Dienstag, 14. Juni 2011

Starke Frauen des Nahostkrieges

Souhaila Sami Andrawes Sayeh (* 28. März 1953 in Beirut) alias Soraya Ansari ist ein ehemaliges Mitglied der militanten palästinensischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und eine verurteilte Terroristin. Souhaila Andrawes, Tochter palästinensischer Eltern, die nach der Staatsgründung Israels ihre Heimatstadt Haifa verlassen mussten, wuchs in Beirut auf. Sie wurde im christlichen Glauben erzogen und absolvierte eine von französischen Nonnen geführte Mädchenschule. Im Jahr 1965 zog sie mit ihren Eltern nach Kuwait, wo sie kurzzeitig eine moslemische Schule absolvierte, die sie jedoch auf eigenen Wunsch hin wieder verließ. Ihr eigentliches Ziel, selbst Nonne zu werden, hätte im überwiegend muslimischen Kuwait niemals verwirklicht werden können, so dass sie nach Jerusalem ziehen wollte. Der Ausbruch des Sechstagekrieges, im Jahr 1967, machte ihre Planungen zunichte. Obwohl Andrawes als Beste ihres Jahrgangs die Schule beendete, erhielt sie keinen Studienplatz, da sie zum einen keine Staatsbürgerschaft Kuwaits besaß aber auch auf der anderen Seite nicht über die nötigen Beziehungen verfügte. Im Libanon, wohin sie im Anschluss zog, studierte sie Englische Sprache und Literatur. Ihr Sinnungswandel hin zu einer Terroristin begann durch Meinungsbildung von Seiten ihrer palästinensischen Verwandten. 1969 lernte sie die Flugzeugentführerin Leila Khaled kennen, die ebenfalls maßgeblichen Einfluss auf sie ausübte. Durch finanzielles Engagement bekam Andrawes vermehrt Kontakt zur palästinensischen Widerstandsbewegung. Kurz nach Ausbruch des Libanesischen Bürgerkriegs, 1975, kehrte sie nach Kuwait zurück, wo sie begann als Journalistin zu arbeiten, um so politisch aktiv zu werden. Über einen ihrer Kollegen bekam sie Ende 1976 Kontakt zur Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Anfang 1977 wurde sie im jemenitischen Aden in einem Lager der PFLP militärisch ausgebildet, wo sie den hochrangigen PFLP-Mann Zaki Helou sowie dessen deutsche Frau Monika Haas kennenlernte. Über einen Aufenthalt in Kuwait kam sie Anfang Oktober 1977 nach Bagdad (Irak) wo sie die drei anderen Mitglieder jener Gruppe kennenlernte, mit der sie durch einen Auftrag von Wadi Haddad nur wenige Tage später die Landshut entführte. Am 8. Oktober 1977 traf Andrawes auf Palma de Mallorca ein. Am 13. Oktober 1977 entführte die zu dem Zeitpunkt israelische Staatsbürgerin Andrawes mit drei weiteren Terroristen des so genannten Kommandos Martyr Halimeh den Lufthansa-Flug LH 181 Landshut. Sie war die einzige überlebende Terroristin nach der Befreiung der Landshut durch die GSG 9 in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. In Fernsehaufnahmen ist sie nach der Befreiung zu sehen, wie sie schwer verwundet auf der Trage noch die Hand zum Victory-Zeichen erhebt. Am 25. April 1978 wurde sie in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch nach knapp zwei Jahren begnadigt und abgeschoben. 1991 zog sie mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter nach Norwegen. Dort wurde sie 1994 aufgrund von Hinweisen deutscher Fahnder aufgespürt, am 13. Oktober – genau 17 Jahre nach dem Beginn der Landshut-Entführung – in Oslo festgenommen und im November folgenden Jahres an Deutschland ausgeliefert, wo sie 1996 für ihre Beteiligung an Mord, Menschenraub, Geiselnahme und Flugzeugentführung zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. 1997 erhielt sie die Erlaubnis, ihre Reststrafe in Norwegen zu verbüßen, und wurde dorthin verlegt. Da ihre Gesundheit infolge der bei der Erstürmung der Lufthansa-Maschine erlittenen Schussverletzungen beeinträchtigt war, wurde sie 1999 von der norwegischen Regierung vorzeitig aus der Haft entlassen. Seitdem lebt sie mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter wieder in Oslo und besitzt seit 2005 die norwegische Staatsbürgerschaft. In dem Buch Für die RAF war er das System, für mich war er der Vater von Anne Siemens äußert die Landshut-Geisel Gabriele von Lutzau ihr Unverständnis darüber, dass Andrawes unbehelligt in Norwegen leben könne und für ihre Tat nur insgesamt vier Jahre im Gefängnis gesessen habe. Die ehemalige Stewardess beschreibt Andrawes als besonders grausam und erbarmungslos. So habe sie nur kaltblütig gelacht, als der Anführer der Terroristen den Flugkapitän Jürgen Schumann erschoss. Andrawes spricht über das Verbrechen in Heinrich Breloers Film Todesspiel (WDR 1997). Dieser Film ist halb Dokumentarfilm, halb Spielfilm. In den Interviews äußert sie Bedauern über ihre Teilnahme an der Tat.






