CANI SCIOLTI – Streunende Hunde
Ein Buch eines Ultras. Ein Buch für Ultras. So wird das
Ganze beschrieben und von den diversen einschlägigen Medien hochgejubelt. Sei
es in „Blickfang Ultra“ oder anderen Medien, überall wird Domenico Mungo für
dieses Buch, dessen Geschichten eher von anderen denn von Ihm stammen bejubelt
und als Buch eines letzten Rebellen – „Sonntagskrieger“
wird dieser Typ von Fan im Buch tituliert – verkauft. Soweit, So Gut.
Was mich – und ich habe gerade mal 80 Seiten* des 320
Seiten Buches gelesen – etwas sauer aufstösst ist der leicht weinerliche Ton,
in dem er seine Fahrt ins Exil beschreibt sowie die – unterschwellig subtilen –
Versuche, die Ultras und ihr Tun zu verteidigen, indem man immer von dem
„Feind“ – gemeint ist die Polizei – schreibt, den man bekämpfen muss weil er
einem seine anarchistische Lebensweise einengen und in soziale Regeln (man kann
auch Gesetze dazu sagen) verpacken will. Zwar versuchen die oben besprochenen
Medien immer wieder dieses Buch als etwas urwüchsiges, unverfälscht Reines zu
beschreiben überlesen dabei aber offenbar, dass jeder Text immer einen
unterschwellig Schuldigen präsentiert, meist die Polizei oder das
Establishment. Man teilt in „gute“ und „böse“ Ultras ein, in „Business-Ultras“
und „Old School Ultras“ wobei für mich der einzige Unterschied darin besteht,
dass erstere clever genug sind mit ihrer Selbstdarstellung Geld zu machen und
die anderen die „Tescheks“ sind die für ihre Blödheit zahlen müssen. Ausserdem fällt mir auf, dass die Reise Mungos
ins Exil ein wenig wie ein Krimi inszeniert wird, so als ob das der fünfte Teil
(oder wars erst der vierte) der BOURNE IDENTITY
war, der hier in Buchform herauskam. Ich kann mir ehrlicherweise nicht
vorstellen, dass hunderte Carabinieri und DIGOS-Agenten
extra wegen eines Ultras der Fiorentina die Bahnhöfe, Flughäfen, Häfen oder
Radlverleihstellen observieren, das wäre doch sicher – wenn sie ihn denn haben
hätten wollen leichter gegangen. Noch dazu wo er ja zugab, schon seit Wochen
beschattet worden zu sein. Ich gehe nicht davon aus, dass die italienische
Polizei dümmer als die österreichische ist – eher im Gegenteil – daher meine
ich, dass sie, wenn sie zuschlagen hätte wollen sicher nicht gewartet hätte,
dass Herr Mungo sich in den Zug Richtung Lugano begibt um dann eine
Schnitzeljagd auf ihn eröffen zu können. Da spielt wohl eher eine Prise
Selbstinszenierung bzw. Paranoia unter Drogenkonsum eine Rolle.
Das Buch ist sicher amüsant zu lesen und ein Stück
italienischer Zeitgeschichte was die Ultras betrifft – so wie I FURIOSI von
Nanni Ballestrini. Während aber Ballestrinis Buch keinerlei Erklärungsversuche
abgibt und in jenem „Clockwork Orange“ Stil der Droogies jener Zeit schreibt
versucht Mungo mit fast literarischem Anspruch eine Art Liebeserklärung für die
Bewegung zu zelebrieren die gegenüber I FURIOSI weinerlich daherkommt.
Je länger man das Buch liest, (derzeit bin ich bei Seite
130)* desto mehr zerfasert es in einzelne Berichte und obskure
Liebeserklärungen gegenüber dem eigenen Verein, die nur ein Ultra (und ich
zähle mich dazu) verstehen kann, der für den normalen Leser aber wohl für immer
ein Rätsel bleiben wird. Nach etwa 110 Seiten ist das Buch dann an der Stelle,
wo der Autor sich nicht mehr rechtfertigt und Erklärungen abgibt, bzw. wo der
anfangs weinerliche Ton aufgrund der gesammelten Werke anderer umschlägt und
das Buch Konturen bekommt. Mir kommt es so vor als ob erst die Artikel anderer
dazu verwendet wurden, damit Mungo sein Buch über die unangepasste Welt der
Ultra so schreiben kann, dass sie viele Szene- und Möchtegernszeneleute
beeindruckt.
