Mittwoch, 13. November 2013

Wohin der Krieg führt.

Wien im Ersten Weltkrieg 1914–1918
 
Ausstellung
Das Trauma
Das Kriegsgeschehen erreichte Wien durch die in den Zeitungen publizierten Toten- und Vermisstenlisten, durch die Ankunft der hunderttausend Verletzten und Flüchtlinge, aber es hat die Stadt nicht direkt betroffen.

Und doch standen die Jahre 1914 bis 1918 genauso im Zeichen eines »totalen Krieges«, der Zerstörungen anderer Art hinterließ. Im Gedächtnis der Groß- und Urgroßeltern wurde der Erste Weltkrieg assoziiert mit Hunger, Kälte und Entbehrungen, mit Brot- und Kartoffelkarte, Tuberkulose und Spanischer Grippe sowie einer stark erhöhten Sterblichkeitsrate.

Die Qual der alltäglichen Überlebenskämpfe, die demütigenden Erlebnisse des Anstellens und Hamsterns, die Erfahrungen von Ablehnung und Ausgrenzung im Wiener Umland schufen ein Klima des Aufruhrs – und ein Trauma, das nicht so schnell vergessen werden sollte. All das war allerdings das Fundament für einen radikalen Politikwechsel.

Die physischen und psychischen Verwüstungen des Ersten Weltkriegs schrieben die Vorgeschichte einer neuen Sozialgesetzgebung, einer gesellschaftlichen Demokratisierung, einer grundlegenden Gemeindewahlrechtsreform, eines großen Wohnbauprogramms. Überdies hinterließ der Erste Weltkrieg Wien mit einer gebrochenen politischen Identität.
Die Rolle der Reichshaupt- und Residenzstadt war ausgespielt.

Eine Stadt stirbt
Noch 1916 priesen die Feuilletonisten die neue Schlankheit.»Durchhalten!« wurde zur propagandistischen Parole der Stunde. Das Gros der Bevölkerung war längst unterernährt, Kleider und Anzüge passten nicht mehr, Mittel gegen Krätzmilben waren stark nachgefragt, Schuhe und Ledersohlen wurden zum hoch begehrten Gut. Müllabfuhr und Schneeräumung funktionierten nicht mehr, der Straßenbahnverkehr wurde zur Qual. Landgemeinden taten mit Tafeln kund, dass »Hamsterer«, Ausflügler und Sommerfrischler aus Wien unerwünscht seien. Die Wiener Bevölkerung fühlte sich eingesperrt, vergessen von Regierung und Verwaltung. Jugendliche zogen auf der Suche nach Nahrung plündernd durch die Stadt. Die Stimmung war aggressiv, die Klage über die Kriegsgrobheit allgegenwärtig, Rücksicht und Höflichkeit blieben im Überlebenskampf auf der Strecke.


Die Urbanität starb. Autos und Fiaker waren von den Straßen verschwunden, in den Schaufenstern dominierte die Leere, viele Waren gab es nicht mehr, an den versperrten Türen der Restaurants hieß es: »Bis Kriegsende geschlossen«. Bis auf einige wenige Ausnahmen wurde jegliche Bautätigkeit eingestellt, viereinhalb Jahre lang gab es kaum Renovierungen. Der U-Bahn-Bau blieb mit Kriegsbeginn in der Planungsphase stecken.

Noch einmal Hauptstadt der Monarchie

Es gehört zu den Pikanterien des Krieges, dass Wien in seiner gesamten Geschichte just zu einem Zeitpunkt einen Einwohner-Höchststand erreichte, als hunderttausend Wiener weit weg von ihrer Heimatstadt an der Front im Einsatz waren. Hotels und Pensionen waren in der Endphase des Krieges überbelegt. Die Chance, eine Wohnung anzumieten, war gleich null. Neuankömmlinge hatten größte Mühe, irgendwo eine Bettstelle zu bekommen. Wien wurde in nie gekanntem Ausmaß noch einmal zum zentralen Knotenpunkt: Wien war Kasernenstadt für Soldaten aus der ganzen Monarchie geworden, in Wien war die zentrale Verwaltung aller Kriegsanstrengungen massiert, Wien verwandelte sich zur Lazarettstadt.

Allein bis zum März 1915 landeten 260.000 Verwundete in Wiener Spitälern. Die Hälfte aller Schulen, das Parlament oder die Universität wurden als Hilfsspitäler benützt. Zeitweise hielten sich bis zu 200.000 Flüchtlinge aus dem Osten und Süden in Wien auf. Wien wurde zum Zentrum der Kriegswirtschaft und zog Arbeitskräfte aus der ganzen Monarchie an. Die Wiener Bahnhöfe bildeten die Relaisstationen dieser Bewegungsströme. In Summe ließen die genannten Personenströme die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner und temporären Gäste auf weit über 2,4 Millionen klettern.

Die Kriegssammlung
Auf Betreiben des christlich-sozialen Bürgermeisters Richard Weiskirchner wurde während des Ersten Weltkriegs in den damaligen Städtischen Sammlungen (heute: Wienbibliothek und Wien Museum) eine »Kriegssammlung« angelegt. Selbst der Bürgermeister war aktiv, als es galt, die »Große Zeit« des imperialen Aufbruchs zu dokumentieren. Er schickte ihm gewidmete Publikationen und an ihn ergangene Briefe, hieß allen Magistratsabteilungen per Dekret, sämtliche Plakate aufzuheben, und sammelte bei seinen Reisen an die Front verschiedene Objekte als Kriegserinnerungen ein. Als bei den vielen Charity-Aktionen eine Flut von Bildpostkarten, Kokarden, Lesezeichen, Vivatbändern, Medaillen, Verschlussmarken und Kunsthandwerk die Stadt überschwemmte, zweigten die Städtischen Sammlungen stets Exemplare ab.

Sie arbeiteten mit Gerichten und der Zensur zusammen, um auch an Bücher aus dem feindlichen Ausland zu kommen. Selbstverständlich wurden auch Brot-, Kaffee- oder Kartoffelkarten in die Bestände eingebracht.

Die kuriosesten Stücke sind das konservierte »Kriegsbrot« oder die Fläschchen mit den Ersatzmitteln. Die historiografisch interessanteste Hinterlassenschaft bildet die 604 Bände umfassende Zeitungsausschnittsammlung.
 
 
 
 
Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus
1010 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße
Stiege 6, 1. Stock (Glaslift)
Eintritt frei!
Dauer
15. November 2013 bis 23. Mai 2014
Öffnungszeiten
Mo-Do (werktags) 9.00-18.30 Uhr
Fr (werktags) 9.00-16:30 Uhr