Dienstag, 13. November 2012

Austrofaschismus und Ständestaat


Die »Vaterländische Front« (VF) wurde am 20. Mai 1933 als so genannte überparteiliche politische Organisation des Ständestaat-Regimes gegründet. Nach der Auflösung des Parlaments und aller Parteien 1933 wurde sie zum alleinigen Träger der politischen Willensbildung und wurde zur Kernorganisation des autoritären Ständestaatsystems, mit dem Kruckenkreuz als Symbol. Die »Vaterländische Front« mit all ihren Unterorganisationen wurde nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 von den Nationalsozialisten aufgelöst.
Austrofaschismus ist eine Bezeichnung für das ab 1933 in Österreich etablierte autoritäre, an ständestaatlichen und faschistischen Ideen orientierte Herrschaftssystem, das sich stark an die Diktatur Benito Mussolinis in Italien anlehnte. Entwickelt und getragen wurde der Austrofaschismus von Engelbert Dollfuß (1933–1934) bzw. nach dessen Ermordung maßgeblich von Kurt Schuschnigg (1934–1938) und der Vaterländischen Front, einer Sammelbewegung und Einheitspartei, zu der sich die Christlichsoziale Partei, die Heimwehr und der Landbund zusammengeschlossen hatten. Am 12. März 1938, mit dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich, wurde der Austrofaschismus durch die Herrschaft der Nationalsozialisten abgelöst.
 
