Dienstag, 24. Februar 2015

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Ex-Diplomat Alijew tot: Anwälte bezweifeln Suizid


Der Ex-Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten dürfte sich in seiner Zelle erhängt haben. Alijew saß in Wien-Josefstadt in U-Haft, weil er in seiner Heimat zwei Banker getötet haben soll. Heute hätte er gegen mutmaßliche Erpresser aussagen sollen.
  (DiePresse.com)
Der wegen Doppelmordes angeklagte kasachische Ex-Botschafter Rachat Alijew ist tot. Der Insasse der Justizanstalt Josefstadt wurde am heutigen Dienstag um 7.20 Uhr gefunden. Alijew habe sich im Nassbereich seiner Zelle erhängt, teilte Peter Prechtl, Leiter der Vollzugsdirektion, mit. Nur wenige Stunden später hätte Alijew als Zeuge in einem Prozess im Straflandesgericht aussagen sollen. Alijews Rechtsvertreter bezweifeln, dass es Suizid war.
Alijew war auf eigenen Wunsch in einer Einzelzelle der Sonderkrankenanstalt in der Justizanstalt Josefstadt. "Er galt nicht als suizidgefährdet", sagt Prechtl. Im internen System lief Alijew unter "Grün", was bedeutet, dass er ohne Bedenken alleine in einer Zelle liegen durfte. Die Beurteilung erfolgt nach dem "Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions (VISCI)": "Rot" bedeutet hohe Gefährdung, "gelb" heißt unsicher, "grün" bedeutet: nichts zu erkennen (siehe Infobox unten). Die Zelle Alijews wurde dennoch regelmäßig kontrolliert, allerdings ist die Nasszelle samt WC und Dusche dabei nicht einsehbar. In dieser soll sich der frühere Botschafter mit Mullbinden an einem Kleiderhaken erhängt haben.

Alijew hätte heute vor Gericht aussagen sollen

Dem früheren Botschafter Kasachstans in Wien wurde vorgeworfen, im Februar 2007 in Kasachstan die beiden Banker Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov getötet zu haben. Er soll dabei zwei Mittäter gehabt haben. Das Trio bestritt dies stets, Alijew sprach von einer Intrige (mehr dazu in "Alijews erbitterte Fehde mit dem Ex-Schwiegervater"). Österreich ist zur Übernahme der Strafverfolgung verpflichtet, da es die Auslieferung der Verdächtigen nach Kasachstan verweigert. Der spektakuläre Prozess hätte wohl in der ersten Jahreshälfte 2015 in Wien beginnen sollen.
Zuletzt gab es Berichte, dass Alijew in der Haftanstalt bedroht und erpresst worden sein soll. Am heutigen Dienstag hätte Alijew in einem Prozess um diese angebliche Erpressung gegen zwei Mithäftlinge aussagen sollen. Laut Anklage hätten die beiden Alijew erklärt, dass er 3000 Euro bezahlen müsse, wenn er in Haft überleben wolle. Ansonsten könne ihn jemand während des Waschens im Duschraum umbringen und dies wie einen Selbstmord aussehen lassen, steht in der Anklageschrift gegen die Mithäftlinge. Alijew soll in weiterer Folge über seinen Anwalt tatsächlich 1000 Euro bezahlt haben, indem er eine entsprechende Überweisung auf das Konto eines der Mitgefangenen veranlasste.
Die angeblichen Schutzgeld-Erpresser weisen die Vorwürfe entschieden zurück. Der Prozess ist am Dienstagvormittag regulär aufgenommen worden. "Der Russe" habe ihm helfen wollen und ihm "aus freien Stücken" Geld gegeben, betonte der Ältere, ein 41-Jähriger, der wegen versuchten Mordes bereits 15 Jahre im Gefängnis gesessen hat. Aufgrund von Sprachbarrieren wäre eine Drohung gar nicht möglich gewesen, sagte er vor Gericht. Auch der 20-jährige mutmaßliche Mittäter bestritt die angebliche Erpressung erneut.

Verteidiger: "Erhebliche Zweifel" an Suizid

Für seine Verteidiger Manfred und Klaus Ainedter ist es schwer vorstellbar, dass Alijew freiwillig aus dem Leben geschieden ist: "Ich habe daran erhebliche Zweifel, ohne jemanden beschuldigen zu wollen. Ich habe ihn gestern noch besucht. Es konnte überhaupt keine Rede von Suizidgefahr sein", sagte Klaus Ainedter, der gemeinsam mit seinem Vater Manfred seit mehreren Jahren Alijew strafrechtlich vertreten hat, in einer ersten Reaktion gegenüber der Austria Presseagentur. Jetzt gelte es die Ermittlungen abzuwarten: "Wir vertrauen darauf, dass der Tod genauestens untersucht und die Todesursache eindeutig festgestellt wird."
Auch der Jurist Stefan Prochaska, er war ebenfalls als Anwalt für Alijew tätig, glaubt an Mord. "Die Vermutung ist, dass ihn jemand umgebracht hat", sagte Prochaska am Dienstag der Austria Presseagentur. Der Zeitpunkt des Todes kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gegen Alijew - der Doppelmord-Prozess hätte in wenigen Monaten beginnen sollen - sei "höchst auffällig". Ein Suizid mache "keinen Sinn", so Prochaska. In den vergangenen Wochen und Monaten habe er viel Zeit mit seinem Mandanten verbracht, der alles andere als in Selbstmitleid zerflossen sei. "Er war eher der Fighter."
Vollzugsdirektionsleiter Prechtl bekräftigte jedoch am Dienstagnachmittag noch einmal: "Für uns war es eindeutig Selbstmord, es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass er ermordet worden ist".

