Dienstag, 17. November 2015

Reisefreiheit auf dem Prüfstand ?

Details des Besuchs noch offen

Einer der mutmaßlichen Mittäter der Anschläge vom vergangenen Freitagabend in Paris hat sich vor rund zwei Monaten in Österreich aufgehalten. Laut Innenministerium reiste der international zur Fahndung ausgeschriebenen Salah Abdeslam am 9. September mit zwei Begleitern aus Deutschland kommend in Oberösterreich ein. Laut Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte er bei einer Kontrolle angegeben, Urlaub in Wien machen zu wollen.
Der Bruder des Selbstmordattentäters Brahim Abdeslam, der sich am Freitag in einem Pariser Cafe in die Luft gesprengt hatte, wird unter anderem gesucht, weil er einen belgischen Polo gemietet hatte, mit dem die Bataclan-Attentäter zur Konzerthalle gefahren waren.
Am Samstag sollen ihn zwei Freunde aus Paris abgeholt und zurück nach Belgien gebracht haben. Nach Medieninformationen fand am Montag in Straßburg, im Osten Frankreichs, ein Polizeigroßeinsatz statt, weil man Abdeslam dort vermutete. Er konnte jedoch nicht gefunden werden.

Bei Verkehrskontrolle aufgefallen

Bei seiner Einreise nach Österreich im September fiel der 26-Jährige den Behörden im Zuge einer Verkehrskontrolle auf. Der gebürtige Belgier wies sich korrekterweise als französischer Staatsbürger aus. Mikl-Leitner sagte im Ö1-Mittagsjournal, der Mann habe angegeben, nach Wien reisen zu wollen - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck betonte, dass zum damaligen Zeitpunkt für die österreichischen Behörden keinerlei Hinweise auf einen dschihadistischen Hintergrund Abdeslams vorlagen. Auch seine beiden Begleiter waren zum damaligen Zeitpunkt nicht in Erscheinung getreten. Weitere Handhabe hatten die heimischen Beamten nicht.

Offenbar nach Wien gereist

Im Lichte der Ereignisse von Paris liegt für die Behörden aber selbstverständlich nahe, dass sich Abdeslam schon damals in dschihadistischem Umfeld bewegte und auch seine Mitreisenden wohl zur Szene gehörten. Bei der Kontrolle gab er an, ein paar Tage Urlaub in Österreich machen zu wollen.
Grundböck zufolge laufen nun weitere Erhebungen dazu, wo sich Salah Abdeslam in Österreich aufgehalten hat und welchem Zweck seine Reise gedient hat. Es sei derzeit von einer erhöhten Risikolage in ganz Europa auszugehen, konkrete Hinweise für Österreich bestehen aktuell nicht, hieß es in der Aussendung des Innenministeriums. Die Sicherheitsbehörden ersuchten, verdächtige Wahrnehmungen sofort der nächsten Polizeidienststelle zu melden.

Bruder rät Flüchtigem, sich zu stellen

Mohammed Abdeslam, der zweite Bruder Salah Abdeslams, riet diesem, sich den Behörden zu stellen. „Das Beste wäre, sich zu stellen, damit die Justiz diese ganze Geschichte aufklären kann“, sagte er in einem Interview des französischen Senders BFMTV, das am Dienstag veröffentlicht wurde.
Die Familie wisse nicht, wo sich der 26-Jährige derzeit befinde. „Meine Familie und ich verurteilen entschieden jede Form von Gewalt.“ Mohammed Abdeslam war seit Samstag in Belgien selbst in Polizeigewahrsam gewesen, kam aber am Montag wieder auf freien Fuß. Er hat für den Abend der Pariser Anschläge (Freitag) ein Alibi.

Sieben Festnahmen in Aachen

Nur kurze Zeit nach der Mitteilung des Innenministeriums meldete die deutsche Polizei am Dienstag die Festnahme von insgesamt sieben Verdächtigen in Alsdorf bei Aachen. „Wir haben Hinweise bekommen, dass sich einer der Gesuchten im Zusammenhang mit Paris möglicherweise in unserem Bereich aufhält“, teilte ein Polizeisprecher mit.
Am späten Nachmittag erklärte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere, dass es anscheinend „keinen engsten Zusammenhang mit den Taten in Paris gibt“. Die Festgenommenen wurden am Abend wieder freigelassen.

Weitere Razzien in Frankreich

Indes setzt die französische Polizei ihre Ermittlungen mit unverminderter Intensität fort. In der Nacht auf Dienstag hätten die Behörden 128 Razzien im ganzen Land durchgeführt, sagte Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve in der Früh dem Radiosender France Info.
Landesweit seien 115.000 Polizisten und Soldaten mobilisiert worden, sagte Cazeneuve. Er sprach von Fortschritten bei den Ermittlungen gegen die Hintermänner der Anschläge, nannte aber keine Details. Zugleich nahm der Innenminister die französischen Sicherheitsbehörden in Schutz. Sie waren, da sie die Anschläge am Freitag nicht verhindern hatten können, in den vergangenen Tagen in die Kritik geraten.
Im Sommer seien sechs Attentate desselben Typs geplant gewesen, die jedoch verhindert worden seien, sagte Cazeneuve. Der Grund, warum das diesmal nicht gelang: Die Anschläge vom Freitag seien im Ausland vorbereitet worden. Die Attentäter hätten Menschen rekrutiert, die den französischen Behörden unbekannt gewesen seien, so der Innenminister.

