Freitag, 11. März 2016

250 Jahre Prater

Der gewachsene Vergnügungspark

Jogger und Radfahrer lieben das Areal ebenso wie jene, die sich im Wurstelprater physischen Erfahrungen hingeben oder zum Match ins Stadion fahren. Seit 250 Jahren ist der Prater eines der wichtigsten Freizeitareale in Wien. Und auch wenn von der baulichen Vergangenheit nur noch minimale Reste vorhanden sind, hat sich an der Faszination Prater im Lauf der Jahrhunderte wenig geändert.
Kaum war das riesige Areal mit dem 7. April 1766 für die Bevölkerung geöffnet, erkannten Wirtsleute aus dem benachbarten zweiten Wiener Gemeindebezirk das Potenzial der in den ersten Tagen hinströmenden Menschenmassen. Innerhalb einer Woche wurden erste Anfragen, was das Betreiben kleiner gastronomischer Einrichtungen betrifft, gestellt.
Keine zwei Wochen später gaben die Behörden grünes Licht. Und kurz darauf befanden sich auf dem Gelände 66 Weinwirte und 44 Bierwirte - und es gab Kaffeesieder, Limonadenhändler, Fleischselcher, Lebzelter und ähnliche Gewerbetreibende. Und mit dem 1. Mai des Jahres 1766 erhielt auch der Sprachlehrer Johann Damen seinen Antrag genehmigt. Er durfte fortan „Hutschen nach niederländischer Art“, ein Ringelspiel und eine „Machine per modum einer Schlittenfahrt” betreiben.

Körperliche Erfahrungen

Die Öffnung des Praters für die Bevölkerung und das Entstehen des Wurstelpraters seien zeitlich kaum zu trennen, sagt Kulturhistorikerin Ursula Storch vom Wien Museum gegenüber ORF.at. Storch hat dem Areal mit „Im Reich der Illusionen – Der Wiener Prater wie er war” ein Buch gewidmet und ist Kuratorin der Ausstellung „In den Prater! Wiener Vergnügungen seit 1766“ im Wien Museum.

„Die physische Erfahrung mittels Geschwindigkeit war im Prater von Anfang an ein zentrales Element. Und dieses Körpergefühl war für die Menschen neu“, erklärt Storch die frühe Faszination der Bevölkerung für die neuen Freizeitmöglichkeiten.

Tummelplatz der Privilegierten

Die Jahrhunderte zuvor war das Gelände einem elitären Kreis vorbehalten. Der Prater, der im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt wurde, diente als kaiserliches Jagdrevier. Kaiser Maximilian II. ließ in den Jahren 1537 und 1538 die Prater Hauptallee anlegen und verwandelte die Aulandschaft zunehmend in eine Kulturlandschaft mit geschlossener Umzäunung.

Den Forstmeistern galt im 17. Jahrhundert die Anweisung, „niemandt alß waß Cavalliers und Damen“ auf das abgeriegelte Gelände zu lassen. Der Adel, aber auch Räte und Beamte des Kaisers vergnügten sich dort bei der Jagd - bis Joseph II. das gut sechs Quadratkilometer große Areal zwischen Donau und Donaukanal für alle frei zugänglich machte. Der liberale Herrscher sah darin den größeren Nutzen als im Jagdtreiben, das nur ein paar wenigen Privilegierten vorbehalten waren.

Der Prater löst Emotionen aus

„Jeder in der Stadt hat ein Verhältnis zum Prater“, beschreibt Storch die prinzipielle Verankerung im kollektiven Bewusstsein nach 250 Jahren Gemeingut Prater. „Doch das muss nicht zwangsläufig ein gutes Verhältnis sein“, ergänzt sie schmunzelnd, um auf Ambivalenzen hinzuweisen. Auf eine gewisse Art und Weise sei der Prater den Menschen jedoch nahe, beschreibt sie die emotionalen Bezüge, die einst schon Heimito von Doderer darlegte.

Er sprach im Zuge der Weltwunder, denen aus der Ferne zurückkehrende Wiener in der Heimat begegnen, nicht nur von den Backhendln und dem Hochquellwasser – auch der Prater reiht sich in Doderers Kanon ein. „Da ist schon was dran“, sagt Storch, deren beruflicher Schwerpunkt im Wien Museum die Kunst zwischen 1900 und 1960 ist: „Klimt und Schiele sind mein Alltag – doch wenn man zum Thema Prater arbeitet, ist das ein schöner Ausgleich und das Interesse ist enorm. Das kommt nicht von ungefähr.“

Ort des technischen Fortschritts

Denn egal, ob grüner Prater oder Wurstelprater – 250 Jahre der fast ununterbrochenen Benützung des Areals haben sich ins Gedächtnis der Stadt und ihrer Bewohner eingebrannt, was nicht zuletzt einer inhaltlichen Konstante geschuldet ist. Storch: „Der Prater war immer ein Ort der technischen Innovation.“ Egal, ob die „Hutschen nach niederländischer Art“ aus dem Jahr 1766, die ersten Kinos rund um 1900 oder zeitgenössische Errungenschaften der besonders intensiven körperlichen Erfahrung wie Windkanäle oder 5-D-Kino – jede Generation bekam im Prater die technischen Errungenschaften der jeweiligen Zeit präsentiert.