Sie überlebte die dramatischste Flugzeugentführung der deutschen Nachkriegszeit: Gabriele von Lutzau war Stewardess in der Lufthansa-Maschine "Landshut", die im Oktober 1977 von einem palästinensischen Terrorkommando gekapert wurde. Die ehemalige Geisel erinnert sich an vier Tage und elf Stunden Angst.

Am 13. Oktober 1977 startet in Palma de Mallorca gegen 13 Uhr die Lufthansa-Maschine "Landshut". An Bord befinden sich 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder, unter ihnen Stewardess Gabriele Dillmann, heute heißt sie Gabriele von Lutzau. Gegen 14.30 Uhr meldet die französische Flugsicherung eine Routenabweichung des Flugzeugs. Vier palästinensische Terroristen haben sich der Lufthansa-Maschine bemächtigt: Zohair Youssif Akache, der sich Captain Martyr Mahmud nennt, führt die Gruppe an. Die anderen Mitglieder des Kommandos: Souhaila Andrawes, Wabil Harb und Hind Alameh. Um 15.45 Uhr landet die entführte "Landshut" in Rom, nur zwei Stunden später ist sie vollgetankt wieder in der Luft. Zweite Station ist der Flughafen Larnaka auf Zypern. Bundesinnenminister Maihofer telefoniert mit dem zyprischen Außenminister Patsalides. Zu der von den Entführern geforderten Betankung des Flugszeugs mit elf Tonnen Treibstoff kommt es erst nach einiger Zeit. Ein Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) nimmt in der Zwischenzeit Verhandlungen mit den Entführern auf. Deren Anführer droht jedoch mit der Sprengung des Flugzeugs für den Fall einer weiteren Verzögerung.

Gabriele von Lutzau: Als wir wie eine Herde Vieh nach hinten ins Flugzeug getrieben wurden, hatte ich noch gehofft, wir hätten es mit irgendwelchen Verrückten zu tun, die Lösegeld erpressen wollen durch eine Flugzeugentführung. Dann fiel das Wort Palästina, und es war klar, dass es hier um viel mehr gehen würde. Ein bleibender Eindruck der Entführung ist bis heute die Hilflosigkeit: Das Lamm auf der Schlachtbank zu sein, dem gleich die Kehle durchgeschnitten wird - und man sieht, wie die Messer schon gewetzt werden. Diese Hilflosigkeit gegenüber dem eigenen Tod hat sich mir am meisten eingebrannt. Ich sollte zum ersten Mal erschossen werden, als wir in Larnaka auf dem Rollfeld standen und Mahmud Treibstoff vom Tower forderte. "Die jüdischen Huren werden nicht erschossen!"  Die erste, die Mahmud noch vor mir zur Erschießung rausholte, war diese Schönheitskönigin. Wirklich eine schöne Frau mit hellem Teint und dunklen Haaren. Sie hatte einen Wettbewerb auf dem Laufsteg einer Disko in Palma, der Hauptstadt Mallorcas, gewonnen. Der Preis war eine einwöchige Herbstreise nach Mallorca. Mahmud hielt die Frau für eine Jüdin. Er glaubte ja, er vertrete eine moralische Position gegen das absolut Böse, und das absolut Böse waren in seinen Augen der Imperialismus westlicher Staaten und alles Jüdische.  Die Formel "Du bist jüdisch" diente ihm dazu zu rechtfertigen, was er tat. Er hat Menschen einfach zu Juden gemacht. Er wollte Macht ausüben, das bereitete ihm Spaß. Befriedigte seine Lust. Er verteilte Zahlen, wer wann zur Erschießung dran sei: Ich war Nummer drei, die Schönheitskönigin Nummer eins und eine andere junge Frau sollte an zweiter Stelle ihr Leben lassen. Wenn die Forderungen nicht erfüllt würden, drohte Mahmud den Leuten im Tower, werde er Ernst machen. Vor Angst gefriert einem in diesem Moment das Blut in den Adern. Das Atmen wird schwer. Man ist gefangen, und es gibt keinen Ausweg. Wir sollten uns selbst bei ihm zur Exekution melden.  