Freitag, 27. Juni 2014

27. Juni 1993






27. Juni 1993: Bei einem GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen zur Festnahme der RAF-Mitglieder Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld gelingt nur die Festnahme von Hogefeld. Grams und der Polizist Michael Newrzella kommen dabei ums Leben.
Der GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen war ein Polizeieinsatz am 27. Juni 1993, bei dem die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen festgenommen werden sollten. Die Festnahme von Birgit Hogefeld verlief erfolgreich. Bei einem anschließenden Feuergefecht kamen Wolfgang Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella ums Leben.
Dem seit 1985 als V-Mann des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz tätigen Klaus Steinmetz war es Anfang der 1990er Jahre gelungen, in das Umfeld der Rote Armee Fraktion vorzudringen. Steinmetz nahm an diversen nichtmilitanten Aktionen teil und drang im Laufe der Zeit immer tiefer in die Szene ein. Ende Februar 1992 gelang es ihm, Birgit Hogefeld in Paris zu treffen. Im April 1993 traf Steinmetz erstmals auf Grams, allerdings ohne ihn sofort zu identifizieren. Der Verfassungsschutz beschloss, Hogefeld und Grams festnehmen zu lassen. Auf Wunsch des Verfassungsschutzes sollte die Aktion so durchgeführt werden, dass Steinmetz weiter als V-Mann eingesetzt werden konnte. Im Vorfeld stellte das Bundeskriminalamt fest, dass der Bahnhof Bad Kleinen für eine Festnahme nicht geeignet sei. Der Publikumsverkehr war so gering, dass verdeckte Zivilbeamte aufgefallen wären. Der Zugriff sollte daher nach der Ankunft zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb des Bahnhofes stattfinden. Der Bahnhof wurde vom Bundeskriminalamt umfangreich überwacht, unter anderem wurden Wanzen und Überwachungskameras in Blumenkübeln und Mülleimern im Bahnhof versteckt. Auf dem Schweriner See lag ein Boot des Bundeskriminalamtes, welches als Empfangsstation diente. Zur Tarnung wurde es für die Aktion für circa 9.600 DM umlackiert.
Am 24. Juni 1993 trafen sich Hogefeld und Steinmetz in Bad Kleinen, fuhren weiter nach Wismar, gingen in eine zuvor gemietete Ferienwohnung und warteten ab. Steinmetz trug während der ganzen Zeit einen Peilsender und ein Abhörgerät bei sich, so dass er jederzeit zu orten war und die Gespräche mitgehört werden konnten. Trotz des Peilsenders dauerte es 24 Stunden, bis Steinmetz in der Ferienwohnung geortet werden konnte. Das Bundeskriminalamt observierte von einem Nachbarhaus aus, in dem eine Familie lebte. Um diese ohne den Grund zu verraten aus dem Haus zu locken, wurde „Rudis Urlaubsshow“ inszeniert: In dieser Fernsehsendung wurden Menschen mit einer Reise überrascht, die sie sofort antreten mussten. Bei der Observation gab es eine Panne: Die Einsatzkräfte beobachteten nur die Vorderseite des Ferienhauses und bemerkten daher nicht, als Hogefeld und Steinmetz über den Hinterausgang das Ferienhaus verließen. Erst bei ihrer Rückkehr durch den Vordereingang wurde ihr Verschwinden bemerkt. Die Einsatzleitung wollte daher kein weiteres Risiko mehr eingehen und entwickelte den Plan, Hogefeld und Steinmetz am 27. Juni 1993 auf dem Weg zwischen dem Ferienhaus und der Bushaltestelle zu fassen. Beim Verlassen der Ferienwohnung sagte Hogefeld zu dem Vermieter, sie wollen „noch Freunde treffen“. Aufgrund dieser Aussage wurde der Zugriff abgebrochen. Die Ermittler erhofften sich, weitere RAF-Mitglieder zu fassen. Am 27. Juni 1993 fuhren Hogefeld und Steinmetz zurück nach Bad Kleinen, um sich dort mit Grams zu treffen. Am dortigen Bahnhof und in der Umgebung waren zu diesem Zeitpunkt 38 Beamte des MEK des Bundeskriminalamtes, 37 Beamte der GSG 9 und 22 weitere Beamte im Einsatz.

