Samstag, 26. Mai 2012

Einmal gehts noch....




Wird Fußballfans zu viel Toleranz entgegengebracht?

»Das Ausmaß einer Hetzkampagne«

Interview: Andreas Bock  Bild: Imago
In Talkshows sprechen Oliver Pocher und Marijke Amado über Fangewalt. Politiker äußern sich wöchentlich zu Platzstürmen. Die Meinung ist einhellig: Fußballfans wird zu viel Toleranz entgegengebracht. Stimmt das? Wir fragten Fananwalt Marco Noli.



Marco Noli, glaubt man der jüngsten Berichterstattung, gibt es eine eklatante Gewaltzunahme beim Fußball. Es heißt, dass der DFB den Fans bislang zu tolerant begegnete. Wie sehen Sie das? 


Ich kann keine Steigerung der Fangewalt erkennen. Die Verletztenzahlen in den Stadien sind rückläufig. Dort ist es heutzutage viel sicherer als in der Vergangenheit. Beim Fußball passiert weniger als zum Beispiel auf dem Oktoberfest.




Es gab diese Saison Platzstürme und Pyro-Vergehen. Wurde das in der Berichterstattung aufgebauscht?


Ja. Solche Aktionen hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Früher wurde Pyrotechnik »südländische Begeisterung« genannt, heute spricht man von »schweren Randalen«. Und wenn Anhänger früher nach einem Aufstieg auf den Platz rannten, sprach man ihnen eine unbändige Freude zu. Heute heißt dasselbe Szenario »Platzsturm«. Die Worte haben sich also verändert – die Tatsachen nicht. Natürlich darf man nicht übersehen, dass es im Einzelfall Gewaltausbrüche gibt, die gefährlich und nicht zu tolerieren sind. Aber auch das gab es schon früher.


Die Medien haben also falsch berichtet? 


Die meisten Medien haben häufiger einen Reflex zu skandalisieren und sind an einer sachlichen Diskussion gar nicht interessiert. Mittlerweile hat diese Hysterie das Ausmaß einer Hetzkampagne gegen Fußballfans erreicht. Das halte ich für sehr gefährlich. Begriffe wie »Randale«, »Krawalle« und »Ausschreitungen« werden völlig undifferenziert und inflationär verwendet. Die gesamte öffentliche Debatte ist völlig von der Realität abgedriftet.


Wie kommt das? 


Die Debatte wird von Leuten geprägt, die ihre Eigeninteressen verfolgen und meist keine Ahnung von der Fanrealität haben, weil sie viel zu weit weg sind. Das beste Beispiel: Nach dem zweiten Relegationsspiel zwischen Düsseldorf und Hertha BSC bestimmten Begriffe wie »Todesangst« der Spieler und ein zu befürchtendes »Blutbad« die Medien. Wie soll da noch sachlich diskutiert werden? Wenn Vereinsvertreter des unterlegenen Klubs solche Begriffe aus purem Eigennutz benutzen, um eventuell eine bessere Position im Sportprozess zu haben, dann wird damit böswillig Gift in die Debatte gegossen. Und schauen Sie sich nur das TV-Programm dieser Woche an: Da diskutieren Showgrößen in Talkshows bei Maischberger und Plasberg über Fankultur. Dabei werden Ultras mit den Taliban verglichen und »bummsdumm« genannt. Choreographien im Stadion werden als faschistoid bezeichnet. Das ist eine Unverschämtheit und reiner Populismus. Nach solchen Sendungen beginnen die Dialogbemühungen der Fans stets wieder bei Null. 


Nach dem zweiten Relegationsspiel zwischen Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich: »Was wir jetzt erlebt haben, zeigt, dass die Gewalt in den Stadien die größte Bedrohung für den Fußball ist.« Sollten sich auch Politiker mit Meinungsäußerungen zurückhalten? 


Ich verstehe, dass sich ein Innenminister dazu äußert. Doch auf welcher Basis tut er das? Selbst die Polizei scheint mir viel zu weit weg vom Geschehen. Da sind die Wortführer nicht immer die, die am Stadion im Einsatz waren, sondern Polizei-Gewerkschafter, die Öffentlichkeitsarbeit machen. Es geht auch hier zu häufig um Eigeninteressen.


Welche Versäumnisse werfen Sie dem DFB vor? 

