Donnerstag, 20. Februar 2014

Die "rote" Erzherzogin


Elisabeth Petznek (* 2. September 1883 in Laxenburg, Niederösterreich; † 16. März 1963 in Wien; geboren als Erzherzogin Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela von Österreich; geschiedene Windisch-Graetz) war die einzige Tochter des Kronprinzen Rudolf. In der Republik wurde sie als „rote Erzherzogin“ bekannt.

Elisabeth Marie war das einzige Kind des österreichisch-ungarischen Kronprinzen Rudolf und seiner Frau Stephanie von Belgien. Sie wurde in der Familie „Erzsi“ genannt, die ungarische Koseform von Elisabeth. Erzsi war erst fünf Jahre alt, als sich ihr Vater zusammen mit seiner Geliebten Mary Vetsera am 30. Jänner 1889 in Mayerling das Leben nahm. Nach diesem Schicksalsschlag nahm sich ihr Großvater, Kaiser Franz Joseph, seiner „Lieblingsenkelin“  besonders an. 1900 heiratete ihre Mutter Stephanie in zweiter Ehe den ungarischen Grafen Elemér Lónyay von Nagy-Lónya und Vasaros-Nameny und schied damit aus der österreichischen Dynastie Habsburg-Lothringen aus. Erzsi hatte danach kaum noch Kontakt zu ihr. Das Verhältnis war zudem dadurch belastet, dass sie ihrer Mutter eine Mitschuld an der Tragödie von Mayerling gab. Ihren toten Vater Rudolf und seine Geliebte Mary von Vetsera betrauerte sie zu jedem Todestag. Erzherzogin Elisabeth Marie hatte keine materiellen Sorgen. Der Kaiser hatte sie großzügig mit Mitteln versorgt, auch von dem Erbe ihrer Großmutter Sisi erhielt sie einen erheblichen Betrag. Sie verliebte sich im September 1900 in Prinz Otto zu Windisch-Graetz (1873–1952). Ihr Heiratswunsch stieß jedoch anfangs auf den Widerstand des Kaisers, da Windisch-Graetz nicht ebenbürtig war und für Elisabeth Marie eine Verbindung mit dem deutschen Kronprinzen Wilhelm in Aussicht genommen war. Sie hielt aber auch nach einer ihr auferlegten Bedenkzeit an Windisch-Graetz fest, so dass Kaiser Franz Joseph schließlich einwilligte.

Elisabeth Marie schied aus dem Haus Habsburg-Lothringen aus und verzichtete damit auf alle Ansprüche, z. B. im Notfall aus dem Familienversorgungsfonds der Dynastie unterstützt zu werden, Windisch-Graetz wurde anlässlich der Hochzeit in den Fürstenstand erhoben.  Die Verlobung wurde im Schloss Hetzendorf gefeiert, die kirchliche Trauung in der Hofburg–Kapelle vollzogen. Die Braut war 18 Jahre, der Bräutigam um zehn Jahre älter. Elisabeth fühlte sich erstmals in ihrem Leben frei. Aus der am 23. Jänner 1902 geschlossenen Ehe gingen vier Kinder hervor. Die Ehe verlief jedoch nicht glücklich und war durch angeblich häufige beiderseitige Untreue und Eifersucht gekennzeichnet. Der Legende nach soll Elisabeth Marie sogar einmal in Prag auf eine Geliebte ihres Mannes geschossen und sie schwer verletzt haben. 1911 kaufte Elisabeth Schloss Schönau und ließ es kostspielig umgestalten. Davor besaß es Otto Franz Joseph von Österreich, ein Neffe Kaiser Franz Josephs. Fortgesetzt wurde in der Gesellschaft des Kaiserreiches über die Untreue des Otto Windisch–Graetz gemunkelt. Die Eheleute entfremdeten sich immer mehr, und Elisabeth Marie verbrachte die Winter mit ihren Kindern, getrennt von ihrem Mann, in Istrien. Dort lernte sie 1913 in Pola Linienschiffsleutnant Egon Lerch kennen, mit dem sie eine zumindest freundschaftliche Beziehung verband, bis er im August 1915 als U-Boot-Offizier fiel.

Im Ersten Weltkrieg scheiterte die Ehe endgültig. Erstmals hatte sie im August 1915 ihren Mann Otto mit ihrem Scheidungswunsch konfrontiert. Der betagte Kaiser, der grundsätzlich gegen Scheidungen war, willigte allerdings nicht ein. Nach dem Tod des Kaisers kam es zu heftigen Auseinandersetzungen um das Sorgerecht für die Kinder, die erst 1924 beigelegt wurden, als sich das Paar definitiv trennte. Die Ehe wurde damals, nach anderen Quellen aber erst im Februar 1948 offiziell geschieden. Hintergrund war ein 1921 von Otto Windisch–Graetz angezettelter Gerichtsbeschluss, der ihm die Kinder zuteilte. Damals stand das Gericht traditionell auf Seiten des Mannes. Die Kinder weigerten sich aber verzweifelt, vom Vater mitgenommen zu werden.

