Freitag, 13. Januar 2012

Die Urteile im Westbahnhof-Prozess

Rapid-Fans schuldig                                                                      13.01.2012, 12:09

Gefängnisstrafen für grün - weiße "Prügel-Chefs"

Mit Schuldsprüchen für alle 29 Angeklagten ist am Freitag im Wiener Straflandesgericht die erste Prozess- Tranche gegen Rapid- Fans zu Ende gegangen. Die Schlachtenbummler waren nach Ansicht des Schöffensenats am 21. Mai 2009 zum Westbahnhof gezogen, um sich dort mit von einem Auswärtsspiel heimkehrenden Anhängern der Austria bzw. der Polizei gewalttätige Auseinandersetzungen zu liefern. Für die grün- weißen Rädelsführer setzte es teilweise unbedingte Freiheitsstrafen.
Einer der Chefs der "Ultras Rapid" fasste 14 Monate unbedingt aus. Der 29- jährige Vorsänger wies bereits zwei einschlägige Vorstrafen aus, darunter eine zwölfmonatige Bewährungsstrafe wegen Landfriedensbruchs im Zusammenhang mit Ausschreitungen nach einem Rapid- Auswärtsspiel in Kapfenberg. Ein weiterer, ebenfalls zweifach vorbestrafter Mann, der sich in führender Rolle am Westbahnhof hervorgetan haben soll, bekam zehn Monate unbedingt.
Die übrigen Fans wurden zu Bewährungsstrafen zwischen elf Wochen und acht Monaten verurteilt, wobei vier von ihnen aufgrund von Vormerkungen im Strafregister zusätzlich unbedingte Geldstrafen zwischen 3.420 und 4.500 Euro aufgebrummt bekamen. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.
Während einige der Angeklagten Mistkübel und Bierflaschen gegen Polizisten geworfen hatten, die ein Aufeinandertreffen der Rapidler und Austrianer verhindern hatten wollen, und damit zusätzlich zum Landfriedensbruch  wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt wurden, wurde einem jungen Mann sein Gürtel zum Verhängnis. Er habe sich diesen vom Bund gezogen und mit der Gürtelschnalle in Richtung Polizei "gepeitscht", was das Gericht ebenfalls als versuchte Körperverletzung wertete.
Unmutsäußerungen der Angeklagten bei Urteilsverkündung
Fast eineinhalb Stunden dauerte die Urteilsbegründung, die einige der Rapid- Fans mit halblauten Unmutsäußerungen gegen das Gericht, anwesende Journalisten und Fotografen untermalten - unter anderem waren Sätze wie "Schleicht's eich aussi!" oder "Bist wo ang'rennt?" zu hören. Für das Gericht stand fest, dass mehrere Dutzend Rapidler zum Westbahnhof gezogen waren, um eine "Racheaktion" vorzunehmen, nachdem Gerüchte bekannt geworden waren, dass einige Wochen zuvor ein Rapid- Fan angeblich von einem Austrianer verprügelt wurde.
Der laut Richterin Martina Frank "gewalttätigen Masse" sei es darauf angekommen, Gewalttätigkeiten zu begehen. Sie schloss aus, dass sich unter den Angeklagten Personen befanden, "die als bloße Schaulustige am Westbahnhof waren". Es sei keinem einzigen nur darum gegangen, "sich aufzustellen und Fan- Gesänge anzustimmen".
Dass es zu Gewalttätigkeiten gekommen war, sei erwiesen, hatte bereits am Dienstag beim Abschluss des Beweisverfahrens Staatsanwältin Dagmar Pulker in ihrem Schlussplädoyer gesagt. Die Angeklagten hätten sich zum Westbahnhof begeben, "um zu raufen". "Und wenn keine Austria- Fans dort sind, rauft man halt mit der Polizei." Es sei den Männern gerade darauf angekommen, "die Konfrontation zu suchen". "Das war alles andere als ein Lausbubenstreich."
Verteidiger: "Nicht ernst zu nehmen"
Bei den Angeklagten erntete die Staatsanwältin mit ihren Ausführungen teilweise abschätziges Gelächter, worauf Richterin Frank mehrmals Ruhe einmahnte und mit dem Räumen des Großen Schwurgerichtssaals drohte, sollte diese nicht einkehren.
Verteidiger Werner Tomanek gab zu bedenken, dass es auch ihm nach wochenlanger Verhandlung, "in der es im Wesentlichen um einen vermeintlich ramponierten Mülleimer und einen vermeintlich gezerrten Nacken eines Polizisten gegangen ist", schwer falle, den gebotenen Ernst zu bewahren. Sein Kollege Franz Pechmann zeigte sich überzeugt, dass es der Anklagebehörde nicht gelungen sei, den Nachweis einer organisierten Verabredung zur Gewalt zu erbringen. Daher sei der inkriminierte Landfriedensbruch freizusprechen.
Verteidiger Marcus Januschke, der mit dem Chef der Hütteldorfer "Ultras" den angeblichen Rädelsführer der Angeklagten vertrat, kritisierte, die Strafverfolgungsbehörde wolle "gegen eine gut organisierte Fangruppe ein Exempel statuieren". Die Vorwürfe gegen seinen Mandanten wären "in keinster Weise nachvollziehbar." Der 29- Jährige soll laut Anklageschrift in führender Funktion "wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge" teilgenommen haben, "die darauf abzielte, dass unter ihrem Einfluss Körperverletzungen oder schwere Sachbeschädigungen begangen werden".
Austria- Fans am Westbahnhof "empfangen