Während wir warteten, wuchs in mir neben der Angst auch Wut. Mahmud hatte nur Frauen zur Erschießung ausgewählt. Junge Frauen, die schmal waren und zierlich. Was für ein Feigling, dachte ich, dass er sich keinem Mann gegenüberstellt, der so groß ist wie er - ihm körperlich ebenbürtig -, und sagt: "Du bist der erste!" Natürlich, eine solche Wahl hätte nichts daran geändert, dass es niemand "richtigen" gab. Das "richtige" Opfer existiert ohnehin nicht - auch wenn die RAF behauptete, Schleyer sei das richtige Opfer gewesen, den Satz hatte ich aus den Vorwochen noch im Kopf. Dass Mahmud sich nur ihm körperlich unterlegene Frauen aussuchte, um sie zu erschießen, zeigte überdeutlich seinen Charakter.  Der Tower bewilligte schließlich den geforderten Treibstoff. Nach einer für mich unendlich langen Zeit schrie Mahmud auf englisch übers Bordmikrophon: "Die drei jüdischen Huren werden nicht erschossen!" Nach dem Start in Larnaka um 22.50 Uhr nimmt die Maschine Kurs auf Beirut, doch der Flughafen ist ebenso gesperrt wie die nächsten Ziele der Terroristen: Damaskus, Bagdad und Kuwait. Die "Landshut" fliegt nach Bahrain, um 1.45 Uhr setzt Pilot Jürgen Schumann auf dem Flughafen des Inselstaats auf. Quälende Ungewissheit  In Bahrain hörte ich zum ersten Mal, dass im Austausch gegen uns Mitglieder der RAF freigepresst werden sollten. Mein Gott, wie absurd dieser Moment war! Die Gefangenen waren Leute in meinem Alter oder nur unwesentlich älter als ich. Ihre Wurzeln hatten sie in der Bewegung, die ich vor wenigen Jahren von ganzem Herzen bewundert hatte. Die Leute in der Studentenbewegung, das waren alles Helden, unsere Helden - Ritter in schimmernder Rüstung, die für das Gute eintraten. Ich hatte sie aus der Ferne bewundert, denn für mich - einen Teenager aus dem Odenwald - waren Städte wie Frankfurt oder gar Berlin schier unerreichbar weit weg. Mit meiner besten Freundin redete ich auf dem Schulweg leidenschaftlich gern über Rudi Dutschke, und natürlich imitierte ich auch den revolutionären Look: Stets trug ich eine Tasche bei mir, eine alte Arzttasche - genannt der Kofferdackel. Meine Frisur glich einem Bienenkorb, und ich hüllte mich in lange, flatternde Strickjacken. Ich hörte die Beatles, Joan Baez, aber am liebsten doch die Rolling Stones. Letztere mag ich heute noch sehr. Als 1968 auf Rudi Dutschke geschossen wurde, war das für mich, als wäre da ein Mensch getroffen worden, der mir nahestand. Dann gab es plötzlich die harten Fronten zwischen den Studenten auf der einen Seite und Polizisten auf der anderen. Die fliegenden Steine und brennenden Autos, diese Ausschreitungen erschreckten mich, hatten nichts mehr mit mir zu tun. Für mich war die Studentenbewegung da im Grunde vorbei. 1968 brach in Frankfurt in zwei Kaufhäusern Feuer aus. Brandstiftung. Das sorgte für Aufsehen und Empörung. Ich weiß noch, wie meine Eltern von Anarchisten sprachen und davon, dass auch jemand hätte verletzt werden können. Organisierte Gewalt, der Begriff blieb bei mir hängen. "Fehlgeleitete, ja, irrsinnige junge Leute sind das", schimpften meine Eltern am Abendbrottisch. "Was hat das denn mit dem Krieg in Vietnam zu tun? Was haben wir in der Bundesrepublik denn mit dem Krieg dort zu tun?" Auf dem Schulhof war man gegen den Vietnamkrieg, aber diese Aktion war so unsinnig. "Was für Idioten", dachte ich. Was sollen Feuer und Sachschaden bewirken? Aus heutiger Sicht ging es damals los, zeigte sich da erstmals die Sprachlosigkeit, die sich später in den Taten von Baader-Meinhof wiederfindet.  