Satellitenfotos enttarnen chinesische "Supergeschütze"
In der Inneren Mongolei wurden zwei gewaltige, mehr als 24 Meter lange Kanonen auf einem Testgelände entdeckt. Gehören sie zu einem Programm zur Abwehr von Raketen, ja zur Zerstörung von Satelliten?
DiePresse.com)
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Satellitenfotos, die die französische Weltraumbehörde CNES und der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern Astrium vor kurzem freigegeben haben, gewähren einen so ungewöhnlichen wie mysteriösen Einblick in das schwer zugängliche Hinterland Chinas: Darauf sind nämlich, wie das Militärfachmagazin IHS Jane's Defence berichtet, zwei enorm große und vor allem extrem lange „Supergeschütze" zu sehen - mindestens eines davon könnte von Experimenten mit Riesenkanonen herrühren, mit denen die Chinesen anfliegende Atomraketen oder sogar Satelliten im Orbit zerstören wollten.
Die Kanonen befinden sich demnach auf einem streng abgeschirmten Artillerietestgelände bei Baotou in der autonomen Region der Inneren Mongolei, rund 560 Kilometer westlich von Peking; eine davon misst etwa 24 Meter, die längere 33 Meter. Das ist ein Vielfaches der Rohrlänge üblicher Artilleriewaffen. Vergleich: Die aktuellste Version der Panzerhaubitze M-109, wie sie auch Österreich besitzt, hat eine Rohrlänge von etwa sechs Metern, frühere Versionen waren noch kürzer.
Die Bilder (s. eine Aufnahme oben) zeigen die zwei Kanonen demnach in horizontaler Lage auf einer betonierten Plattform, daneben sind Zielobjekte für Beschusstests. Die Plattformen sind laut Astrium zwischen Herbst 2010 und Ende 2011 gebaut worden, am Ende dieser Zeit seien die Geschütze aufgetaucht. Die jüngsten Bilder von ihnen datieren auf Sommer 2013.
Eine Kaliberschätzung ist schwer möglich. Frühere Erfahrungen mit vergleichbaren Riesengeschützen (die Betonung liegt auf „früher", denn solche Waffen wurden seit dem Zweiten Weltkrieg eigentlich nicht mehr gebaut, schon gar nicht in Serie) legen einen großen Spielraum zwischen 20 und 60 Zentimetern nahe - die typische moderne Standardartillerie wie die erwähnten M-109-Haubitzen arbeitet mit inneren Rohrduchmessern (Kalibern) von 155 Millimetern.
Reichweiten von mehr als 100 Kilometern?
Man kann auch die theoretische Reichweite dieser Superkanonen nur anhand vergleichbarer Systeme schätzen und käme demzufolge auf durchaus mehr als 100 Kilometer. Vergleich: Die M-109er feuern etwa 18 bis 30 Kilometer weit, modernere Geräte wie die deutsche Panzerhaubitze 2000 schießen mit Spezialmunition 40 bis sogar 56 Kilometer.
Bekannt ist, dass China zwischen den 1960ern und 1980ern an Riesengeschützen gebastelt hat. Das lief innerhalb des „Projekts 640" ab, bei dem es um den Bau eines Abwehrsystems gegen nuklear bestückte Interkontinentalraketen ging.
Das 1964 initiierte Projekt fußte auf einem Frühwarnradar, Abfangraketen und gewaltigen Raketenabwehrkanonen namens „Xianfeng" (Pionier). Die Kanonen vom Kaliber 42 Zentimeter wären laut Informationen, die später ins Ausland durchsickerten, 26 Meter lang und mindestens 155 Tonnen schwer gewesen und hätten, den ersten Plänen zufolge, 160 Kilogramm schwere Granaten mit zusätzlichen Raketenantrieben wohl mehr als 100 Kilometer hoch schießen sollen.
Die Entwicklung der Xianfengs wurde aber, so wie das ganze Projekt 640, etwa 1980 eingestellt, weil es schlicht zu kompliziert, zu teuer und absehbar zu ineffektiv war. Die kürzere der beiden Kanonen in der Inneren Mongolei könnte noch eine vom Typ Xianfeng sein.
