Samstag, 21. Februar 2015

Albanien 1917

Das k. u. k. Armeeoberkommando ließ 1917 Feldbordelle auf dem Balkan errichten, nachdem es zu zahlreichen Ehrenmorden gekommen war. Die Soldaten hatten zuvor offenbar Sex mit Albanerinnen. Heute erinnert in Shkodra ein Gedenkstein an die Besatzer

Die Meldungen über die Zunahme der "üblichen Leichenfunde im Straßengraben" erreichten 1917 das Armeeoberkommando in Wien. Offizier Franz Xaver Schubert schickte die letzten Berichte aus Nordalbanien - "in 30 Tagen 18 Morde" - dem Chef des Generalstabs, Franz Conrad von Hötzendorf. "Recht peinlich" war Schubert dann aber doch der Auftrag, "für die Armee in Albanien 'Feldbordelle' zu organisieren, um den sich mehrenden Blutrache-Morden an unseren Soldaten die Grundlage zu entziehen", schreibt Schubert in seinem Tagebuch während des Ersten Weltkriegs.
Die "Lage" war allerdings brisant. Tagtäglich langten beim Armeeoberkommando "Meldungen aus Albanien und Montenegro über Ermordung von Soldaten durch Einheimische wegen Blutschande ein". Die Morde hatten offensichtlich mit Sex zwischen Albanerinnen und k. u. k. Soldaten zu tun, für den Letztere offenbar von Angehörigen der Frauen "bestraft" wurden. Schubert hatte also eine Idee: "die Beistellung eines teilweisen Ersatzes für die Heimat" - auf Deutsch: Feldbordelle. Er schrieb einige Offiziere in Albanien an: "Die Antworten lauteten zustimmend: 'Einzige Möglichkeit, um dem Morden ein Ende zu setzen, Erfolg sicher.'"

"Weibliche Hilfskräfte"

Sein Vorgesetzter, Feldmarschallleutnant Franz Höfer von Feldsturm, wollte offenbar nicht so richtig. Doch "meine Zusicherung, dass diese unerwünschte Neuerung nur in der Herzegowina, Süddalmatien, Montenegro und Albanien eingeführt und nur dort verlautbart werden soll, bewog den Chef schließlich zur Zustimmung". Aus Wien wurden "weibliche Hilfskräfte bei der Armee im Felde" angeworben. "Geplant waren zunächst 100 'freiwillige Mädchen', die der Major in Wien binnen 8 Tagen abreisefertig beizustellen versprach", schreibt Schubert, der von Kollegen scherzweise "Armee-Bordellchef" genannt wurde. "Die so schwierig zustande gekommene Organisation bewährte sich: Schlagartig hörten die Morde auf."
"Das Armeeoberkommando befürchtete offenbar, dass nicht nur ein betrogener Ehemann, sondern die Familie, ein ganzer Stamm auf die Besatzer sauer waren und damit das gute politische Verhältnis zu den Albanern gefährdet ist", erklärt die Wiener Historikerin Tamara Scheer vom Ludwig- Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft. Sie hinterfragt, ob die Sexualakte zwischen den Albanerinnen und den k. u. k. Soldaten freiwillig waren - es könnte sich auch um Vergewaltigungen gehandelt haben.
Die Situation der Frauen im Ersten Weltkrieg auf dem Balkan, aber auch in Polen war jedenfalls vielerorts zum Verzweifeln. "Da ging es nicht um übliche Geheimprostitution, sondern um Ehefrauen und Mütter, die für Sex etwas zu Essen bekommen wollten", sagt Scheer. Von den Frauen selbst ist kaum etwas überliefert: "Sie waren wie eine Ware, hatten kein Gesicht und keine Geschichte."

"Sprungtaxe" und "Deckel"

Die Armeeführung betrachtete die Prostitution pragmatisch. Bei den Frauen wurde eine "Sprungtaxe" eingehoben und nach ärztlichen Untersuchungen gab es den "Deckel". In "Etappenbordellen", das waren Zugwaggons, arbeiteten insbesondere Frauen aus Galizien. "In erster Linie ging es darum, die Kampfkraft zu erhalten", sagt Scheer. "Durch Kontrollen sollte verhindert werden, dass sich Soldaten absichtlich Geschlechtskrankheiten holen, um nach Hause zu können."
Im nordalbanischen Shkodra sind auf dem Friedhof heute nur wenige alte K.-u.-k.-Gräber zu finden. Ein Gedenkstein erinnert an die 518 Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee und ihre Gegner, darunter 315 Österreicher. Die meisten Dokumente wurden während des Kommunismus vernichtet. Der österreichische Honorarkonsul Gjergj Leqejza erzählt von einem Mann, der einen Grabstein eines Österreichers jahrzehntelang bei sich zu Hause versteckte, um ihn nach der Wende wieder aufzustellen.
Leqejza meint, dass die k. u. k. Verwaltung sehr effizient war, etwa bei der Eindämmung der Blutrache. Man versuchte "offene Fälle" zu befrieden und bestrafte streng. Leqejza, dem Shkodra die österreichische IT-Schule "Peter Mahringer" zu verdanken hat, hat kürzlich dem k. u. k. Außenminister Leopold Berchtold ein Denkmal setzen lassen. Berchtold unterstützte die Gründung des albanischen Staates. Die Büste steht jetzt direkt neben dem Rathaus. (Adelheid Wölfl aus Shkodra, DER STANDARD, 21.2.2015)
 
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