Mit dem Korneuburger Eid der Heimwehr vom 18. Mai 1930 wurde die Ausschaltung des Parlaments und ein antidemokratischer Kurs, der sich in erster Linie gegen die oppositionelle Sozialdemokratie richtete (siehe Linzer Programm der Sozialdemokraten aus dem Jahr 1926), erstmals als Programm formuliert. „Wir verwerfen den westlich-demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat“ war eine der Formeln, die neben Heimwehrverbänden aus dem gesamten Bundesgebiet auch viele junge christlichsoziale Politiker wie die späteren Bundeskanzler Leopold Figl und Julius Raab schworen. Bei der Nationalratswahl 1930 erhielten die Nationalsozialisten 100.000 Stimmen, jedoch kein Mandat. Im April 1932, bei den Landtagswahlen Wien, Niederösterreich, Salzburg erreichten die Nationalsozialisten 336.000 Stimmen. Diese Gewinne gingen vor allem auf Kosten der Großdeutschen. Allein in Wien bekamen sie 201.000 Stimmen und versiebenfachten damit ihren Stimmenanteil. Die Wiener Sozialdemokraten hielten ihren Stimmenanteil von 59 %, die Christlichsozialen verloren leicht. Bei den gleichzeitigen Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark waren die Ergebnisse etwas bescheidener, aber trotzdem beachtlich. Diese dramatische Stärkung der Nationalsozialisten machte klar, dass die aus Christlichsozialen, Landbund und Heimwehren bestehende Regierung bei den nächsten Nationalratswahlen ihre ohnehin knappe Mehrheit (nur 1 Mandat) verlieren würde. Dies führte zunehmend zu Bestrebungen zur Errichtung eines faschistischen Regimes. Außerhalb Österreichs wurde dieses Vorhaben insbesondere von Benito Mussolini unterstützt. Dollfuß – er war im Mai 1932 zum Bundeskanzler ernannt worden – regierte seit 1. Oktober 1932 teilweise unter Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917, welches im Rahmen des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1920 (VÜG 1920) in die republikanische Bundesverfassung übergeleitet worden war. Dollfuß warb öffentlich für die Vorgehensweise nach § 7 Abs. 2 VÜG 1920, im Parlament wurden auch keine Anträge gestellt, diese Verfassungs-Bestimmung abzuschaffen. Den Anlass zur Machtübernahme bot die am 4. März 1933 ausgelöste Geschäftsordnungskrise des Österreichischen Nationalrats. Sie wurde von der damaligen Regierung als „Selbstausschaltung des Parlaments“ bezeichnet. Dollfuß verwendete die Vollmachten des § 7 Abs. 2 VÜG 1920 nun als rechtliches Instrument, um die Demokratie auszuschalten. Am 7. März 1933 erließ der Ministerrat ein Versammlungs- und Aufmarschverbot. Eine als wirtschaftliche Schutzmaßnahme getarnte Presseverordnung wurde herausgegeben. Das durch § 7 Abs. 2 VÜG 1920 übergeleitete KWEG 1917 bezog sich aber ausdrücklich nur auf wirtschaftliche Maßnahmen, bei denen die Regierung Vollmacht hatte – sodass die Presseverordnung auch als wirtschaftliche Maßnahme tituliert wurde. Nach dieser Presseverordnung konnte unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise, wenn „durch Verletzung des vaterländischen, religiösen oder sittlichen Empfindens eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit […]“ bestand, für eine bereits einmal beschlagnahmte Zeitung die Vorlagepflicht zwei Stunden vor der Verbreitung angeordnet werden. Dabei war klar, dass es sich um eine reine Vorzensur handelte, doch war die Regierung bemüht, den Schein nach außen zu wahren, auch weiterhin das verfassungsmäßige Verbot einer Zensur zu achten. Als die Opposition die Geschäfte des Nationalrats am 15. März 1933 wieder aufnehmen wollte, wurde dies mit Polizeigewalt verhindert. Das Parlament wurde von 200 Kriminalbeamten umstellt und die sozialdemokratischen und großdeutschen Abgeordneten am Betreten gehindert. Am 31. März 1933 löste die Regierung den Republikanischen Schutzbund auf, die Sozialdemokratische Partei durfte aber vorerst weiter bestehen. Am 10. April 1933 wurde die zwangsweise Teilnahme an religiösen Übungen durch Aufhebung des so genannten Glöckel-Erlasses wieder eingeführt. Der Urheber des Erlasses, der ehemalige sozialdemokratische Unterrichtsminister Otto Glöckel, wurde 1934 in Folge der Februarrevolte, an der er nicht persönlich beteiligt war, in seinem Büro im Palais Epstein verhaftet und in das Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. Glöckel kehrte aus der Haft als gebrochener Mann zurück und verstarb am 23. Juli 1935 in Wien. Am 10. Mai 1933 verordnete die Regierung die Aussetzung aller Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Am 26. Mai wurde die Kommunistische Partei Österreichs aufgelöst, am 19. Juni die NSDAP und einen Tag später – auf Wunsch der katholischen Kirche – der Freidenkerbund. Sozialdemokraten und Großdeutsche durften vorerst weiter bestehen.
Als am 12. Februar 1934 das Hotel Schiff, ein Linzer Parteiheim der Sozialdemokraten, von der Polizei durchsucht werden sollte, kam es zum Februaraufstand, der auch als Österreichischer Bürgerkrieg in die Geschichte eingehen sollte. Nach der militärischen Niederschlagung des sozialdemokratischen Aufstandes durch das Bundesheer und die Heimwehr wurde die Sozialdemokratische Partei verboten. In einer letzten Nationalratssitzung wurde am 30. April 1934 von den Abgeordneten der Vaterländischen Front ein Gesetz beschlossen, das die Regierung mit allen Befugnissen ausstattete, die zuvor Nationalrat und Bundesrat oblagen. Die Mandate der Sozialdemokraten wurden vor Zusammentreten des „Rumpfparlaments“ für erloschen erklärt.
 
Die Vollendung dieses Putsches stellte die austrofaschistische Verfassung dar, die am 1. Mai 1934 – nicht zufällig an einem der wichtigsten Feiertage der niedergeschlagenen Arbeiterbewegung – erlassen wurde. Aus „Österreich ist eine demokratische Republik. Das Recht geht vom Volk aus.“ wurde in der neuen Verfassung: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung“. Die Staatsbezeichnung „Republik Österreich“ wurde durch „Bundesstaat Österreich“ ersetzt. Als wappenähnliches Emblem wählte der Staat das Krückenkreuz in Anlehnung an historische, mutmaßlich vor-habsburgische Symbole und in Abgrenzung zum Hakenkreuz der Nationalsozialisten.
 