Als wir in Bahrain auf dem Rollfeld standen, musste ich an Peter Lorenz denken. Es war damals, 1975, die erste Nachricht in der "Tagesschau" gewesen: "Drei Tage vor der Wahl wurde Peter Lorenz von Mitgliedern der Bewegung 2. Juni entführt." Ich weiß noch, was für ein seltsames Gefühl es war: Zu hören, dass Leute, die in der Studentenbewegung gewesen waren - meine früheren Vorbilder -, nun Menschen entführten und vor Mord nicht zurückschreckten. Ich hatte während seiner Entführung großes Mitgefühl mit Peter Lorenz gehabt, nun dachte ich wieder an ihn. Würde es für uns wie für ihn eine Rettung geben?  Die Ungewissheit war quälend, die Stunden kamen einem wie Tage vor. Schließlich flogen wir von Bahrain weiter nach Dubai. Jeder Start war eine neue Hoffnung. Wenn wir über den gesamten Zeitraum der Entführung an einem Flughafen gestanden hätten, wäre es schlimmer gewesen. In der Luft, das waren Momente der Ruhe, Ruhephasen. Man wusste: Hoch oben in der Luft werden die Terroristen wahrscheinlich nicht schießen, dann würden sie das eigene Leben ja in Gefahr bringen. Gespräche mit dem Fanatiker  Mahmud drängte uns Crew-Mitglieder und die Passagiere, für meine Stewardess-Kollegin Anna-Maria Staringer "Happy Birthday" zu singen. Mit einer Hand dirigierend, lief er den Gang auf und ab. In der anderen hielt er die Pistole. Er wirkte zugänglich in diesem Moment. Ich versuchte noch einmal ihn zu überzeugen, wenigstens die Kinder, die wir an Bord hatten, gehenzulassen. Das jüngste - ein kleiner Junge, der während der ganzen Entführung erstaunlicherweise kein einziges Mal schrie - war gerade drei Jahre alt geworden.  Ich machte immer wieder Anläufe, um zu vermitteln, dass die Kinder freigelassen würden. Mahmud sah mich - seine Übersetzerin - mittlerweile als eine Art Vertraute. Es gab Momente, in denen er ganz normal und ruhig mit mir redete. Aber man konnte letztlich keinen Einfluss auf ihn nehmen, eben so wenig wie auf die anderen. Der zweite Mann neben Mahmud war noch der menschlichste von den vieren. Wir nannten ihn "den Schönen". Souhaila Andrawes war für uns "die Dicke", und die zweite Terroristin hieß "die Kleine" - so konnten wir über sie reden, ohne dass es unseren Entführern auffiel. Als eine alte Frau zusammenbrach, half mir "der Schöne", sie zur Tür zu schleppen, damit sie etwas frische Luft bekam. Sie tat ihm leid, das merkte man. Doch wenn Mahmud verlangt hätte "Erschieß sie!", hätte er dies fraglos ohne Zögern getan. Die vier waren Fanatiker, im Zweifelsfall wäre ihr eigenes Ziel vor der Menschlichkeit gekommen. Die beiden Frauen hatten überhaupt kein Mitgefühl für ihre Geiseln. Sie haben als unterwürfige Soldaten-Sklavinnen alles gemacht, was Mahmud verlangte.  Die nächste Station der "Landshut" ist Dubai, trotz Landeverbot steuert Kapitän Schumann den Flughafen an, um Treibstoff aufzunehmen. Erst am Mittag des 16. Oktober, 54 Stunden nach der Landung in Dubai und drei Tage nach Beginn der Entführung, hebt das Flugzeug mit unbekanntem Ziel ab, ein Irrflug über die arabische Halbinsel beginnt.  