Freitag, 1. November 2013

Ein interessanter Artikel aus Ungarn

Kon­zertierter Antisemitismus-Vorwurf

 
Ich habe vor Kurzem die diesjährigen Artikel der internationalen Presse zum Thema „Antisemitismus in Ungarn” unter die Lupe genommen. Im Folgenden möchte ich meine diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse vorstellen.
 
1) Die in den Artikeln formulierten Situationsbeschreibungen, Kritiken und Wertungen klingen auf augenfällige Weise gleich. Es werden nicht nur ähnliche Wörter und Begriffe verwendet, sondern es werden auch ähnliche Schlussfolgerungen gezogen, wobei auch das Bestreben erkennbar ist, einander zu übertrumpfen. Der Grundtenor all dieser Texte liegt darin, dass der Antisemitismus sich in Ungarn im Vormarsch befindet. Dies ist auf den Ministerpräsidenten ebenso zutreffend wie auf die Regierung, die Gesellschaft, den Alltag und insbesondere die (rechtsradikale; Anm.) Partei Jobbik, ausgenommen sind lediglich die linke und linksliberale Opposition. Es hat den Anschein, als würde es sich hier um eine konzertierte Aktion der internationalen Presse handeln.

 Doch verhält sich die Sache meiner Meinung nach viel einfacher: Die überwiegende Mehrheit dieser Blätter vertritt eine bestimmte Ideologie und ein spezifisches Wertesystem, kurz den Neoliberalismus. Dieser geht mit einem politisch korrekten Sprachgebrauch einher, in dem sich der entschlossene Kampf gegen den Antisemitismus widerspiegelt. Die neoliberale Ausrichtung ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Mainstream der internationalen Presse geworden. Der Neoliberalismus bestimmt nicht nur den Grundton der Berichte und Kommentare, sondern er fungiert auch als Richtschnur, an die sich die Redaktionen richten. Wenn einige Blätter ein Land an den Pranger stellen und es als antisemitisch brandmarken, wollen die anderen Zeitungen nicht nachstehen. Diese Blätter, Tages- und Wochenzeitungen müssen sich nicht hinter verschlossenen Türen treffen, um sich abzustimmen. Sie wissen schlafwandlerisch, was im Sinne des Neoliberalismus zu tun ist.
 
2) Der Großteil der Artikel macht zwischen der (nationalkonservativen; Anm.) Regierungspartei Fidesz und der rechtsradikalen Partei Jobbik keinen klaren Unterschied: In ihren Augen grenzt sich Viktor Orbán nicht eindeutig genug von der rechtsradikalen Partei ab, sie stellen Jobbik sogar als „kleinen Bruder” des Fidesz dar, der anstelle der Regierungspartei die Drecksarbeit verrichtet. Ich muss hier nicht betonen, dass diese Schlüsse in extremer Weise voreingenommen und einseitig sind und mit der Realität wenig zu tun haben. (…) Das Ziel der internationalen Presse besteht sichtlich darin, Orbán und den Fidesz mit Jobbik unter einen Hut zu bringen, kann doch der Vorwurf des Antisemitismus und Rechtsradikalismus gegenüber der Regierung so aufrechterhalten werden. Darüber hinaus kann die Regierung Orbán auch als eine politische Kraft dargestellt werden, die eine Gefahr für ganz Europa bedeutet.
 
3) In den Artikeln werden die Tatsachen, Informationen und Daten häufig verdreht. Dies ist insbesondere in Zusammenhang mit der vermeintlichen Flucht von Juden und jüdischen Intellektuellen aus Ungarn zu beobachten. Diese Artikel suggerieren tatsächlich, dass die Juden in Ungarn in Gefahr sind (!), sie können sich ihrer Vermögen, Habseligkeiten und Freiheit nicht mehr sicher sein, weshalb sie fliehen müssen. All das hat natürlich keinerlei Bezug zur Realität. Diese Medien lassen ganz und gar unter den Tisch fallen, dass Ungarn jenes Land ist, wo auf Initiative von Zoltán Pokorni (ehemaliger Bildungsminister der ersten Regierung Orbán (1998-2002); Anm.) seit dem Jahr 2000 in allen Schulen ein Holocaust-Tag abgehalten wird; wo es 2014 ein Holocaust-Gedenkjahr geben wird; wo im Stadtteil Josefstadt ein Museum zum Gedenken an die Kinder-Opfer des Holocaust eröffnet wird; wo die Entschädigung der Juden außerordentlich vielschichtig und umfassend ist; wo Synagogen erneuert werden; wo der Botschafter von Israel, Ilan Mor, von einer Renaissance der jüdischen Kultur in Ungarn spricht; wo jedes Jahr ein erfolgreiches Jüdisches Festival veranstaltet wird. Im Lichte all dieser Tatsachen ist es leider schwierig, in den einschlägigen Artikeln der internationalen Presse eine sachorientierte Nüchternheit und Objektivität auszumachen. (…)

An dieser Stelle ist es meines Erachtens auch notwendig und wichtig, eine im Juni 2012 veröffentlichte Studie der European Union Agency for Fundamental Rights anzuführen, welche die Zahl antisemitischer Übergriffe in den Ländern der EU zum Inhalt hat. Ich will im Folgenden einige Beispiele aus der Studie auflisten: Ungarn: 2009: 9 Übergriffe, 2010: 8, 2011: 11. Tschechien: 2004: 57, 2008: 48, 2011: 43. Großbritannien: 2009: 703, 2010: 488. Dänemark: 2004: 37, 2006: 40, 2009: 22. Österreich: 2002: 20, 2004: 17, 2008: 23, 2010: 27. Aus diesen Zahlen ist gut ersichtlich, dass die registrierten antisemitischen Übergriffe in Ungarn viel niedriger sind als in anderen europäischen Staaten, dennoch ist die Weltpresse von antisemitischen Ereignissen in Ungarn laut. Die augenscheinliche Verdrehung der Tatsachen unterliegt demnach wohl dem Ziel, Ungarn als antisemitisches und also gefährliches Land darzustellen, gegen das wie immer geartete Strafmaßnahmen gerechtfertigt sind.

 Der Autor ist Politologe. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 19. Oktober 2013 in der regierungsnahen konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar

http://www.budapester.hu/bz/2013/10/30/kon%C2%ADzertierter-antisemitismus-vorwurf/