Gleis 4 (August 2011), auf das Wolfgang Grams während des Schusswechsels rücklings fiel, aus Sicht der damaligen Position der GSG-9-Beamten Grams traf um 14:00 Uhr ein. Der Abteilungspräsident des Bundeskriminalamtes Rainer Hofmeyer beschloss, dass ein Zugriff im Café, auf dem Bahnsteig und im Zug ausgeschlossen sei, da dadurch Unbeteiligte gefährdet gewesen wären. Somit blieb der Tunnel als einzige Möglichkei. Um 15:15 Uhr verließen Hogefeld, Grams und Steinmetz die Bahnhofsgaststätte Billard-Café. Ein GSG-9-Beamter, der das Café vom Gleis 3/4 aus beobachtete, informierte seine Kollegen, welche auf dem gegenüberliegenden Tunneleingang postiert waren. Ein weiterer ziviler Beamte im Tunnel gab das Zeichen für den Zugriff, den sieben GSG-9-Beamte durchführten. Aufgrund eines missverständlichen Funkspruches ging der Beobachter zehn Sekunden später in den Tunnel, wo er überraschenderweise Grams sah. Daraufhin musste die GSG 9 zugreifen, obwohl der Abstand zu den RAF-Mitgliedern über 15 Meter betrug. Um die Schrecksekunde zu nutzen, hätte ein Abstand von maximal zehn Metern sein dürfen, geplant war, die Terroristen auf etwa fünf Meter heranzulassen. Während Hogefeld und Steinmetz im Tunnel ohne Gegenwehr festgenommen werden konnten, floh Grams auf das Gleis 4 und eröffnete das Feuer auf die ihm nachfolgenden GSG-9-Beamten. In dem wenige Sekunden dauernden Schusswechsel wurde der Beamte Michael Newrzella so schwer verletzt, dass dieser später im Krankenhaus starb. Wolfgang Grams wurde von den Beamten getroffen und fiel auf die Gleise, wo er liegen blieb. Mit einem Kopfschuss wurde er in die Universität Lübeck geflogen, wo auch er später starb. Eine Schaffnerin auf dem gegenüberliegenden Gleis wurde durch Beamte verletzt. Nach den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Schwerin hat Grams, nachdem er Newrzella durch Schüsse aus einer mitgeführten Pistole getötet hatte, Suizid begangen, indem er sich einen tödlichen Kopfschuss zufügte. Es gab Stimmen, die meinten, Newrzella sei durch einen Querschläger aus der Waffen eines Kollegen umgekommen und ein Beamter habe Grams mit einem aufgesetzten Schuss in den Kopf getötet. Ein durch Bernd Brinkmannangefertigtes Gutachten der Universität Münster kommt zu dem Schluss, dass ein solcher Schuss aufgrund der Blutspuren auf Waffe und Kleidung der Polizisten unmöglich sei und hält gleichzeitig eine „Selbstbeibringung“ für plausibel. Ein Gutachten der Stadtpolizei Zürich bestätigt ebenfalls einen „typischen Selbstmord-Einschußkanal“. Einige Geschehnisse konnten nicht geklärt werden, da sich Mitglieder der GSG-9 in ihren Aussagen widersprachen. Das Projektil, welches für den tödlichen Kopfschuss bei Grams verantwortlich war, wurde nicht gefunden. Grams’ Körper wurde vor der Obduktion gewaschen. Das hat eventuell Spuren vernichtet, die hätten belegen können, dass Grams erst Newrzella in einem Schusswechsel tödlich verletzte, um sich dann, getroffen und in der geschilderten ausweglosen Situation, selbst zu erschießen. Vor der Obduktion wurde auch Grams’ Kopf gewaschen, einige Haare wurden geschnitten und weggeworfen. Kriminalwissenschaftler Wolfgang Lichtenberg bezeichnete diesen Vorgang als nicht korrekt.[6] Vor allem im linken Spektrum ist der Verdacht verbreitet, dass Grams von einem GSG-9-Mann gezielt getötet worden sei, obwohl er bereits kampfunfähig war, weil ein Zeuge dies gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel behauptete. Obwohl diese Theorie in Ermittlerkreisen als widerlegt gilt, wurden auch Jahre nach den Vorfällen Texte oder Bücher veröffentlicht, welche die Ergebnisse der Untersuchung bezweifeln oder angreifen. Sowohl der Spiegel-Informant als auch eine Kioskverkäuferin, die im Magazin Monitor als Augenzeugin auftrat und ebenfalls eine „Hinrichtung“ gesehen haben will, stellten sich bei den Ermittlungen aus Sicht der Ermittler als unglaubwürdig heraus. Während die Kioskverkäuferin in mehreren Vernehmungen unterschiedliche Darstellungen des Vorfalls beschrieb, gab der Spiegel-Informant gegenüber den Ermittlern Angaben an, die oberflächlich nicht stimmten. Die Ermittler gehen davon aus, dass er sein Wissen nur „vom Hörensagen“ habe und dies an den Spiegel weitergab. Hans Leyendecker, der Autor des Spiegel-Artikels, rückte nach Kenntnisnahme der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Schwerin von seiner Darstellung wieder ab. 2007 sagte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, er habe die Aussage eines Polizisten, Grams sei von zwei Kollegen erschossen worden, überbewertet: „Ich hatte dieser Aussage eine zu große Bedeutung gegeben, sie zu wenig relativiert und das Ganze zu stark aufgeblasen. Dadurch entstand der Eindruck, dass das, was dieser Zeuge gesagt hat, auch korrekt gewesen sei. Das kann man so nicht behaupten.“ Diese Titelgeschichte sei für den Spiegel „in der Wirkung verheerend“ gewesen: „eigentlich hätte ich auch gefeuert werden müssen“.