Freitag, 25. Mai 2012

Fussball"experten" über Ultras


Antworten darauf:

23. Mai 2012, 08:18 Uhr TV-Kritik zu Maischberger:
 Potpourri-Palaver über Fußballgott und die Welt
Jeder will dieser Tage über Fußball reden - auch die Altherrenrunde bei Sandra Maischberger. Die nahm die Ultras ins Visier, sprach von "faschistoiden Versammlungsritualen", Stehplatzverboten und bezeichnete sie als "Taliban der Fans". Von Niels Kruse
Gut, reden wir also über Fußball. Zum Beispiel über die Frage, ob Profis zu viel verdienen. Messi etwa, der argentinische Superstar im Diensten des FC Barcelona, geht mit 33 Millionen im Jahr nach Hause. Eine stolze Summe, die neidisch machen könnte. Tut sie auch, aber nur in Deutschland. Das zumindest beklagt Ex-Spieler Mario Basler und bekommt Beistand vom 77-jährigen Trainer-Haudegen Udo Lattek: "Bei Maradona waren die Fans damals stolz darauf, wenn er jeden Tag mit einem anderen dicken Sportwagen vorfuhr." Außerdem, wendet Sportreporter Werner Schneyder ein, "warum soll es in freien Märkten ausgerechnet beim Fußball Gehaltsgrenzen geben?" Tja, warum sollte es? Ist halt so, was soll man dazu schon groß sagen? Wem auch dieser Diskussionsstrang zu unbefriedigend verlief, hätte für "Menschen bei Maischberger" spätestens jetzt eine Alternative gesucht. Und sie vielleicht bei "The Big Bang Theory" auf Pro Sieben gefunden oder am besten gleich in der Lektüre des "Kickers" oder der "11 Freunde". Doch zu dem Zeitpunkt war die Sendung ohnehin schon fast zu Ende und das höhepunkt- und informationsfreie Potpourri-Geplaudere über den Fußballgott und die Welt so gut wie überstanden. 75 Minuten lang klapperte Talk-Moderatorin Sandra Maischberger so ziemlich jede Schlagzeile ab, die der Sport produziert. Aktuelle natürlich, wie die Böllerattacken und der Platzsturm beim Relegationsspiel Düsseldorf gegen Hertha. Oder die Frage nach der Qualität des Spiels von Bayern München im Champions-League-Finale. Besprochen werden mussten auch unbedingt noch die Dauerdebatten über das Fußballverhältnis zwischen Deutschland und Holland oder welche Nationalmannschaft denn nun die Beste aller Zeiten war, bis hin zu: Wie viele Freiheiten Spieler bei Turnieren brauchen oder eben, ob sie zu viel Geld verdienen.
Ihre Qualifikation? Sie ist Holländerin.
