Dienstag, 15. November 2016

Drogen im Weltkrieg

Soldaten auf Droge

18. August 2012 um 14:50
Krieg und Drogen passen zusammen wie Waffe und Patronen – als Treibladung und Projektil zugleich schleudert sich der menschliche Körper ins Gefecht, nichts Geringeres als den eigenen Tod riskierend. In Berichten aus dem Irak wimmelt es nur so von hoch wirksamen Durchhaltepillen und gelegentlich sogar vom Gegenteil – dem „kleinen Schuss“ Heroin für die schnelle Landung.
Ist die Tatsache, dass sich Soldaten auf Befehl aufputschen, wirklich neu? Oder ist lediglich die Zusammensetzung der militärischen Drogencocktails neu? Haben Krieger nicht seit Anbeginn der Geschichte auch unter Drogeneinfluss gefochten? Heute wissen wir das ganz genau: Ja, sie haben.
Die Afghanen, die ihre Angst vor der Schlacht mit Opium betäubten, nannten die Droge den „Honig der Krieger“ und im 13. Jahrhundert gehörten bis zu 4,5 Kilo Rohopium pro Jahr zum ganz normalen Sold eines indischen Soldaten und auch die Türken, welche im 16. Jahrhundert Opium mit Kampfer zu „Heldenwasser“ aufkochten, machte diese Mixtur unerschrocken und wach. Natürlich gab es neben dem vom Heerführer verordneten Drogenkonsum auch immer schon freiwilligen Drogenkonsum – meistens, um die grausamen Erfahrungen des Kriegs besser verarbeiten (oder auch nur ausblenden) zu können. Was die Häufigkeit des Einsatzes betrifft, so übertrafen die legal verordneten bei weitem die individuell konsumierten Drogen – doch dieses Verhältnis hat sich im letzten Jahrhundert immer mehr verkehrt.
Bereits im Ersten Weltkrieg konsumierten deutschen Soldaten und Piloten unwissentlich chemische Drogen, die in ihr Essen gemischt wurden, um sie wach und kampfeslustig zu halten. Die Amphetamin- und MDMA-haltigen Substanzen wurden von der deutschen Chemiefirma MERCK entwickelt und produziert, aber auch andere Staaten verabreichten ihren Soldaten bereits leistungssteigernde Drogen. Nach dem verlorenen Krieg ging in Deutschland die (mit Drogen besser zu ertragene) Depression in die „Goldenen Zwanziger“ über, in denen ja auch reichlich gekifft, gekokst und gesoffen wurde – selbst Opiate waren relativ leicht erhältlich. Gleichzeitig begann in den USA der noch heute tobende „Krieg gegen die Drogen“, der sich bald auf den ganzen Erdball ausweiteten sollte.
Ab 1933 beendete hierzulande ausgerechnet das NS-Regime den offenen Konsum vieler fortan illegaler Drogen. Mit reichlich Propaganda gingen die Nazis gegen jeglichen Rauschgiftkonsum vor, besonders gegen das „Teufelszeug“ Kokain – die Schickeriadroge der 20er Jahre. Als Hitlerdeutschland 1939 den zweiten Weltkrieg begann, hatte man jedoch keinerlei Skrupel, den eigenen Soldaten plötzlich massenhaft synthetische Drogen zu verabreichen – auch Hitler selbst war drogensüchtig. Bereits zu Kriegsbeginn wurde der Einsatz des Methamphetamins „Pervitin“ zur Regel an der Front, von dem „Wachhaltemittel“ versprachen sich die NS-Machthaber vor allem mehr Durchhaltevermögen und eine „gestärkte Kampfmoral“ ihrer Truppen. Allein von April bis Dezember 1939 lieferten die Berliner Temmel-Werke (die Pervitin ab 1938 herstellten) 29 Millionen Tabletten an das Heer und die Luftwaffe. Das Oberkommando des Heeres verfügte allerdings, diese Bestellungen geheim zu halten – dabei war der Einsatz der Tabletten, die umgangssprachlich als „Panzerschokolade“ oder „Herrmann-Göring-Pillen“ bezeichnet wurden, ein offenes Geheimnis. Tatsächlich war ein Großteil der „Blitzkriegsoldaten“ nur deshalb zu so „blitzartigen“ Vormärschen fähig, da sie hochwirksame Amphetamine in ihrem Bio-Motor hatten. Allerdings unterschätzten die Nazis die Nebenwirkungen dieser Droge, die auch süchtig machen konnten. Schon 1940 stellten Militärärzte bei Truppeninspektionen im Westen fest, dass viele Soldaten Pervitin ganz ohne Kontrolle schluckten – und gar nicht mehr genug davon kriegen konnten. Gleichzeitig wurden die Regenerationsphasen dieser Männer immer länger und auch ihre Konzentrationsfähigkeit ließ auf Dauer deutlich nach. Einheiten aus Polen und Frankreich meldeten sogar Todesfälle, die mit übermäßigem Pervitin-Konsum in Verbindung gebracht wurden. Nichtsdestotrotz wurde Pervitin auch weiterhin