Ermittlungen bereits angelaufen

Die Wiener Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Obduktion des Leichnams angeordnet. Alijews Zelle wurde bereits von einer Tatortgruppe des Landeskriminalamts untersucht. Auch der diensthabende Journalstaatsanwalt nahm an diesem Lokalaugenschein teil. Auch erste Einvernahmen wurden durchgeführt. Befragt wurden "Personen, die als Auskunftspersonen infrage kommen könnten", sagte Behördensprecherin Nina Bussek.
Alijew auf einem undatierten Archivbild.
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4670280/ExDiplomat-Alijew-tot_Anwaelte-bezweifeln-Suizid?xtor=CS1-15

Chronologie: Der Fall Alijew

  (DiePresse.com)
Der Fall Alijew beschäftigt die österreichische Justiz und Politik nun schon seit Jahren. Am Donnerstagabend wurde der kasachische Ex-Botschafter in Österreich, Rakhat Alijew (Shoraz), in Wien wegen Mord- und Geldwäscheverdachts verhaftet.
Nachdem seit Mai ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vorliegt, stellte sich der ehemalige Vize-Geheimdienstchef Alijew nach Angaben seines Anwaltes freiwillig der Polizei. Eine Chronologie:
  • 2002: Rakhat Alijew, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putsch-Gerüchten als kasachischer Botschafter nach Österreich geschickt.
  • 2005: Alijew kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.
  • 31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rakhat Alijew.
  • 9. Februar 2007: Alijew wird wieder als Botschafter nach Österreich geschickt.
  • 23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Alijew wegen der Entführung der beiden Bankmanager.
  • 26. Mai 2007: Alijew wird als Botschafter abgesetzt.
  • 28. Mai 2007: Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Alijew.
  • 30. Mai 2007: Auslieferungsantrag der kasachischen Justiz an Österreich.
  • 1. Juni 2007: Alijew wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in Haft genommen.
  • 4. Juni 2007: In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" erklärt Alijew, dass das Vorgehen der kasachischen Justiz politisch motiviert sei. Es handle sich um Rache für seine Ambitionen auf das Präsidentenamt und dafür, dass er sich geweigert habe, dem Staatschef und seiner Entourage lukrative Unternehmensanteile zu überschreiben.
  • 17. Jänner 2008: Alijew wird wegen der Gründung einer mafiösen Vereinigung in Abwesenheit von einem kasachischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt. Kasachstan stellt daraufhin einen weiteren Auslieferungsantrag an Österreich, zur Vollstreckung der Strafe.
  • 26. März 2008: Alijew und der kasachische Ex-Geheimdienstschef Alnur Mussayev wird wegen Planung eines Staatsstreichs in Abwesenheit zu 20 Jahren Straflager verurteilt.
  • Juli-September 2008: Drei gescheiterte Entführungsversuche gegen Mussayev und den Alijew-Vertrauten Vadim Koshlyak in Wien. Laut dem österreichischen Verfassungsschutz wurden die Versuche vom kasachischen Geheimdienst "finanziert, koordiniert und in Auftrag gegeben".
  • September 2008: Nach Intervention des Außenministeriums zieht die kasachische Botschaft einen in die Entführungen verwickelten Diplomaten aus Wien ab.
  • 29. Jänner 2009: Ein Wiener Polizist, der Daten an den mutmaßlichen kasachischen Spion Ildar A. weitergegeben hatte, wird wegen Amtsmissbrauchs zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Ildar A. ist bereits in U-Haft.
  • 10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst soll auch Abgeordnete beeinflusst haben, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bestätigt (BVT).
  • 18. Jänner 2010: Der mutmaßliche kasachische Spion Ildar A. wird in einem Prozess um die Entführungen von einem Wiener Gericht freigesprochen.
  • 28. August 2010: Der Wiener Anwalt Gabriel Lansky wirft Alijew die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Er soll in Österreich eine "Geldwaschmaschine" betrieben haben, über die er 100 Millionen Euro verschoben habe.
  • Dezember 2010: Bundespräsident Heinz Fischer besucht Kasachstan, nachdem er zwei Jahre davor eine Visite kurzfristig abgesagt hatte. In US-Depeschen, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, heißt es, die Absage sei auf Intervention Alijews erfolgt. Die Präsidentschaftskanzlei weist diese Berichte aufs Schärfste zurück.
  • Jänner 2011: Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) bestätigt, dass er als Berater für die kasachische Regierung tätig ist.