Er beteiligt sich manchmal zu vorschnell an der Hysteriemache und schottet sich zu sehr von den Fans ab. Ein Beispiel: Es gibt seit einigen Monaten die Faninitiative »Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren«. Diese Initiative war daran interessiert, das Thema Pyrotechnik auf eine sachliche Diskussionsebene zu bringen. Doch der DFB erklärte die Gespräche abrupt für beendet, und behauptete dann auch noch, dass nie wirklich verhandelt werden sollte, obwohl bereits zahlreiche Gespräche stattgefunden hatten und auch schon Zusagen des DFB gemacht worden waren. Die Fans fühlten sich verschaukelt. Die Folgen sehen wir nun. 

Und zwar? 

Es wird mehr Pyrotechnik gezündet als je zuvor. Zudem zünden die Fans nun häufiger jene Art der Pyrotechnik, aus der nichts als Rauch entsteht. Vermutlich, weil man das Rauchpulver dafür leichter ins Stadion bekommt. Ich plädiere daher für eine Teillegalisierung von Pyrotechnik, die ein Abbrennen in einem gesicherten Bereich vorsieht. Damit kann man die Gefahr beseitigen, die gerade durch die Illegalisierung entstanden ist, etwa weil sich die Fans nun enger zusammenstellen, und Bengalos vor ihre Köpfe halten oder auf den Boden legen, um nicht identifiziert zu werden. Der DFB hat nun neue Wege angekündigt. Wir sind gespannt, was dies bedeuten soll.

Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, der Sie angehören, hat diese Woche eine Stellungnahme abgegeben. Darin heißt es unter anderem, dass Gerichte bei der Strafverfolgung von Fußballanhängern andere Maßstäbe ansetzen als im Strafrecht ohne Fußballbezug. Woran machen Sie das fest? 

Es gibt bei vielen Gerichten mittlerweile spezialisierte Staatsanwälte für Fußballangelegenheiten. Teilweise wird auch bei kleinen Delikten ein Ermittlungsaufwand betrieben, als ginge es um Mordermittlungen. Und Bagatelldelikte werden weitaus seltener eingestellt als in anderen Fällen. Beim Fußball setzen Polizei und Justiz bereits jetzt andere Maßstäbe an.

Was meinen Sie konkret? 

Eine Schubserei bei einem Fußballspiel ist mittlerweile etwas anderes als eine Schubserei in einer Diskothek. Weil die Skandalisierung um Fußballgewalt so stark zugenommen hat, bestrafen in Fußballsachen härter bestraft als in anderen Angelegenheiten.

Herr Noli, wie kann denn ein Dialog mit den Fans aussehen? 

So wie er auf dem Fankongress Anfang des Jahres angedacht war. Die Fans streckten damals die Hand aus. Sie luden Vertreter vom DFB, der DFL, den Vereinen und der Polizei ein. Doch es tauchten nur wenige Funktionäre auf – und kein einziger Polizei-Vertreter. Das bestätigt mich in der Annahme, dass die Polizei nicht an einer Diskussion interessiert ist, sondern einzig an Repressionen. 

Also kann eine Entspannung überhaupt nicht stattfinden? 

Doch, klar. Nötig wäre im ersten Schritt eine Versachlichung der Debatte. Dazu müssten alle Beteiligten mehr differenzieren. Pyro ist nicht gleich Gewalt, und ein Platzsturm bedeutet nicht unbedingt Randale. Dazu ein weiteres Beispiel: Beim zweiten Relegationsspiel flogen Bengalos auf den Platz. Das muss man verurteilen. Doch man sollte auch anÅmerken, dass es sich um Einzelne handelte. Denn deutschlandweit gilt es in allen Fanszenen als absolutes Unding, Pyrotechnik aufs Feld zu werfen. 

Was wäre der zweite Schritt? 

Der Verband und die Polizei müssen ihre Taktik der harten Repression und Null-Toleranz, die auf die gesamte Fanszene abzielt, überdenken. Denn diese führen zu Solidarisierungseffekten unter den Fans. Wenn man Fans an jedem Spieltag wie Verbrecher behandelt und öffentlich als dumpfe Krawallmacher stigmatisiert, muss man sich nicht wundern, wenn diese eher näher zusammenrücken. Und das birgt die Gefahr, dass man eines Tages nicht mal mehr die große Mehrheit der friedlichen Fans erreicht.



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