Iraks Riesengeschütze des "Babylon-Projekts"
In den 1990ern wurde bekannt, dass China auch an einer noch größeren Kanone getüftelt hatte: Es war eine Waffe, die dem so legendären wie obskuren irakischen Projekt „Babylon" von Ende der 1980er ähnelte.
Babylon hatte zwei Säulen: Erstens "kleinere" Geschütze (de facto waren das natürlich ungewöhnlich große Brocken) vom Kaliber 350 Millimeter bei Rohrlängen von 30 bis 52 Metern und hypothetischen Reichweiten von enormen 270 bis 490 Kilometern. Ihre Rohre waren aus Einzelsegmenten zusammengefügt und sollten auf Eisenbahnwaggons montiert werden.
Das längere dieser Modelle wurde tatsächlich ganz zusammengebaut und von Juni bis September 1990 auf einer höchst einfachen, unbeweglichen Lafette nordöstlich von Bagdad getestet: Das Geschoss flog etwa 230 km weit, der höchste Punkt der Bahn lag bei 62 km. Damit hat just der Irak - und nicht ein technologisch weit fortschrittlicheres Land wie Frankreich, Deutschland oder die USA - tatsächlich das weitreichendste Geschütz aller Zeiten gebaut und erfolgreich getestet.
Den babylonischen Vogel schoss der damalige irakische Diktator Saddam Hussein (1937-2006) aber mit der größeren Waffe des Babylon-Projekts ab: Dabei ging es um ein sozusagen größenwahnsinniges Ding vom bis dato unvorstellbaren Kaliber 1000 Millimeter, also einem ganzen Meter, das mit einer Rohrlänge von 150 Metern (!) mehr als 760 Kilometer (!!), ja angeblich bis zu 1000 Kilometer weit schießen hätte sollen. Die Montage dieses Giganten, deren Rohrsegmente (s. Foto unten im britischen Royal Artillery Museum) unter anderem aus Großbritannien kamen und vorgeblich für Pipelines bestimmt waren, kam allerdings über Anfänge nicht hinaus, weil der britische Geheimdienst dem Plan rasch auf die Schliche kam und weitere Lieferungen abstellte.
Nach der Niederlage des Irak im Zweiten Golfkrieg (1990/91) wurden die Reste des Babylon-Projekts von UN-Waffeninspektoren gefunden, analysiert und beseitigt. Hernach sagten irakische Offiziere aus, dass man damit in erster Linie Satelliten bekämpfen habe wollen (diese kreisen in der Regel in Umlaufbahnen von einigen hundert Kilometern Höhe).
Sinnlos hoher Aufwand für wenig Nutzen
Zwar heißt es bis heute, der Irak habe auch den Fernbeschuss Israels erwogen, doch scheint das wenig sinnvoll: Geschütze dieser Größe sind „sitzende Enten" für feindliche Kampfflugzeuge, schwer zu bewegen und kaum unbemerkt aufzustellen.
Zudem trugen die immerhin fertig entwickelten Geschosse für die 350-Millimeter-Varianten läppische 15 Kilogramm Sprengstoff, im Verhältnis zum Aufwand könnte man ebenso einen Knallfrosch werfen. Ballistische Raketen und Marschflugkörper sind für Zwecke des Fernbeschusses weit sinnvoller und effektiver.
Der Kanonen-Kaiser aus Kanada
Die längere der chinesischen Superkanonen auf den Fotos jedenfalls erinnert an die Ausmaße der kleineren Version der Kanonen von Babylon. Bei letzteren sowie bei anderen, zeitgleichen Geschützentwicklungen in China spielte unterdessen ein legendärer Waffenentwickler aus dem fernen Amerika eine tragende Rolle: der Kanadier Gerald Bull (1928-1990).
Bull hatte sich mit der Überschall-Aerodynamik von Raketen und Geschossen beschäftigt und hatte Gefallen an extremen Kanonenprojekten. Auf seine Initiative hin betrieben die USA und Kanada in den 1960ern das Projekt „HARP" (High Altitude Research Project); dabei ging es zunächst, einfach gesagt, darum, wie man Attrappen von Sprengköpfen für Atomraketen möglichst billig und schnell in mehr als 100 Kilometer Höhe (das ist die Grenze zum Weltall) bringen kann, um ihr Verhalten beim Fall auf die Erde zu studieren. Später schlug Bull vor, man könne doch auch Satelliten auf diese Weise in notwendigerweise weit höhere Orbits von einigen Hundert Kilometer Höhe bringen.
