Samstag, 9. Januar 2016

Der Kopf der Brigade: Hermann Erhardt


Hermann Ehrhardt (* 29. November 1881 in Diersburg; † 27. September 1971 in Brunn am Walde) war ein deutscher Marineoffizier sowie antisemitischer, deutschnationaler, republikfeindlicher Freikorpsführer und Putschist während der Weimarer Republik. Ehrhardt gehörte zunächst als Führer der nach ihm benannten Marine-Brigade Ehrhardt zu den bekanntesten Freikorpsführern der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Brigade nahm teil am Kampf gegen die Installierung einer parlamentarischen Demokratie in der Novemberrevolution und gehörte später zu den Hauptakteuren gegen ebendiese Republik während des Kapp-Putsches vom März 1920. Nach der erzwungenen Auflösung gründete Ehrhardt aus den Überresten der Einheit die Organisation Consul, die für zahlreiche politische Fememorde in der Weimarer Republik verantwortlich ist. Ehrhardt wurde in eine Pastorenfamilie hineingeboren. Weil er als Primaner seinen Klassenlehrer aus verletztem Ehrgefühl geohrfeigt hatte, musste er das Gymnasium in Lörrach verlassen und trat 1899 als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein. Dort absolvierte Ehrhardt eine Marineoffizierslaufbahn, während der er unter anderem 1904 als Leutnant zur See an der Niederschlagung des Hereroaufstands in Deutsch-Südwestafrika unter Oberstleutnant Ludwig von Estorff teilnahm.

Bei Beginn des Ersten Weltkriegs war Ehrhardt als Kapitänleutnant Chef der 20. Torpedoboot-Halbflottille. In der Skagerrakschlacht nahm seine Gruppe (seit Februar 1915 17. Torpedoboot-Halbflottille) an der Versenkung des englischen 1000-Tonnen-Zerstörers HMS Nomad teil, wobei sie aber selber das Führerboot V 27 verlor. Ehrhardts Halbflottille wurde im Oktober 1916 nach Flandern verlegt und fuhr von dort Vorstöße in den Ärmelkanal zur U-Boot-Sicherung. 1917 wurde Ehrhardt zum Korvettenkapitän befördert, im September des Jahres wurde er Chef der IX. Torpedoboot-Flottille und blieb bis Kriegsende in dieser Funktion. Bei Kriegsende führte auch er seine Einheit nach Scapa Flow, wo sie sich 1919 selbst versenkte. Ehrhardt kehrte bereits zuvor mit einem Großteil der ehemaligen Besatzungen auf einem Transportschiff nach Wilhelmshaven zurück. Als dessen Mannschaft angesichts des gefährlichen Minensperrgürtels vor der deutschen Küste meuterte und die Weiterfahrt verweigerte, übernahm Hermann Ehrhardt mit Gewalt das Kommando und brachte das Schiff sicher nach Wilhelmshaven.

Nach Kriegsende kehrte Ehrhardt nach Wilhelmshaven zurück, wo mittlerweile Bernhard Kuhnt erster Präsident des neugegründeten Freistaates Oldenburg war. Am 27. Januar 1919 riefen Kommunisten die „Räterepublik Wilhelmshaven“ aus. Ehrhardt sammelte etwa 300 Mann um sich, meist Berufssoldaten, und erstürmte mit diesen am selben Abend die 1.000-Mann-Kaserne, das Hauptquartier der revolutionären Matrosen. Unter dem Einsatz von Bootskanonen brach der Widerstand schnell zusammen. Nun wurde die Gründung einer Freiwilligen-Formation vorangetrieben.

Am 17. Februar 1919 war die Aufstellung der II. Marine-Brigade Wilhelmshaven abgeschlossen. Ab dem 1. März nannte sie sich nach ihrem Führer Marine-Brigade Ehrhardt. Sie gliederte sich (zum Zeitpunkt ihres Einsatzes in München im April/Mai 1919) in die Offiziers-Sturm-Kompanie, die Kompanie Wilhelmshaven, die Marine-Regimenter 3 und 4, einen Flammenwerferzug, die 1. und 2. Minenwerfer-Kompanie, die 1. und 2. Pionier-Kompanie sowie eine Batterie leichter Feldhaubitzen (Kaliber 10,5 cm) und eine Batterie Feldkanonen (Kaliber 7,7 cm). Die Gesamtstärke betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 1.500 Mann.

Nachdem Werbung, Aufstellung und Ausbildung abgeschlossen waren, erhielt die Brigade im April 1919 den Befehl, unter dem Oberkommando des Generals Georg Ludwig Rudolf Maercker gegen die Revolution in Braunschweig einzuschreiten. Den Freikorps stellte sich kein Widerstand entgegen, die Revolutionsführer flohen.