Die weiteren Schilderungen* – vor allem der 80er und 90er
Jahre sind nicht allzu übel, es macht Spass, die Ereignisse von Brüssel 1985
von der italienischen Seite her zu hören, bisher waren da ja eher die
britischen Berichte im Umlauf, auch die Berichte über Schlachten, Tote und
Racheaktionen als Antwort darauf innerhalb Italiens sind sicher ein Stück
Zeitgeschichte, wobei diese Geschichten und Berichte allesamt NICHT vom Autor
geschrieben wurden. Mithin schmückt er sich auch da mit fremden Federn (wohl
auch mit Wissen und Billigung der eigentlichen Autoren) – insoferne begeistert
mich das Buch eher als eine Art „Geschichte der Ultras aus der Sicht einzelner
Personen der jeweiligen Szenen“ denn als Buch von Domenico Mungo.
Ein weiteres grosses Kapitel* sind die Heldentaten der
Gruppen der Curva Fiesole, eine Erklärung über das Stadion, die Namensgebung
und die Entstehung diverser Feindschaften, vor allem zu den „Gobbi“ von
„juventus“, welches der Autor nur in Kleinbuchstaben schreibt um seiner
Verachtung Ausdruck zu verleihen. Hier orientierte sich der Autor eindeutig an
den britischen Hooliganautoren um die Ereignisse in einer Art Moritat zu
verfassen, wobei die „Viola“ überall wo sie auftauchten Schrecken und
Verwüstung hinterliessen – dies ist wie schon bei den angelsächischen
Vorbildern – mehr als nur kritisch zu hinterfragen weil es einfach nicht
stimmen kann. Selektive Wahrnehmung und auch als solche zu bewerten.
Etwas anderes, das zwischen den Zeilen jedoch gut
herauszulesen ist ist das Verhältnis zwischen den „alten“ Ultras und der
jüngeren Generation, bei denen es zu grossen Unterschieden in der
Lebenseinstellung kommt. Dabei wird – wie so oft – den Jüngeren vorgeworfen,
die Ideale der Bewegung nicht zu verstehen oder zu respektieren und mit ihrer
radikalen Einstellung diese in den Untergang führen würden. Im gleichen Atemzug
werden aber die Heldentaten der Alten Ultras erzählt die nur den Schluss
zuliessen, dass die Jugend von den Alten gelernt hatte und dieselben Dinge, die
schon ihre Vorgänger gemacht hatten perfektioniert haben.
Der Schluss wiederum ist gut erzählt, ganz im Stile
klassischer Ultraliteratur und versöhnt mit dem weinerlichen Beginn des Buches.
Auf jedenfall ein empfehlenswertes Buch für alle, die diese Zeit nicht oder nur
ganz zum Schluss erlebt haben. Und eine Warnung an alle, die glauben, bei uns
gingen diese Dinge auch so problemlos wie im „Bel Paese“ der 70er bis 90er
Jahre.
*) Zum Zeitpunkt der gelesenen Eindrücke verfasste Texte
und als solche zu bewerten.
Gegen das
Vergessen
Die Toten im
italienischen Fussball
28. April
1963: Der Salernofan
Gaetano Plaitano stirbt durch eine Pistolenkugel beim Spiel Salernitana-Potenza
28. Oktober 1979: Der Laziofan Vincenzo Paparelli stirbt an den Folgen eines Schusses aus einer Signalpistole beim Derby Roma-Lazio
21. März
1982: Der Romafan
Andrea Vitone erstickt bei einem Brand des Zuges auf der Heimfahrt des AS Roma
aus Bologna.
8. Februar
1984: Der Triestinafan
Stefano Furlan wird nach der Partie Triestina – Udinese von einem Polizisten zu
Tode geprügelt.
20.
September 1984: Der
Milanfan Marco Fonghessi wird nach dem Spiel Cremonese – Milan von eigenen Fans
irrtümlich erstochen, die ihn für einen Cremonafan halten.