Die hygienischen Verhältnisse an Bord wurden immer schlimmer. Die Toiletten waren verstopft, es stank nach Fäkalien. Ab dem zweiten Tag bekam eine junge Frau nach der anderen ihre Periode, sicher als Folge der ständigen Bedrohung und auch, weil wir Frauen schlicht unsere Pille nicht weiter nehmen konnten. Die Terroristen blieben von alldem unberührt. Sie hatten vorn eine ordentliche Toilette in der First Class. Die Bedingungen hinten in der Kabine waren für die Passagiere, die ja zudem unentwegt sitzen mussten, unsagbar hart. Ihr Zorn auf die Regierung in Bonn war unüberhörbar: "Diese Scheißpolitiker in Bonn." "Sie tun nichts für uns." "Der Kanzler opfert unser Leben." Man wusste ja nicht, dass zu Hause ununterbrochen an unserer Rettung gearbeitet wurde. Das Drama von Aden  In der jemenitischen Hauptstadt Aden muss die "Landshut" schließlich wegen Treibstoffmangel landen. Fahrzeuge blockieren die Landebahn, Kapitän Schumann landet auf einem Sandstreifen. In Aden darf der Pilot das Flugzeug verlassen, um das Fahrwerk auf Schäden zu untersuchen.  Ich bin mir bis heute sicher, Jürgen Schumann wurde festgehalten und befragt. Als Jürgen Vietor an der Tür stand und immer wieder rief: "Komm zurück! Komm zurück", war Schumann nicht in Hörweite. Als die jemenitischen Soldaten ihn zurückbrachten, war sein Schicksal besiegelt. Mahmud sagte, Schumann werde gleich exekutiert. Da habe ich ihn angesehen und wusste: Dieses Mal macht er ernst. Es hatte bis dahin zwar immer wieder Eskalationsmomente gegeben, aber in all diesen Situationen war alle Kontrolle in Mahmuds Hand gewesen. Alle waren seinen Launen gefolgt, hatten auf Befehl exerziert, sich zur Erschießung gemeldet - viele hatten auf Knien um ihr Leben gebettelt. Es hatte sich niemand aus diesem Machtfeld herausbewegen können - und weil Mahmud das genau wusste, befriedigte es ihn anscheinend, dann doch gnädig zu sein.  Jürgen Schumann hingegen war seiner Kontrolle entschwunden, und das machte Mahmud rasend. Es war ein Ausbruch aus der Gemeinschaft, und letztlich ging es ihm, glaube ich, vor allem darum, seine Macht vor uns und vielleicht auch vor seinen Leuten zu demonstrieren. Bevor Schumann ins Flugzeug zurückkam, wies Mahmud uns scharf an: "Wenn einer die Stimme erhebt, wird er erschossen. Wenn einer weint, wird er erschossen." Der Schuss hallte in meinen Ohren  Wir hielten uns daran. Diese Momente der Bedrohung sind für jemanden, der nicht Ähnliches durchlebt hat, wahrscheinlich nicht nachvollziehbar. Die Erinnerung an den Schuss und wie Jürgen Schumann vornüber fiel ist in mir nach wie vor wach: Wie mein Körper sich in dem Moment anspannte, als der Schuss fiel. Wie ein Krampf zog sich alles in mir zusammen. Ich hatte mir die Ohren zugehalten und eine Decke über den Kopf gezogen. Der Schuss hallte dennoch tief in meinen Ohren. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Souhaila Andrawes schrie mich an: "Hör auf zu weinen, oder ich erschieße dich!" Doch ich konnte nicht aufhören - es blieb bei der Drohung. Die Leiche blieb stundenlang im Gang liegen. Später trugen die Terroristen sie nach hinten, zogen sie am Ende zu einem der Schränke. Es fiel ihnen nicht leicht. Es roch nach Blut und Tod - man fühlt sich verseucht. Als die Terroristen aus dem Heck des Flugzeugs zurückkamen mit ihren blutigen Händen, sahen sie verstört aus und fahl. Nicht so souverän, wie sie wohl gern gewesen wären.  