Als schließlich sogar der Richter samt Gerichtsvollzieher und 22 Gendarmen nach Schloss Schönau kam, um die Kinder abzuholen, blockierten an die hundert sozialdemokratische Arbeiter den Eingang. Der Richter musste abziehen. Dieser Vorfall beschäftigte die internationale Presse und die Regierung. Das vom Ehemann erzwungene Gerichtsverfahren wurde eingestellt und die Kinder blieben bei der Mutter. Gesetzeskonform war Elisabeth 1924 offiziell „von Tisch und Bett getrennt“, aber nach der damaligen kirchlich bestimmten Gesetzgebung nicht endgültig geschieden, wodurch eine Wiederverheiratung unmöglich war (vgl. auch Eheaufhebung und Ehescheidung). Erst 1948 erreichte sie die Beseitigung aller diesbezüglichen bürokratischen Hindernisse.

Elisabeth Windisch-Graetz, deren Adelstitel mit dem österreichischen Adelsaufhebungsgesetz 1919 aufgehoben wurde, lebte mit ihren Kindern aus der früheren Ehe mit Fürst Windisch-Graetz auf ihrem Anwesen Schloss Schönau im niederösterreichischen Schönau an der Triesting wenige Kilometer südlich von Wien. Bei einer Wählerversammlung der Sozialdemokraten in Leobersdorf lernte sie 1921 ihren späteren Ehemann, den Lehrer und sozialdemokratischen niederösterreichischen Landtagsabgeordneten Leopold Petznek (1881–1956) kennen, mit dem sie bald eine herzliche Beziehung einging. Sie öffnete ihren Schlossgarten für die Kinder der trostlosen Arbeitersiedlungen in der Umgebung und half mit Gemüse und Obst von den Feldern des Schlosses. Daraus ergaben sich Kontakte mit den sozialdemokratischen Kinderfreunden. Elisabeth Windisch-Graetz beschäftigte sich zunehmend mit der Sozialdemokratie. Petznek motivierte wohl Elisabeth Windisch-Graetz zur Annäherung an die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), der sie im Oktober 1925 beitrat. Ihr frauenpolitisches Verständnis brachte sie 1927 in einem langen Zeitungsinterview zum Ausdruck: Die Sozialdemokraten allein haben den Frauen mit der Tat geholfen. […] Die Zukunft gehört dem Sozialismus. Weiterhin engagierte sich Elisabeth vor allem bei den Kinderfreunden, für die sie am 1. Mai rote Papiernelken verkaufte. Amüsiert erzählte sie später, dass sie manchmal von Genossinnen mit „kaiserliche Hoheit“ angesprochen wurde. Im Herbst 1927 lernten sie und ihre Tochter Stephanie Eleonore den späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky kennen. Kreisky erinnerte sich fast 60 Jahre später: Es war übrigens der erste Parteitag, an dem ich als Zuhörer auf der Galerie teilnahm, und er ist mir auch deshalb gut in Erinnerung geblieben, weil ich neben der Prinzessin Windisch-Graetz saß, die ihre bildhübsche Tochter mitgebracht hatte. Die „rote Prinzessin“, wie sie genannt wurde, war […] eine interessante Erscheinung, eine der schönsten Enkelinnen Franz Josephs.