verabreicht, doch die Nazis arbeiteten bereits eifrig an einem neuen Wundermittel, Projektname: D-IX. Die Idee zur Entwicklung dieser neuen Droge entstand bei einer Besprechung zwischen hochrangigen Militärs und forschenden Pharmakologen in Kiel. Auf dieser Besprechung forderte Vizeadmiral Hellmuth Heye (nach dem Krieg übrigens CDU-Abgeordneter und sogar „Wehrbeauftragter des Bundestages“) ein Medikament, „das den Soldaten einsatzfähig hält, der über die normale Zeit hinaus als Einzelkämpfer gefordert ist und zugleich das Selbstgefühl des Soldaten hebt“. Nach Rücksprache mit dem Führerhauptquartier in Berlin erhielt ein Forscherteam um den Kieler Pharmakologieprofessor Gerhard Orzechowski schließlich den Auftrag, das geforderte Krieger-Präparat zu entwickeln. Nach monatelanger Arbeit im Labor der Universität Kiel glaubte Orzechowski schließlich, eine einsatzfähige Pille gefunden zu haben – die enthaltenen Wirkstoffe waren 5 Milligramm Kokain, 3 Milligramm Pervitin, 5 Milligramm Eukodal (ein schmerzstillendes Morphinpräparat) sowie synthetisches Kokain der Firma Merck. Diesen Drogen-Cocktail mussten zunächst die Besatzungsmitglieder der Kleinst-U-Boote der Typen „Seehund“ und „Biber“ einnehmen und danach ununterbrochen Einsätze in der Kieler Bucht fahren. Die ersten Ergebnisse waren so „überzeugend“, dass man nun einen „Höchstbelastbarkeitstest am marschierenden Menschen“ durchführen wollte. Es waren Gefangene des KZs Sachsenhausen, die ab November 1944 für dieses Experiment herhalten mussten. Ziel der Untersuchungen war es, die Belastbarkeitsgrenzen des Menschen durch D-IX neu zu definieren. Laut „Ärztlichem Kriegs-Tagebuch“ kamen einzelne Probanden bei ihrem Dauermarsch mit „2 bis 3 Ruhepausen“ pro Tag aus, weiter heißt es darin: „Eindrucksvoll ist die Verringerung des Schlafes. Bei dieser Arzneiwirkung sind Veranlagung und Wille weitgehend ausgeschaltet.“ Die Initiatoren waren offenbar so angetan von den Ergebnissen der Menschenversuche, dass sie alle deutschen Truppenteile mit dem Kokainpräparat versorgen wollten. Doch die geplante Großproduktion von D-IX lief nicht mehr an, der Krieg war längst in Deutschland angekommen.
Der Sieg der Alliierten im Frühjahr 1945 beendete zwar das Nazi-Regime, nicht aber die abstruse Idee von einer Wunderdroge für Soldaten. Denn auch amerikanische, englische und japanische Soldaten waren mit Amphetaminen gefüttert worden und die Forschungen der Deutschen flossen nun einfach in die Forschungen der Alliierten mit ein. Erst durch den Vietnamkrieg erfuhr die bis dato unwissende Öffentlichkeit, dass Drogen und Krieg meist gemeinsam daherkommen. Durch eine damals noch völlig unkontrollierte (nicht „eingebettete“) Berichterstattung erfuhren die verdutzten Amerikaner, wie man sich z. B. durch eine Pumpgun einen ordentlich „Shot“ zieht oder dass ein Gemisch aus LSD und Kokain für den Kampfeinsatz als optimal galt. Nach der Ekstase des Kampfes wurde dann häufig Cannabis oder Opium zum „wieder runterkommen“ geraucht – viele dieser Drogenkonsumgewohnheiten nahmen die im Durchschnitt 19jährigen Soldaten mit nach Hause, und so wusste bald jeder von den berauschten Trips der US-Soldaten im Dschungel von Vietnam. In späteren Kriegen bzw. „militärischen Interventionen“ gab es kein solches Chaos und auch keine ausufernden Exzesse innerhalb der Truppe mehr – die amerikanische Armee hatte ihre Lehren aus Vietnam gezogen. Daher erhielten und erhalten die US-amerikanischen Kampftruppen und Piloten in Afghanistan auch keine Halluzinogene oder Cannabinoide mehr, sondern ausschließlich synthetische Aufputschmittel, die „Go Pills“ oder auch ganz unverholen „Speed“ genannt werden. Doch wie in Vietnam kam es auch in Afghanistan nicht selten zu verheerenden Verwechslungen. So geriet beispielsweise eine kanadische Einheit in die Schusslinie gedopter Amerikaner – dabei starben vier verbündete Soldaten im drogeninduzierten „freundlichen Feuer“. Das Verfahren gegen die Piloten Harry Schmidt und Bill Umbach wurde jedoch eingestellt, da ihre Verteidiger erfolgreich argumentierten und erklärten, der „Unfall“ sei unter Einfluss von Amphetamintabletten entstanden, die von der US-Armee routinemäßig verteilt