Nachdem das Parlament ausgeschaltet war, entledigte sich die Regierung auch des Verfassungsgerichtshofs. Die vier christlichsozialen Verfassungsrichter wurden zum Rücktritt bewogen, womit die Regierung einer sehr wahrscheinlichen Aufhebung der „Notverordnungen“ zuvorkam, auf deren Grundlage sie seit einigen Monaten regierte. Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs wurde rechtlich abgesichert, indem Neuernennungen von Verfassungsrichtern per Verordnung untersagt wurden. Im September 1933 ließ die Regierung mehrere Anhaltelager zur Internierung politischer Gegnerinnen und Gegner einrichten. Neben Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten wurden dort nach dem Juliputsch 1934 in großer Zahl auch Nationalsozialisten eingesperrt. Am 11. November 1933 führte die Regierung Dollfuß die 1919 abgeschaffte Todesstrafe für Mord, Brandstiftung und „öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums“ wieder ein. Nach den Ereignissen des Februar 1934 wurde die Todesstrafe zudem auf das Delikt „Aufruhr“ erweitert. In standrechtlichen Prozessen hatten drei Richter drei Tage lang Zeit, einen Angeklagten entweder freizusprechen oder zum Tod durch den Strang zu verurteilen. Dauerte der Prozess länger als drei Tage, war nicht mehr das Standgericht, sondern ein ordentliches Schwurgericht zuständig, das die Todesstrafe nicht mehr verhängen konnte. Die Bundesregierung sicherte sich die Möglichkeit, dem Bundespräsidenten Begnadigungen vorschlagen zu können und bewahrte auf diesem Weg mehrmals Personen, die den Christlichsozialen politisch nahestanden, vor der Todesstrafe. Als erstes Todesopfer der Standgerichte ging der geistig behinderte Peter Strauß in die Geschichte ein. Prominente politische Opfer der standrechtlichen Todesstrafe während des Austrofaschismus waren unter anderem sozialdemokratische Führungsfiguren des Februaraufstandes: Josef Ahrer, Anton Bulgari, Johann Hoys, Karl Münichreiter, Alois Rauchenberger, Josef Stanek, Emil Swoboda, Koloman Wallisch und Georg Weissel. Im September 1934 erreichte die Anzahl der politischen Häftlinge, die in Anhaltelagern und Notarresten festgehalten wurden, 13.338. Insgesamt wurden rund 16.000 Österreicher aus politischen Gründen im Ständestaat inhaftiert.
 
Bereits im Zuge des turbulenten Jahres 1933 wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die österreichische Bildungspolitik austrofaschistischen Grundsätzen gemäß umgestalten sollten. Der katholischen Kirche wurde dabei starker Einfluss auf das zuvor durch Otto Glöckel säkularisierte Bildungssystem eingeräumt. Wer in Österreich nun mit Matura aus einer höheren Schule ausscheiden wollte, musste den Religionsunterricht besucht haben. Auch Mädchen wurde das Erreichen eines höheren Bildungsgrades wieder erschwert, da die austrofaschistischen Machthaber das klassische Frauenbild der Hausfrau und Mutter favorisierten. Auch auf Hochschulebene erließ die Bundesregierung 1933 mehrere Gesetze. Zunächst wurde die Zahl der Hochschullehrer und Assistenten vermindert, womit insbesondere regimekritische Lehrende auf legalistischem Wege ihrer Ämter enthoben werden konnten. Mit einem weiteren Gesetz wurden Disziplinarverfahren, die bisher der jeweils betroffenen Universität oblagen, der Kontrolle des Bundesministeriums unterstellt, was sich ebenfalls zum Nachteil kritischer Mitarbeiter der Universitäten auswirkte. Akademische Funktionäre konnten von nun an ausschließlich Personen werden, die Mitglied der Vaterländischen Front waren. „Jede freiwerdende Lehrkanzel muss, wenn der entsprechende Mann vorhanden ist, mit einem Hochschullehrer von vaterlandstreuer und womöglich auch noch besonders christlicher Gesinnung besetzt werden“, ließ Unterrichtsminister Hans Pernter nach Beschluss der neuen Hochschulgesetze verlautbaren. Zur ideologischen Schulung der Studierenden führte die Regierung Pflichtvorlesungen zu den „ideellen und geschichtlichen Grundlagen des österreichischen Staates und zur weltanschaulichen und staatsbürgerlichen Erziehung“ ein und errichtete verpflichtende militärisch geführte Hochschullager. Im Gesetzestext, der die Einführung militärischer Hochschullager regelte, heißt es: „Jedes Hochschullager soll einen militärischen und einen pädagogischen Leiter, also Offiziere und Erziehungsleiter, erhalten, wobei ersteren das militärische Kommando und die vormilitärische Schulung, letzteren das Vortragswesen und die Freizeitgestaltung obliegt.“ Ein solches Hochschullager umfasste jeweils etwa 100 Studenten.
 