  • 30. Jänner 2011: Laut dem ZDF ermittelt die deutsche Justiz wegen Geldwäsche gegen Alijew. Eine zentrale Rolle soll dabei ein Metallbetrieb in Nordrhein-Westfalen gespielt haben.
  • Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) revidiert seine Spruchpraxis und erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland. Juristen sehen damit die österreichische Justiz im Fall Alijew in Zugzwang.
  • 28. Februar 2011: Die Berliner Anwaltskanzlei des deutschen Ex-Politikers Lothar de Maiziere erhebt schwere Vorwürfe gegen Alijew. Dieser soll die Folterung und Misshandlung zweier Kasachen in Auftrag gegeben und teils sogar persönlich verübt haben. Zwei Leibwächter des kasachischen Premiers Akezhan Kazhelgeldin geben an, gefoltert worden zu sein, weil sie sich geweigert haben, ihren Chef zu belasten.
  • 28. April 2011: De Maiziere und der deutsche EU-Abgeordnete Elmar Brok kritisieren die angebliche Untätigkeit Österreichs im Fall Alijew. De Maiziere äußert die Vermutung, dass Alijew "Freunde im österreichischen Innenministerium hat".
  • 18. Mai 2011: Aus dem Entführungsfall wird ein Mordfall: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Alijews in Kasachstan werden die Leichen der beiden verschwundenen Nurbank-Manager gefunden. Gerichtsmedizinern der Berliner Charite gelingt die Identifizierung der in Kalkfässer gesteckten Leichen. Alijew spricht von durch den kasachischen Geheimdienst manipulierten Beweisen.
  • 6. Juni 2011: Anwalt Lansky wirft den österreichischen Behörden vor, sich als Fluchthelfer für Alijew und seine vier mutmaßlichen Mittäter zu verdingen. Bei einem Treffen hochrangiger Vertreter von Innen-, Justiz- und Außenministerium soll die Hoffnung geäußert worden sein, dass sie sich ins Ausland absetzen. Alijew ist eigenen Angaben zufolge schon seit zwei Jahren nicht mehr in Österreich.
  • 16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans im Fall Alijew, jenen zur Vollstreckung der Strafe, ab.
  • Seit Juli 2011: Auch österreichische Behörden beginnen Ermittlungen gegen Alijew wegen Mord- und wegen Geldwäschevorwürfen. Alijew soll sich inzwischen in Malta aufhalten und den Namen seiner Frau, Shoraz, angenommen haben.
  • März 2013: Alijew alias Shoraz erhebt in seinem neu erschienen Buch "Tatort Österreich" Vorwürfe erneut Vorwürfe gegen österreichische Politiker. Genannt werden darin etwa der ehemalige Innenminister Karl Blecha (SPÖ) und sein Parteikollege, Ex-Parlamentarier Anton Gaal, aber auch Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner. Sie seien "Helfershelfern" Kasachstans, die auf juristischem, medialem und politischem Wege an seiner Diskreditierung und Auslieferung gearbeitet hätten.
  • 1. Juni 2013: Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer wird verdächtigt, das kasachische Regime mit vertraulichen Dokumenten im Fall Alijew versorgt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittle sowohl gegen Gusenbauer als auch gegen den Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeiten, berichtet das Nachrichtenmagazin "profil".
  • 14. Juni 2013: Das Vermögen Alijews alias Shoraz auf Malta wird laut der Zeitung "Malta Today" wegen Verdachts der Geldwäsche eingefroren. Eine Bestätigung seitens der maltesischen Staatsanwaltschaft blieb aus.
  • 11. November 2013: Alijew alias Shoraz wird aufgrund der Übernahme des von Kasachstan gegen ihn eingeleiten Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien der österreichische Fremdenpass entzogen.
  • 10. April 2014: Gegner von Alijew erheben schwere Vorwürfe gegen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Er sei nicht nur sein Rechtsanwalt gewesen, sondern "ein Mittäter, ein Assistent von Rakhat Alijew", so der kasachische Aktivist Serik Medetbekow bei einer Pressekonferenz in der OSZE in Wien. Justizminister Brandstetter weist die Anschuldigungen auf APA-Anfrage zurück.
  • 6. Juni 2014: Alijew alias Shoraz wird am Wiener Flughafen festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Wien hatte am 19. Mai einen Haftbefehl gegen den mord-und folterverdächtigen kasachische Ex-Botschafter in Österreich erlassen. Seinem Anwalt Manfred Ainedter zufolge habe sich Alijew "freiwillig" gestellt.
  • Jänner 2015: In einer umfangreichen Anklageschrift wird Alijew Doppelmord vorgeworfen. Erst ein „Verrat“ brachte die Ermittler weiter. 
  • Im Jänner 2015 wird auch bekannt, dass zwei Mithäftlinge von Alijew nach dessen Inhaftierung Schutzgeld verlangt haben sollen.