Das Projekt "HARP"
Tatsächlich wurden auf einem Testgelände auf der Karibikinsel Barbados (s. Bild)sowie in Arizona Spezialgeschütze aufgebaut, die Bull aus Kanonen von Schlachtschiffen entwickelt hatte. Die wichtigsten dieser Testsysteme hatten ein Kaliber von 41 Zentimeter bei 20 bis 40 Meter Länge und schossen 80 bis 180 kg schwere Spezialgeschosse tatsächlich bis zu 180 Kilometer hoch, bis heute ein Höhenrekord für Rohr-Artillerie.
Allerdings erwies sich, dass die Geschosse trotz allem viel zu langsam waren, um in eine stabile Umlaufbahn eintreten zu können: Dafür muss ein Flugobjekt nämlich mindestens 7900 Meter pro Sekunde schnell sein - die höchsten Mündungsgeschwindigkeiten (die Geschwindigkeit, mit der ein Geschoss das Rohr einer Waffe verlässt) von HARP betrugen „nur" 3600 m/sec. Abgesehen davon sind 180 Kilometer für eine stabile Satellitenbahn insgesamt immer noch weit zu niedrig (realistischer sind 300 bis 800, ja bis 2000 km).
Skandal um eine Haubitze aus der Steiermark
In den 1970ern entwarf Bulls eigene Firma dann für realistischere Zwecke die Feldhaubitze GC-45. Der Name steht für Gun Canada, Kaliber 45, wobei sich das „45" diesfalls auf die RohrLÄNGE bezieht und ausdrückt, dass sie 45 Mal länger ist als der Rohrdurchmesser (diesfalls 155 Millimeter, also eine Länge von knapp sieben Metern.
Mit einer Feuerreichweite von etwa 41 Kilometern trug diese Waffe deutlich weiter als andere zeitgenössische Feldhaubitzen, zudem war sie per Lkw relativ einfach zu transportieren und günstig zu bauen - wobei sie freilich keine Panzerhaubitze war wie etwa die erwähnte Standardwaffe M-109, also kein weittragendes Geschütz, das samt seiner Mannschaft sicher in einem mobilen Panzerfahrzeug „verpackt" ist.
Bull machte seine Geschäfte hauptsächlich dadurch, dass er seine Baupläne verkaufte und ausländische Firmen die Haubitzen in Lizenz bauen ließ, etwa in Südafrika, China - und Österreich. Dort arbeitete die obersteirische VÖEST-Tochter „Noricum" um 1980 herum die Geschützpläne etwas um und schuf die Feldhaubitze „GHN-45" (Gun, Howitzer, Noricum).
Nach ersten Lieferungen, etwa von 18 Stück nach Thailand (s. Foto), wurde die Liezener Firma in den bekannten Riesenskandal samt Politikeranklagen und rätselhaften Toden von Managern und Diplomaten verwickelt - entgegen des Neutralitätsgesetzes und über Schleichwege waren nämlich etwa 200 Kanonen aus Liezen in den Iran und 140 in den Irak exportiert worden, während beide Länder miteinander Krieg führten.
Bull trat 1988, während Österreich immer noch, und noch für einige Jahre, vom „Noricum-Skandal" sprach, mit seinen Riesengeschütz-Plänen an den Irak heran. Er hat das aber nicht lange überlebt: Im März 1990 haben ihn Unbekannte vor seiner Brüsseler Wohnung erschossen. Die Geheimdienste des Irans und Israels werden gern als Urheber bezichtigt. Israel kam übrigens über Umwege (wohl über Südafrika) auch an GC-45er und baute auf deren Basis eine eigene Variante.
Das "Paris-Geschütz" von 1918
Wie erwähnt kommt die Ehre, das weitreichendste Geschütz aller Zeiten gebaut und abgefeuert zu haben, damit dem Irak bzw. in erster Linie dem Kanadier Gerald Bull zu. Den Rekord hatte zuvor das deutsche "Paris-Geschütz" gehalten: Das war eine außergewöhnliche, unter der Leitung des Ingenieurs Fritz Rausenberger (1868-1926), einem gebürtigen Frankfurter, von Krupp gebaute Kanone, mit der die Deutschen im Ersten Weltkrieg Paris beschossen - und zwar auf eine Entfernung von maximal etwa 130 Kilometern.