Die Haltung der austrofaschistischen Regierung zur jüdischen Gemeinde in Österreich war zwiespältig. Einerseits wurden keine antijüdischen Gesetze erlassen, und jüdische Bürger konnten problemlos der Vaterländischen Front beitreten und sich in ihr betätigen. Andererseits unternahm das Regime keinerlei ernsthafte Anstrengungen, um antisemitische Übergriffe der Bevölkerung zu unterbinden – zuweilen wurden diese sogar begünstigt. Die bereits vor der austrofaschistischen Machtergreifung vorhandene Diskriminierung von Juden im öffentlichen Leben verschärfte sich so weiter. Regelmäßig kam es zu privat organisierten Boykottaufrufen gegen jüdische Unternehmer und sogar zu Geschäftsblockaden. Nach der Unterzeichnung des Juliabkommens nahmen tätliche Übergriffe durch Nationalsozialisten auf Juden stark zu, welchen Polizei und Justiz nur unzureichend entgegentraten. Zahlreiche Organisationen, welche dem Regime nahestanden, hatten ein offen antisemitisches Programm, so etwa die faschistischen Heimwehren. Auch innerhalb der katholischen Kirche, einer ebenso mächtigen Stütze des Ständestaates, gab es starke antijüdische Strömungen, welche unter anderem durch Bischof Alois Hudal vertreten wurden. Auch Studenten des Cartellverbandes verübten 1935 einen Überfall auf eine jüdische Studentenverbindung an der Universität Wien. In der öffentlichen Verwaltung setzte ab 1933 eine starke Diskriminierung jüdischer Beamter ein. Viele von ihnen wurden unter dem Vorwand, sie würden der sozialdemokratischen oder der kommunistischen Partei nahe stehen, aus dem Dienst entlassen. In der Zeitschrift Der jüdische Weg hieß es dazu: „Vier Fünftel der entlassenen Juden hatten mit Politik nichts zu tun und wurden nur entlassen, weil sie Juden waren“. Im Jahr 1935 waren nur noch 0,4 % aller Beamten Juden (682 von insgesamt 160.700 öffentlichen Bediensteten), gegenüber 2,8 % jüdischem Bevölkerungsanteil. Der Antisemitismus während des Austrofaschismus unterschied sich stark vom Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten. Auch wenn die Regierung Jüdinnen und Juden im öffentlichen Leben strukturell diskriminierte, unterstützten doch viele von ihnen den Austrofaschismus, da er ihnen im Vergleich zur NS-Diktatur als kleineres Übel erschien – so etwa Karl Kraus, der zwar konvertiert war, aber dennoch aus Sicht der Nationalsozialisten als Jude galt.
 
 
Der Ständestaat ist ein nach Berufsgruppen (altertümelnd „Stände“ genannt) organisierter Staat ohne politische Parteien und demokratisch gewähltes Parlament, jedoch mit einer den Staat tragenden weltanschaulichen Bewegung. Der Begriff wurde von den Diktaturregierungen Dollfuß und Schuschnigg und ihren Anhängern zur euphemistischen Definition der autoritären Staatsform Österreichs von 1934 bis 1938 verwendet; offiziell hieß der Staat in dieser Zeit Bundesstaat Österreich. Gegen die in der zeitgeschichtlichen Literatur Österreichs häufige Nennung des Ständestaats ohne Anführungszeichen wurde vorgebracht, dass damit eine ideologisch und propagandistisch begründete Selbstbezeichnung distanzlos fortgeführt werde. Zur schärferen Abgrenzung steht der Begriff Austrofaschismus bzw. austrofaschistischer Ständestaat zur Verfügung.
 