Der 37-jährige Ehrhardt war nicht bereit, Niederlage, Revolution und die neuen Machthaber anzuerkennen. Mit seinem Freikorps hatte er sich das Mittel geschaffen, diesem Willen Ausdruck zu verleihen. Quer durch Mitteldeutschland schlug Ehrhardts Brigade Unruhen nieder, um am 30. April 1919 in Oberschleißheim zum Sturm auf die Münchner Räterepublik anzutreten. Die verbündeten Freikorps gingen mit aller Brutalität gegen die aufständischen Arbeiter vor. Am 2. Mai waren die Kämpfe im Wesentlichen beendet. Im Juni wurde die Brigade in Berlin gegen einen Verkehrsstreik eingesetzt, im August gegen den ersten polnischen Aufstand in Oberschlesien. Gegen Ende des Jahres 1919 wurde die Truppe mit Heimkehrern ehemaliger Baltikumeinheiten aufgefüllt, so dass sie auf etwa 4000 Mann anwuchs. Den Jahreswechsel 1919/20 verbrachte Ehrhardt mit seinen Männern in Ruhestellung auf dem Truppenübungsplatz Döberitz bei Berlin. Diese Ruhezeit wurde unter anderem für politische Vorträge genutzt; die Marine-Brigade Ehrhardt radikalisierte sich. Ehrhardt begann, den „Marsch auf Berlin“ zu planen.

 Mit General Walther von Lüttwitz, seit Oktober 1919 Führer des Berliner Reichswehrgruppenkommandos I, und dem Politiker Wolfgang Kapp fanden sich zwei Männer, die entschlossen waren, die Ergebnisse der Revolution rückgängig zu machen. Nachdem die Reichsregierung bereits Anfang März 1920 auf Druck der Alliierten, die die Erfüllung des Versailler Friedensvertrags überwachten, die Auflösung der Marine-Brigade Ehrhardt und weiterer Freikorps bestimmt hatte, war diese nun bereit, gegen die Regierung vorzugehen. Am 12. März trat der bei den Rechtsradikalen verhasste Finanzminister Matthias Erzberger zurück, was der antidemokratischen Bewegung zusätzlichen Auftrieb gab. Lüttwitz protestierte gegen die Auflösung der Freikorps, indem er den Rücktritt des Reichspräsidenten und der Reichsregierung forderte. Er wurde daraufhin entlassen. So begann am 13. März 1920 der Kapp-Lüttwitz-Putsch: Lüttwitz stellte sich an die Spitze der Marinebrigade Ehrhardt und besetzte mit ihr das Berliner Regierungsviertel.

Die Reichsregierung um Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Gustav Bauer wich jedoch zuerst eintägig nach Dresden, dann für vier Tage nach Stuttgart aus. Durch Generalstreik und passives Abwarten öffentlicher Stellen war der ohnehin überstürzt geplante Putsch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Reichswehr stellte sich nahezu geschlossen gegen die neue Regierung, die Arbeiterschaft streikte vollständig, die Kapp-Regierung entwarf ein paar Flugblätter und gab am 17. März auf. Die Marinebrigade marschierte zurück nach Döberitz. Am 30. März 1920 nahm Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt die letzte Parade seines Freikorps ab. Er selbst wurde am 10. September ehrenhaft aus der Reichsmarine entlassen; die Marine-Brigade Ehrhardt war bereits zum 31. Mai aufgelöst worden. Gegen Ehrhardt erging ein Haftbefehl, dem er sich jedoch durch die Flucht nach München entziehen konnte, wo er zunächst nicht mehr strafrechtlich verfolgt wurde.

Nach dem Ende der Marine-Brigade Ehrhardt wurden Teile der Freikorps-Soldaten in die reguläre Reichswehr eingegliedert. Der Rest der Einheit formierte sich im Herbst 1920 zur Organisation Consul, einer rechtsradikalen Untergrundorganisation, die mit Attentaten auf sich aufmerksam machte. Die Morde an dem ehemaligen Finanzminister Matthias Erzberger (26. August 1921) und dem Außenminister Walther Rathenau (24. Juni 1922) und der Mordversuch an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann (4. Juni 1922) wurden von ehemaligen Ehrhardt-Offizieren geplant und begangen. In der Folge des Mordes an Erzberger floh Ehrhardt vor einer drohenden Verhaftung nach Ungarn. In Abwesenheit ihres Leiters zerfiel die Organisation Consul nach und nach. Otto Pittinger, der Führer der moderat-rechten Bewegung in Bayern, nutzte die Gelegenheit und versuchte, die Ehrhardt-Gruppe für sich zu gewinnen und zu entradikalisieren. So entstand der sogenannte Neudeutsche Bund, der die alten Kämpfer der Brigade Ehrhardt zu bündeln versuchte. Auch der aus dem Exil zurückkehrende Ehrhardt selbst schloss sich der Entwicklung an, wurde aber schließlich im November 1922 verhaftet.