Wieder vergehen Stunden, in denen die Maschine nicht aufgetankt wird, erst um 2.02 Uhr am 17. Oktober startet die entführte "Landshut" mit Ziel Mogadischu. Dort landet sie gut zwei Stunden später. Für die Passagiere folgt ein weiterer Tag im Flugzeug. Entführer Mahmud stellt ein Ultimatum zum Austausch der Geiseln: Bis 15.00 Uhr deutscher Zeit erwartet er eine Nachricht. Letzter Appell an die Bundesregierung Am frühen Nachmittag empfängt der Tower aus dem Cockpit der "Landshut" eine Nachricht von Stewardess Gabriele Dillmann: "Wir wissen jetzt, dass wir sterben müssen, es wird sehr schwer sein, aber wir werden versuchen, so tapfer wie möglich zu sterben. Wir sind alle zu jung zum Sterben, auch die Alten unter uns. Bitte sagen Sie meiner Familie und meinem Freund, er heißt Rüdiger von Lutzau, dass ich tapfer gewesen bin. So tapfer, wie man nur sein kann. Bitte sagen Sie meinem Freund, dass ich ihn liebe. (...) Es gibt Menschen in der deutschen Regierung, die verantwortlich für unseren Tod sind. Ich hoffe, Sie können mit dieser Schuld auf Ihrem Gewissen leben."  Mehr konnte ich nicht tun - und so fühlte ich mich auch. Ausgebrannt, erschöpft, alle meine Energien waren verbraucht. Ich ging langsam aus dem Cockpit zurück in die Kabine. Souhaila Andrawes bot mir eine Zigarette an. "Hey, you were fantastic", sagte sie weich. In ihrer Logik hatte ich ihr wohl einen Gefallen getan, indem ich diesen Funkspruch abgegeben hatte. Ich erwiderte nichts auf ihr absurdes Kompliment.  Anschließend bereiten die Entführer die Maschine zur Sprengung vor: Sie fesseln alle Geiseln und übergießen sie mit Alkohol.  Souhaila Andrawes führte den Befehl, uns zu fesseln, mit stoischem Gesicht aus. Sie tat ihren Job. Freude an der Vorbereitung unserer Ermordung hatte die andere, die kleine, hübschere Frau. Mit perfidem Lächeln schüttete sie alle verfügbaren Vorräte an Alkohol und Parfum über uns. Wenn man die Pistole an der Schläfe hat oder mit Alkohol übergossen wird, damit man besser brennt, da stirbt ein Teil von einem selbst . und erwacht auch nach einem glücklichen Ende, einer gelungenen Befreiung, nicht mehr zum Leben. Das Vertrauen darauf, in Sicherheit zu leben, ist nicht mehr ungebrochen vorhanden. Damals war das schlimmste Gefühl, so verlassen zu sein. Man fühlte sich verloren, ausgesetzt und zum Sterben freigegeben. "Wo sind die Schweine?" Kurz vor Ablauf des Ultimatums teilt der deutsche Diplomat Michael Libal den Entführern an, die Geiseln würden ausgetauscht. Es werde jedoch weitere sieben Stunden dauern, bis das Flugzeug in Mogadischu eintreffen könne. Die Unterhändler wollen Zeit gewinnen, um den Befreiungs-Einsatz der GSG 9 vorzubereiten.  Es ging mit einem Klicken an der Tür los, dann Rufe: "Wo sind die Schweine?" Ich weiß nicht mehr, wer antwortete - einer von den Passagieren rief: "Vorn, vorn!" Im Vorbeistürmen wiesen uns die Männer der GSG 9 an: "Runter! Runter mit den Köpfen!" Etwas Rundes kollerte vor meine Füße. Ich blickte nach unten, sah eine Handgranate. Ein Terrorist hatte sie geworfen, ich weiß nicht, welcher - sie war direkt vor meinen Sitz gerollt und explodierte. Wenn es eine Granate mit Stahlmantel gewesen wäre, hätte ich die Detonation nicht überlebt. Diese war aber mit Plastik ummantelt. Es war mein Glück. Ich hatte zwar Einsprengspuren am ganzen Körper, aber keine schwere Verletzung. Die Beamten der GSG 9 wiesen uns an, wie wir das Flugzeug schnell verlassen sollten. Draußen kamen wir bei einer Düne zusammen und wurden dann von Bussen zum Flughafengebäude gebracht. Als mein heutiger Mann kurz darauf plötzlich vor mir stand, konnte ich es zunächst nicht glauben. Wenn ich nicht schon gesessen hätte, ich wäre umgefallen. Es war unglaublich, wirklich ein schöner Moment, ein unvergesslich schöner Moment.

Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch von Anne Siemens: "Für die RAF war er das System, für mich der Vater. Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus". Piper Verlag, München 2007; 304 Seiten; 19,90 Euro.