29. Mai
1985: 39 Juventusfans
sterben beim Massaker von Heysel vor der Partie Juventus – Liverpool.
13. April
1986: Der Romafan Paolo
Saroli verbrennt in einem Zugabteil des Romasonderzuges nach der Partie Pisa –
Roma.
7. Dezember
1986: Der Sambfan
Giuseppe Tomasetti wird während des Spiels Ascoli – Sambenedettese erstochen.
9. Oktober
1988: Der Ascolifan
Nazzareno Philippino wird nach dem Spiel Ascoli – Inter mit Baseballschläger so
schwer verletzt dass er acht tage später im Krankenhaus stirbt.
3. Januar
1989: Der Cremonesefan
Davide Fornaroli fällt nach der Stein- bzw. Baseballschlägerattacke von
Bresciafans ins Koma. Dies passierte nach der Partie Brescia – Cremonese.
4. Juni
1989: Der Romafan
Antonio De Falchi stirbt auf der Flucht vor Milananhängern an einem
Herzinfarkt.
18. Juni
1989: Der Bolognafan
Ivan Dall´Olio wird durch einen Molotovcoctail, geworfen von Fiorentinafans so
schwer verbrannt, dass 70% seines Körpers Brandwunden aufweisen.
29. November
1992: Zwei Veneziafans
(Alberto Zini und Daniele Valerio) werden nach der Heimpartie von Empoli gegen
Vicenza durch Polizeikugeln verletzt. Sie warteten dort auf ihren Bus nach
Hause.
10. Januar
1993: Der Bergamofan
Celesto Colombini stirbt nach einer Polizeiattacke an Herzversagen. Dies
passierte nach der Partie Atalanta – Roma.
30. Januar
1994: Der Acirealefan
Salvatore Morchella stirbt bei dem Versuch vor rivalisierenden Messinafans auf
einen fahrenden Zug zu springen.
20. November
1994: während der
Partie Brescia – Roma wird der Vizepräfekt Giovanni Selmin durch einen
Messerstich schwer verletzt. Die Täter waren Fans des AS Roma.
29. Januar
1995: Der Genoafan
Vincenzo Spagnolo wird vor dem Spiel Genoa – Milan erstochen.
4. Mai 1997: Der Bresciafan Roberto Bani stirbt
nachdem er während der Pause von den Zuschauerrängen stürzt. Dies passierte
während der Partie Salernitana – Brescia.
1. Februar
1998: Der Trevisofan
Fabio di Maio stirbt an einem Herzinfarkt. Dies passierte nach der Partie
Treviso – Cagliari.
23. Mai
1999: Ein von eigenen
Fans im fahrenden Sonderzug veranstaltetes Feuer kostete die Salernitanafans
Ciro Alfredi, Giuseppe Diodato, Simone Vitale und Vincenzo Ioio das Leben.
Der Zug kam von
der Partie Piacenza – Salernitana.
11. Februar
2001: Der Romafan
Alessandro Spoletini wird von Polizisten ins Koma geprügelt.
17. Juni
2001: Der Messinafan
Antonio Curro wird während der Partie Messina – Catania von einer Papierbombe
getroffen, er stirbt vier Taage später.
6. Oktober
2002: Der Fiorentinafan
Christian verliert während der Partie Imolese – Fiorentina durch eine in Mannhöhe
abgefeuerte Tränengasgranate das linke Auge.
20.
September 2003: Der
Napolifans Sergio Ercolana fällt auf der Flucht vor der Polizei vom Stadiondach
und stirbt zwei Tage später. Es war vor der Partie Avellino – Napoli.
3. Dezember
2006: Der Napolifan
Gianluca Chiagas fällt nachdem ihm eine Tränengasgranate am Kopf getroffen hat
ins Koma.
28. Januar
2007: Der
Samartinesefunktionär Ermanno Licursi stirbt während der „Zehntligapartie“
Samartino – Cancellese an einem Herzinfarkt.
2. Februar
2007: Der Polizist
Filippo Raciti stirbt nach der Partie Catania – Palermo.
11. November
2007: Der Laziofan
Gabriele Sandri wird an einer Rastation im Auto sitzend von der Polizei
erschossen.