Gäste und Antworten auf dieses Themenallerlei gab es reichlich. Neben der Trainerlegende Lattek, der Lebemannlegende Basler und der Kabarettisten- und Kommentatorenlegende Schneyder lieferten auch noch Ex-Sportreporter Rolf Töpperwien, Moderator und Schalke-Fan Bernd Stelter sowie die TV-Frau Marijke Amado ("Mini Playback Show"). Die Qualifikation letzterer bestand übrigens darin, Holländerin zu sein und das WM-Finale von 1974 gesehen zu haben. Während Amado vor allem durch auffiel, dass sie ein paar Zwischenrufe die irgendetwas mit Niederlande zu tun hatten, in die Runde warf, fiel Töpperwien die Rolle des Nostalgikers zu. Weil er sowohl Ahnung von dem Sport hat, als auch Distanz dazu einnehmen kann - und zudem auf 40 Jahre Erfahrung zurückblickt, konnte er sich Sätze erlauben wie: "Das viele Geld tut dem Fußball nicht gut." Das aber war eine Äußerung, die das Diskussionsniveau aus Versehen fast auf eine interessante Höhe bugsiert hätte. Doch dazu kam es nicht. Das war umso erschreckender, weil Maischbergers Runde bis auf die beiden Ausnahmen Stelter und Amado aus Menschen bestand, die ihr Leben dem Fußball gewidmet haben. Doch die als "Jury" vorgestellte Gästeschar brillierte außer mit einigen Andekdötchen vor allem mit Ignoranz, Vorurteilen und Unwissenheit. Besonders deutlich wurde das bei der Diskussion über die Fankultur der Ultras (das sind die, mit den riesigen Fahnen und den bengalischen Feuern). Man muss die "Taliban der Fans", wie Maischberger sie nannte, wahrlich nicht mögen. Man muss ihnen allerdings zubilligen, dass sie nicht nur aus Krawallmachern bestehen, sondern Fans sind, die sich auch abseits der Spieltage für ihre Vereine engagieren. Vor allem aber gehören sie seit mehr als zehn Jahren zum festen Erscheinungsbild jedes Fußballclubs. Doch Lattek, Basler und Co. taten so, als seien sie die brandneueste Erfindung des Fußballteufels.
Verklärung und der Ahnungslosigkeit
Die hanebüchene Debatte gipfelte einerseits im interessanten Vergleich von Werner Schneyder, die Choreografien der Ultras seien "faschistoide Versammlungsrituale", andererseits in der einhelligen Meinung aller Diskutanten, dass es doch die beste Lösung gegen Tumulte sei, sämtliche Stehplätze in deutschen Stadien abzuschaffen. Dabei ist man sich selbst bei der konservativen und showorientierten Deutschen Fußballliga einig darüber, dass die Stehplätze den eigentlichen Reiz von Stadionbesuchen ausmachen. Wie gut hatten es da doch die Zuschauer von "Hart aber fair" vom Vortag. Frank Plasberg hatte in seiner Sendung zum Thema "Wer schützt den Fußball vor seinen Fans?" zumindest ein paar Menschen vom Fach zu Gast. Und nicht nur eine Altherrenrunde, die saft- und kraftlos ihre Statements zu allem und nichts vor sich her kickt. In einem Punkt aber ließ sie dann doch aufhorchen: Nämlich in der gemeinschaftlichen Prophezeiung, dass Jupp Heynckes (O-Ton Lattek: "Die arme Sau") nicht mehr lange Trainer von Bayern München sein wird. Das ist demnächst doch mal einen Faktencheck Wert.


