Hüpfende Fans und fliegende Mistkübel
04. Oktober 2011 23:13
Wer war ein Anführer? Und wer hatte Mistkübel geworfen? Diese Fragen wurden im Prozess gegen die insgesamt 85 Rapid-Fans erörtert, die im Mai 2009 im Wiener Westbahnhof randaliert haben sollen
Wien - "Warum gingen Sie nicht nach Hause?", fragt Richterin Martina Frank einen "Lord of the Nord". "Sie sind ja nicht bis zu den Austrianern gekommen, Sie haben Ihr Ziel nicht erreicht." Der "Lord" der Nordtribünen-Fangruppe vom Rapid-Stadion St. Hanappi sieht das anders: "Wir waren dort, wir haben gesungen - unser Ziel war erreicht." Genau diese Frage - warum man nicht nach Hause ging, als es am 21. Mai 2009 bei der Heimkehr von Austria-Fans am Westbahnhof rundging - stellt Richterin Frank allen Angeklagten im großen Rapid-Prozess. Denn sie ist in diesem Verfahren juristisch entscheidend: Wer sich aus einer derartigen "Zusammenrottung" rechtzeitig zurückzieht, kann nicht wegen "Landfriedensbruchs" belangt werden. Es sei denn, es handelt sich um einen Rädelsführer. Der Erstangeklagte, der als Leitfigur und Wortführer der Rapidfans die jeweiligen Gesänge anstimmt, hatte bereits zuvor erklärt: "Ich habe versucht, die Leute zurückzuhalten." Also etwa zu verhindern, dass Bierflaschen und Mistkübel in Richtung Polizeisperre geworfen werden. Aktiv waren sie jedenfalls, die Rapidfans, die an jenem Abend "einen Abstecher zum Westbahnhof" genommen hatten, um dort "verbale Machtpräsenz zu zeigen", wie es einer von der Fangruppe "Ultras" formuliert. "Wir sind gehüpft und haben gesungen. Wie's halt so is'." "Warum hüpft man da? Es waren ja keine Austrianer in Sichtweite", will Richterin Frank wissen. "Ist Ihnen ein Lied bekannt, das auf das Hüpfen Bezug nimmt?", hilft ein Verteidiger nach. Der Ultra braucht nicht lange nachzudenken: "Na sicher: ,Wer nicht hüpft, ist Austrianer!' - das kennt doch ein jeder." Was in diesem Fall auch jeder weiß, ist: dass damals im Westbahnhof der eine oder andere Mistkübel in Richtung Polizei flog. Allein: Wer hatte die geworfen? Revierinspektor Z. etwa hatte angegeben, dass ein Lord den Kübel auf ihn geschleudert habe. "Da muss er sich verschaut haben", sagt jener eher schmächtige Fan. "Ich hab damals zehn Kilo weniger gehabt - und so ein Kübel wiegt 30 Kilo. Mir ist das ein Rätsel, wie er darauf kommt, ich könnte das gewesen sein." Ein anderer Polizist wiederum, will ganz genau gesehen haben, dass es ein großgewachsener, vermummter Ultra war, der den Mistkübel gegen Z. geworfen habe. Er sei nur fünf Meter entfernt gestanden. "Pyrotechnik ist geflogen", erinnert sich dieser Beschuldigte. "Und dann ist da auch ein Mistkübel herumgelegen. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn geworfen habe." - "Eine seltsame Aussage", meint Richterin Frank. Und überhaupt: Warum er an jenem Abend eine Sturmhaube getragen habe? "Ich wollte einfach gefährlich aussehen und den Gegner einschüchtern." Aber es seien doch weit und breit keine Austrianer zu sehen gewesen. "Das konnte man ja vorher nicht wissen, wo die sein würden."
"Ich wollt' animieren"
Und dann gibt es noch ein Foto, auf dem man jenen Ultra mit Sturmhaube sieht, wie er etwas zu den anderen Fans deutet. "Haben Sie da ,Kommt's her' gedeutet?", fragt Richterin Frank. "Nein, das war im Gesang", sagt der Angeklagte. Frank: "Aber beim Singen hüpft man doch?" Ultra: "Ich wollt' zum Singen animieren." Frank: "Was wurde denn gesungen?" Ultra: "Hasstiraden." Ob dies vielleicht Hasstiraden gegen die Polizei gewesen seien, fragt Frank. "Ich kann mich nicht erinnern", sagt der Ultra. Es bleibt also offen, ob an diesem denkwürdigen Maiabend auch jener traditionelle Reim vom 99er-Fanclub angestimmt wurde: "Jeder Kibara und Gendarm ist bei mir im O... daham - und des ane is ma g'wiss, das der O. .. net ausg'wischt is." Vor Gericht sind die Fans - vom Lord bis zum Ultra - hingegen ausgesprochen höflich und kooperativ. Und diese Rolle bleibt ihnen noch für Wochen - bis alle 85 Angeklagten abgehandelt sind. (Der Standard, Printausgabe 5.10. 2011)