Freitag, 27. Juni 2014

Textpassagen

26. 6. 2014 - 13:07 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 26-06-14.
Man wird's ja wohl noch sagen dürfen: es ist ein Volksverdummungs-Rock'n'Holler.

Ich krieg ja nicht viel sonst mit, außer den Nachrichten-Schlagzeilen und Zufälligkeiten via Facebook und Twitter; Schirrmacher ist gestorben und Warhols Ultra Violet. Aber mehr...
Und dann, heute Nacht, in der Fußball-Pause, steht plötzlich das lieblichen Semidialekt flötende Testimonial der heimischen Trachten-Marketing-IG im ZiB24-Studio und diskutiert mit der ehemaligen VP-Frauenministerin, die beim Tod der Johanna Dohnal Sachen gesagt hat, die ich rührend fand, über die notorische Söhne/Töchter-Zeile der Bundeshymne.
Ich brauche euch die Zusammenhänge (Gesetz, Spielberg, Gesang, Debatte...) nicht zu erklären, ich war somit wohl eh der letzte, der den Vorfall in seiner Tragweite mitbekommen hat. Und ich würde ihn keiner Zeile würdigen wollen, wäre da nicht die Argumentationslinie des Kurzbehosten gewesen, der da nicht auf die - der Optik und der textlichen Armseligkeit geschuldeten - Schüler-Ausrede (ich hab's vergessen, Herr Fessa!) zurückgreift, sondern die kindische Missetat zu einem politischen Akt der Wehrhaftigkeit (in der Tradition des Hofer oder anderer alpiner Rebellen) hochschwatzen will. Und auf die Rückendeckung von 90% der heimischen Trolle sichtlich stolz ist.
Das von tatsächlicher Volksmusik so weit wie der Mond entfernte Schlager-Idol hatte erkannt, dass sein schnell nachgeschobenes "ich hab's in der Schule so g'lernt!"-Motiv brüchig wurde. 50% von dem was ich und sicher noch 30% von dem was der Liadsing-Sänger in der Schule gelernt haben, ist heute Makulatur, zumeist ist das Gegenteil davon wahr. Und ein gerüttelt' Maß der noch vor 10 Jahren in der Schule gelernten Texte halten sinnhaften modernen Maßstäben nicht stand.
Sprache ist lebendig, und die bewusste Verwendung von Verunglimpfungen, die einst in Lehr- oder Kinderbüchern stand, einfach nicht mehr legitim. Denn auch die Verwendung von Mölzers zweitliebstem Wort nach Konglomerat ließe sich mit dem Satz des Interpreten von wahrlich volksdümmlicher Musik begründen. Wie überhaupt eh alles, was in einer überheblichen eurozentrischen, monarchischen Vergangenheit fußt und heute soviel Relevanz hat wie die Habsburger.
Aber eben nur scheinbar.
Weil der Mensch hinter dem Sepplhosenträger aber kein Idiot ist, schwenkt er um. Und weil er auch nicht wirklich ein Frauen-Hasser, -Nichtversteher, -Verächter oder gar ein Gegner der Gleichbehandlung und -wertigkeit ist (denn die gute Freundin der Frau ist die gute Freundin seiner Freundin, und die wäre der lebende Beweis dafür, sagt die gute Freundin der Frau), sondern einfach einer, der dafür Sorge tragen muss innerhalb der kurzen Karriere-Zeit, die ihm bleibt, so viel Aufmerksamkeit, Werbeverträge und andere Finanzierungsquellen mehr herbeizuschaffen wie geht, erklärt der Kommerzpopmusikant sein Handeln als privaten Akt des Widerstands gegen musikalisch nicht so flutschende Texte und gegen die Veränderung von Traditionsgütern an sich.
Damit sammelt man, zumal in Österreich, schnell digitale Mehrheiten um sich. Die sind fließend, jubeln den einen Tag der bärtigen Frau zu, die mit poetischen, aber strikten Worten die Gleichbehandlung aller Individuen einfordert und am anderen Tag dem Hymnen-Sänger, der die wesentlichste Symbolhandlung die das Land bisher zur Gleichsetzung von Frauen mit Männern gesetzt hat, schlankerlmäßig unterläuft.
Dass die Mehrheit, dass der Mainstream, auch der der Medien, darin keinen Widerspruch erkennen mag/mögen, ist ein anderes österreichisches Phänomen, für das die Einzelausgabe des Trachtenpärchens nichts kann.
Seine Schuldhaftigkeit liegt woanders: im gezielten Runterspielen von Errungenschaften, für deren Erfassen das pechschwarze Herz einer dumpfen, immer noch von Nationalismus, Despotismus und Klerikalismus vergifteten Volksseele noch Jahrzehnte an Bewusstseinsbildung braucht; Jahrzehnte etwa, die die genannte VP-Ministerin benötigt hatte um dem was ihre Vorvorvorvorgängerin Dohnal schon in den 70ern (und noch treffender) formuliert und gefordert hatte. eine Praxis light folgen zu lassen. Jahrzehnte, die Österreich gesellschaftspolitisch so weit zurückwerfen und warfen, dass die Schere etwa im Lohnbereich immer noch weiter klafft als das allgemeine Niveau dieser Debatte jetzt den Allerwertesten offen hat.
Sie liegt im schunkeligen, heinzconradigen Niederwalzen von gesellschaftlich dringend nötigen Adaptionen unter Berufung auf einen von den Populisten aller Sorten gern angerufenen Götzen namens Hausverstand. Mit der sympathieheischenden Maske des naiven Biedermanns.
Dass sich die zeitgeistige Moik-Taschenausgabe dabei nur eines inhaltlich bleichen und redundanten Argumentations-Gestammels bedient, gereicht ihm beim angestrebten Zielpublikum zum Vorteil: viele, allzu viele bestehen (in schlechter alter österreichischer seit Metternich gepflogener Tradition) darauf, dass jene, die sie mit einem Spontan-Mandat zu ihren Tribunen erklären, gefälligst auch so daherzustammeln hätten wie sie selber - das gibt ein gutes Gefühl der Kontrolle; und arbeitet aber auch den realen Machtverhältnissen und ihren Profiteuren (die ja am liebsten mit einer möglichst rückständigen und so leicht zu manipulierenden Gemeinschaft zu tun haben) zu.
Mit all dem spielt das Testimonial einer eben nur scheinbar neuen, aber erzalten, ultrakonservativen Brauchtums-Industrie ab einem gewissen Punkt aber nicht - es spielt umgekehrt mit ihm. Die diversen politisch motivierten Schollen-Bewahrer, die Blut-und-Boden-Nationalisten, die Freunde regionaler Oligarchen-Herrschaften des Alpenlands haben in ihm einen gefunden, den komplex zu instrumentalisieren gar nicht mehr notwendig ist, so sehr bietet der reaktionäre Unterton seiner Aktion selbige auf dem Silbertablett der politischen Verwertbarkeit an. Und so findet sich, was sich finden sollte: die unfreiwillige Parodie einer Volksmusik mit der bewusst inszenierten Parodie einer Volksvertretung.