Aus dem Gefängnis heraus wies Ehrhardt 1923 den loyalen Kapitänleutnant Eberhard Kautter an, den Neudeutschen Bund zu reorganisieren. Nach der Neuformung wurde daraus der Bund Wiking, der im ganzen Reich operierte und nach eigenen Angaben etwa 10.000 Mitglieder hatte. Im Juli 1923 floh Ehrhardt aus der Haft zunächst in die Schweiz, bis er am 29. September wieder nach München zurückkehrte. Als Anhänger der konservativen Gruppe um Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr wandte sich Ehrhardt dann am 8./9. November 1923 gegen den Hitler-Ludendorff-Putsch. Ehrhardt zog seine Truppen – hauptsächlich aus Formationen des Bundes Wiking bestehend – in Oberfranken zusammen und war bereit, gegen Hitler zu marschieren. Doch dazu kam es nicht, denn der Putsch scheiterte schon in München.

Schon früh hatte Ehrhardt Kontakt zu Adolf Hitler und seiner nationalsozialistischen Bewegung. Als Ernst Röhm für die Gründung seiner Sturmabteilung (SA) erfahrene Männer suchte, die den neuen Verband führen konnten, wandte er sich an Ehrhardt. Dieser wollte jedoch zunächst nichts mit Hitler zu tun haben und schimpfte: „Herrgott, was will der Idiot schon wieder?“ Schließlich ließ er sich jedoch von Röhm überreden und überstellte mehrere seiner Männer an Hitler. Der Leutnant der Organisation Consul Hans Ulrich Klintzsch wurde Leiter der SA, der Ehrhardt-Mann Alfred Hoffmann wurde Stabschef. Schon zwei Monate später beendete Ehrhardt jedoch seine Verbindung mit der Hitler-Bewegung und der SA und zog auch einige seiner Männer zurück.

Nach dem Putsch von 1923 hatte Ehrhardt sein Ansehen bei den rechtsradikalen Kräften in München verloren. Er wurde als Verräter betrachtet, da er sich gegen Hitler gestellt hatte. So verlor auch der Bund Wiking an Bedeutung. Im April 1924 floh Ehrhardt abermals vor der strafrechtlichen Verfolgung aus dem Deutschen Reich nach Österreich und kehrte im Oktober 1926 nach einer Amnestie des neuen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zurück. Der Bund Wiking hatte in der Zwischenzeit so sehr an Bedeutung eingebüßt, dass Ehrhardt sich genötigt sah, Verhandlungen mit dem Stahlhelm aufzunehmen, in dem der Bund aufgehen sollte. Auch diese Verhandlungen scheiterten und am 27. April 1928 wurde der Bund Wiking schließlich aufgelöst.

Die von Ehrhardt gemeinsam mit Hartmut Plaas im Jahre 1931 gegründete „Gefolgschaft“ vereinigte noch einmal 2.000 seiner Anhänger sowie enttäuschte Nationalsozialisten und Kommunisten, die eine Machtübernahme Hitlers verhindern wollten und vor allem die Demagogie der NSDAP anprangerten. Im selben Jahr unterhielt Ehrhardt Beziehungen zu Otto Strasser und dem „linken“ Flügel der NSDAP, woraus sich aber für ihn auch nichts weiter ergab. 1933 hatte Ehrhardt seinen Unterschlupf auf dem von ihm erworbenen ehemaligen Gut des Grafen von Bredow in Kleßen, Westhavelland. Am 28. Juni 1933 meldete die "Westhavelländische Tageszeitung": "Kapitän Ehrhardt bekennt sich zur NSDAP", habe die Reichsführung SS mitgeteilt. Er wäre "persönlich in die Partei eingetreten" "und hat sich mit seinem Wehrverband, der Brigade Ehrhardt, dem Reichsführer SS unterstellt". Angeblich war auch Ehrhardts Leben in Gefahr: Gemeinsam mit vielen anderen alten Gegnern Hitlers sollte er Opfer des „Röhm-Putsches“ im Juni/Juli 1934 werden. Er floh jedoch rechtzeitig zunächst vor den SS-Leuten, die ihn ermorden sollten, in einen nahe seinem Gut gelegenen Wald, später dann in die Schweiz. 1936 ging er nach Österreich, wo er in Brunn am Wald im Bezirk Krems an der Donau das herrschaftliche Gut betrieb und mit seiner Familie auf Schloss Brunn am Wald wohnte. Das Gut Kleßen wurde 1937 verkauft. Er lebte in der Folgezeit als Landwirt und war bis zu seinem Tode 1971 nicht mehr politisch oder militärisch aktiv.
Am 13. August 1927 hatte Ehrhardt in Neuruppin Margarethe Viktoria Prinzessin zu Hohenlohe-Öhringen (1894–1976) geheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Marie Elisabeth und Hermann Georg. 1948 wurde Ehrhardt österreichischer Staatsbürger. Ehrhardt ist ebenso wie seine Gattin Margarete auf dem Gemeindefriedhof in Lichtenau im Waldviertel bestattet.