Die wissenschaftliche Definition von Gerhard Jagschitz fasste 1983 zusammen:
„Der Ständestaat stellt die Summe bürgerlicher Revisions- und Restaurationspolitik gegen das System des November 1918 dar. Seine bestimmenden Faktoren Antimarxismus und Antibolschewismus, Destruktion der parlamentarisch-demokratischen Ordnungsprinzipien, Antiliberalismus und Staatsvorstellungen des politischen Katholizismus mündeten in der Konstruktion eines autoritären, ständisch gegliederten Staates im Rahmen der Maiverfassung des Jahres 1934.
 
 
Die Idee eines Ständestaates entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte eine starke antiliberale Stoßrichtung und war als Protest gegen den im Kapitalismus inhärenten sozialen Abstieg traditioneller Berufsgruppen wie Bauern oder Handwerker entstanden.
In Österreich wurde diese Konzeption von Karl von Vogelsang, einem der Ideengeber der Christlichsozialen Partei vertreten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es vor allem Othmar Spann, der solche Ideen propagierte. Eine starke Stoßrichtung hatte diese Idee gegen die organisierte Arbeiterbewegung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich innerhalb der „Berufsstände“ gegenübersitzen, um eine selbstständige und ständeübergreifende Gewerkschaftsbewegung zu verhindern. Die Überwindung des Klassenkampfes war ein vordringliches Ziel der Ständestaatsideologen. Zwar berief sich das österreichische Ständestaats-Experiment auf die Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI.; doch wird heute angeführt, dass diese Berufung auf die Enzyklika zu Unrecht erfolgt sei, da die Kritik des Papstes am faschistischen Korporativstaat (in Nr. 91–95 der Enzyklika) weitgehend auch die österreichische ständestaatliche Verfassung getroffen habe. Auf ähnliche Denkmodelle beriefen sich auch das faschistische Italien sowie die autoritären Regimes in Spanien (Franquismus) und Portugal (Estado Novo). Eine parlamentarische Geschäftsordnungskrise, ausgelöst durch den Rücktritt aller drei Nationalratspräsidenten am 4. März 1933, nutzte der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß zu einem Staatsstreich. Seine Regierungspropaganda sprach von der „Selbstausschaltung des Parlaments“, in Wirklichkeit verhinderte er aber sein Wiederzusammentreten. Bundespräsident Miklas blieb trotz Aufforderung untätig. Bundeskanzler Dollfuß regierte nach der Ausschaltung des Parlaments auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Ersten Weltkrieg, das ihm außerordentliche Vollmachten verlieh. (Es handelte sich nicht um den ersten Einsatz des Gesetzes nach dem Krieg: Schon die Regierungen 1918–1920 hatten es genutzt, obwohl damals ein Parlament bestand, und 1932 war es ebenfalls angewendet worden.) Er legte den Verfassungsgerichtshof lahm (die regierungsnahen Richter traten geschlossen zurück), um eine Klage der Abgeordneten zu verhindern, und konnte seine Diktatur in den Februarkämpfen 1934 durch die völlige Ausschaltung der Sozialdemokratie festigen. Nach Dollfuß’ Ermordung am 25. Juli 1934 im Zuge des nationalsozialistischen Juliputschversuchs wurde Kurt Schuschnigg Bundeskanzler und damit Führer des „Ständestaates“, bis er unter dem politischen und militärischen Druck des NS-Regimes am 11. März 1938 seinen Rücktritt erklärte und den Weg für den „Anschluss“ freimachte. Unter fortgesetztem Bruch der Bundesverfassung wurde per 1. Mai 1934 eine neue Verfassung (Maiverfassung) erlassen, die vor allem von Otto Ender ausgearbeitet worden war. Es wurde ein „christlich-deutscher Ständestaat“ (es war vom „besseren deutschen Staat“ die Rede) proklamiert, dessen Staatsgewalt von berufständisch organisierten Kammern ausgehen sollte, die Parlament und Parteien ersetzen sollten.
 