22.05.2012 07:41
Fußball-Debatte bei Plasberg
Bengalische Wortgefechte
Von Christoph Ruf

Ein Stadionbesuch, viele Gefahren: Im TV-Talk "Hart aber fair" suchte eine reichlich schwatzhafte Runde nach Ursachen der Gewalt im Fußball. Echte Fans jedoch kamen gar nicht erst zu Wort - zu groß war das Redebedürfnis der Medienprofis.
Langweilige Gäste, ein falsches Thema, ein überforderter Moderator - eine Talksshow kann ganz leicht an Grundsätzlichem scheitern. Nicht mehr zu retten ist die Veranstaltung von vornherein, wenn sich die Runde gar nicht darüber verständigt hat, worüber sie überhaupt spricht. Als Gastgeber Frank Plasberg am Montagabend zum Ende von "Hart aber fair" ("Gewaltige Leidenschaft? Wer schützt den Fußball vor seinen Fans"?) zu Caren Miosga und den Tagesthemen überleitete, blieb als Erkenntnisgewinn nur, dass der Fußball in Deutschland offenbar ein riesengroßes Problem hat. Welches genau, darüber grübelte der Zuschauer allerdings noch beim abschließenden Wetterbericht. Schon zu Beginn der Sendung versäumt es Plasberg, das Thema einzugrenzen. Der erste von viel zu vielen Einspielern zeigt bengalische Feuer in diversen Fankurven, es wird noch einmal vorgeführt, wie beim Relegationsspiel in Düsseldorf reichlich normal aussehende Fans auf den Platz stürmen, weil sie irrtümlicherweise dachten, das Spiel sei beendet und ihre Mannschaft bereits aufgestiegen. Später wird auch echte Fußballgewalt gezeigt: Der Überfall auf einen Gladbacher Fanbus, Anhänger des BFC Dynamo Berlin, die den Lauterer Gästeblock stürmen. All das wird einigermaßen tollkühn unter "Chaos", "Randale", "Gewalt" subsumiert - und im Verlauf der Diskussion schlicht mit "es" bezeichnet. Der Zuschauer erfährt: "Es", wahlweise auch "das", wird immer schlimmer.
Von der Stadion-Tiefgarage direkt zu den besseren Plätzen
Doch die Sendung krankt nicht nur daran, dass sie undifferenziert mit einem komplexen Thema umgeht, sie ist dazu noch schlecht besetzt. Gleich zwei Diskutanten sind am Tisch, die das gleiche Metier wie Plasberg betreiben: Oliver Pocher und Johannes B. Kerner, die als Fans von Hannover 96 beziehungsweise Hertha BSC Berlin eingeführt werden.  Kerner sagt, er sei als junger Mann Ordner bei der Hertha gewesen. Pocher hat mit den 96-ern "schon alle drei Ligen" durchgemacht. Jedem Satz der beiden ist anzumerken, dass sie Fußball sicher lieben, der Stadionbesuch für sie aber Teil eines Meet-and-greet-Parcours ist, der von der Stadion-Tiefgarage zu den besseren Plätzen führt. Was ja legitim ist, schließlich gibt es nichts Peinlicheres als die pseudo-proletarische Attitüde, die noch jeden Bundeskanzler die Currywurst zum Lieblingsessen erklären ließ. Blöd nur, dass die Jungs an der Currywurstbude genau wissen, wer dazugehört und wer nur so tut.  Das ist in dem Fall aber auch nicht schwer. Kerner findet - mutmaßlich als weltweit einziger Fußballreisender - dass die Stimmung in den englischen Stadien nicht darunter gelitten habe, dass die Stehplätze ab 1996 abgebaut wurden. Und Pocher erzählt doch allen Ernstes, dass er im Sommer nicht zur EM in die Ukraine fährt, "weil man das dort besser erst mal abwartet."  Wer Angst hat, in Kiew auf der Taxifahrt vom Flughafen ins First-Class-Hotel eingekesselt und niedergeknüppelt zu werden, liefert unfreiwillig Erklärungsansätze, warum der Platzsturm in Düsseldorf in den Medien so ein Aufreger ist, während die meisten Stadiongänger ihn als das sehen, was er war: Ein groteskes Missverständnis feiernder Fußballfans, bei dem keiner Menschenseele ein Härchen gekrümmt wurde.
Ungezogene Medienprofis
Allerdings macht sich die Öffentlichkeit ja nicht ohne Grund Sorgen, weshalb diese Ausgabe von "Hart aber fair" eigentlich auch zum richtigen Zeitpunkt übertragen wird. Kerner darf eine Pyrofackel an eine Schaufensterpuppe halten, die vier Sekunden später lichterloh brennt.  Hier wäre es spannend gewesen, einen Ultra erklären zu lassen, warum die Szene es dennoch für sicher hält, in einem voll besetzten Block zu zündeln. Man darf davon ausgehen, dass die Redaktion auch Ultra-Vertreter angefragt hat. Und man darf davon ausgehen, dass von denen keiner mit der bösen Presse reden wollte. Es liegt eben auch an den Hardcore-Fans, wenn mehr über sie als mit ihnen geredet wird. So aber blieb das Podium recht einseitig besetzt. Pocher, Kerner und DFL-Boss Reinhard Rauball wollen neue Sanktionsmöglichkeiten in den Stadien, der erfreulich sachkundige stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Frank Richter, fordert, bestehenden Gesetze konsequenter anzuwenden. Umso mehr hätte Plasberg als Moderator darüber wachen müssen, dass die beiden Fanvertreter wenigstens halbwegs gleichberechtigt ihre Sicht der Dinge darlegen können.  Doch zu allem Unglück benehmen sich die Medienprofis reichlich ungezogen. Dortmund-Fan Katja Winkelmann ("Jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden") muss um jedes Wort kämpfen. Als Fanprojektler Bierholz versucht, die Suada zu unterbrechen und wenigstens eine der offenbar rhetorischen Fragen Kerners ("Sagen Sie mir, was in den Menschen vorgeht?") zu beantworten, kommt er kaum zum zweiten Satz - schon sind die Medienprofis ihm wieder ins Wort gefallen.