Donnerstag, 4. Dezember 2014

Vor vierzig Jahren

Vor 40 Jahren: Der Philosoph zu Besuch beim "Arschloch"

Sartre und Bader

Am 4. Dezember 1974 besuchte Jean-Paul Sartre den RAF-Terroristen Andreas Baader im Gefängnis. Das Treffen lief anders als erwartet.
   (DiePresse.com)
"Was für ein Arschloch, dieser Baader!" Auf der Rückfahrt vom Stuttgarter Gefängnis Stammheim war der Starphilosoph genervt. Und auch RAF-Terrorist Andreas Baader fällte in seiner Zelle ein hartes Urteil über Jean-Paul Sartre: "Ich hatte den Eindruck von Alter", schrieb er in einen Kassiber. Dabei hatte sich die RAF viel von dem Gefangenenbesuch des französischen Denkers erwartet.
Im Sommer 1974 war die inhaftierte Führung der Terrorgruppe in ihren dritten Hungerstreik getreten. Der Besuch Sartres sollte weitere Aufmerksamkeit bringen. Ulrike Meinhof bat den Philosophen in einem Brief, ein "Interview" mit ihrem Mitstreiter Baader zu führen: "Was wir von dir wollen ist, dass Du uns den Schutz deines Namens gibst".
Mit Hilfe von Baaders Anwalt Klaus Croissant stellte der 69-Jährige einen Besuchsantrag. Er wolle Baader "einige Fragen stellen, die für das Verständnis der Welt der 70er Jahre wesentlich sind", hieß es darin. Generalbundesanwalt Siegfried Buback - er sollte zweieinhalb Jahre später selbst Opfer eines RAF-Mordanschlags werden - stemmte sich gegen die Erteilung einer Besuchserlaubnis. Sartre solle "für die kriminellen Ziele der Baader-Meinhof-Gruppe eingespannt" werden, hieß es in seiner Stellungnahme. Die "zweifellos beabsichtigte" publizistische Auswertung des Besuchs sei als Unterstützung einer kriminellen Vereinigung strafbar. Darüber hinaus sei zu befürchten, dass Sartre als Geisel genommen werden könnte. Das Oberlandesgericht Stuttgart genehmigte den Besuchsantrag jedoch - es gebe keine Sicherheitsbedenken.

"Richter" statt "Freund"

Am 4. Dezember 1974 landete Sartre auf dem Flughafen Stuttgart, erwartet von einem riesigen Tross internationaler Journalisten. Der genaue Inhalt seines Gesprächs mit Baader blieb lange im Dunklen, bis das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Antrag des Magazins "Spiegel" im Jahr 2013 ein Protokoll des Landeskriminalamts Baden-Württemberg freigab. Es zeigt, dass bereits der Empfang kühl war. Sartre hatte zwei Tage zuvor in einem Interview die Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann als Verbrechen bezeichnet. Er habe gedacht, es komme ein Freund, doch nach Lektüre des Interviews glaube er, es komme ein Richter, rügte Baader den Philosophen nun.
Anschließend verlas der Terrorist ein drei Seiten langes Konzept über Revolution, Kapitalismus und "Klassenfeinde". Der anwesende Beamte des Landeskriminalamts notierte: "Bei Rückfragen von Sartre verlas er den gleichen Satz wiederum. Als er Satzteile erläutern sollte, hatte er sichtlich Schwierigkeiten".
Sartre hielt Baader entgegen, die RAF habe "Aktionen" unternommen, "mit denen das Volk nicht einverstanden war". Anschläge seien zwar "sicher richtig" in Ländern wie Guatemala, nicht aber in der Bundesrepublik. Nach einer Stunde war das Gespräch zu Ende.

Sartre ortete Folter

Auf einer Pressekonferenz, bei der Daniel Cohn-Bendit für den Philosophen übersetzte, distanzierte sich Sartre zwar inhaltlich von der RAF ("diese Gruppe ist für die Linke schlecht"), zeigte sich aber solidarisch mit den Häftlingen. Baader und seine Mitstreiter würden in Isolationshaft gehalten, kritisierte er: „Es ist nicht die Folter wie bei den Nazis, es ist eine andere Folter, eine Folter, die psychische Störungen herbeiführen soll.“
Diese Worte sorgten für Aufregung in der deutschen Presse und eine Blamage des Philosophen: Denn die prominenten Häftlinge führten, wie nun in dutzenden Zeitungsberichten detailliert beschrieben wurde, ein vergleichsweise privilegiertes Leben mit täglichen Treffen und Fernsehern sowie kleinen Bibliotheken in den Zellen. Sartre hatte die Zellen, die er als schalldicht und permanent künstlich beleuchtet beschrieb, gar nicht gesehen. Möglicherweise hielt der damals bereits fast Blinde den fensterlosen Besucherraum für Baaders "Isolationszelle".

RAF

Fast drei Jahrzehnte lang versetzte die linksextreme Terrorgruppe "Rote Armee Fraktion" Deutschland mit Morden, Überfällen und Anschlägen in Angst und Schrecken. 1972 wurden die führenden Köpfe der Gruppe, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, und Jan-Carl Raspe festgenommen. Die „zweite Generation“ der Gruppe setzte den Terror noch brutaler fort. Meinhof erhängte sich 1976 in ihrer Zelle, am 18. Oktober 1977 brachten sich auch Baader, Ensslin und Raspe um. Erst 1998 erklärt die RAF ihre Selbstauflösung.

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