 284 oder 285 StGB ("Sprenung" oder "Störung einer Versammlung") fällt: "Wenn die Versammlung bereits an dem Ort ist, wo sie stattfinden kann, dann kann man nicht davon sprechen, dass der Versammlungsraum unzugänglich gemacht wurde."
Auch LVT Wien-Chef Erich Zwettler gibt gegenüber Ö1 bekannt, dass "keineswegs fix" sei, dass diese Paragraphen angewendet werden - es werde noch genauere Abklärungen mit Beamten vor Ort und der Staatsanwaltschaft geben, so Zwettler. Die LPD Oberösterreich prüft ein Verbot der angekündigten PEGIDA-Versammlung in Linz am Sonntag, zu der sich auf Facebook bereits über 1.000 GegendemonstrantInnen angekündigt haben (https://www.facebook.com/events/642878275818878).
Gegen mehrere Teilnehmer der PEGIDA-Kundgebung werde wegen § 3, Verbotsgesetz, ermittelt und vorliegendes Bildmaterial ausgewertet.