Andere damals übliche weitreichende Geschütze der Kriegsparteien (etwa Eisenbahngeschütze) schossen nur etwa 30 bis 45 Kilometer weit.
Die enorm große Waffe hatte eine Rohrlänge von 37 Metern bei einem Kaliber von 21 Zentimeter und wog ohne umgebende Aufbauten etwa 140 Tonnen. Man fuhr sie per Eisenbahn zu den Abschussgebieten, Waldstücke im Nordosten von Paris, wo man die Rohre auf komplizierte "Schießgerüste" aus Stahl und Beton umbetten musste. Diese Gerüste mussten auch verhindern, dass sich die langen Rohre beim Aufstellen nach unten durchbogen.
Drei dieser Kanonen wurden gebaut, sie schossen von März bis August 1918 etwa 800 Granaten auf Paris, wobei eine Kanone explodierte. Die artilleristische Leistung war enorm: So konnte man das ferne Ziel ja nicht beobachten und das Feuer korrigieren; und weil die Granaten etwa drei Minuten lang unterwegs waren und in Höhen von mehr als 40 km aufstiegen mussten die Schützen sogar die Erddrehung miteinkalkulieren und den Schuss "vorhalten", denn im Grunde war die ferne Stadt ja sozusagen ein bewegliches Ziel wie ein Fahrzeug.
Verheerender Treffer bei Karfreitagsmesse
Der Effekt war freilich vernachlässigbar, schon, weil die Granaten nur schwache Sprengsätze mit weniger als zehn Kilo Sprengstoff beförderten. 256 Menschen, meist Zivilisten, wurden getötet, 88 davon, als ein Geschoss eine Kirche während des Karfreitags-Gottesdienstes traf. Bei jedem Schuss nützten sich die Rohre extrem ab, blähten sich innen auf, sodass das Kaliber jeder Granate einzeln angepasst werden musste und jede Granate eine noch stärkere Treibladung brauchte. Effektiv waren vielleicht acht Schuss pro Tag möglich, und nach etwa 60 Schuss war ein Kanonenrohr verbraucht.
Hundertschaften an Kanonieren und Eisenbahnern und Hilfspersonal und Wachsoldaten waren nötig, zusätzlich viele Luftabwehrkanonen. In der Nacht schießen ging nicht, weil der gewaltige Explosionsblitz die Stellung verraten hätte, man ließ wegen des enormen Explosionslärms sogar andere, leichtere Geschütze abfeuern, um den Knall zu "maskieren". Kurz gesagt: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis war katastrophal und die zwei übrigen Paris-Geschütze samt den Konstuktionsunterlagen wurden gegen Kriegsende zerstört.
Wie gesagt, vergleichbare Geschütze gab es später praktisch nicht mehr - und die irakische "Super-Gun" von Gerald Bull wurde nie ernsthaft eingesetzt. Die Franzosen bauten in den 1920ern eine ähnliche Eisenbahnkanone, die es auf etwa 120 km Schussweite brachte.
In den 1930ern baute Krupp allerdings im Auftrag des deutschen Heeres (die Paris-Kanone war von der Marine betrieben worden) noch einmal zwei Stück einer verbesserten, "haltbareren" und vom Gewicht her schwereren Variante des Paris-Geschützes: die 21-Zentimeter-Eisenbahnkanone K12.
Die kam sicher auf Reichweiten von 115 Kilometern, wenngleich in manchen Quellen (etwa: "Die Geschichte der Artillerie" von John Batchelor und Ian Hogg, 1972/77) von fast 150 km die Rede ist, wobei aber Spezialmunition im Spiel gewesen sein dürfte.
Die Riesenwaffe, die nichts tat
Beide Kanonen wurden nach der Besetzung Frankreichs 1940 nahe Calais positioniert und dürften von dort aus gelegentlich England beschossen haben - immerhin fand man Reste passender Granatsplitter in der Grafschaft Kent, doch Schaden haben die K12er nicht angerichtet und irgendwann verschwanden sie von der Bildfläche.