Dabei gingen die Maßnahmen im Zeichen des Eskapismus einst noch wesentlich weiter als die meisten zeitgenössischen Inszenierungen. Szenische Feuerwerke, die ganze Geschichten erzählen, galten bereits vor 1800 als außerordentlich publikumsträchtige Veranstaltungen mit Zehntausenden Besuchern. Auch die Luftfahrt hatte in Form erster Ballonflüge im Prater eine frühe Heimat. Im Jahr 1788 ließ der Erfinder Karl Enslen neun Ballons in Form verschiedener Tiere wie Wildschwein, Hirsch, Hase und Hund vom Prater in Richtung Kahlenberg segeln. Storch: „Diese Inszenierung wurde als aerostatische Jagd bezeichnet und es kamen damals um die 25.000 Menschen, um sich das anzusehen.“

Das Riesenrad trotzt der Zerstörung

Einen frühen Gipfel des Zur-Schau-Stellens des Besonderen und Neuen erreichte der Wiener Prater mit der Weltausstellung des Jahres 1873, von der heute nur noch rudimentäre Reste wie der Konstantinhügel, der aus dem Aushubmaterial der Rotunde entstand, zu finden sind. Das Wiener Riesenrad, das im Zuge des 50. Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs 1897 errichtet wurde, hat seinen Symbolwert nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass zumindest die Eisenkonstruktion der weitgehenden Zerstörung des Praters im Zweiten Weltkrieg trotzte.

Auch die Exotik war im Prater Dauerthema, das aus heutiger Sicht aber mitunter bizarre Formen annahm. Ganze Dörfer mit ihren Bewohnern wurden im 19. Jahrhundert aus Äthiopien und Somalia nach Wien transferiert, um Publikum zu locken. „Aus heutiger Perspektive ist das nicht mehr vorzustellen. Damals war dieses sogenannten ‚Völkerschauen‘ in ganz Europa gängige Praxis.“

Buffalo Bill zu Gast in Wien

Ein ähnliches Bild bot sich, als Buffalo Bill im Jahr 1890 erstmals in Wien gastierte, um mit 200 „Indianern“ Shows von Büffeljagden bis zu Postkutschenüberfällen zu inszenieren. Eigens dafür entstand im Prater eine Arena. Über 20.000 haben „Buffalo Bill’s Wild West“ damals gesehen – 1906 war er erneut zu Gast.
An alte Prater-Zeiten erinnert heute jedoch kaum noch etwas - vor allem in baulicher Hinsicht. Der Toboggan, eine hölzerne Rutsche, die ursprünglich 1913 entstand, zählt zwar zu den besonders alten Fahrgeschäften – allerdings handelt es sich bei der heutigen Konstruktion um einen Nachbau nach Originalplänen im Rahmen des Wiederaufbaus des Praters, der bis 1947 dauerte.

Gewachsene Vielfalt

Der Prater sei im 19. Jahrhundert ein Experimentierort, ein Versuchslabor für die damals wachsende Großstadt gewesen, erklärt Storch die Aneinanderreihung der Attraktionen. Damals ging es auch darum, mit Unterhaltungseinrichtungen zu präsentieren, was technische Innovationen, wie die Verwendung von Elektrizität, zu leisten imstande sind.

Der heutige Reiz insbesondere des Wurstelpraters liege in jedem Fall in der Vielfalt des Gebotenen begründet, erklärt Storch, die auch von einer überschäumenden Vielfältigkeit, die der Prater bietet, spricht. Storch sieht die Ursache für diese bunte Vitalität auch in der Struktur des Praters begründet.
„In vergleichbaren Einrichtungen wie dem Tivoli in Kopenhagen gibt es einen Betreiber – der Wiener Prater wird von vielen Einzelunternehmern geführt. Darunter gibt es Familien, die im Prater seit 150 Jahren als Unternehmer tätig sind“, so Storch. Diese ausgeprägte persönliche Identifikation vieler Unternehmer sei ein nicht zu unterschätzender Faktor und nichts weniger als ein gut funktionierendes Korrektiv für allzu vehemente Veränderungen, so Storch.

Johannes Luxner, ORF.at