Samstag, 21. Dezember 2013

Ein bischen ungarische Zeitgeschichte Teil 2

 






Bis 1918 gehörte das Gebiet des heutigen Burgenlandes zur ungarischen Reichshälfte Österreich-Ungarns. Die Bevölkerung dieses Raumes – meist Deutsch- oder Kroatisch sprechende Bauern und Wanderarbeiter – war wirtschaftlich und sozial eng mit den benachbarten Ländern Niederösterreich und Steiermark verbunden.

Als zu Ende des Ersten Weltkrieges (1914-1918) die Habsburgermonarchie zerfiel und zwischen den neuen Republiken Österreich und Ungarn eine Grenze gezogen wurde, wurde für viele Menschen die zukünftigen Staatszugehörigkeit eine Existenzfrage. Spontan entstand eine breite Bewegung, die unter Berufung auf das damals propagierte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ den Anschluss „Deutsch-Westungarns“ an Österreich forderte. Dieser Forderung wurde bei den Friedensverhandlungen der Siegermächte in Paris auch entsprochen: im Friedensvertrag von St. Germain vom 10. September 1919 wurde die Übergabe des inoffiziell bereits als „Burgenland“ bezeichneten Gebietsstreifens an Österreich für einen Zeitpunkt nach der Unterzeichnung und Ratifizierung des Friedensvertrags mit Ungarn in Aussicht gestellt.

Ungarn beabsichtigte freilich diesen Verlust mit allen diplomatischen und politischen Mitteln zu verhindern. Als diese Mittel versagten, versuchten Freischärler mit Waffengewalt die Übergabe des Burgenlandes, die offiziell für den 28. August 1921 angesetzt war, zu verhindern. Erst im Herbst entspannte sich die Lage: Nach italienischer Vermittlung verpflichtete sich Ungarn am 13. Oktober 1921 im „Venediger Protokoll“ zur Übergabe des Burgenlandes.
 
(Am 4. Oktober 1921 wurde in Oberwart/Felsőőr die kurzlebige Republik Lajtabánság (deutsch: Leitha-Banat) ausgerufen, deren erklärtes Ziel der Verbleib des gesamten Burgenlandes bei Ungarn nach einer Volksabstimmung war.
Am 13. Oktober 1921 wurden die Venediger Protokolle unterzeichnet: Die ungarische Regierung verpflichtete sich, innerhalb von drei Wochen für einen Abzug der bewaffneten Einheiten zu sorgen und das Gebiet den österreichischen Behörden ordnungsgemäß zu übergeben. Österreich wiederum willigte in die Abhaltung einer Volksabstimmung in Ödenburg und in acht für die Wasserversorgung der Stadt wichtigen umliegenden Ortschaften ein. Die ungarische Regierung verlor in der Folge die Kontrolle über die Freischärler, die erst auf den ausdrücklichen Befehl Horthys aufgaben. Nach der Besetzung durch das österreichische Bundesheer wurde das „Leitha-Banat“ offiziell am 5. Dezember 1921 von Ungarn an Österreich übergeben.
Propagandaplakat zur Volksabstimmung
Die diplomatischen Möglichkeiten Österreichs rund um die Protokolle werden von der Geschichtsschreibung unterschiedlich bewertet: Eduard Hochenbichler formulierte die – auch ihm selbst zufolge – gewagte These, Schober habe das Vermittlungsangebot der ČSR ausgeschlagen, weil er das Angebot des „Monarchietöters“ Edvard Beneš nicht annehmen wollte: Bei einer tschechoslowakischen Vermittlerrolle hätte die ganze burgenländische Frage eine andere, für Österreich zweifellos günstigere Lösung gefunden.[9]
Irmtraut Pozza-Lindeck wiederum vertrat die Ansicht, das Burgenland den Freischärlern zu überlassen hätte zu einem Verlust des ganzen Burgenlandes geführt, eine Eroberung zu Krieg, der Preis Ödenburg sei daher für das Restburgenland gewissermaßen zwingend gewesen. Norbert Leser brachte weiters die Möglichkeit einer Annäherung an die Kleine Entente ins Spiel. Einigkeit der österreichischen Historiker besteht aber darin, dass das Ergebnis der Abstimmung von vornherein festgestanden sei und man in Venedig nur mehr über die konkreten Modalitäten verhandelt habe.)