So wie das, was der Bierzelt-Sänger macht, nichts mit Musik im eigentlichen Sinn zu tun hat, hat das, was die Bierzelt-Redner daraus machen, nichts mit Politik im eigenen Sinn zu tun. Hier finden sich also die Rechten wie natürlich zusammen.
Man wird's ja wohl noch sagen dürfen, was so die Volksmehrheit in sich trägt, stammtischmäßig, also eh gar nicht heimlich: dass die Todesstrafe schon auch durchaus angebracht ist, wenn es der Boulevard so einfordert; dass der Schilling schon fescher war; dass die Rückkehr in eine eisige, isolierte Bergfestung ganz ohne das Europa da einiges für sich hat; dass ein Österreich ohne störende, also sichtbar anwesende Ausländer dem Idealbild des alten Heimatfilms doch deutlich näherkommt als die moderne Realität, die die noch clangeprägten Gemüter, die geistig noch in engen Schluchten festsitzenden, vor Innovation angstschlotternd zurückschreckenden Bewahrer so große Mühe haben zu begreifen.
Man wird das ja wohl noch sagen dürfen - und kriegt sicher auch eine Lautstärken-Mehrheit dafür; und für anderen Schwachsinn, der Österreich (für die meisten; die Eliten hätten da kein Problem - deswegen ist auch die sogenannte Zivilgesellschaft immer schön stumm) lebensunfähig, zukunftsuntauglich machen würde. Die Bestätigung dumpfester Ressentiments, biederer Kinder-Küchen-Kirchen-Romantik, die der Hias in der Vintage-Tracht da als Steilvorlage für Schein-Plebiszite anbietet, eignet sich gerade in einem Land, das den Klerikal-Faschismus der 30er nie aufgearbeitet hat und deshalb immer noch zu großen Teilen in der gedanklichen Geiselhaft einer gesellschaftlichen Idee aus dem 19. Jahrhundert lebt, hervorragend.
Und auch das wird man ja wohl noch sagen dürfen: die Tracht ist, um Joesi Prokopetz zu zitieren, eben textile Ideologie, da kann man sie noch so modisch schneidern. Da hab ich meinem Text vom letzten Oktober, der erklärenden Basis hinter diesem Satz, nichts hinzuzufügen.
Wer sich damit hinstellt und eine soziale Gemeinschaft bewusst und gezielt in eine Struktur der alten Herrschaftsmechanismen, der Unterwerfung zurückschleudern will, schwingt sich zum politischen Agitator auf, trotz verschämter Leugnung. Wer ein Frauenbild der gönnerhaften Sockelhebung der (hierzulande eh erst nur symbolischen) Gleichstellungs-Praxis vorzieht, ist ein Ideologe, da gibt's kein Rausgerede. Wer eine scheinbar unpolitische Position in der Seitenblicke-Gesellschaft benutzt um seine Werte-Ordnung offensiv und öffentlichkeitswirksam zu vertreten, wer sich so zum Tribunen stilisiert, kann sich nicht von jenen, die ihn dann deshalb auf den Schild heben, freisprechen.
Er hat sie, seine geistigen Bundesgenossen, ja ganz bewusst angerufen. Und das schmale Lächeln bei seiner vagen Distanzierung zeigt auch, wie's in echt gemeint ist.
Ebenso wie es für den Freund der Haarpomade keine Veranlassung gab die Hymne anders zu singen, gibt es für jene die das Scheiße finden, aber keine Veranlassung, sich in reiner Empörung zu verlieren. Die durchdringende Erkenntnis kann und muss diejenige sein, dass reine Symbolpolitik allein eben doch zuwenig bewirkt. Weil in Köpfe, die verbaut sind wie a Bergwerk kommt man damit nicht (oder nur ganz langsam) rein - da helfen nur ganz praktische Maßnahmen der richtigen Gleich- und Besserstellung.

Reine Symbole wie das Hymnen-Gesetz lassen sich nämlich von der urösterreichischen Koalition der Trolle, der Bierzelte und der Lederhosen aushebeln wie nichts.