Insgesamt 165 Rapid- Anhänger waren am 21. Mai 2009 nach einem Heimspiel gegen Mattersburg zum Westbahnhof marschiert, um von einer Auswärtspartie in Linz heimkehrende Austria- Fans in "Empfang" zu nehmen. "Naturgemäß entsprang dieses Vorhaben keineswegs freundschaftlicher Gesinnung gegenüber den Anhängern des FK Austria, sondern war vielmehr die jahrelange Feindschaft und die den Angeklagten gemeinsame Bereitschaft zu gewalttätigem Verhalten wahrer Hintergrund", heißt es in der Anklageschrift. Ihr zufolge konnten gröbere Attacken auf die Austrianer nur deshalb verhindert werden, weil die Polizei von dem Vorhaben Wind bekommen hatte und die gegnerischen Fans am Bahnhof abgeschirmt wurden.
Rund die Hälfte der Tatverdächtigen konnte die Polizei später nicht ausforschen, weil sie sich teilweise vermummt hatten. Am Ende wurden 85 Rapid- Anhänger zur Anklage gebracht, gegen die seit Oktober in drei separaten Tranchen verhandelt wird. Die Urteilssprüche gegen den Rest der 86 Angeklagten sollen ebenfalls noch im Jänner folgen.




Causa Westbahnhof

Haftstrafen für Anführer der Rapid-"Ultras"

Michael Simoner, 13. Jänner 2012 17:15

Fans wollten am Bahnhof ihr eigenes Wiener Derby austragen. Heraus kamen Widerstand gegen Staatsgewalt und Landfriedensbruch. 29 Anhänger wurden verurteilt, mehr als 50 stehen noch vor Gericht

Wien - Auf der Homepage des SK Rapid ist die Welt noch in Ordnung: Kapitän Steffen Hofmann, der im Hanappi-Stadion als "Fußballgott" verehrt wird, ist gerade wieder Vater geworden, sein Team geht als Tabellenführer in die Frühjahrssaison. Doch in der orthodoxen grün-weißen Religionsgemeinschaft gibt es seit Freitag nur mehr ein Thema: die Verurteilung von 29 Fans wegen Ausschreitungen am Wiener Westbahnhof. Die Urteile sind nicht rechtskräftig - wenn sie das werden, müssen zwei Rapid-Fans, darunter auch einer der Ober-Ultras, ins Gefängnis. Der Rest kam mit Bewährungsstrafen davon.

Allein die Urteilsverkündung in dem Massenprozess - eine zweite Tranche mit mehr als 50 Angeklagten steht noch aus - dauerte am Freitag eine halbe Stunde. Für die Urteilsbegründung und Erläuterungen zu den Strafausmaßen von sieben Wochen bis 14 Monaten und Geldstrafen bis 4500 Euro nahm sich die Senatsvorsitzende Martina Frank im Wiener Landesgericht weitere eineinhalb Stunden Zeit. Dies auch deswegen, weil das in der heimischen Strafrechtspflege eher selten auftauchende Delikt "Landfriedensbruch" eine Hauptrolle spielte. Wie der Standard berichtete, wollten die Rapid-Fans im Mai 2009 am Wiener Westbahnhof ihr eigenes Wiener Derby veranstalten. Weil angeblich ein Mitglied der Ultras von Erzfeindefans der Wiener Austria verprügelt worden war, planten die Grün-Weißen, die von einem Auswärtsspiel heimkommenden Violetten nicht herzlich willkommen zu heißen. Die Polizei bekam allerdings Wind von der Racheaktion und entsandte Spezialeinheiten der Wega.

Videoüberwachung

Der aufgezogene Sperrring hatte zwei Konsequenzen: Die Austria-Fans konnten schnellen Fußes den Ort der aus ihrer Sicht ungewollten Begegnung verlassen, die Rapid-Anhänger fühlten sich um eine große Chance betrogen und von den Wega-Beamten in Kampfausrüstung provoziert. Was die Fans offenbar nicht bedachten, waren die Überwachungskameras am Westbahnhof und in der angrenzenden U-Bahn-Station, die das Geschehen aufzeichneten: fliegende Bierflaschen und Metallmistkübel, Fußtritte, Faustschläge, Gürtel als Peitschenersatz und eindeutige Anweisungen von den Rädelsführern. Mit der Argumentation, man habe die Austria-Fans ursprünglich nur mit Schlachtchören "niedersingen" wollen, kamen die Rapidler nicht durch. Staatsanwältin Dagmar Pulker warf ihnen vor, von Anfang an auf eine Schlägerei aus gewesen zu sein. In der E-Mail eines Verdächtigen war schon Tage zuvor von "Schädel zertrümmern" die Rede gewesen. Auch die zweite Verteidigungsstrategie, dass die Wega die Ausschreitungen angezettelt habe, scheiterte am Videomitschnitt. Die Sichtung des Videomaterials führte jedenfalls zu Anklagen (und jetzt Verurteilungen in erster Instanz) wegen Körperverletzung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung und eben Landfriedensbruch. Zu Letzterem heißt es im Strafgesetz: "Wer wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt, die darauf abzielt, dass unter ihrem Einfluss Mord, Totschlag, Körperverletzung oder eine schwere Sachbeschädigung begangen werde, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen." Für Anführer gibt es noch ein Jahr dazu. Zum noch während der Verhandlung eingelegten Einspruch der Verteidiger, dass dieser Paragraf im vorliegenden Fall völlig überzogen sei, meinte Richterin Frank nun: "Mit vorgehaltenem Taschenmesser zwei Zigaretten zu erbeuten ist genauso schwerer Raub wie mit einer Maschinenpistole eine Bank zu überfallen." Unterschiede gebe es eben in der Strafbemessung. Als strafmildernd wurde in zwei Fällen gewertet, dass die Angeklagten der ÖBB zerstörte Mistkübel bereits ersetzt haben. (DER STANDARD, Printausgabe 14.1. 2012)