Eine Volksabstimmung über Ödenburg (und weiteren 8 Gemeinden) im Dezember 1921 endete jedoch mit einer Mehrheit für den Verbleib bei Ungarn, womit Ödenburg, das als Hauptstadt des Landes vorgesehen war, für das Burgenland verloren ging.

Um die Jahreswende 1921/22 kam das Burgenland als „selbständiges, gleichberechtigtes Bundesland“ zur Republik Österreich.
 
 
Im Friedensvertrag von St. Germain wurden Österreich 1919 die westlichen Teile der Komitate Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg zugesprochen. Das war ein Gebiet mit einer Fläche von 4320 km2 und einer Gesamtbevölkerung von 340.000 Menschen. Ödenburg sollte die Hauptstadt dieses „Burgenlandes“ werden. Der Name wurde seit den Friedensverhandlungen öffentlich verwendet.
Ungarns Widerstand gegen diesen Anschluss war heftig. Das Gebiet Westungarns war schon Jahre vor dem Ersten Weltkrieg umstritten. Bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wollten deutsch-nationale Kreise, die österreichisch-ungarische Monarchie umgestalten und „Westungarn“ als Teil von „Deutschösterreich“ eingliedern.

Der Zerfall der Habsburgermonarchie machte aus dieser Intellektuellenfrage ein Existenzproblem für die Bevölkerung Westungarns. Am 16. November 1918 wurde die ungarische Republik ausgerufen. Wenige Tage später, am 22. November, stellte die Provisorische Nationalversammlung der proklamierten Republik Deutschösterreich in ihrer Staatserklärung fest: „Die geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete der Komitate Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg gehören geographisch, wirtschaftlich und national zu Deutschösterreich,...“ (Zit. nach August Ernst, Geschichte des Burgenlands, 187).

Die folgenden Jahre waren geprägt vom Streit zwischen Österreich und Ungarn um das Burgenland. Schließlich musste Ungarn auf Druck der Siegermächte der Übergabe zustimmen, als Datum wurde der 28. August 1921 offiziell festgelegt. Die Österreicher stießen beim Einmarsch allerdings auf bewaffneten Widerstand ungarischer Freischärler und mussten sich wieder zurückziehen. Erst im Herbst kam es zu einer Kompromisslösung: Die bewaffneten ungarischen Einheiten zogen ab, Österreich stimmte dafür einer Volksabstimmung in Ödenburg und acht benachbarten Gemeinden zu.

Mitte Dezember 1921 wurde in aller Eile und unter fragwürdigen Bedingungen in Ödenburg abgestimmt. 72,8 Prozent stimmten für einen Verbleib bei Ungarn. Die anderen 8 Gemeinden stimmten einen Tag später zwar mit 54,6 Prozent für Österreich, wurden aber im Rahmen der Gesamtabstimmung dennoch Ungarn zugeschlagen.
Um die Jahreswende 1921/22 kam das Burgenland offiziell als „selbständiges, gleichberechtigtes Bundesland“ zur Republik Österreich. Wenige Wochen zuvor hatte das jüngste Bundesland Österreichs eine eigene Zeitung erhalten, die über viele Jahrzehnte die Geschichte des Burgenlands dokumentieren und kommentieren sollte: Das Wochenblatt „Burgenländische Freiheit – Sozialdemokratisches Landesorgan“ erschien erstmals am 19. November 1921.


NR. 19, 08.05.1925
Eisenstadt - Sitz der Landesregierung
Nach seiner schwierigen Geburt muss sich das Burgenland nun als vollwertiges Bundesland etablieren und seine Existenz politisch, administrativ und wirtschaftlich aufbauen. In den nächsten beiden Jahren wird zunächst der Grenzverlauf genau festgelegt. Letztendlich erhält das jüngste Bundesland 3965,5 km2.
Erschwert wird die Identitätssuche dieses Landes durch die prekäre wirtschaftliche Situation und die Massenabwanderung, insbesondere in die USA. Diese Emigrationsbewegung hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, der Höhepunkt ist allerdings 1923. Alleine in diesem Jahr wandern 6800 Burgenländer aus. Das zeugt nicht vom Glauben an die Zukunft dieses neuen Bundeslandes.