Polizei findet Mobiltelefone

Ein weiterer Bruder Salahs, Mohammed Abdeslam, wurde in Belgien in Polizeigewahrsam genommen, mittlerweile aber wieder freigelassen, weil er ein Alibi für die Tatzeit vorweisen konnte. Die zwei Freunde, die Salah Abdelslam abholten, wurden am Samstagnachmittag von der belgischen Polizei verhaftet und befinden sich in Untersuchungshaft. Gegen sie wird nun Anklage erhoben. Es handelt sich um zwei Belgier aus dem als Islamistenhochburg bekannten Brüsseler Stadtteil Molenbeek, Mohammed Amri (27) und Hamza Attouh (21).
In Bobigny bei Paris durchsuchte die Polizei in der Nacht auf Dienstag eine Wohnung, die die Brüder Abdeslam wenige Tage vor dem Attentat angemietet hatten. Waffen seien darin keine gefunden worden. Sie hätten aber mehrere Mobiltelefone sichergestellt, so die Ermittler.

Verdächtiger Wagen entdeckt

Die Pariser Polizei stellte zudem ein Auto sicher, das womöglich bei der Vorbereitung der Terroranschläge genutzt worden war. Der schwarze Renault Clio sei „von Salah Abdeslam angemietet worden“, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Polizeikreisen. Er könnte „zur Vorbereitung der Attentate gedient haben“. Er sei im Vorfeld der Anschläge auf der Autobahn 1 gesichtet worden, die Paris mit Belgien verbindet. Weitere Untersuchungen seien aber nötig. Der Wagen wurde auch auf Sprengstoff untersucht.
Der Pariser Eiffelturm wurde erneut geschlossen. Nach den Terroranschlägen hatte das Wahrzeichen erst am Montagnachmittag seine Türen wieder für Besucher geöffnet. Trotz Bewachung durch Polizisten und Soldaten seien weitere „organisatorische Anpassungen“ nötig, teilte die Betreibergesellschaft nun mit.

Syrien-Kämpfer kam mit gefälschten Dokumenten

Neue Details präsentierte Cazeneuve am Dienstag zu Samy Amimour - einem der drei Angreifer auf die Konzerthalle Bataclan, in der 89 Menschen getötet wurden. Laut dem Innenminister benutzte Amimour „ohne Zweifel gefälschte Dokumente, um aus Syrien zurückzukommen“. Gegen den im Pariser Vorort Drancy aufgewachsenen Franzosen wurde 2012 ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet, weil er in den Jemen ausreisen wollte.
Amimour entzog sich im Herbst 2013 einer richterlichen Überwachung und wurde seitdem mit internationalem Haftbefehl gesucht. Nach Angaben seiner Familie reiste er zwischenzeitlich nach Syrien. Seit Vater reiste ihm nach, um ihn zurückzuholen, konnte aber seinen Sohn nicht überzeugen, dem Dschihadismus den Rücken zu kehren.

Nichts Neues zu möglichem Drahtzieher

Keine neuen Informationen gab es am Dienstag zur Rolle des 27-jährigen Abdelhamid Abaaoud, in dem zahlreiche Medien den Drahtzieher des Anschlags sehen. Der Belgier mit marokkanischen Wurzeln, der im Brüsseler Stadtteil Molenbeek aufwuchs, soll in Syrien für die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft haben. Er gilt als Kopf der Gruppe, die im Jänner im ostbelgischen Verviers zerschlagen wurde, bevor sie einen Anschlag ausführen konnte. Sein Name taucht Medienberichten zufolge in mehreren Strafverfahren zusammen mit dem Brahim Abdeslams auf.
Abaaoud ist in mehreren IS-Propagandavideos zu sehen. In einem fährt er ein Auto, das vier verstümmelte Leichen hinter sich her zieht. In Belgien sorgten auch Fotos seines 13-jährigen Bruders für Aufsehen, auf denen der Bub mit Waffen posiert. Er soll seinem älteren Bruder nach Syrien gefolgt sein.
Abaaoud, der auch unter dem Pseudonym Abu Omar al-Baljiki agiert, war im Juli in Belgien in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Die belgische Staatsanwaltschaft wollte seine Verbindungen zu den Anschlägen in Paris bisher nicht kommentieren und sprach nur von „Gerüchten“.

Fußballspiel Belgien - Spanien abgesagt

Belgiens Fußballverband (URBSFA) sagte unterdessen am späten Montagabend das Länderspiel zwischen der belgischen Nationalmannschaft und Europameister Spanien ab. Nach Angaben des belgischen Fußballverbandes empfahl die Regierung aus Sicherheitsgründen, das Spiel ausfallen zu lassen. Das Freundschaftsspiel sollte am Dienstagabend im König-Baudouin-Stadion in Brüssel stattfinden. Etwa 50.000 Fans waren erwartet worden.
Der Verband bedauerte, dass das Spiel so spät abgesagt werden musste. Grund sei die erhöhte Terrorwarnstufe in Belgien sowie der Umstand, dass ein Terrorverdächtiger von Paris weiterhin auf der Flucht sei. Die belgische Regierung hatte die Terrorwarnstufe auf drei heraufgesetzt. Auf der vierstufigen Skala bedeute das, dass eine Bedrohung als „möglich und wahrscheinlich“ angesehen wird.
Polizei bei einer Razzia
http://orf.at/stories/2310245/2310247/