würden. Das US-Verteidigungsministerium gab und gibt zwar die Abgabe von so genannten „Action-Pills“ zu, dementiert aber stets eine Verbindung zu Angriffen auf Verbündete oder Zivilisten: „Unser Drogenprogramm ist sicher. Wir wissen, dass es sicher ist, weil wir nie einen Zwischenfall hatten, der nachweislich in kausaler Beziehung zu dem Anregungsmittel stand“ erklärte z. B. US-Oberst Pete Demitry. Da sind Gerichtsverfahren, die das Gegenteil beweisen könnten, nicht gerade willkommen und werden lieber in aller Stille eingestellt. Allem Anschein nach ist auch die meinungsbildende Mainstream-Presse in den USA angehalten, alle Informationen zu diesem Thema zurückzuhalten.
Dennoch ist es dem unabhängigen britischen Filmemacher und Autor Jamie Doran in seiner Dokumentation „Das schmutzige Geheimnis – US-Kampfpiloten unter Drogen“ als Erstem gelungen, ehemalige US-Air-Force-Piloten und Special-Forces-Soldaten vor die Kamera zu bekommen, die dort ganz offen über die Einnahme von Drogen vor Kampfeinsätzen berichten – angefangen beim Golfkrieg und bis hin zu aktuellen Operationen im Irak. Doran enthüllt in seiner Dokumentation, dass US-Kampfpiloten regelrecht zur Einnahme von Drogen gezwungen werden, bevor sie ihre Einsätze fliegen. Denn wer die Amphetamine unmittelbar vor den Kampfeinsätzen nicht einnehmen will, der darf auch nicht mitfliegen. Offiziell wird das damit begründet, dass ohne die chemische Hilfestellung bei langen Einsätzen die nötige Ausdauer, Konzentration und Kampfbereitschaft zu sehr leiden würde. Und während die Armee ihren Soldaten derartige Erkenntnisse vermittelt, warnt die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (US Food and Drug Administration) die Zivilbevölkerung vor genau denselben Amphetaminen, weil sich bei deren Einnahme Euphorie, Selbstüberschätzung, aber auch Depression, zu hoher Blutdruck oder Herzrasen einstellen können. Oftmals setzten diese Drogen das Verantwortungsbewusstsein der amerikanischen Piloten völlig außer Kraft – mit den bekannten Resultaten: Hunderte Verbündete starben durch „friendly fire“ und mindestens ebenso viele unschuldige Zivilisten. Dem Filmemacher erzählten die Flieger, dass sie die Pillen irgendwann „wie Süßigkeiten“ eingeworfen hatten. Wie alles anfing, beschrieb einer der interviewten Air-Force-Piloten so: „Ich konnte einfach nicht wach bleiben, trotz aller Versuche. Also nahm ich eine Pille und als die nicht sofort half, nahm ich noch eine. Danach war ich die nächsten 15 Stunden voll drauf, es war echt abgefahren, ich tanzte und sang im Cockpit.“
Natürlich ist die USA nicht das einzige Land, dass seinen Soldaten Drogen verordnet – noch viel schlimmer geht es in den unzähligen „kleinen“ Kriegen der Erde zu. Amnesty International berichtete beispielsweise schon häufiger von einer „Brutalisierung von Kindersoldaten durch Kokain“. Ein 14jähriger aus Sierra Leone erklärte gegenüber der Menschenrechtsorganisation: „Wenn ich in den Kampf zog, habe ich vorher viel geraucht. Dann hatte ich vor nichts mehr Angst. Wenn du dich geweigert hast, Drogen zu nehmen, dann hieß das ‚technische Sabotage’ – und dafür wirst du getötet.“ Dies ist das vielleicht extremste Beispiel für verordneten Drogenkonsum im Krieg – doch das dahinterstehende Prinzip ist stets das Gleiche: Der Mensch soll zu einer gefühllosen, extrem belastbaren Kampfmaschine werden.
Nach den ganz offiziell verabreichten Drogen zur Steigerung von Leistungsfähigkeit, Durchhaltevermögen und „Kampfmoral“ kommen wir nun zum illegalen (aber von offizieller Seite meist geduldeten), individuellen Drogenkonsum, der zumeist aus der Angst geboren ist und der dabei helfen soll, traumatische Erfahrungen besser zu verarbeiten. Selbst im Europa des 21. Jahrhunderts gab es bereits einen Krieg, dessen Drogenopfer inzwischen vor allem in Europas größtem Therapiezentrum für Suchtmittelabhängige in San Patrignano bei Rimini behandelt werden. Hundertfünfundzwanzig Ärzte sind hier Tag und Nacht im Einsatz und therapieren gleichzeitig ca. 2000 Süchtige. Mittlerweile sind viele drogenabhängige Ex-Soldaten Ex-Jugoslawiens in San Patrignano eingetroffen, „Soldaten der Droge“ nennt man die jungen Serben und Kroaten