Mittwoch, 4. November 2015

"Sauberer" Fussball ?

Zweieinhalb Wochen nach den SPIEGEL-Enthüllungen zur WM-Vergabe 2006 hat die Staatsanwaltschaft eingegriffen. Was wollen die Ermittler? Welche Folgen hat die Razzia für den DFB? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
 
 
Was ist heute in der DFB-Zentrale passiert?
Am Morgen haben Steuerfahnder im Auftrag der Frankfurter Staatsanwaltschaft die DFB-Zentrale an der Otto-Fleck-Schneise durchsucht. Dabei waren gut 50 Beamte im Einsatz. Die Staatsanwaltschaft reagiert damit auf die Recherchen des SPIEGEL um die WM-Vergabe 2006 und die Enthüllung, dass es eine schwarze Kasse in Höhe von 6,7 Millionen Euro gab.
Gleichzeitig wurden die Privatwohnungen von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, dessen Vorgänger Theo Zwanziger und des ehemaligen DFB-Generalsekretärs Horst R. Schmidt durchsucht. Die Razzia sollte ohne großes Aufsehen vor sich gehen, dennoch bekamen Medien frühzeitig einen Hinweis. Die "Bild"-Zeitung hatte bereits wenige Minuten nach dem Eingreifen der Beamten davon berichtet.
Nicht von den Ermittlungen betroffen sind dagegen die Wohnungen des damaligen Organisationskomitee-Chefs der WM, Franz Beckenbauer, und seines damaligen Stellvertreters, Fedor Radman. Beide haben ihren Hauptwohnsitz nicht in Deutschland, sondern in Österreich, beziehungsweise der Schweiz.
 
Wonach sucht die Staatsanwaltschaft beim DFB?
Die Staatsanwaltschaft geht nach eigener Auskunft dem Verdacht der "Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall" nach. Sie bezieht sich dabei explizit auf die Summe von 6,7 Millionen Euro, die der DFB offiziell als Maßnahme für ein "Kulturprogramm der WM 2006" geltend gemacht hatte - "obwohl ihr tatsächlich ein anderer Zweck zugrunde lag", wie die Behörde in ihrer Pressemitteilung formuliert. Durch die Angaben des DFB war das Geld als abzugsfähige Betriebsausgabe von den Finanzbehörden anerkannt worden.
Gegen wen richten sich die Ermittlungen?
Die Behörden ermitteln explizit gegen Niersbach, Zwanziger und Schmidt. Alle drei werden in der Pressemitteilung zwar nicht mit Namen, aber nach ihrer heutigen oder damaligen Funktion beim DFB und beim WM-OK genannt. Ihnen wird vorgeworfen, "die Einreichung unrichtiger Steuererklärungen veranlasst und hierdurch Körperschafts- und Gewerbesteuern sowie Solidaritätszuschlag für das Jahr 2006 in erheblicher Höhe verkürzt zu haben".
Was droht Niersbach, Zwanziger und Schmidt?
Im schlimmsten Fall drohen den Betroffenen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren, dieses Strafmaß sieht das Gesetz für Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall vor. "Sollte sich der hinreichende Tatverdacht erhärten, kommt es zur Anklageerhebung. Dann landet der Fall vor Gericht", sagte Oberstaatsanwältin Nadja Niesen.
Warum wurde erst jetzt ermittelt, zweieinhalb Wochen nach Bekanntwerden der ungeklärten Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro?
Die Staatsanwaltschaft prüfte erst den Sachverhalt und stellte vergangene Woche den Antrag für Durchsuchungsbeschlüsse. Da drei Objekte (DFB-Zentrale, Wohnhäuser von Niersbach und Zwanziger) durchsucht werden sollten und mehr als 50 Beamte beteiligt waren, gestaltete sich die Koordinierung der Razzia aufwendig. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft sind die Durchsuchungen für diese Umstände sehr schnell vollzogen worden. Die Gefahr, dass in der Zwischenzeit mögliche Beweise vernichtet worden seien, "besteht immer", heißt es von der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Man könne nie verhindern, dass Informationen durchsickern und Beschuldigte gewarnt werden.
 
Warum wird nur wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt?
Bei der WM-Vergabe 2006 geht es auch um den Verdacht des Stimmenkaufs, es geht um den Verdacht der Bestechung und der Untreue. Niersbach und Schmidt hatten all dies stets dementiert. Zwanziger hatte dem SPIEGEL gesagt, der ehemalige WM-Botschafter Günter Netzer habe ihm bei einem persönlichen Treffen in Zürich 2012 berichtet, die vier asiatischen Stimmen für die WM-Vergabe seien gekauft worden. Netzer bestreitet vehement, dies auch nur im Ansatz gesagt zu haben.
Zwanziger selbst war zum Zeitpunkt der ursprünglichen Verwendung der beim ehemaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus geliehenen 6,7-Millionen-Euro noch nicht involviert, sondern erst in den Rückfluss des Geldes 2005. Der eigentliche Zweck der Zahlung, der als "Beitrag für das Kulturprogramm" gekennzeichnet war, ist Zwanziger nach eigenen Angaben erst nach der Freizeichnung bekannt geworden. Dass das Geld ursprünglich wohl illegitimen Zwecken gedient hatte, sei ihm erst bewusst geworden, als er schon nicht mehr DFB-Chef war. Nach der Razzia sagte Zwanziger: "Ich habe gar keine Sorgen in diesem Zusammenhang. Ich weiß, dass ich die Wahrheit sage, dass ich nichts zu befürchten habe." Die von der Nachrichtenagentur Reuters kontaktierten Anwälte der drei Funktionäre waren für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.
Die genannten Vorwürfe fallen unter die Verjährung, sind also nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Daher hat die Staatsanwaltschaft, was diese Punkte angeht, "von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen". Den Punkt der Steuerhinterziehung dagegen kann man weiterverfolgen, weil die Verjährung in einem besonders schweren Fall erst nach zehn Jahren wirksam wird.
Zwar liegt die Zahlung mehr als zehn Jahre zurück, doch das ist nicht entscheidend. Laut DFB sollen die 6,7 Millionen Euro nämlich im Jahr 2006 als Betriebsausgabe geltend gemacht worden sein. "Dann ginge es um die Körperschaftssteuer- und Gewerbesteuerveranlagung für 2006. Und die Verjährung beginnt dann mit dem entsprechenden Steuerbescheid und der ist frühestens 2007 ergangen. Sodass im Jahr 2015 die zehn Jahre noch nicht rum sind", sagte der Kölner Steueranwalt Rolf Schwedhelm dem TV-Sender Sky.
 
Wann ist mit einem Ergebnis der Ermittlungen zu rechnen?
Laut Oberstaatsanwältin Nadja Niesen sei man "noch ganz am Anfang der Ermittlungen". Sollte belastendes Material sichergestellt worden sein, werden auch noch Zeugen gehört. "Das alles kann also noch sehr, sehr lange dauern", sagte Niesen.