Am 18. Juni 1922 findet die erste Landtagswahl statt. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gewinnt mit relativer Mehrheit, erster Landshauptmann wird im ersten Jahr der parteilose Alfred Rausnitz, ihm folgt Adolf Walheim von der Großdeutschen Volkspartei. Die Landesbehörden müssen provisorisch untergebracht werden, da die geplante Hauptstadt Ödenburg bei Ungarn verblieben ist.
Schon im Herbst 1923 kommt es zu Neuwahlen, die die Christlichsoziale Parte gewinnt. Der dritte Landeshauptmann im gerade mal zwei Jahre alten Bundesland wird der Christlichsoziale Josef Rauhofer. 1925 setzt sich Eisenstadt in einer Kampfabstimmung gegen die anderen Kandidaten Bad Sauerbrunn, bis dahin Sitz der Landesregierung, Mattersburg und Pinkafeld als Landeshauptstadt durch.


NR. 6, 04.02.1927
Die Schüsse von Schattendorf
Ausgerechnet das ansonsten nach außen hin unauffällige Burgenland wird im Jahr 1927 zum Symbol für den Niedergang der Demokratie in Österreich: Die „Schüsse von Schattendorf“ fallen am 30. Jänner 1927 bei einem Zusammenstoß der rechten Frontkämpfervereinigung mit dem sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbund. Ein Kriegsinvalide und ein Kind werden in Schattendorf auf sozialdemokratischer Seite getötet. Der Freispruch der Angeklagten in Wien führt zu großen Tumulten am 15. Juli 1927, bei denen der Justizpalast in Brand gesteckt wird. 90 Menschen sterben.
Im selben Jahr gelingt es dem Burgenland aber auch, sich als Erholungsgebiet für die nahe Bundeshauptstadt zu präsentieren. Erstmals wird mit dem Neusiedler See als „Meer der Wiener“ geworben. Unterstützt werden diese ersten Bemühungen um Touristen von den Österreichischen Bundesbahnen, die einen durchgehenden Zugsverkehr von Wien nach Neusiedl am See einrichten – die „Bäderbahnen“.
Allmählich hat das Burgenland alles, was ein Bundesland braucht: Am 14. Dezember 1929 wird in Eisenstadt das neue Landhaus als Sitz des Landtages und der Landesregierung feierlich eröffnet.


NR. 20, 23.05.1929
Forderung nach Bodenreform
In den Folgejahren wird die Wirtschaftskrise immer schlimmer, die allgemein geforderte Bodenreform bleibt aufgrund der schwierigen Eigentumsverhältnisse – fast ein Viertel des Bodens gehört knapp einem Dutzend Großgrundbesitzern – ein Lippenbekenntnis. Im Jahr 1929 gibt es im Jahresdurchschnitt 4593 Arbeitslose, 1933 sind es bereits über 8000. Die politischen Gegensätze verschärfen sich auch im Burgenland. Die Heimwehr wird immer mächtiger, und es entstehen weitere rechte paramilitärische Verbände wie die „Burgenländischen Landesschützen“ oder der „Österreichische Heimatschutz im Burgenland“. Immer wieder kommt es auch schon zu Konflikten, bis hin zu blutigen Auseinandersetzungen, mit Nationalsozialisten.

Der 12. Februar 1934 verläuft im Burgenland unblutig. Die Austrofaschisten besetzen innerhalb kurzer Zeit die wichtigsten politischen Positionen. Am 22. Februar wird der Führer der „Vaterländischen Front“, Hans Sylvester, Landeshauptmann. Die ständische Verfassung tritt auch im Burgenland in Kraft. Die anderen Parteiorganisationen werden aufgelöst, ihre Medien eingestellt. Auch die „Burgenländische Freiheit“ wird verboten, ein paar illegale Nummern erscheinen aber.
Widerstand gegen das austrofaschistische Regime wird in den Folgejahren auch im Burgenland streng geahndet. So wird etwa der Sozialist und spätere Landtagsabgeordnete und Landesrat Stefan Billes 1936 im Anhaltelager Wöllersdorf interniert.
 
StimmbezirkeStimmberechtigteAbgegebene Stimmendavon ungültigfür Österreich[%]für Ungarn[%]
Ödenburg / Brennberg18.99417.2983514.62027.212.32772.8
Agendorf1.1488481868282.214817.8
Harkau668581951790.4559.6
Holling349342117422.325777.7
Kohlnhof9488133024330.055070.0
Kroisbach1.5251.3703381260.752539.3
Wandorf1.5381.1773592581.021719.0
Wolfs6685951734960.422939.6
Zinkendorf1.0411.03985-1.026100.0
Insgesamt26.87924.0635128.22734.915.33465.1