Der Legende nach soll Kreisky auch noch später im Kreise seines Parteivorstandes wiederholt gesagt haben, dass man für alltagstaugliches Politikverständnis ausschließlich von Arbeitern und von Hochadeligen etwas lernen könne. Elisabeths Vorstellung von der Sozialdemokratie soll von Kreiskys politischer Überzeugung geprägt gewesen sein, der Kernauftrag der Sozialdemokratie sei die permanente Sicherstellung des gerechten Alltags und des sozialen Friedens für alle Menschen. 1929 verkaufte sie ihr Schloss Schönau und kaufte statt dessen ein Palais am Wolfersberg im Westlichen Wienerwald im Bezirksteil Hütteldorf, Linzer Straße 452. Dieser Bezirksteil befand sich damals im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, seit 1938 im 14. Wiener Gemeindebezirk, Penzing. Das Gebäude ist bis heute als Windisch-Graetz-Villa bekannt. Das Villenanwesen, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten Petznek von 1930 an wohnte, kannte Elisabeth seit ihrer Kindheit. Die Mitte des 19. Jahrhunderts von Hofarchitekten errichtete Spätbiedermeiervilla und ihr ausgedehnter Park waren in einer Karte von 1872 westlich des Zentrums von Hütteldorf zwischen Wolfersberg im Norden und Nikolaiberg im heutigen Lainzer Tiergarten im Süden, jenseits des Wienflusses, eingezeichnet. Wie im benachbarten Jagdschloss Esterházy zogen den Hochadel auch hier die privaten Jagdeinladungen der Habsburger in die Wienerwaldberge an. Der unmittelbar angrenzende Wolfersberg, der benachbarte Bierhäuselberg und das gegenüber liegende, später Lainzer Tiergarten genannte Areal waren private Jagdreviere des Kaiserhauses. Beispielsweise wurde 1846 in der Nähe von Elisabeths späterer Villa der letzte Wolf im Wienerwald durch Erzherzog Franz Karl von Österreich, dem Vater Kaiser Franz Josephs, erlegt. Leopold Petznek wurde von der Diktatur Dollfuß’ 1934 vorübergehend verhaftet. Danach engagierten sich beide für Familien, deren sozialdemokratische Angehörige inhaftiert waren. Petznek wurde 1944 ein zweites Mal verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Von dort konnte er erst zum Ende des NS-Regimes, 1945, heimkehren. Von 1945 bis 1947 war er, vom Nationalrat gewählt, Präsident des Rechnungshofes. Elisabeth heiratete ihn am 4. Mai 1948. (Die Angabe 14. Mai beruht auf einem Tippfehler.) Die Villa in Hütteldorf war indessen von September 1945 bis Februar 1955 vom Oberbefehlshaber der französisch besetzten Zone Österreichs, General Emile Béthouart, beschlagnahmt (sie lag im französischen Sektor Wiens). Erst nach dem Abschluss des Staatsvertrags, 1955, konnte das Paar in sein Haus zurückkehren, als beide schon schwer krank waren. Leopold Petznek starb, 75-jährig, 1956. Zeit ihrer SPÖ–Mitgliedschaft unterstützte sie die Sozialdemokratie aktiv, auch durch ihre Anwesenheit bei Parteiveranstaltungen. Ein schweres Rheuma und das Leben im Rollstuhl zwangen Elisabeth, sich aus der Öffentlichkeit in ihre Villa zurückzuziehen, wo sie unter anderem von ihrem engen Parteifreund Bruno Kreisky besucht wurde. Zuletzt verfasste sie ein Testament, in dem sie auch die SPÖ-regierte Stadt Wien begünstigte. Darin legte sie bezüglich ihrer Beisetzung fest, dass diese (im Gegensatz zu ihrer Geburt, die in ganz Österreich-Ungarn mit Geschützsalven, Militärparaden und Fackelzügen gefeiert wurde) in aller Stille stattfinden solle. Elisabeth Petznek starb 1963 mit 79 Jahren und wurde auf dem Hütteldorfer Friedhof in Wien im gleichen Grab wie ihr Mann (Gruppe 2, Nummer G72) beerdigt. Im Grab waren vor den beiden zwei Söhne Elisabeths aus der Ehe mit Otto Windisch-Graetz, Rudolf († 1939) und Ernst († 1952), bestattet worden. Seit 1998 ist nach ihr die Elisabeth-Petznek-Gasse benannt, eine kurze Seitengasse der Hüttelbergstraße, in Luftlinie etwa 500 Meter von der Windisch-Graetz-Villa entfernt.

Elisabeth verfügte über beträchtliches Vermögen, wobei sie den großflächigen Park ihrer Penzinger Windisch–Graetz–Villa, in bester Wiener Wohnlage, der Stadt Wien zur Errichtung einer neuen Wohnhausanlage überließ. Das ursprüngliche Gesamtareal, in der heutigen Linzer Straße 448 bis 452 jeweils bis zur heutigen Anzbachgasse gelegen, wurde zwischenzeitlich geteilt und dessen östlicher Teil von Verwandten Elisabeths vorübergehend für eine Ordensgemeinschaft verwaltet. Nach der Beilegung teils heftiger juristischer Auseinandersetzungen zwischen einigen erbberechtigten Verwandten Elisabeths und den Begünstigten wurden im ursprünglich westlichen Teil des Parks, oberhalb der Villa in der Linzer Straße 452, eine soziale Gemeindewohnanlage der Stadt Wien und danach im östlichen Teil, Linzer Straße 448 bis Anzbachgasse, eine genossenschaftlich–gemeinnützige Parkvillenanlage errichtet, wobei der Baugrundriss der Parkvillen an Elisabeths Villa erinnert.

1883–1902: geb. Erzherzogin Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela von Österreich

1902–1919: Fürstin Elisabeth Marie zu Windisch-Graetz

1919–1948: Elisabeth (Marie) Windisch-Graetz

1948–1963: Elisabeth Petznek