hier. Der Krieg hat nicht nur unauslöschbare Wunden in ihre Körper geschlagen, sondern auch Narben auf den Seelen hinterlassen. „Die Droge war die Medizin für die Seele“, bekannte der 29jährige Davro. Als er nach seinem ersten Kriegseinsatz die durch Granaten verstümmelten Opfer sah, vor allem die Leichen von Kindern und alten Menschen, da brach er zusammen und wollte fortlaufen. Ein älterer Kamerad gab ihm daraufhin die erste Spritze Heroin – danach ging alles besser, das alltägliche Kriegsgrauen ließ sich leichter ertragen. Fortan brauchte Davro die Droge als seelische Krücke: „Alkohol und Beruhigungsmittel, die wir auch erhielten, konnten die grausamen Bilder nicht verscheuchen.“ Wie Davro ging es vielen seiner Landsleuten – nicht nur den Kroaten, auch serbischen Kämpfern wurde der Heroinkonsum daher inoffiziell gestattet. So kam es, dass sich nach dem Krieg viele ehemalige Kriegsgegner im italienischen Therapiezentrum von San Patrignano trafen, um nun gemeinsam einen ganz anderen Feind zu bekämpfen.
Wer glaubt, dass derartiges vielleicht in Ex-Jugoslawien möglich sei, nicht aber in einer hoch entwickelten, „zivilisierten“ europäischen Armee, dem sei gesagt, dass die britische Armee jedes Jahr Hunderte Soldaten wegen ihres freiwilligen Drogenkonsums entlässt – allerspätestens, wenn die Spuren des Missbrauchs nicht mehr zu verschleiern sind. Und da die konsumierten Drogen in aller Regel illegal sind, hat man damit die perfekte Handhabe, die „Troublemaker“ kurzerhand rauszuschmeißen. So verliert das britische Militär Jahr für Jahr mehr Personal, als durch Todesfälle oder Verletzungen während der zahlreichen Kampfeinsätze im Irak und in Afghanistan – dies ergab eine erst unlängst veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts der britischen Streitkräfte. Danach habe sich insbesondere die Zahl der Kokain-Konsumenten stark erhöht, es wird davon ausgegangen, dass 2009 ca. 10% der britischen Militärangehörigen regelmäßig Kokain konsumierten. Um diesem (sich immer weiter fortsetzenden) Trend entgegenwirken zu können, forderte das Institut ein radikales Umdenken in der Anti-Drogen-Politik der Armee. Ein Sprecher des britischen Verteidigungsministeriums widersprach jedoch dem eigenen Forschungsinstitut und erklärte, er vertraue „voll und ganz“ in die derzeitigen Mechanismen und sähe „keinen konkreten Handlungsbedarf“. Offensichtlich soll sich auch der Soldat der Zukunft chemisch stimulieren lassen dürfen. Und wenn er dabei süchtig wird oder ein gestörtes Verhalten zeigt, dann wird er eben rausgeschmissen.
Beschäftigen wir uns nun noch kurz mit der langjährigen (und immer noch nicht abgeschlossenen) Suche nach der ultimativen Wahrheitsdroge – schließlich ist die Beschaffung geheimer Information stets ein wesentlicher Teil erfolgreicher Kriegsführung gewesen. Wie wir heute wissen, begann die geheime CIA-Forschung nach einer „Wahrheitsdroge“ bereits in den 50ger Jahren mit der klaren Zielstellung, „kommunistische Agenten“ effizienter verhören zu können. In einer überlieferten Rede vor Absolventen der Eliteuniversität Princeton sprach CIA-Chef Dulles im April 1953 über ein „wissenschaftliches und medizinisches Forschungsprogramm“, mit dem man dem kommunistischen „brain warfare“ (dem „Krieg gegen das Gehirn“) begegnen wolle. Der seit drei Jahren tobende Koreakrieg zeige, so Dulles damals, dass die Kommunisten Gehirnwäsche einsetzten, um US-Kriegsgefangene zum Reden zu bringen – das könne man sich nicht einfach gefallen lassen, dagegen müsse man sich wehren. Dabei lief zum Zeitpunkt der Dulles-Rede das streng geheime CIA-Forschungsprogramm schon seit einigen Jahren. Und es war weit weniger defensiv ausgerichtet, als es der Geheimdienstchef in Princeton darstellte, denn natürlich wollte nicht nur der KGB herausfinden, wie man durch Einsatz von Drogen seinen Gegner gefügig machen können. Auf ihrer Suche nach der ultimativen Wahrheitsdroge griff die CIA allerdings auch ganz ungeniert auf die Erkenntnisse von Nazi-Ärzten zurück, die bei Menschenversuchen in Konzentrationslagern gewonnen wurden. So werteten die amerikanischen Geheimdienstler auch die Meskalinversuche in Auschwitz und Dachau aus, bei denen Häftlinge mit Hilfe der Droge dazu gebracht werden sollten, gegen ihren Willen wahrheitsgemäße Aussagen zu machen. Viele Häftlinge starben bei diesen Versuchen, weil an ihnen auch die Folgen von Überdosierungen erprobt wurden. 