Gegen Kriegsende versuchten es die Deutschen aber doch noch einmal mit einem Supergeschütz, und zwar einem von den Ausmaßen der großen irakischen Babylon-Kanone: Die Kanone V3 (zunächst "Tausendfüßler" oder "Hochdruckpumpe" genannt) war der Versuch, mindestens 160 km weit zu schießen, um London vom Raum Calais aus unter Feuer nehmen zu können.
Und dann kam der "Tausendfüßler"
Dazu versuchten sich die Deutschen an einer ungewöhnlichen Technik: jener des "Mehrkammer-Geschützes". Ein solches ist, einfach gesagt, ein Rohr, bei dem über seine Länge seitlich zusätzliche Kammern mit Explosivladungen hineinragen, das sieht aus wie Äste eines Baumes. Der Sinn ist, das Geschoss, nachdem es durch die erste Treibladung unterhalb seiner selbst in Bewegung gesetzt worden ist, durch zusätzliche seitliche Explosionen weiter zu beschleunigen.
Dazu ist natürlich ein extrem präzises Timing nötig - was vor dem Computerzeitalter im Grunde so unmöglich war. Und auch die Druckverhältnisse im Rohr sind so enorm, dass sich selbst ein Ballistiker von heute die Sache noch einmal gut überlegen würde.
Tatsächlich kamen die Deutschen auf die Idee durch Pläne der Franzosen, die sie 1940 erbeutet hatten und die von Ingenieuren rund um August Cönders von den Röchling-Buderus-Stahlwerken im hessischen Wetzlar aufgegriffen wurden. Man versuchte sich an einem Rohr vom (diesfalls bescheidenen) Kaliber 15 Zentimeter, flanschte seitlich zahlreiche Nebenkammern an und baute zunächst 1943 bei Misdroy auf der heutigen polnischen Ostseeinsel Wolin bei Usedom eine Testanlage in einen Wald hinein.
Das Kanonenrohr wurde gewaltige 130 Meter lang und mit einer Neigung von etwa 50 Grad an einen Hang gelehnt (Foto unten). Mit Spezialgeschossen (erneut mit im Verhältnis zum Aufwand geringer Sprengstoffmenge, diesfalls 25 kg TNT) wurden im Mai 1944 Schussweiten von eher enttäuschenden rund 90 km erreicht, zudem gab es dauernd Probleme, die Rohre flogen auseinander, und als die später V3 - also "Vergeltungswaffe 3" - genannte Maschine im Juli 1944 explodierte gab man sie auf.
Bauarbeiten für eine zweite Hochdruckpumpe bei Mimoyecques nahe Calais, die bis zu 150 Meter lange Rohre in Bunkern aufnehmen sollte, begannen Mitte 1943, wurden aber wiederholt durch Luftangriffe gestört und nach einem verheerenden britischen Angriff mit gewaltigen "Tallboy"-Bomben gestoppt.
Dennoch kam ein solcher Tausendfüßler, wenngleich in einer nur 58 Meter langen Kurzvariante, nachweislich zum Einsatz: Bei der Ortschaft Lampaden nahe Trier feuerte ein solches Rohr, das nahe eines abgelegenen kleinen Bahnhofs an einem Hang befestigt worden war, von Ende Dezember 1944 bis Ende Jänner 1945 etwa 183 Mal auf die Stadt Luxemburg, aus einer Entfernung von rund 43 Kilometern. Ziel war, die Ardennen-Offensive zu unterstützen und den Verkehr der Alliierten durch die Stadt, einem wichtigen Knotenpunkt, zu stören. Es gab 44 Treffer im Stadtgebiet, die keine nennenswerten Probleme bei den Alliierten verursachten.
Sackgasse der artilleristischen Vergangenheit
"V3" war zu dieser Zeit auch der zynische Ausdruck in der deutschen Soldatensprache für den Volkssturm. Und so, wie auch der militärisch nicht viel Sinn machte, verschwanden wie erwähnt spätestens nach 1945 auch die Supergeschütze aus den Arsenalen. Ihre Aufgaben konnten viel einfacher, billiger, effektiver und flexibler von Flugzeugen und Raketen übernommen werden.
Daher sind, das schätzt man auch bei Jane's Defence so ein, die beiden jetzt entdeckten chinesischen Riesenkanonen wohl ebenfalls nichts, das in die Zukunft weist, sondern reine Experimentierspielzeuge aus einer Sackgasse der artilleristischen Vergangenheit.