Der tatsächlich errichtete „Ständestaat“ 1934-38 war jedoch kein Ständestaat im Sinne des Begriffs, sondern (auch dollfuß-freundlich) höchstens der Versuch, einen solchen zu errichten. In der Zwischenzeit – ob die Bundesregierung subjektiv ernsthaft an der ständestaatlichen Idee festhielt oder nicht, mag offenbleiben – wurde diktatorisch regiert; nicht die Maiverfassung, sondern das Verfassungsgesetz vom 30. April 1934Vorlage:§§/Wartung/alt-URL mit seiner Übertragung, so wörtlich, „insbesondere d[er] Zuständigkeit zur Gesetzgebung des Bundes einschließlich der Verfassungsgesetzgebung“ auf die Bundesregierung bildete die Grundlage des Regierungshandelns. Für die Staatsreform wurde aber von Schuschnigg explizit Odo Neustädter-Stürmer als Bundesminister mit der sachlichen Leitung der die Gesetzgebung über die berufsständische Neuordnung vorbereitenden Tätigkeit der Bundesministerien betraut (10. September 1934 – 17. Oktober 1935 und 6. November 1936 – 20. März 1937, Kabinette Schuschnigg I und III). Von den vorgesehenen sieben Kammern – die für den Beginn des maiverfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahrens sämtlich notwendig gewesen wären – wurden nur zwei, die Landwirtschaftskammer und die Kammer für den Öffentlichen Dienst, tatsächlich eingerichtet. Als Parteiersatz wurde eine Vaterländische Front geschaffen, in der bis 1936 alle Parteien, die nicht verboten worden waren, zusammengefasst wurden – dann wurde jedwede politische Opposition verboten. Dem Regime standen Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und Nationalsozialisten feindlich gegenüber. Dies hatte nicht zuletzt mit seinen massiven Versuchen einer Rekatholisierung der der Kirche entfremdeten Arbeiter- und Mittelschichten zu tun (forcierter Kirchenbau in Arbeitervierteln, etwa im Sandleitenhof, institutioneller Druck auf die Jugend via Beichtzettel etc). Das Regime hatte von Anfang an eine schmale gesellschaftliche Basis. Die politischen Gegner jeder Couleur wurden verfolgt: Im Jänner 1934 wurde das Anhaltelager Kaisersteinbruch mit der Zuweisung von etwa 70 Häftlingen in Betrieb genommen, der Stand an Angehaltenen betrug Anfang April 629 (516 Nationalsozialisten, 113 Sozialdemokraten und Kommunisten). Mit dem 30. April 1934 räumte man dieses Lager, und der Abtransport der Angehaltenen nach Wöllersdorf wurde verfügt.
 
Der Ständestaat verstand sich von Anfang an als Gegner des nationalsozialistischen Deutschlands, kopierte es aber (so wie das faschistische Italien) in vieler Hinsicht. Auch auf der Ebene der Symbole wurde diese ambivalente Politik betrieben. Das Kruckenkreuz, Symbol der Vaterländischen Front, wurde als mittelalterliches Symbol – die älteste Darstellung befindet sich auf dem (deutschen) Reichsschwert – dem Hakenkreuz entgegengesetzt. Die durchgängige Verwendung dieses Propagandasymbols war neu für Österreich. Der Adler des Ständestaates lehnte sich an den zweiköpfigen Quaternionenadler des Heiligen Römischen Reiches an, in Abgrenzung zum einköpfigen, graphisch streng gestalteten Adler des Deutschen Reiches. Da Altösterreich den Doppeladler jahrhundertelang geführt hatte, seit Habsburger Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurden, wirkte die Rückkehr zu ihm nostalgisch. Dazu passten die Traditionspflege mit Elementen des kaiserlichen Österreich, die Zulassung von Adelstiteln und die teilweise Rückgängigmachung des Habsburgergesetzes. Das Bundesheer, 1934 gegen die Sozialdemokraten im Einsatz, 1938 aber nicht gegen den Einmarsch der Wehrmacht aktiviert, da Schuschnigg "kein deutsches Blut vergießen" wollte, erhielt 1934 (mit Ausnahme der kleinen Luftstreitkräfte) statt der bisher getragenen vergleichsweise modernen Uniformen im Stil der Reichswehr solche nach Art der der Donaumonarchie.