1951 beauftragte die CIA dann US-Professor Richard Wendt, Psychologe an der Universität Rochester, mit der Suche nach einer Wahrheitsdroge, die auch widerspenstige Gefangene geständig machen sollte. Das Forschungsprogramm mit dem Tarnnamen „Chatter“ (Geschnatter) knüpfte direkt an die Meskalinversuche in den deutschen KZ’s an, im Juni und August 1952 kam es zu ersten „Feldstudien“ – und zwar erneut auf deutschem Boden. Die als CIA-Operation „Artischocke“ getarnten Menschenversuche fanden in einer Villa am Stadtrand des hessischen Kronberg statt. Mehreren vermeintlichen Sowjet-Spionen wurden verschiedene Drogencocktails gespritzt, danach begannen die Verhöre, an die sich die Opfer anschließend nicht mehr oder kaum noch erinnern konnten. Die Wissenschaftler und Geheimdienstler, die das Experiment aus einem Nachbarraum verfolgt hatten, waren mit den Tests sehr zufrieden, daher setzte die CIA fortan auch in Berlin die vermeintliche Wahrheitsdroge bei Verhören ein. Die dabei gesammelten Erkenntnisse flossen auch in das KUBARK-Handbuch ein, die „Folterfibel“ war die Grundlage vieler ähnlicher Handbücher für die US-Army, die z. B. auch im Vietnam-Krieg zum Leitfaden für Gefangenenverhöre wurden. Als die Existenz des Handbuchs 1975 bekannt wurde, musste es der Geheimdienst offiziell zu den Akten legen, doch schon 1983 entstand ein Nachfolger mit der Codebezeichnung HRE. Die darin beschriebenen Folter- und Verhörtechniken sind über weite Strecken wortgleich dem KUBARK entnommen.
Es scheint fast so, als wären Krieg und Drogen wirklich nicht von einander zu trennen – das beste Beispiel dafür stammt aus der Gegenwart: Im „befreiten“ Afghanistan wächst wieder überall Schlafmohn, der Rohopiumlieferant und Grundstoff für die Heroinproduktion. Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Afghanistan unter den Augen der westlichen Streitkräfte mittlerweile etwa 90 Prozent des weltweit verfügbaren Opiums anbaut. Was unter den Taliban unmöglich war, geschieht jetzt auch unter den Augen deutscher Soldaten – drei Jahre nach der „Befreiung“ Afghanistans hat die regionale Heroin-Produktion einen historischen Höchststand erreicht. UN-Angaben zufolge stieg der Gewinn aus der Opiumproduktion im Jahre 2011 um 133% auf ein Volumen von 1,4 Milliarden US-Dollar. Aber Opium und Heroin finden nicht nur außerhalb Afghanistans dankbare Abnehmer: Informationen, die von der Nachrichtenagentur „Associated Press“  unter Mitarbeit der Organisation „Judicial Watch“ herausgegeben wurden, belegen unter anderem, dass insgesamt 70.000 Drogenvergehen innerhalb der US-Streitkräfte im Zeitraum von 2006 bis 2011 registriert wurden. Im Jahr 2011 wurde ein weiterer Anstieg an verübten Drogendelikten von 9.400 im Vorjahr auf 11.200 verzeichnet. Eine Reaktion der betroffenen militärischen Abteilungen steht allerdings noch aus, Sprecher der Streitkräfte erklärten lediglich, dass (neben stichprobenartigen Drogentests) jeder Soldaten mindestens einmal pro Jahr auf den Missbrauch illegaler Substanzen hin untersucht wird. Es werden auch immer häufiger Fälle bekannt, in denen amerikanische Soldaten Morphin und andere Schmerzmittel aus Lazaretten oder aus medizinischen Vorräten entwendeten – zudem werden verschreibungspflichtige Schmerzmittel vermehrt nach dem Ablauf der Rezepte weiterbezogen und mit anderen Opiaten kombiniert. Dieser Mischkonsum ist besonders gefährlich und führte bereits unter den Soldaten des US-Militärs zu zahlreichen Todesfällen.
Ähnliches wurde zwar aus den in Afghanistan stationierten deutschen Truppenkontingenten noch nicht bekannt, aber ganz offensichtlich sind auch deutsche Soldaten heute Teil eines Systems, dem sie sich einfach nicht entziehen können und es stellt sich die unbequeme Frage:
Sind deutsche Soldaten in Afghanistan tatsächlich ehrbare Wächter von Freiheit und Demokratie oder doch eher unfreiwillige Schutzpatrone des organisierten Verbrechens und internationalen Drogenhandels?
Martin Müncheberg
 
http://thcene.com/2012/08/soldaten-auf-droge/
 
http://www.deutschlandradiokultur.de/medikamente-fuer-soldaten-drogen-im-kriegseinsatz.1008.de.html?dram:article_id=338546
 
Gefangene britische Soldaten im 1. Weltkrieg nahe der belgischen Stadt Ypern 1915. (picture alliance / dpa )
 
Lassen sich Grausamkeit und Terror auch mit dem Einsatz von Drogen erklären? Der Kriminologe Wolf-Reinhard Kemper warnte vor vorschnellen Schlüssen: Es gebe keine Beweise dafür, das eine Droge bei jedem Menschen die Hemmschwelle senke.
 
Mit dem Zusammenhang von Drogen und Krieg hat sich Wolf-Reinhard Kemper intensiv beschäftigt. Er ist Kriminologe und Sozialwissenschaftler an der Leuphana-Universität Lüneburg.
 
Der geplante Einsatz von Drogen habe schon im Ersten Weltkrieg mit dem Kokain begonnen, sagte Kemper im Deutschlandradio Kultur. Dann seien das Amphetamin und das in Deutschland entwickelte  Metamphetamin gefolgt.

Es gebe allerdings keine Beweise dafür, dass eine Droge bei jedem Soldaten dann auch wirklich die Hemmschwelle senke, so Kemper:

"Weil jede Droge auf jede Person sehr individuell wirkt. Jeder von uns hat einen ganz eigenen Hormon-Cocktail in sich. Und wenn jetzt ein Amphetamin auf solch ein Hormon-Gemisch trifft, dann kann man nicht von vornherein festlegen, was jetzt mit dieser Person geschieht. In der Regel bleiben alle Personen länger wach und länger aktiv einsetzbar."
 
Nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg müsse eigentlich jede Armee davor zurückschrecken, Medikamente wie Amphetamin oder Metamphetamin einzusetzen, äußerte Kemper:

"Weil das, was man an Zeit verlängert,- dass ich etwa über 32 Stunden einsetzbar sind -, das verlangt natürlich der Körper in Ruhezeit zurück. Die Menschen fallen zeitweise in komatöse Zustände, in denen sie nur noch schlafen und relaxen und nicht mehr einsatzfähig sind. "